Baurecht

Vergabeverfahren

Aktenzeichen  RMF – SG 21-3194-5-2

Datum:
12.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 28251
Gerichtsart:
Vergabekammer
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GWB § 97 Abs. 6, § 134, § 160 Abs. 1, § 165 Abs. 1, Abs. 2
VgV § 57 Abs. 1 Nr. 4
BayVwVfG Art. 80 Abs. 2 S. 3
BGB § 133, § 157

 

Leitsatz

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die Durchführung des Vergabeverfahrens die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt.
Die Vergabestelle wird verpflichtet unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer das Verfahren beginnend mit der Aufforderung zur Angebotsabgabe zu wiederholen.
2. Die Vergabestelle trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin.
3. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragstellerin war notwendig.
4. Die Beigeladene trägt ihre Aufwendungen selbst.
5. Die Gebühr für dieses Verfahren beträgt … EUR. Auslagen sind nicht angefallen.
Die Vergabestelle ist von der Zahlung der Gebühr befreit.

Gründe

1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
a) Die Vergabekammer Nordbayern ist für das Nachprüfverfahren nach § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 2 Satz 2 BayNpV sachlich und örtlich zuständig.
b) Die VSt ist öffentlicher Auftraggeber nach § 99 GWB.
c) Bei dem ausgeschriebenen Lieferauftrag handelt es sich um einen öffentlichen Auftrag im Sinne von § 103 Abs. 1 GWB.
d) Der Auftragswert übersteigt den Schwellenwert, § 106 Abs. 1 GWB.
e) Die ASt hat mit Schreiben vom 19.12.2019 rechtzeitig nach Erhalt des Informationsschreibens gemäß § 134 GWB vom 12.12.2019 die beabsichtigte Vergabeentscheidung gerügt.
Aus Sicht der Vergabekammer sind die Rügen der Antragstellerin nicht präkludiert. Die Nachfrage der Vergabestelle vom 2.12.2019 löst keine Rügeobliegenheit der Antragstellerin aus.
Die Vergabestelle trägt vor, dass die Antragstellerin aus der Nachfrage den vermeintlichen Verstoß gegen Vergabevorschriften erkannt hat. Die Nachfrage mache deutlich, dass die Vergabestelle für den Betrieb des Sonnensimulationsgerätes einen Temperaturbereich von -20 °C bis +60 °C verlangt. Die Nachfrage mache ebenfalls deutlich, dass der Sonnensimulator nicht an der bauseitigen Decke befestigt werden kann. Es kann jedoch nicht verlangt werden, dass die Antragstellerin schon vor dem Ausschluss ihres Angebotes eine Nachfrage rügt, bzw. Nachprüfungsantrag stellt. Erst der Ausschluss selbst stellt die Verfahrenshandlung dar. Die Nachfrage nach Angebotsabgabe löst keine separate Rügeobliegenheit aus. Von einem Erkennen eines Vergaberechtsverstoßes durch die Antragstellerin ist zu diesem Zeitpunkt nicht auszugehen.
Die Antragstellerin trägt vor, dass sie zu diesem Zeitpunkt nicht mit einem Ausschluss gerechnet hat. Eine Kenntnis ist ihr insofern nicht zu unterstellen.
f) Die ASt ist antragsbefugt. Sie hat i.S.d. § 160 Abs. 2 GWB vorgetragen, dass sie ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag hat, und eine Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend gemacht. Sie hat geltend gemacht, dass das Vergabeverfahren nicht entsprechend den vergaberechtlichen Bestimmungen durchgeführt wurde und dass ihr dadurch ein Schaden droht.
g) Der Zuschlag wurde noch nicht erteilt, § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB.
2. Der Nachprüfungsantrag ist begründet.
Die Durchführung des Vergabeverfahrens verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB.
Die Antragstellerin ist durch den Ausschluss ihres Angebots in ihren Rechten verletzt. Das Vergabeverfahren ist ab dem Zeitpunkt der Aufforderung zur Angebotsabgabe zu wiederholen. Das Leistungsverzeichnis enthält nicht alle erforderlichen Informationen, um eine Vergleichbarkeit der Angebote zu gewährleisten.
a) Die Vergabestelle durfte das Angebot der Antragstellerin nicht ausschließen gemäß § 57 Abs. 1 Nummer 4 VgV.
Das Angebot der Antragstellerin weicht nicht vom Leistungsverzeichnis ab.
aa) Die Vergabestelle begründet den Ausschluss des Angebots der Antragstellerin unter anderem damit, dass der angebotene Sonnensimulator den Temperaturbereich von -20 °C bis +60 °C nicht abdeckt.
Die Vergabestelle fordert in ihrem Leistungsverzeichnis nicht ausdrücklich, dass der Sonnensimulator den Temperaturbereich von -20 °C bis +60 °C abdecken muss.
In den Vergabeunterlagen – Produkte/Leistungen – Ziffer 1 „Klimakammer mit Sonnensimulator“ sind die Mindestanforderungen an die große Klimakammer, an die kleine Klimakammer und an den Sonnensimulator separat formuliert. Während bei den Mindestanforderungen an die große Klimakammer und an die kleine Klimakammer jeweils ein Temperaturbereich angegeben ist, ist bei den Mindestanforderungen an den Sonnensimulator kein Temperaturbereich angegeben.
Die unter „vorgesehene Einsatzzwecke“ dargestellten Alternativen enthalten lediglich den Hinweis darauf, dass eine „sonnenlichtähnliche Bestrahlung einer kleinen Klimakammer sowie anderer zu untersuchende Objekte …“ stattfinden wird. Die kleine Klimakammer muss jedoch ausdrücklich nur den Temperaturbereich von +15 °C bis +25 °C abdecken.
Auch die Auslegung des Leistungsverzeichnisses nach objektivem Empfängerhorizont eines durchschnittlich verständigen und sachkundigen Bieters (gem. §§ 133, 157 BGB) ermöglicht kein anderes Ergebnis. Die Antragstellerin trägt glaubhaft vor, dass sie die Ausschreibung aufgrund des Wortlautes nicht so verstanden hat, dass auch der Sonnensimulator den Temperaturbereich von -20 °C bis +60 °C abdecken muss.
Auf den tatsächlichen Willen der Vergabestelle kommt es insoweit nicht an, als dass der Wille der Vergabestelle sich nicht im Leistungsverzeichnis wiederfindet.
Die Einlassungen der Vergabestelle in der mündlichen Verhandlung, es sei klar ersichtlich, dass nur ein Gerät gefordert sei, welches den Temperaturbereich von -20 °C bis +60 °C abdecken muss, überzeugt nicht. Diese Auffassung findet keine Niederlegung im Leistungsverzeichnis. Ein Ausschluss des Angebots der Antragstellerin scheidet aus diesem Grund aus.
bb) Die Vergabestelle begründet den Ausschluss des Angebots der Antragstellerin weiterhin damit, dass die Anforderungen an die Außenmaße der großen Klimakammer, maximal 5,1 m Höhe, überschritten werden. In der mündlichen Verhandlung trägt die Vergabestelle vor, dass eine Befestigung des Sonnensimulators an der bauseitigen Decke nicht möglich sei. An der Hallendecke befänden sich Schienen eines Krans. Die Außenmaße der Klimakammer würden durch die Aufhängung an der Decke überschritten.
Die Auffassung der Vergabestelle überzeugt nicht. Im Leistungsverzeichnis fordert die Vergabestelle unter „sonstige Mindestanforderungen“ unter anderem Endmontage, Inbetriebnahme, Abnahmeprüfung und Übergabe der Klimakammer. Hinsichtlich der Montage hat die Vergabestelle keine genaueren Vorgaben getroffen.
Dem durchschnittlich verständigen und sachkundigen Bieter ist es aus dem Leistungsverzeichnis nicht ersichtlich, dass eine Aufhängung an der bauseitigen Decke nicht möglich ist. Dieser könne auch nicht erkennen, dass aufgrund der Angabe der Ausmaße der Klimakammer die Aufhängung an der Decke ausgeschlossen ist.
Die Antragstellerin hat glaubhaft vorgetragen, dass Sonnensimulatoren in den meisten Fällen an der Decke befestigt werden. Es sei aus dem Leistungsverzeichnis, insbesondere aus der Angabe der Außenmaße der Klimakammer, nicht zu erkennen gewesen, dass dieses eine Befestigung an der Decke ausschließt.
Auf den Willen der Vergabestelle, der im Leistungsverzeichnis keine Niederlegung gefunden hat, kommt es auch hier nicht an. Ein Ausschluss des Angebots der Antragstellerin scheidet aus diesem Grund aus.
b) Das Vergabeverfahren ist ab dem Zeitpunkt der Aufforderung zur Angebotsabgabe zu wiederholen.
Das Leistungsverzeichnis enthält nicht alle erforderlichen Informationen, um eine Vergleichbarkeit der Angebote zu gewährleisten.
Gemäß § 31 Abs. 2 Nummer 1 VgV sind die Merkmale des Auftragsgegenstandes so genau wie möglich zu fassen. Das Leistungsverzeichnis muss ein klares Bild vom Auftragsgegenstand vermitteln und hinreichend vergleichbare Angebote erwarten lassen, die dem öffentlichen Auftraggeber die Erteilung des Zuschlags ermöglichen.
Das ausgegebene Leistungsverzeichnis ist nicht hinreichend klar in diesem Sinne. Die Vergabestelle fordert im Nachhinein Merkmale des Auftragsgegenstandes, die sie im Leistungsverzeichnis nicht niedergelegt hat. Sie hat nicht ausdrücklich verlangt, dass der Sonnensimulator den Temperaturbereich von -20 °C bis +60 °C abdeckt. Ebenfalls hat sie hinsichtlich der Montage nicht klar dargelegt, auf was es ihr ankommt, bzw. dass nicht jede Montagemöglichkeit genutzt werden kann aufgrund der besonderen örtlichen Gegebenheiten. Wird der Auftragsgegenstand nicht ausreichend klar im Leistungsverzeichnis beschrieben, so liegen zur Bewertung keine vergleichbaren Angebote vor. Die Bieter sind von unterschiedlichen Merkmalen des Auftragsgegenstandes ausgegangen. Die Angebote beruhen mithin auf unterschiedlichen Kalkulationsgrundlagen. Würden diese Angebote gewertet, wäre die Transparenz und die Gleichbehandlung im Wettbewerb nicht gewahrt.
Die Vergabestelle hat das Leistungsverzeichnis vorliegend vor einer neuen Aufforderung zur Angebotsabgabe zu überarbeiten. Die bislang unklaren Aspekte sind klar und eindeutig niederzulegen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 GWB.
a) Die Vergabestelle trägt die Kosten des Verfahrens, weil sie mit ihren Anträgen unterlegen ist (§ 182 Abs. 3 Satz 1, 3 u. 5 GWB).
b) Die Kostenerstattungspflicht gegenüber der Antragstellerin ergibt sich aus § 182 Abs. 4 GWB.
c) Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes war für die ASt notwendig (§ 182 Abs. 4 GWB i.V.m. Art. 80 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG entspr.).
Es handelt sich um einen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht einfach gelagerten Fall, so dass es der ASt nicht zuzumuten war, das Verfahren vor der Vergabekammer selbst zu führen.
d) Die Beigeladene hat keine Anträge gestellt. Sie hat daher das Risiko des Unterliegens nicht getragen und bekommt im Umkehrschluss dazu auch keine Aufwendungen erstattet.
e) Die Gebühr war nach § 182 Abs. 2 GWB festzusetzen. Im Hinblick auf die Bruttoangebotssumme der Antragstellerin aus dem Angebot und unter Zugrundelegung eines durchschnittlichen personellen und sachlichen Aufwands der Vergabekammer errechnet sich entsprechend der Tabelle des Bundeskartellamtes eine Gebühr in Höhe von … €.
Die Vergabestelle ist von der Zahlung einer Gebühr befreit gemäß § 182 GWB in Verbindung mit dem Verwaltungskostengesetz in der am 14.8.2013 geltenden Fassung. Die Vergabestelle wird nach den Haushaltsplänen des Freistaates Bayern für dessen Rechnung verwaltet.
f) Der von der Antragstellerin geleistete Kostenvorschuss von … € wird nach Bestandskraft dieses Beschlusses an die Antragstellerin zurückgezahlt.


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