Baurecht

Untersagung einer angezeigten gewerblichen Alttextilsammlung

Aktenzeichen  M 17 K 17.321

Datum:
27.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 139206
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KrWG § 17, § 18
AEUV Art. 34, Art. 35, Art. 106 Abs. 2
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Bei der Frist des § 18 Abs. 1 KrWG handelt es sich nicht um eine Ausschlussfrist für eine etwaige Untersagungsanordnung durch die Behörde, so dass diese auch noch nach Ablauf der Drei-Monats-Frist ergehen kann. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
2. § 17 Abs. 3 S. 3 Nr. 1 KrWG stellt eine widerlegbare Vermutung auf. Von einer wesentlichen Beeinträchtigung der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung und damit von einer Gefährdung der Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers durch eine gewerbliche Sammlung ist danach im Regelfall auszugehen (Anschluss an BVerwG BeckRS 2016, 52475). (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)
3. Aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben muss die Vermutung des § 17 Abs. 3 S. 3 Nr. 1 KrWG im Einzelfall widerlegt werden können, wenn die streitbefangene gewerbliche Sammlung auch im Zusammenwirken mit anderen privaten – auch gemeinnützigen – Sammlungen nicht zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des Schutzobjekts der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers führt. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ob die Regelvermutung des § 17 Abs. 3 S. 3 Nr. 1 KrWG im Einzelfalle widerlegt ist, bestimmt sich danach, ob durch den Marktzugang eines gewerblichen Sammlers im Zusammenwirken mit anderen Sammlungen die Grundstrukturen der Entsorgung, die der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger zur Gewährleistung einer sachgerechten Aufgabenerfüllung nach Maßgabe seiner organisatorischen Grundentscheidungen ins Werk gesetzt hat, wesentlich umgestaltet werden müssten (Anschluss an BVerwG BeckRS 2016, 52475). (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über die Klage konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten mit Schreiben vom … März 2017 (Klagepartei), 26. Juni 2017 (Beigeladener) bzw. 27. Juni 2017 (Beklagter) einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage, insbesondere fehlt der Klägerin als Personengesellschaft, die Sammler im Sinne von § 3 Abs. 10 KrWG sein kann, nicht das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis (BVerwG, U.v. 1.10.2015 – 7 C 8/14 – juris), ist unbegründet, weil der streitgegenständliche Bescheid sowohl formell als auch materiell rechtmäßig ist und die Klägerin daher nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Formell ist der streitgegenständliche Untersagungsbescheid vom 19. Dezember 2016 nicht zu beanstanden.
1.1. Das Landratsamt W.-S. war als Kreisverwaltungsbehörde für Maßnahmen nach § 18 Abs. 5 KrWG gemäß Art. 29 Abs. 2 BayAbfG i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 2 Abfallzuständigkeitsverordnung (AbfZustV) i.d.F. d. Bek. v. 7.11.2005 (GVBl S. 565; BayRS 2129-2-1-1-UG), zuletzt geändert durch Verordnung vom 19. Januar 2015 (GVBl S. 5), sowie Art. 37 Abs. 1 Satz 2 Landkreisordnung (LKrO) für den Erlass des streitgegenständlichen Bescheides zuständig.
Durch die Zuständigkeitsverteilung innerhalb des Landratsamts ist das Neutralitätsgebot nicht verletzt. Gemäß Art. 37 Abs. 1 LKrO ist das Landratsamt Kreisbehörde und, soweit es rein staatliche Aufgaben wahrnimmt, Staatsbehörde (vgl. BayVGH, B.v. 13.6.2013 – 20 ZB 13.805 – juris Rn. 5). § 4 Abs. 1 Nr. 2 AbfZustV ermächtigt die Kreisverwaltungsbehörde als Staatsbehörde und nicht den örE. Das Landratsamt als eine Behörde mit Doppelzuständigkeit hat als Teil der öffentlichen Verwaltung in beiden ihr übertragenen Funktionen dem Gemeinwohl zu dienen und insoweit „von Amts wegen“ Neutralität zu wahren. Es ist an Recht und Gesetz gebunden und untersteht exekutiver Aufsicht sowie gerichtlicher Kontrolle (BVerwG, U.v. 18.3.2009 – 9 A 39/07 – NvWZ 2010, 44 f.; VG Würzburg, B.v. 6.6.2013 – W 4 S. 13.441 – juris Rn. 29, B.v. 22.5.2013 – W 4 S. 13.327 – juris Rn. 29; VG Ansbach, U.v. 3.7.2013 -AN 11 K 13.00617 – juris Rn. 33; OVG NW, B.v. 20.1.2014 – 20 B 331/13 – juris Rn. 7). Damit besteht eine ausreichende organisatorische Trennung (st. Rspr. der Kammer, vgl. VG München, B.v. 25.9.2013 – M 17 S. 13.2480 – UA S. 9f.).
1.2. Die Klägerin wurde vor dem Erlass des Bescheides mit Schreiben vom 28. Oktober 2016 gemäß Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG angehört.
2. Der Bescheid vom 19. Dezember 2016 ist auch materiell rechtmäßig.
2.1. Rechtsgrundlage der Untersagung im angefochtenen Bescheid ist § 18 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 i.V.m. § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 KrWG.
Gemäß § 18 Abs. 5 KrWG kann die zuständige Behörde angezeigte gewerbliche Sammlungen von Bedingungen abhängig machen, sie zeitlich befristen oder Auflagen für sie vorsehen, soweit dies erforderlich ist, um die Erfüllung der Voraussetzungen nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 3 oder 4 KrWG sicherzustellen. Die zuständige Behörde hat die Durchführung der angezeigten Sammlung zu untersagen, wenn Tatsa chen bekannt sind, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Anzeigenden oder der für die Leitung und Beaufsichtigung der Sammlung verantwortlichen Personen ergeben, oder die Einhaltung der in § 17 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 3 oder 4 KrWG genannten Voraussetzungen anders nicht zu gewährleisten ist. Der hier maßgebliche § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 KrWG besagt, dass eine Überlassungspflicht für Abfälle nicht besteht, wenn diese durch eine gewerbliche Sammlung einer ordnungsgemäßen und schadlosen Verwertung zugeführt werden, soweit überwiegende öffentliche Interessen dieser Sammlung nicht entgegenstehen.
2.1.1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung ist wegen des Charakters der Untersagung als Dauerverwaltungsakt derjenige der gerichtlichen Entscheidung (BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 – juris Rn. 57; BayVGH, B.v. 30.01.2017 – 20 CS 16.1416 – juris Rn. 24; B.v. 24.7.2012 – 20 CS 12.841 – juris Rn. 25).
2.1.2. Die §§ 17, 18 KrWG sind mit höherrangigem Recht vereinbar (BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 – juris).
2.1.3. Der Anwendbarkeit des § 18 Abs. 5 Satz 2 KrWG steht insbesondere nicht entgegen, dass seit der Sammlungsanzeige durch die Klägerin mehr als drei Monate vergangen sind (vgl. VG München, U.v. 26.1.2017 – M 17 K 16.5858). Zwar ergibt sich aus § 18 Abs. 1 KrWG, wonach gewerbliche Sammlungen im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 KrWG spätestens drei Monate vor ihrer beabsichtigten Aufnahme durch ihren Träger der zuständigen Behörde anzuzeigen sind, dass der Gewerbetreibende nach Ablauf dieser drei Monate mit der Sammlung beginnen darf, wenn die Behörde bis dahin keine Untersagungsanordnung erlassen hat. Bei der Frist des § 18 Abs. 1 KrWG handelt es sich jedoch nicht um eine Ausschlussfrist für eine etwaige Untersagungsanordnung durch die Behörde, so dass diese auch noch nach Ablauf der Drei-Monats-Frist ergehen kann (vgl. OVG NW, U.v. 21.9.2015 – 20 A 2120/14 – juris Rn. 46f.; VGH BW, B.v. 4.3.2014 – 10 S 1127/13 – juris Rn. 17; von Lersner/Wendenburg/Kropp/ Rüdiger, Recht der Abfallbeseitigung, Stand September 2016, § 18 Rn. 72).
2.2. Auch die Voraussetzungen des § 18 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 i.V.m. § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 KrWG sind hier erfüllt.
Letztlich kann dahingestellt bleiben, ob die Untersagungsverfügung im Bescheid vom 19. Dezember 2016 auch auf Bedenken gegen die Zuverlässigkeit der Klägerin (§ 18 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 KrWG) gestützt werden kann. Denn jedenfalls ist ungeachtet der Frage, ob eine ordnungsgemäße und schadlose Verwertung dargelegt wurde – die streitgegenständliche Untersagung deswegen gerechtfertigt, weil der gewerblichen Sammlung der Klägerin überwiegende öffentliche Interessen im Sinne von § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 KrWG entgegenstehen.
Gemäß § 17 Abs. 3 KrWG wäre dies der Fall, wenn die Sammlung in ihrer konkreten Ausgestaltung, auch im Zusammenwirken mit anderen Sammlungen, die Funktionsfähigkeit des örE, des von diesem beauftragten Dritten oder des auf Grund einer Rechtsverordnung nach § 25 KrWG eingerichteten Rücknahmesystems gefährdet. Eine Gefährdung der Funktionsfähigkeit des örE oder des von diesem beauftragten Dritten ist wiederum anzunehmen, wenn die Erfüllung der nach § 20 KrWG bestehenden Entsorgungspflichten zu wirtschaftlich ausgewogenen Bedingungen verhindert oder die Planungssicherheit und Organisationsverantwortung wesentlich beeinträchtigt wird.
Eine wesentliche Beeinträchtigung der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung des örE ist insbesondere anzunehmen, wenn durch die gewerbliche Sammlung
1.Abfälle erfasst werden, für die der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger oder der von diesem beauftragte Dritte eine haushaltsnahe oder sonstige hochwertige getrennte Erfassung und Verwertung der Abfälle durchführt,
2.die Stabilität der Gebühren gefährdet wird oder
3.die diskriminierungsfreie und transparente Vergabe von Entsorgungsleistungen im Wettbewerb erheblich erschwert oder unterlaufen wird.
Nummern 1 und 2 gelten nicht, wenn die vom gewerblichen Sammler angebotene Sammlung und Verwertung der Abfälle wesentlich leistungsfähiger ist als die von dem örE oder dem von ihm beauftragten Dritten bereits angebotene oder konkret geplante Leistung.
Vorliegend ist von einer wesentlichen Beeinträchtigung der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung des örE auszugehen (§ 17 Abs. 3 Satz 2 Alt. 2 KrWG), weil der Beigeladene eine im Sinne des § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG hochwertige getrennte Erfassung und Verwertung der Abfälle durchführt und die Sammlung der Klägerin nicht wesentlich leistungsfähiger ist:
2.2.1. Hier wurde die Sammlung des vom Beigeladenen beauftragten Dritten bereits vor der jetzt streitgegenständlichen Anzeige vom 28. August 2012 „durchgeführt“ (§ 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG).
2.2.2. Der Beigeladene bzw. der von ihm beauftragte Dritte hält im Landkreis 135 Container an 77 Standorten vor (Stand 2.6.2016, der auch noch aktuelle Gültigkeit 2.2.1. besitzt). Darüber hinaus bestehen Abgabemöglichkeiten an den vier Wertstoffhöfen des beauftragten Dritten. Damit ist wohl eine haushaltsnahe (vgl. VG Köln, B.v. 25.1.2013 – 13 L 1796/12 – juris Rn. 9), zumindest aber eine hochwertige getrennte Erfassung und Verwertung der Alttextilien zu bejahen.
2.2.3. Die Sammlung der Klägerin ist auch nicht wesentlich leistungsfähiger als die vom örE oder dem von ihm beauftragten Dritten bereits angebotene Leistung. Bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit sind sowohl die in Bezug auf die Ziele der Kreislaufwirtschaft zu beurteilenden Kriterien der Qualität und der Effizienz, des Umfangs und der Dauer der Erfassung und Verwertung der Abfälle als auch die aus Sicht aller privaten Haushalte im Gebiet des örE zu beurteilende gemeinwohlorientierte Servicegerechtigkeit der Leistung zugrunde zu legen. Leistungen, die über die unmittelbare Sammel- und Verwertungsleistung hinausgehen, insbesondere Entgeltzahlungen, sind bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit nicht zu berücksichtigen (§ 17 Abs. 3 Sätze 4 bis 6 KrWG). Die Beweislast dafür, dass die gewerbliche Sammlung leistungsfähiger ist als die Sammlung des örE, trägt die Klägerin (vgl. VG Ansbach, U.v. 23.1.2013 – AN 11 K 12.01588 – juris Rn. 101).
Der Beigeladene bzw. der beauftragte Dritte betreibt – wie ausgeführt – 135 Container an 77 Standorten. Darüber hinaus bestehen Abgabemöglichkeiten an den vier Wertstoffhöfen des beauftragten Dritten. Die Sammelcontainer sind im gesamten Landkreisgebiet aufgestellt, so dass nicht nur eine Erreichbarkeit rund um die Uhr sichergestellt ist, sondern zumindest auf den Wertstoffhöfen der Einwurf der Textilien -anders als bei der Klägerin – unter Aufsicht erfolgt. Somit ist sowohl von einem 184der klägerischen Sammlung auszugehen, so dass hier nicht von einer wesentlich leistungsfähigeren gewerblichen Sammlung der Klägerin ausgegangen werden kann.
2.2.4. § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG stellt eine widerlegbare Vermutung auf. Von einer wesentlichen Beeinträchtigung der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung und damit von einer Gefährdung der Funktionsfähigkeit des örE durch eine gewerbliche Sammlung ist danach im Regelfall auszugehen (BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 – a.a.O. Rn. 50). Da eine Untersagung gewerblicher Sammlungen jedoch eine Beschränkung unionsrechtlicher Grundsätze, insbesondere der Warenverkehrsfreiheit (Art. 34, 35 AEUV) darstellt (BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 -a.a.O. Rn. 31 ff., insb. 34 ff.), ist sie nach Art. 106 Abs. 2 AEUV nur gerechtfertigt, soweit anderenfalls die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung des örE bzw. dessen Beauftragter verhindert wird (BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 – a.a.O. Rn. 48 ff.). Denn die flächendeckende und diskriminierungsfreie Entsorgung von Haushaltsabfällen, wozu auch sortenreine Abfallfraktionen wie Alttextilien gehören, stellt eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse dar (BVerwG a.a.O. Rn. 41; s.o.) und fällt damit in den Anwendungsbereich der Ausnahmeregelung des Art. 106 Abs. 2 AEUV.
Aufgrund der genannten unionsrechtlichen Vorgaben muss die Vermutung des § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG im Einzelfall widerlegt werden können, wenn die streitbefangene gewerbliche Sammlung auch im Zusammenwirken mit anderen privaten -auch gemeinnützigen – Sammlungen nicht zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des Schutzobjekts der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung des örE führt (BayVGH, B.v. 30.1.2017 – 20 CS 16.1416 – juris Rn. 30; BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 – a.a.O. Rn. 50 ff.). Ob die Regelvermutung des § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG im Einzelfalle widerlegt ist, bestimmt sich deshalb danach, ob durch den Marktzugang eines gewerblichen Sammlers im Zusammenwirken mit anderen Sammlungen die Grundstrukturen der Entsorgung, die der örE zur Gewährleistung einer sachgerechten Aufgabenerfüllung nach Maßgabe seiner organisatorischen Grundentscheidungen ins Werk gesetzt hat, wesentlich umgestaltet werden müssten (BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 – a.a.O. Rn. 51). Dazu sind die Auswirkungen auf die vom örE zu erzielende Sammelmenge zu ermitteln. Denn die vorgehaltene Entsorgungsstruktur ist nur schutzwürdig, soweit sie bedarfsgerecht auf die zu erwartende Sammelmenge zugeschnitten ist, da insoweit Einbußen, die sich durch den Marktzutritt anderer Sammler abzeichnen, einen organisatorischen und strukturellen Anpassungsbedarf nach sich ziehen können (BVerwG a.a.O. Rn. 52). Hierzu ist zunächst der status quo zu ermitteln, d.h. der Anteil des örE am Gesamtaufkommen der Sammlungen. Dieser Anteil wird durch bereits rechtmäßig durchgeführte Sammlungen mitgeprägt, wobei insbesondere die gemeinnützigen Sammlungen nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 KrWG einzubeziehen sind (BVerwG a.a.O. Rn. 55 f.). Mit anderen Worten schmälert der Anteil der rechtmäßig durchgeführten, und der gemeinnützigen, Sammlungen den Anteil des örE. Auf dieser Grundlage sind die zu erwartenden Veränderungen zu betrachten, wobei neben der streitgegenständlichen insbesondere auch weitere angezeigte und sofort vollziehbar, aber noch nicht bestandskräftig untersagte Sammlungen als mögliche Zusatzbelastungen in den Blick zu nehmen sind (BVerwG a.a.O. Rn. 53 f.). Denn angezeigte, aber untersagte Sammlungen entfallen erst dann als mögliche Zusatzbelastung, wenn die Untersagung bestandskräftig geworden ist (BVerwG a.a.O. Rn. 54). Die so ermittelten zusätzlichen Sammelmengen auf Seiten der privaten Sammler sind sodann den tatsächlichen bzw. auf der Grundlage konkreter Planungen erwarteten Sammelmengen des örE gegenüberzustellen und hiernach die Rückgänge bzw. die verminderten Steigerungspotenziale auf Seiten des örE zu prognostizieren und zu bewerten (BVerwG a.a.O. Rn. 58).
Gemessen an diesen Grundsätzen führt die Sammlung der Klägerin zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung des örE (BayVGH, B.v. 30.1.2017 – 20 CS 16.1416 – juris Rn. 31).
Zu ermitteln sind in einem ersten Schritt die Anteile des örE sowie der rechtmäßig durchgeführten privaten Sammlungen am Gesamtaufkommen. Die maßgeblichen Tatsachen ergeben sich hierfür aus der von dem Beklagten mit Schriftsatz vom 20. März 2017 vorgelegten Übersicht, die auch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung am 27. Juli 2017 aktuelle Gültigkeit für sich beansprucht. Danach betrug der Anteil des Beigeladenen am gesamten Sammelaufkommen im Landkreis im Jahr 2016 einer Menge von 762,67 t. Dem gegenüber beläuft sich der Anteil der in o.g. Übersicht aufgeführten angezeigten privaten (gewerbliche und gemeinnützige) Sammlungen (zusammen) auf ca. 188,78 t (gemeinnützige Sammlungen von insgesamt 68,584 t: … e.V.: 1,6 t; Bayerisches Rotes Kreuz: keine Angabe; Deutsche … GmbH: 6 t; Pfarrei … zweimal jährlich ca. 4-7 t, maximal 14 t pro Jahr; a … h … 17.621 kg aus den fünf „eigenen“ Behältern und aus Straßensammlungen 29.293 kg und aus A … „M …“ 70 kg; gewerbliche Sammlungen von insgesamt 120,2 t: L … … GmbH: 16.365,68 kg; H … GmbH: 19 5 t; r … GmbH & Co KG (befristet bis 31.12.2019): keine Angabe; die D … mbH: 42.334 kg; e … GmbH: angezeigte Menge von 160 t pro Jahr war nicht zu berücksichtigen, da derzeit noch keine Sammlung stattgefunden hat; T … GmbH (befristet bis 31.12.2019): angezeigte Menge: ca. 42 t, gegen den sofort vollziehbaren Befristungsbescheid wurden Rechtsmittel beim Verwaltungsgericht München eingelegt – M 17 K 16.5268 und M 17 S. 17.3002). Somit beträgt das gesamte Sammelaufkommen an Altkleidern und Textilien im Landkreis (762,67 t zzgl. 188,78 t =) 951,45 t. Damit entfällt auf den örE ein Marktanteil von ca. 80,16%.
Im zweiten Schritt ist sodann eine Prognose der anstehenden Veränderungen durch die streitgegenständliche Sammlung im Zusammenwirken mit anderen Sammlungen vorzunehmen. Dabei sind zum einen weitere gewerbliche Sammlungen einzustellen, die zwar angezeigt, aber noch nicht bestandskräftig untersagt sind, insbesondere solche, deren Untersagung für sofort vollziehbar erklärt wurde. Denn diese entfallen als mögliche Zusatzbelastungen erst mit Eintritt der Unanfechtbarkeit der Untersa-gungsverfügung (BVerwG a.a.O. Rn. 54). Der Anteil dieser Sammlungen beträgt nach den angezeigten Sammelmengen entsprechend der o.g. Übersicht insgesamt 520 t (D … GmbH: 60 t – M 17 K 17.11 und M 17 S. 17.12; e … GmbH: 96 t – M 17 K 17.286; D … 120 t – M 17 K 16.5747 und M 17 S. 16.5748; … GmbH & Co KG 84 t M 17 K 17 321“ e … GmbH: angezeigte Menge von 160 t pro Jahr). Ausgehend davon ergibt sich ein zu prognostizierender Rückgang des Anteils des örE von maximal 54,65% auf 25,51%. Geht man davon aus, dass die mögliche Zusatzbelastung der angezeigten Sammlungen von 520 t den örE entsprechend seines derzeitigen Marktanteils von 80,16% träfe, so würde die Sammelmenge des örE von derzeit 762,67 t um 416,83 t auf 345,84 t reduziert werden, was einen prognostizierten Rückgang des Anteils des örE von 80,16% auf 36,35%, mithin um 43,81% bedeuten würde.
Ausgehend davon ist im vorliegenden Falle die Regelvermutung des § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG nicht widerlegt, sondern eindeutig bestätigt.
Dies ist – vorbehaltlich des Vorliegens außergewöhnlicher Umstände im Einzelfall -anzunehmen, wenn die vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellte Irrelevanzschwelle überschritten wird, d.h. wenn dem örE durch die streitbefangene gewerbliche Sammlung im Zusammenwirken mit anderen privaten – auch gemeinnützigen -Sammlungen mehr als 10-15% des gesamten zu erwartenden Sammelaufkommens entzogen werden (BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 Rn. 51 ff., insb. 59). Ist diese Irrelevanzschwelle überschritten, so bleibt es bei der Regelvermutung des § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG (BVerwG U.v. 30.6.2016 – 7 C 4.15 – a.a.O. Rn. 60). Danach ist die Regelvermutung hier nicht widerlegt, weil die zu erwartende Zusatzbelas tung des örE durch die Sammlung der Klägerin im Zusammenwirken mit anderen privaten Sammlungen nach der oben durchgeführten Berechnung 54,65% bzw. 43,81% beträgt und damit die Irrelevanzschwelle überschreitet und folglich die Vermutung einer wesentlichen Beeinträchtigung der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung des örE greift.
Der Berechnung der Klägerin (Schriftsatz vom … Juni 2017) ist hingegen nicht zu folgen. Zum einen beträgt die gesamte Sammelmenge im Landkreis keine 1.500 t, sondern – wie dargestellt – 951,45 t. Zum anderen müssen bei der Prognose der anstehenden Veränderungen durch die streitgegenständliche Sammlung auch weitere gewerbliche Sammlungen berücksichtigt werden, die zwar angezeigt, aber noch nicht bestandskräftig untersagt sind, insbesondere solche, deren Untersagung für sofort vollziehbar erklärt wurde. Die Klägerin stellte in ihrer Berechnung indes lediglich ihre eigene prognostizierte Sammelmenge von 84 t pro Jahr ein.
2.2.5. Ob die Untersagung zudem auch auf § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 KrWG gestützt werden kann, wonach eine wesentliche Beeinträchtigung der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung des örE anzunehmen ist, wenn durch die gewerbliche Sammlung die diskriminierungsfreie und transparente Vergabe von Entsorgungsleistungen im Wettbewerb erheblich erschwert oder unterlaufen wird, kann hier dahingestellt bleiben.
2.3. Eine Untersagung ist gemäß § 18 Abs. 5 Satz 2 KrWG zwar nur möglich, wenn die Einhaltung der in § 17 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 3 oder 4 KrWG genannten Voraussetzungen anders nicht zu gewährleisten ist. Diese Regelung stellt eine besondere Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar; die Untersagung ist insoweit als ultima ratio anzusehen (OVG NW, B.v. 11.12.2013 – 20 B 643/13 – juris; VG Würzburg, U.v. 14.5.2013 – W 4 K 12.1139 – juris Rn. 35; B.v. 15.4.2013 – W 4 S 13.145 – juris Rn. 42f.). Ein milderes Mittel, um die Erfüllung der Voraussetzungen nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 KrWG sicherzustellen, wie etwa Auflagen oder Bedingungen, ist vorliegend aber nicht ersichtlich. Dabei ist unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten auch zu berücksichtigen, dass der Klägerin nicht ihre gesamte Sammlungstätigkeit, sondern nur die Durchführung der angezeigten Sammlung für das Gebiet des Landkreises W.-S. untersagt wurde (vgl. BayVGH, B.v. 18.12.2013 – 20 CS 13.2446 – juris Rn. 19).
Der Beklagte hat sich in seinem Bescheid vom 19. Dezember 2016 unter 2.6 (S. 16 des Bescheides) entgegen der klägerischen Auffassung auch mit der Möglichkeit auseinandergesetzt, Bedingungen, Auflagen oder Befristungen auszusprechen. Insoweit sind seine Ausführungen, dass auch bei einer entsprechenden Beschränkung die Irrelevanzschwelle deutlich überschritten wäre, nicht zu beanstanden. Bei einer derart deutlichen Überzeichnung der zu erwartenden Altkleidersammlung durch die Summe der sich durch die beabsichtigten Sammlungen ergebenden Mengen, wie sie hier vorliegt, wäre eine sinnvolle oder gerechte Beschränkung gegenüber jedem einzelnen Sammler, wie z.B. die Genehmigung der Aufstellung einer geringeren Anzahl solcher Altkleidersammelcontainer, kaum durchführbar (BayVGH, B.v. 18.3.2014 -20 ZB 14.3 – juris Rn. 3). Insbesondere wäre eine solche räumliche oder mengenmäßige Beschränkung der Sammlung im Hinblick auf den Umstand, dass im Landkreis noch zahlreiche weitere gewerbliche Sammlungen angezeigt und untersagt wurden, nicht praktikabel. Eine räumliche Beschränkung würde wohl zu keiner wesentlichen Änderung der Abfallmenge führen, die dem örE entzogen wird. Die Bestimmung individueller Mengenkontingente für jeden einzelnen gewerblichen Sammler, die in ihrer Summe gerade noch keine wesentliche Beeinträchtigung der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung begründen, ist dagegen oft schwierig. Zudem müsste diese Mengenbegrenzung bei jeder neuen Anzeige eines gewerblichen Sammlers neu berechnet und festgesetzt werden.
Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass im Landkreis neben der Sammlung des vom örE beauftragten Dritten und den derzeit durchgeführten privaten Sammlungen noch relevante Alttextilienmengen als „Graumengen“ anfallen, die auf die gewerblichen Sammler verteilt werden könnten. Selbst falls noch geringe Mengen zur Verfügung stünden, ist nicht ersichtlich, wie diese realistisch und praktikabel auf die angezeigten gewerblichen Sammlungen mit einem beabsichtigten Umfang von 520 t verteilt werden könnten. Allein die zeitliche Reihenfolge der Anzeigen begründet jedenfalls keinen rechtlichen Vorrang (BVerwG, U.v. 30.6.2016 – 7 C 4/15 – juris Rn. 57).
2.4. Ebenso wenig sind hier Vertrauensschutzgesichtspunkte nach § 18 Abs. 7 KrWG zu berücksichtigen (vgl. zur Anwendbarkeit auf Untersagungen VG Würzburg, B.v. 28.1.2013 – W 4 S. 12.1130 – juris Rn. 52; VG Düsseldorf B.v. 26.4.2013 – 17 L 580/13 Rn. 28 ff.). Nach § 18 Abs. 7 KrWG ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, insbesondere ein schutzwürdiges Vertrauen des Trägers der Sammlung auf ihre weitere Durchführung, zu beachten, soweit eine gewerbliche Sammlung, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes am 1. Juni 2012 bereits durchgeführt wurde, die Funktionsfähigkeit des örE, des von diesem beauftragten Dritten oder des auf Grund einer Rechtsverordnung nach § 25 KrWG eingerichteten Rücknahmesystems bislang nicht gefährdet hat.
Die Klägerin hat hier jedoch nicht belegt, dass sie ihre gewerbliche Sammlung bereits vor dem 1. Juni 2012 durchführte.
3. Die Entfernungsanordnung für die Container in Nr. 1.2 des streitgegenständlichen Bescheids findet ihre Rechtsgrundlage in § 62 KrWG. Die zuständige Behörde kann hiernach im Einzelfall die erforderlichen Anordnungen zur Durchführung des Kreis laufwirtschaftsgesetzes treffen. Die Verpflichtung zur Entfernung von Containern, die der Durchführung einer gemäß § 18 Abs. 5 Satz 2 KrWG rechtmäßig untersagten Sammlung dienen, stellt eine solche Anordnung dar. Erst mit der Entfernung der Container ist sichergestellt, dass die untersagte Sammlung auch tatsächlich nicht mehr stattfindet. Auch steht ein milderes und gleich geeignetes Mittel nicht zur Verfügung. Mit der Verpflichtung, die Container zu verkleben, zu verplomben oder einzuzäunen, würden zwar Einwürfe verhindert. Es wäre jedoch zu erwarten, dass Altkleidersäcke neben den Containern abgelegt werden, für deren Entsorgung sich dann niemand zuständig fühlte. Da die Altkleidersammlung dauerhaft und endgültig untersagt sein soll, ist die Beseitigungsanordnung auch angemessen. Anders könnte der Fall liegen, wenn die Behörde nur eine zeitweise Untersagung ausspricht, um die Voraussetzungen nach Ablauf des Zeitraums erneut zu prüfen. Der Eingriff in den Geschäftsbetrieb der Klägerin ist auch verhältnismäßig, da es dieser nach dem Abtransport der Container freisteht, diese anderweitig einzusetzen.
4. Die Zwangsgeldandrohung in Nr. 3, die Kostenentscheidung in Nr. 4 und die Gebührenfestsetzung in Nr. 5 des streitgegenständlichen Bescheids sind ebenfalls rechtmäßig. Es wurden insoweit weder von Klägerseite eigenständige Bedenken geltend gemacht noch sind solche sonst ersichtlich.
5. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da der Beigeladene keinen Antrag gestellt hat, dürfen ihm keine Kosten auferlegt werden (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO). Mangels erfolgreichen Antrags des Beigeladenen entspricht es auch der Billigkeit, dass er seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO).
6. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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