Baurecht

Vergabeverfahren, Angebotsabgabe, Vergabekammer, Bieter, Zeitpunkt, Angebot, Zugang, Upload, Leistungsverzeichnis, Kennzeichnung, Ausschreibung, Angebotsfrist, Frist, Verletzung, Kosten des Verfahrens, anwaltliche Vertretung, entsprechende Anwendung

Aktenzeichen  3194.Z3-3_01-21-20

Datum:
15.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 55182
Gerichtsart:
Vergabekammer
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VOB/A § 16EU Nr. 1
BGB § 130
BGB § 278

 

Leitsatz

1. Ist der Ist der Schlusstermin für den Eingang der Angebote mit einem Datum und z.B. 10:00 Uhr Ortszeit angegeben, endet die Angebotsfrist “Punkt” 10 Uhr, d.h. um 10:00:00 Uhr, und nicht erst um 10:00:59 Uhr, d.h. mit Umspringen der Uhr auf 10:01(:00) Uhr (VK Bund, Beschluss vom 26.10.2016 – VK 1-92/16).Schlusstermin für den Eingang der Angebote mit einem Datum und z.B. 10:00 Uhr Ortszeit angegeben, endet die Angebotsfrist “Punkt” 10 Uhr, d.h. um 10:00:00 Uhr, und nicht erst um 10:00:59 Uhr, d.h. mit Umspringen der Uhr auf 10:01(:00) Uhr (VK Bund, Beschluss vom 26.10.2016 – VK 1-92/16).
2. Bei einer Angebotsabgabe mit elektronischen Mitteln über eine eVergabeplattform ist für den maßgeblichen Zugangszeitpunkt eines Angebots nicht auf die Abrufbarkeit (bzw. Öffnungsmöglichkeit) der Angebotsdatei durch den Auftraggeber abzustellen, sondern auf den vollständigen Upload der übermittelten Angebotsdaten auf den Server der von der Antragsgegnerin genutzten Vergabeplattform.
3. Verzögerungen durch Bearbeitungsschritte der bereits eingegangenen Angebotsdaten wie Verschlüsselung und Umspeichern in den gesicherten Auftraggeberbereich auf der eVergabeplattform führen nicht zu einer faktischen Verkürzung der Angebotsfrist.
4. § 312i Abs. 1 Satz 2 BGB ist für den Zugang des Angebots in einem elektronisch durchgeführten Vergabeverfahren nicht entsprechend anzuwenden.
5. Der Betreiber der eVergabeplattform ist auch hinsichtlich des Empfang der Angebotsdaten als Erfüllungsgehilfe des Auftraggebers nach § 278 BGB anzusehen.

Tenor

1. Das Vergabeverfahren wird in den Stand vor Angebotswertung zurückversetzt. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet bei fortbestehender Beschaffungsabsicht die Angebotswertung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer erneut durchzuführen.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin. Die Beigeladene trägt ihre Aufwendungen zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung selbst.
3. Für das Verfahren wird eine Gebühr in Höhe von…,00 EUR festgesetzt. Auslagen sind nicht angefallen. Die Antragsgegnerin ist von der Zahlung der Gebühr befreit.
4. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin war notwendig.

Gründe

I.
Die Antragsgegnerin schrieb Leistungen des Kanalbaus, Wasserleitungsbaus, sowie Trassen für Lichtwellenleiter und Straßenbau in den Stadtteilen R…/ U… der Stadt P… im offenen Verfahren EUweit nach den Bestimmungen der VOB/A aus (Suppl. ABI. 2021/S …). In der Auftragsbekanntmachung vom 10.02.2021 wurde der Schlusstermin für den Eingang der Angebote auf den 11.03.2021, 10:00 Uhr bestimmt. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis.
Die Antragstellerin hat am 11.03.2021 ein Angebot abgegeben, für welches die Angebotsabgabe im System der Vergabeplattform mit 10:00:03 Uhr verzeichnet wurde. Dieses Angebot war preislich das Günstigste.
Mit Schreiben vom 19.03.2021 rügte die Antragstellerin das Submissionsergebnis, in welchem ihr Angebot als verspätet eingegangen geführt wurde, und gab an, dass die früheren Upload-Versuche auf Grund der Dateigröße von der Vergabeplattform zurückgewiesen worden seien. Die Vergabeunterlagen hätten jedoch keine Größenbeschränkung für die hochzuladenden Dateien enthalten. Auch bedeute die Abgabefrist 10:00 Uhr, dass erst der Eingang um 10:01 Uhr verspätet sei.
Am 22.03.2021 stellte die Antragsgegnerin eine Nachfrage an die Vergabeplattform, ob dieser für die Zeit des 11.03.2021 zwischen 09:30 Uhr und 10:00 Uhr Schwierigkeiten beim Hochladen von Daten bekannt seien und baten um Stellungnahme zu den Aktivitäten der Antragstellerin auf der Plattform in diesem Zeitraum sowie zu möglichen Problemen beim Upload von Daten. Mit Schreiben vom 23.03.2021 antwortete die Vergabeplattform, dass ihr zum fraglichen Zeitpunkt keine Probleme bekannt seien oder gemeldet worden wären, auch nicht von der Antragstellerin. Ferner gäbe es keine Größenbeschränkung für Angebotsdateien, der erste und einzige Zeitpunkt eines Eingangs eines Angebots der Antragstellerin sei in der Datenbank in ihrem System am 11.03.2021 um 10:00:03 Uhr vermerkt worden.
Mit Schreiben vom 26.03.2021 wurde die Antragstellerin gemäß § 134 GWB darüber informiert, dass ihr Angebot von der Wertung ausgeschlossen werde, da es nach Ablauf der Angebotsfrist eingegangen sei.
Nachdem der Rüge der Antragstellerin nicht abgeholfen wurde, stellte die Antragstellerin mit Schreiben vom 01.04.2021 einen Nachprüfungsantrag gem. § 160 Abs. 1 GWB.
Die Antragstellerin trägt vor, dass der Nachprüfungsantrag zulässig und begründet sei.
Die Antragstellerin habe um 09:34 Uhr erstmals versucht ihr Angebot mit einer Dateigröße von 160 MB auf die Vergabeplattform hochzuladen. Dieser erste Versuch sei jedoch gescheitert, die Vergabeplattform habe die Fehlermeldung ausgegeben, dass die Datei zu groß sei. Danach habe man das Leistungsverzeichnis in drei Teile aufgeteilt und eine neue ZIP-Datei mit 160 MB erstellt und um 09:53 Uhr einen zweiten Versuch gestartet die Datei auf die Vergabeplattform hochzuladen. Auch dieser Versuch sei gescheitert und von der Vergabeplattform erneut mit der Fehlermeldung, dass die Datei zu groß sei, zurückgewiesen worden. Laut Log der Firewall der Antragstellerin sei diese Datei um 09:57 auf dem Vergabeportal eingegangen, denn nur bei vollständiger Übertragung, wenn alle Datenpakete von der empfangenden Stelle quittiert worden seien, würde von der Firewall der Antragstellerin wie hier der Status mit „OK“ vermerkt.
Um 09:59 Uhr sei ein dritter Versuch erfolgt, hierfür habe man eine Datei mit einer Größe von etwa 32 MB erstellt. Die Firewall der Antragstellerin habe den Zugang auf der Vergabeplattform um 10:00:08 Uhr vermerkt. Der Zugang sei damit fristgerecht erfolgt.
Die Antragstellerin trägt vor, dass in der Bekanntmachung unter Ziffer IV.2.2) zum Schlusstermin für den Eingang der Angebote nur der Tag und als Zeitpunkt „Ortszeit:10:00 Uhr“ angegeben gewesen sei. Eine Vorgabe, dass die Angebote um Punkt 10:00 Uhr und 00 Sekunden eingegangen sein müssten, sei damit nicht erfolgt. Aus Sicht eines objektiven Bieters wäre damit erst ein Angebot, das um 10:01 Uhr einging, verspätet gewesen.
Zudem seien in den Vergabeunterlagen und der Auftragsbekanntmachung keinerlei Hinweise zu Beschränkungen bei den hochzuladenden Dateien enthalten gewesen. Über etwaige notwendige technische Parameter hätte die Antragsgegnerin jedoch gem. § 11a EU Abs. 3 Nr. 2 VOB/A die Bieter informieren müssen, da gerade im Bereich der Vergabe von Bauleistungen umfangreiche Unterlagen mit der Angebotsabgabe einzureichen seien. Entsprechende technische Einschränkungen seien der Antragstellerin auch aus den bisherigen Angebotsabgaben über dieses Vergabeportal nicht bekannt, so dass etwaige auf solchen technischen Einschränkungen beruhende Fehler nicht mehr dem Übermittlungsrisiko des Bieters zuzuordnen seien.
Mit nachgelassenem Schriftsatz vom 28.10.2021 nahm die Antragstellerin zu der Frage Stellung, zu welchem Zeitpunkt das Angebot zugegangen ist und damit als abgegeben zählt. Die Antragstellerin ist der Ansicht, dass für den Zugang die zivilrechtlichen Grundsätze zur Abgabe einer Willenserklärung zugrunde zu legen seien. Gemäß § 130 BGB werde eine empfangsbedürftige Willenserklärung mit Zugang wirksam. Zugegangen sei eine Willenserklärung, wenn sie in den Machtbereich des Empfängers gelangt sei und nach gewöhnlichen Umständen damit zu rechnen sei, dass sie zur Kenntnis genommen werden könne. Gemäß § 312i Abs. 1 Satz 2 BGB sei für den Zugang entscheidend, dass der Empfänger unter gewöhnlichen Umständen die Erklärung abrufen könne. Die Beweisaufnahme habe gezeigt, dass das Angebot der Antragsgegnerin fristgerecht zugegangen sei und etwaige Verzögerungen nicht der Antragstellerin zugewiesen werden können. Der Upload der 32 MB großen Datei sei von der Antragstellerin um 09:59:35 Uhr gestartet worden und vor 10:00:00 Uhr vollständig auf den Servern der Antragsgegnerin eingegangen, da die Verarbeitung auf der Plattform nach Ende des Uploads bei einem Test der sachverständigen Zeugin mit einer etwa gleich großen Datei 7 Sekunden gedauert hätte. Unter Zugrundelegung der Ausführungen der sachverständigen Zeugin stehe daher fest, dass das Angebot der Antragstellerin, die Bestzeit aus dem Testsystem zugrunde gelegt, spätestens um 09:59:56 Uhr (= 10:00:03 Uhr abzüglich 7 Sekunden) die Firewall der Vergabeplattform passiert haben müsse und auf dem Webserver gespeichert worden sei. Damit sei das Angebot der Antragstellerin in den Machtbereich der Antragsgegnerin gelangt und damit zugegangen. Auf die weiteren Verarbeitungsschritte nach dem mit dem Speichern auf dem Webserver abgeschlossenen Upload käme es nicht an, insbesondere seien die Verschlüsselung und die Einstellung in die Datenbank zur Angebotseröffnung nicht mehr der Sphäre der Antragstellerin zuzuordnen.
Die Antragstellerin beantragt
1. Ein Nachprüfungsverfahren gemäß § 160 Abs. 1 GWB wegen Verstoßes gegen Vergabevorschriften bei der Ausschreibung der Antragsgegnerin zur Vergabe des Auftrags „Bauarbeiten Kanal-WV-LWL- Straße R…/U…“, gemäß Bekanntmachung vom 10.02.2021, Suppl. Zum EU-ABl. 2021/S …, wird eingeleitet.
2. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, den Ausschluss des Angebots der Antragstellerin zurückzunehmen und die Angebotswertung unter Einbeziehung des Angebots der Antragstellerin zu wiederholen.
3. Hilfsweise: Der Antragsgegnerin wird untersagt, das Vergabeverfahren durch Zuschlagserteilung abzuschließen.
4. Der Antragstellerin wird Akteneinsicht gewährt.
5. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Aufwendungen der Antragstellerin.
6. Die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin wird für notwendig erklärt.
Die Antragsgegnerin beantragt
1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Aufwendungen der Antragsgegnerin trägt die Antragstellerin.
3. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin wird für notwendig erklärt.
Zur Begründung trägt die Antragsgegnerin vor, dass der Ausschluss gerechtfertigt gewesen sei, da das Angebot der Antragstellerin um 10:00:03 Uhr verspätet eingegangen sei, die Frist sei um 10:00:00 Uhr abgelaufen. Die Vergabeplattform habe keine Größenbeschränkung für Dateien und könne die von der Antragstellerin behauptete Fehlermeldung nicht ausgeben. Wenn ein Bieter eine Angebotsdatei mit einer Dateigröße von knapp 32 MB in der allerletzten Minute vor dem Ablauf der Angebotsfrist auf die Vergabeplattform hoch lädt, dann müsse er damit rechnen, dass die Übertragungsdauer mehr als eine Minute betragen kann.
Auch der „OK“ Vermerk im Firewall-Log der Antragstellerin für den zweiten Versuch, das Angebot hochzuladen, sei kein Nachweis des früheren Zugangs der Daten auf der Vergabeplattform, sondern belege lediglich, dass ein Datenpaket mit einer Gesamtgröße von 160 MB die Firewall der Antragstellerin passiert habe. Der Betreiber der Vergabeplattform selbst habe dazu auf Nachfrage der Antragsgegnerin angeben, dass der Status „OK“ aus dem Firewall-Log der Antragstellerin nicht nachvollzogen werden könne, er sei jedenfalls keine Rückmeldung der Vergabeplattform und scheine ein interner Vermerk der Netzwerkarchitektur der Antragstellerin zu sein.
Mit nachgelassenem Schriftsatz vom 02.11.2021 teilte die Antragsgegnerin mit, dass sie nach der mündlichen Verhandlung der Auffassung sei, dass es den von der Antragstellerin behaupteten ersten Abgabeversuch gegen 09:34 Uhr nie gegeben habe. Damit habe die Antragstellerin erst gegen 09:57 Uhr den ersten Abgabeversuch gestartet. Die im Nachprüfungsantrag getroffenen Aussagen zum Abgabeversuch um 09:34 Uhr und den vermeintlichen Fehlermeldungen sollten wohl dazu dienen, den Eindruck zu vermeiden, die Antragstellerin habe ihre Obliegenheiten verletzt und erst zu spät mit der Angebotsabgabe begonnen. Der OK-Vermerk der Firewall der Antragstellerin belege jedoch lediglich, dass diese Daten die Sphäre der Antragstellerin verlassen hätten, nicht jedoch, dass sie ordnungsgemäß und vollständig bei der Vergabeplattform angekommen seien und dort hätten weiterverarbeitet werden können. Die von der Antragstellerin behauptete angezeigte Fehlermeldung, dass die übertragene Datenmenge zu groß sei, sei im System gar nicht angelegt und könne daher so gar nicht ausgegeben worden sein.
Der Zugang eines Angebots richte sich nach § 312i Abs. 1 Satz 2 BGB zudem nicht nach dem Eingang einer Datei auf irgendwelchen Servern von Providern, die ein Unternehmer benutzt, um elektronischen Geschäftsverkehr abzuwickeln. Auch wenn der Provider unstreitig als Erfüllungsgehilfe i.S.d. § 278 BGB anzusehen sei, käme es darauf jedoch gar nicht entscheidend an. Diese Erfüllungsgehilfen seien nicht mit einer Empfangsvollmacht dergestalt ausgestattet, dass der Zugang der Willenserklärung auf ihren Servern dem Unternehmer i.S.d. § 166 BGB zugerechnet werden könne. Sie fungierten als rein technische Boten, sodass der Zugang jedweder Bestellungserklärung erst mit der Kenntnisnahmemöglichkeit des Unternehmers angenommen werden kann. Daran ändere sich auch dadurch nichts, dass der Unternehmer seine Serviceprovider selbst ausgewählt habe und die bestellenden Kunden keine andere Möglichkeit hätten, als diese Provider zu benutzen. Rechtlich streng zu unterscheiden sei die Frage des Zugangs in den Machtbereich von der Frage einer schuldhaften Zugangsvereitelung. Die herrschende Meinung sieht ganz klar vor, dass die abrufbare Speicherung den maßgeblichen Zugangszeitpunkt darstellt. Eben dieser Zeitpunkt werde von der Plattform völlig korrekt als Zugangszeitpunkt mit einem Zeitstempel versehen. Um die Anforderungen des § 10 VgV an die elektronischen Mittel erfüllen zu können, schreibe der öffentliche Auftraggeber zudem die Regel vor, dass die Bieter eine bestimmte Plattform verwenden müssten und dass die Angebote verschlüsselt zu übermitteln seien. Die Verschlüsselung solle den vorfristigen Zugriff auf die Angebote einerseits ausschließen und andererseits den ausschließlich berechtigten Zugriff sicherstellen. Der Auftraggeber habe also gemäß § 10 Abs. 1 S. 1 VgV die Kompetenz, diese Vorgaben den Bietern innerhalb des Vergabeverfahrens zu machen. Mit der Verschlüsselung erfüllten die Bieter lediglich eine Vorgabe des Auftraggebers, wenn dieser vorschreibe, dass Angebote ausschließlich in elektronischer Form über eine vorgegebene Plattform einzureichen seien. Die Vorgabe der Verschlüsselung durch die Plattform sei hier lediglich ein „Service“ für die Bieter, da die Verschlüsselung quasi „automatisch“ für die Bieter mit erledigt werde, ohne dass die Bieter dies eigenhändig bewerkstelligen müssten, was die meisten Bieter auch technisch überfordern dürfte.
Mit Beiladungsbeschluss vom 14.04.2021 wurde die Beigeladene beigeladen.
Die Beigeladene beantragt
1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
2. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Beigeladenen wird für notwendig erklärt.
3. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der Beigeladenen werden der Antragstellerin aufgegeben.
4. Es wird beantragt der Beigeladenen Akteneinsicht nach § 165 GWB zu gewähren.
Die Beigeladene trägt vor, dass das Angebot der Antragstellerin zu spät eingegangen sei und deshalb zwingend ausgeschlossen werden musste. Aus der objektiven Empfängerperspektive könne die Vorgabe, wonach um 10:00 Uhr das Angebot spätestens einzureichen war, keinesfalls dahingehend interpretiert werden, dass auch ein Angebotseingang um 10:00:03 Uhr noch fristgerecht wäre. Die Vorgabe 10:00 Uhr bezeichne präzise einen Zeitpunkt und nicht einen Zeitraum von 10:00:00 Uhr bis 10:00:59 Uhr.
Zudem sei es der Antragstellerin selbst zuzuschreiben, wenn sie sehr große Dateien mit 160 MB erst wenige Minuten vor Ende der Angebotsfrist beginnt hoch zu laden. Auch bei schnellem Internetzugang sei nicht ausgeschlossen, dass es bei der Übertragung solch großer Datenmengen zu Problemen kommen könne, dass Verbindungen abbrechen oder eine Übertragung unvollständig oder gar nicht vollzogen werden könne.
Mit nachgelassenem Schriftsatz vom 02.11.2021 erklärte die Beigeladene, dass die nach § 54 Satz 1 VgV notwendige Kennzeichnung des elektronisch übermittelten Angebots durch die Vergabeplattform bei der Angebotsabgabe automatisch mit ausgeführt werde. Damit seien Datum und Uhrzeit des Datenempfangs durch den qualifizierten Zeitstempel genau bestimmbar und könnten manipulationssicher bestätigen, dass bestimmte Daten zum angegebenen Zeitpunkt vorgelegen hätten und das elektronische Dokument danach nicht mehr verändert worden sei. Zudem könnten Verzögerungen im Datenübertragungsprozess immer passieren, was sich die Antragstellerin hier zurechnen lassen müsse, da sie durch eine geordnete und rechtzeitige Übertragung hätte sicherstellen müssen, dass ihr Angebot verschlüsselt und öffnungsbereit bei der Vergabestelle vorliegt.
Mit rechtlichem Hinweis vom 16.06.2021 teilte die Vergabekammer mit, dass sie nach derzeitiger Rechtsauffassung davon ausgehe, dass es der Antragsgegnerin obliege darzulegen, dass das verspätete Hochladen des Angebots auf einem Nutzungsfehler und nicht auf einer Fehlfunktion der Vergabeplattform beruhe, sie sei gehalten dem Vortrag der Antragstellerin konkret und ausführlich entgegenzutreten. Dieser Aufforderung kam die Antragsgegnerin nach. Aus dem Vortrag der Antragsgegnerin ergaben sich weitere Fragen für die Vergabekammer. Mit Schreiben vom 17.08.2021 forderte sie die Antragstellerin daher auf, zu bestimmten technischen Punkten Stellung zu nehmen. Die Aufklärung seitens der Antragstellerin erfolgte fristgerecht. Dennoch konnten nicht alle Fragen der Vergabekammer abschließend geklärt werden, weshalb die sachverständige Zeugin S., eine Mitarbeitern der Vergabeplattform, zur mündlichen Verhandlung geladen wurde.
In der mündlichen Verhandlung vom 14.10.2021 wurde die Sach- und Rechtslage erörtert und die geladene sachverständige Zeugin vernommen. Die Verfahrensbeteiligten hatten Gelegenheit zum Vortrag und zur Stellungnahme.
Insbesondere wurde erörtert, zu welchem Zeitpunkt, das im dritten Versuch erfolgreich hochgeladene Angebot der Antragstellerin tatsächlich im Machtbereich der Antragsgegnerin eingegangen sei. Dabei wurde diskutiert, inwiefern die Vergabeplattform Erfüllungsgehilfe der Antragsgegnerin sei und ob der vollständige Zugang auf der Vergabeplattform deshalb maßgeblich für den Zeitpunkt des Zugangs sei, und nicht der Zeitpunkt, ab welchem die Antragsgegnerin Zugriff darauf habe. Die sachverständige Zeugin sagte aus, dass sie dazu einen Test auf ihrem Testsystem durchgeführt habe. Der Upload einer 32 MB Zip-Datei habe 4 Sekunden gedauert, die Verschlüsselung 1 Sekunde und die Bereitstellung der Datei im Sicherheitsbereich der Anwendung, worauf auch die Antragsgegnerin Zugriff habe, hätte 6 Sekunden gedauert. Insgesamt habe der Vorgang also 11 Sekunden gedauert. Die Vergabeplattform würde den Zeitpunkt des Zugangs aus praktischen Gründen erst dann verzeichnen, wenn das Angebot im Sicherheitsbereich der Anwendung bereitgestellt wurde und nicht schon nach dem Hochladen der Datei. Die sachverständige Zeugin bestätigte ferner, dass der Beginn des dritten Versuchs der Antragstellerin, das Angebot hochzuladen auf der Vergabeplattform, mit einem Eintrag aus dem Log der Vergabeplattform um 09:59:35 Uhr übereinstimmen könnte. Eine genaue Zuordnung, ob dieser Eintrag tatsächlich mit den Aktivitäten der Antragstellerin übereinstimmt und Angaben zum genauen Zeitpunkt, wann der Upload des Angebots abgeschlossen war, seien nicht mehr möglich. Darüber könnten lediglich die Prozesslogs Auskunft geben, diese lägen aber für den fraglichen Zeitpunkt nicht mehr vor, da sie routinemäßig nach fünf bis sieben Tagen gelöscht würden.
Der ehrenamtliche Beisitzer hat die Entscheidung über die Beiladung, den Umfang auf Akteneinsicht sowie im Falle einer Verfahrenseinstellung auf den Vorsitzenden und die hauptamtliche Beisitzerin übertragen.
Die Beteiligten wurden durch den Austausch der jeweiligen Schriftsätze informiert. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, das Protokoll der mündlichen Verhandlung, die Verfahrensakte der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.
II.
Die Vergabekammer Südbayern ist für die Überprüfung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens zuständig.
Die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Vergabekammer Südbayern ergibt sich aus §§ 155, 156 Abs. 1, 158 Abs. 2 GWB i. V. m. §§ 1 und 2 BayNpV.
Gegenstand der Vergabe ist ein Bauauftrag i. S. d. § 103 Abs. 3GWB. Die Antragsgegnerinist Auftraggeber gemäß §§ 98, 99 Nr. 1 GWB. Der geschätzte Gesamtauftragswert überschreitet den gemäß § 106 GWB maßgeblichen Schwellenwert in Höhe von 5.350.000 Euro erheblich.
Eine Ausnahmebestimmung der §§ 107 – 109 GWB liegt nicht vor.
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
Gemäß § 160 Abs. 2 GWB ist ein Unternehmen antragsbefugt, wenn es sein Interesse am Auftrag, eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB und zumindest einen drohenden Schaden darlegt.
Die Antragsgegnerin hat ihr Interesse am Auftrag durch die Abgabe eines Angebots nachgewiesen. Es ist nicht erkennbar, dass sie mit diesem Nachprüfungsantrag einen anderen Zweck verfolgt, als den, den strittigen Auftrag zu erhalten. Die Antragstellerinhat eine Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB insbesondere durch ihre Rüge und die Stellung dieses Nachprüfungsantrags geltend gemacht.
Der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags steht auch keine Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 S. 1 GWB entgegen, da die Antragstellerin insbesondere innerhalb von 10 Tagen nach der Submission und dem dortigen Vermerk eines verspäteten Angebots gegenüber dem Auftraggeber die vermeintliche Verspätung der Angebotsabgabe gerügt hat.
2. Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet.
Das Angebot der Antragstellerin ist nicht gem. § 16EU Nr. 1 VOB/A auszuschließen, da davon auszugehen ist, dass der wohl um 09:59:35 Uhr dritte Versuch der Angebotsabgabe rechtzeitig bei der Antragsgegnerin eingegangen ist. Auf Grund der Darstellung der sachverständigen Zeugin über den Ablauf der Angebotsabgabe muss die Vergabekammer davon ausgehen, dass der vollständige Upload und die Verschlüsselung des Angebots noch vor Ablauf der Angebotsfrist erfolgten. Lediglich das notwendige Ablegen des verschlüsselten Angebots im Bereich der Antragsgegnerin auf dem Vergabesystem war erst knapp drei Sekunden nach Ablauf der Angebotsfrist abgeschlossen. Diese Bereitstellung im Bereich der Antragsgegnerin ist für eine Angebotseröffnung zwar notwendig, fällt aber hinsichtlich eines rechtzeitigen Zugangs des Angebots nicht mehr in die Risikosphäre der Antragstellerin.
2.1. Der Schlusstermin für den Eingang der Angebote war in der Auftragsbekanntmachung unter Ziffer IV. 2.2.) mit 11.02.2021 und 10:00 Uhr Ortszeit angegeben. Damit endete die Angebotsfrist „Schlag“ bzw. „Punkt“ 10 Uhr, d.h. um 10:00:00 Uhr, und nicht erst um 10:00:59 Uhr, d.h. mit Umspringen der Uhr auf 10:01(:00) Uhr. Dies ergibt sich entsprechend §§ 133, 157 BGB nach dem objektiven Empfängerhorizont der Bieter. Danach ist eine Fristangabe wie hier das Ende der Angebotsfrist ein bestimmter Zeitpunkt im Sinne eines Schlusspunktes oder Termins, dessen Eintritt vorliegend den rechtzeitigen Eingang vom verspäteten Eingang eines Angebots trennt. Dieser Zeitpunkt bedarf daher einer genauen Bezeichnung, bis wann genau ein Angebotseingang noch rechtzeitig ist. Mit Bezeichnung dieses Zeitpunktes mit „10:00 Uhr“ im vorliegenden Verfahren ist dies aus Sicht eines objektiven Betrachters nur so zu verstehen, dass die Angebotsfrist bei Erreichen der Uhrzeit von „Punkt“ 10 Uhr endet (vgl. VK Bund, Beschluss vom 26.10.2016 – VK 1-92/16).
2.2. Für den maßgeblichen Zugangszeitpunkt des Angebots der Antragstellerin war nicht auf die Abrufbarkeit der Angebotsdatei durch die Antragsgegnerin abzustellen, sondern auf den vollständigen Upload der Angebotsdatei auf den Server der von der Antragsgegnerin genutzten Vergabeplattform.
2.2.1. Der Argumentation der Antragsgegnerin, es sei entsprechend § 312i Abs. 1 Satz 2 BGB für den Zugang des Angebots in einem elektronisch durchgeführten Vergabeverfahren auf den Zeitpunkt abzustellen, wenn die Parteien das Angebot unter gewöhnlichen Umständen abrufen können, kann nicht gefolgt werden.
Der § 312i Abs. 1 Satz 2 BGB regelt die allgemeinen Pflichten im elektronischen Rechtsverkehr und knüpft die Frage des Zugangs an die Frage der Abrufbarkeit der Datei. Der Gesetzgeber hat damit Art. 11 Abs. 1, 2. Spiegelstrich der RL 2000/31/EG (e-commerce Richtlinie) umgesetzt. Im Bereich der e-commerce Richtlinie wird der Zugang erst mit der Möglichkeit, eine eingegangene Datei abzurufen, angenommen.
Diese Festlegung, die der Gesetzgeber im BGB für den Zugang von elektronischen Bestellungen getroffen hat, kann auf die Angebotsabgabe im Vergaberecht nicht übertragen werden. Die Konstellation bei einer Bestellung im elektronischen Rechtsverkehr, für die der § 312i Abs. 1 Satz 2 BGB anwendbar ist, ist bereits nicht mit der Konstellation bei einer Vergabe vergleichbar, bei der der öffentliche Auftraggeber Leistungen ausschreibt und nicht eine Bestellung entgegennimmt und selbst eine Leistung erbringt. Auch die RL 2000/31/EG überschreibt den Artikel 11 ausdrücklich mit „Abgabe einer Bestellung“ und begrenzt ihn in Absatz 1 auf den Fall einer Bestellung.
Auch die drastische Rechtsfolge des zwingenden Ausschlusses eines verspäteten Angebots gem. § 16EU Nr. 1 VOB/A spricht gegen eine entsprechende Anwendung von § 312i Abs. 1 Satz 2 BGB. Während der Zeitpunkt einer Bestellung und der dazu gehörigen Empfangsbestätigung insbesondere für die Dokumentation der Vorgänge von Bedeutung ist und technisch bedingte Verzögerungen im Sekundenbereich regelmäßig keine rechtlichen Nachteile für eine der Parteien nach sich ziehen, ist dies im Vergaberecht völlig anders. Hier ist ein Angebot, das eine Sekunde vor Ablauf der Angebotsfrist eingeht, wertbar, während ein Angebot das eine Sekunde nach Ablauf der Angebotsfrist eingeht zwingend auszuschließen ist. Minimale technisch bedingte Verzögerungen können hier über Wertbarkeit oder Ausschluss entscheiden.
2.2.2. Ein Zugang eines Angebots nach § 130 BGB setzt den Übergang des Angebots in den Machtbereich des Empfängers und dessen Möglichkeit voraus, unter normalen Umständen Kenntnis von dem Angebot erlangen zu können. Der Erklärungsempfänger trägt damit die Gefahren seines Organisations- und Machtbereichs, also das Risiko, dass eine Erklärung an ihn nicht weitergeleitet wird, dagegen muss der Erklärende neben den Risiken aus seiner Sphäre und den Transportrisiken sicherstellen, dass die Erklärung dem Empfänger so nahegebracht wird, dass es nur noch am Empfänger liegt, von der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Im Vergaberecht zielen die Regelungen der § 10 Abs. 1 Nr. 2, § 54 Satz 1 und § 55 Abs. 1 VgV gerade darauf ab, dass eine Kenntnisnahme vom Inhalt der elektronisch abgegebenen Angebote grundsätzlich erst nach Ablauf der Angebotsfrist für den Auftraggeber möglich sein darf. Ein direktes Abstellen auf die tatsächliche Möglichkeit der Kenntnisnahme vom Angebotsinhalt wäre im Vergaberecht daher nicht zielführend, da diese stets erst nach Ablauf der Angebotsfrist gegeben sein darf.
Für den Zugang eines Angebots auf einer Vergabeplattform ist daher auf den Eingang im Organisations- und Verantwortungsbereich des Auftraggebers abzustellen. Damit erfolgte der Zugang der Angebotsdatei der Antragstellerin im vorliegenden Fall mit dem vollständigen Upload der Datei auf dem Server des Vergabeportals und dem Auslösen des Vorgangs „Angebot verschlüsseln und im jeweiligen Auftraggeberbereich auf dem Vergabeportal ablegen“. Ab diesem Zeitpunkt hatte die Antragsgegnerin die Möglichkeit, dass die von ihr verwendete Plattform die notwendigen Schritte zur Bereitstellung des verschlüsselten Angebots im Bereich der Antragsgegnerin ausführt. Die Antragstellerin hat auf diese Vorgänge keinerlei Einfluss mehr.
Im Falle der Verwendung elektronischer Mittel sind Interessenbekundungen, Interessenbestätigungen, Teilnahmeanträge oder Angebote dem Auftraggeber bereits „übermittelt“, wenn der Auftraggeber den Inhalt der Unterlagen lesen, speichern oder ausdrucken, das heißt dauerhaft wiedergeben und reproduzieren kann (Koch in Beck‘scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl. 2019, VgV § 53 Rn. 12). Wenn der öffentliche Auftraggeber sich einer elektronischen Plattform bedient und den Bietern vorgibt, dass Angebote, Teilnahmeanträge, Interessensbekundungen und Interessensbestätigungen dort einzustellen sind, so genügt für den Zugang bereits das rechtzeitige Einstellen auf der Plattform, und zwar unabhängig davon, ob der öffentliche Auftraggeber die Erklärung ausdruckt oder auf seinem Computer speichert, unabhängig davon, ob er vom Inhalt der Erklärung Kenntnis nimmt und auch unabhängig davon, ob die Plattform auf seinen Servern befindlich ist oder an ganz anderer Stelle. Entscheidend ist, dass eine Lesbarkeit, Reproduzierbarkeit und Speicher- oder Ausdrucksmöglichkeit bei dem Empfänger gegeben ist (Verfürth in Kulartz/ Kus/ Marx/ Portz/ Prieß, VgV, 1. Aufl. 2017, § 53 VgV Rn. 7).
Die sachverständige Zeugin S. führte in ihrem Schreiben vom 01.10.2021 und der mündlichen Verhandlung aus, wie die Angebotsabgabe auf der im streitgegenständlichen Fall verwendeten Vergabeplattform erfolgt. Für die Abgabe eines Angebots muss ein Bieter in seinem Bereich der Vergabeplattform auf die Schaltfläche „Angebot anlegen“ klicken. Im Internetbrowser des Nutzers öffnet sich daraufhin ein Fenster, in dem ihm die auf seinem persönlichen Rechner lokal gespeicherten Dateien angezeigt werden. In diesem Fenster kann der Nutzer die hochzuladende Angebotsdatei auswählen und einen Titel vergeben. Hat er dies getan, kann er auf die Schaltfläche „Angebot hochladen, verschlüsseln und abgeben“ klicken. Mit dem Klick auf diese Schaltfläche startet der Bieter das Hochladen der Datei („Upload“) von seinem persönlichen Rechner auf die Plattform.
Mit dem Klick auf die Schaltfläche „Angebot hochladen, verschlüsseln und abgeben“ startet ein Bieter damit eine Vorgangskette, die sich aus mehreren Übertragungs- und Verarbeitungsschritten zusammensetzt. Im ersten Schritt lädt ein Bieter sein Angebot hoch, anschließend wird das erfolgreich hochgeladene Angebot auf der Plattform verschlüsselt und zuletzt als verschlüsseltes Angebot in den Bereich des Auftraggebers eingestellt.
Für den Zugang auf der Vergabeplattform der Antragsgegnerin kam es damit darauf an, dass das Angebot erstmals vollständig hochgeladen war, da ab diesem Zeitpunkt die Anwendungen der Vergabeplattform auf das abgegebene Angebot zugreifen konnten, die das Angebot dann verschlüsselten und anschließend in dem persönlichen Bereich der Antragsgegnerin speicherten, wo diese es sehen und nach Ablauf der Angebotsfrist auch öffnen konnte.
Damit war Lesbarkeit und Speichermöglichkeit bezüglich der Angebotsdatei der Antragstellerin für die Vergabeplattform als Erfüllungsgehilfen und Empfangsvertreter der Antragsgegnerin gegeben, da die Datei auf einem ihrer Sphäre zuzurechnendem Medium dauerhaft zur Verfügung stand. Zumindest die weiteren Schritte zur Einstellung des (verschlüsselten) Angebots in die Datenbank zur Angebotsöffnung sind nicht mehr der Sphäre der Antragstellerin zuzuordnen. Ein zur Bereitstellung und Verwahrung eines abgegebenen Angebots notwendiges „Umspeichern“ nach vollständigem Eingang auf der Vergabeplattform liegt ausschließlich in der Sphäre des öffentlichen Auftraggebers, der zu dieser Zeit bereits über die Vergabeplattform als seinen Erfüllungsgehilfen auf die Daten des abgegebenen (verschlüsselten) Angebots zugreifen kann.
Würde die im streitgegenständlichen Verfahren verwendete Vergabeplattform den Bietern nicht eine komfortable Lösung anbieten, mit einem Klick alles hochzuladen und abzugeben, sondern müsste das Hochladen und ggf. Verschlüsseln des Angebots vom Bieter vor einem zusätzlichen eigenen „Klick“ auf einen Button zur Abgabe des bereits hochgeladenen und ggf. verschlüsselten Angebots erfolgen, so läge die danach notwendige Zeit, der Umspeicherung zur Bereitstellung der Daten von wenigen Sekunden in den Bereich des Auftraggebers ebenfalls allein in dem Verantwortungsbereich des öffentlichen Auftraggebers.
2.2.3. Das Angebot der Antragstellerin ist auch als rechtzeitig eingereicht anzusehen, da es der Antragstellerin nicht zum Nachteil gereichen darf, dass der genaue Zeitpunkt des vollständigen Uploads von der Vergabeplattform nicht gespeichert wurde bzw. die entsprechenden Logfiles nicht mehr vorhanden sind.
Der § 10 Abs. 1 Nr. 1 VgV ordnet für die Dokumentation des Datenempfangs ausdrücklich an, dass die verwendeten elektronischen Mittel gewährleisten müssen, dass Uhrzeit und Tag des Datenempfangs genau zu bestimmen sind. Die von der Antragsgegnerin verwendete Vergabeplattform speichert jedoch nicht den Zeitpunkt des Datenempfangs, sondern ausschließlich den Zeitpunkt, in welchem das hochgeladene Angebot nach einer anschließenden Verschlüsselung in den Bereich des Auftraggebers eingestellt wurde.
Aus den Ausführungen der sachverständigen Zeugin in der mündlichen Verhandlung kann jedoch geschlossen werden, dass das Angebot der Antragstellerin mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vor 10:00 Uhr und damit rechtzeitig vor Ende der Angebotsfrist vollständig hochgeladen worden ist. Bei einem Versuch auf dem Testsystem der Vergabeplattform, welchen die sachverständige Zeugin durchgeführt hat, hat der Upload einer 32 MB großen Zip-Datei ungefähr vier Sekunden gedauert, die Verschlüsselung dieser Datei eine Sekunde und die Bereitstellung der verschlüsselten Angebotsdatei im sicheren Auftraggeberbereich der Anwendung sechs Sekunden. Es ist daher davon auszugehen, dass auch bei der Angebotsabgabe der Antragstellerin die Bereitstellung auf dem stärker frequentierten Live-System der Vergabeplattform mindestens sechs Sekunden gedauert hat und danach den Zeitstempel 10:00:03 Uhr erhalten hat. Aus diesen Informationen kann geschlossen werden, dass das Angebot der Antragstellerin noch wenige Sekunden vor Ablauf der Angebotsfrist vollständig hochgeladen worden war und damit der Antragsgegnerin rechtzeitig zugegangen ist.
2.2.4 Die Vergabekammer Südbayern weist zudem darauf hin, dass die Antragsgegnerin – wenn sie die Annahme vertritt, dass ein Angebot ihr erst zugegangen ist, wenn es fertig verschlüsselt und im sicheren Auftraggeberbereich der Vergabeplattform abgelegt ist – nach § 11 Abs. 3 VgV darauf hinweisen hätte müssen, dass die Angebotsfrist nicht bis zur letzten Sekunde ausgeschöpft werden darf, da nach dem vollständigen Upload des elektronischen Angebots mit einem Zeitraum von einigen Sekunden für das Verschlüsseln und Ablegen gerechnet werden muss.
3. Kosten des Verfahrens
Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer hat gemäß § 182 Abs. 3 S. 1 GWB derjenige zu tragen, der im Verfahren vor der Vergabekammer unterlegen ist. Dies ist vorliegenddie Antragstellerin.
Die Gebührenfestsetzung beruht auf § 182 Abs. 2 GWB. Diese Vorschrift bestimmt einen Gebührenrahmen zwischen 2.500 Euro und 50.000 Euro, der aus Gründen der Billigkeit auf ein Zehntel der Gebühr ermäßigt und, wenn der Aufwand oder die wirtschaftliche Bedeutung außergewöhnlich hoch sind, bis zu einem Betrag vom 100.000 Euro erhöht werden kann.
Die Höhe der Gebühr richtet sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstands des Nachprüfungsverfahrens.
Die Antragsgegnerinist als Gemeinde von der Zahlung der Gebühr nach § 182 Abs. 1 S. 2 GWB i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 VwKostG (Bund) vom 23. Juni 1970 (BGBl. I S. 821) in der am 14. August 2013 geltenden Fassung befreit.
Von der Antragstellerinwurde bei Einleitung des Verfahrens ein Kostenvorschuss in Höhe von 2.500 Euro erhoben. Dieser Kostenvorschuss wird nach Bestandskrafterstattet.
Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin beruht auf § 182 Abs. 4 S. 1 GWB.
Die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters wird als notwendig i. S. v. § 182 Abs. 4 S. 4 GWB i. V. m. Art. 80 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 2 BayVwVfG angesehen. Die anwaltliche Vertretung war erforderlich, da das Vergaberecht eine überdurchschnittlich komplizierte Materie ist. Als mittelständisches Unternehmen verfügt die Antragstellerin über kein zur zweckentsprechenden Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens rechtskundiges Personal, insbesondere wenn es wie im streitgegenständlichen Verfahren um Detailfragen zum Zugang eines elektronischen Angebots geht.
Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beigeladenen beruht auf § 182 Abs. 4 S. 3, S. 2 GWB. Danach sind Aufwendungen der Beigeladenen nur erstattungsfähig, wenn die Vergabekammer sie als billig erachtet. Dabei setzt die Erstattungsfähigkeit jedenfalls voraus, dass die Beigeladene sich mit demselben Rechtsschutzziel wie der obsiegende Verfahrensbeteiligte aktiv am Nachprüfungsverfahren beteiligt hat (OLG Brandenburg, Beschluss vom 09.02.2010, Az.: Verg W 10/09). Vor diesem Hintergrund hat die bisherige Rechtsprechung der Vergabesenate die Beigeladene kostenrechtlich nur dann wie eine Antragstellerin oder eine Antragsgegnerin behandelt, wenn sie die durch die Beiladung begründete Stellung im Verfahren auch nutzt, indem sie sich an dem Verfahren beteiligt (BGH, Beschluss vom 26.09.2006, Az.: X ZB 14/06). Die Beigeladenehat sich im streitgegenständlichen Verfahren zwar durch schriftsätzlichen und mündlichen Vortrag und die Stellung von Anträgen aktiv am Verfahren beteiligt, hierdurch hat sie das gegenständliche Verfahren auch wesentlich gefördert, sich jedoch nicht mit demselben Rechtsschutzziel wie die obsiegende Antragstellerin am Verfahren beteiligt. Die Vergabekammer erachtet daher die Aufwendungen der Beigeladenen nicht als erstattungsfähig.


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