Baurecht

Zulassung eines Bürgerbegehrens, Frage der Richtigkeit der Begründung, Abgrenzung Tatsachenbehauptungen, Werturteile

Aktenzeichen  RO 3 K 20.982

Datum:
27.4.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 10207
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GO Art. 18a

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Zurückweisungsbescheid der Beklagten vom 4. Mai 2020 (Az: 3.3 MS) wird aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verpflichtet, das Bürgerbegehren „Kein Hotelanbau mit Veranstaltungssaal-Neubau im Landschaftsschutzgebiet … (Fl.Nr. 2271, Gemarkung A* …*)“ zuzulassen.
III. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
IV. Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage hat Erfolg.
I. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist sie als Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage statthaft gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), da sie auf die – mit streitgegenständlichem Bescheid vom 4. Mai 2020 abgelehnte – Zulassung des Bürgerbegehrens durch feststellenden Verwaltungsakt gemäß Art. 18a Abs. 8 Satz 1 Gemeindeordnung (GO) gerichtet ist. Die Klage wurde fristgerecht erhoben und die Kläger sind als Gesamtvertreter der Unterzeichner des Bürgerbegehrens gemäß Art. 18a Abs. 8 Satz 2 GO befugt, im eigenen Namen unmittelbar Klage zu erheben.
II. Die Klage ist auch begründet. Die Ablehnung des begehrten Verwaltungsakts auf Zulassung des Bürgerbegehrens war rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Die Kläger haben gemäß Art. 18a Abs. 8 Satz 1 GO einen (gebundenen) Anspruch auf Zulassung des Bürgerbegehrens durch den Stadtrat der Beklagten, da dieses alle Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt.
1. Die Begründung des Bürgerbegehrens vorerst ausgeklammert, deren Ordnungsgemäßheit näherer Erörterung bedarf (hierzu unter 2.), sind alle aus Art. 18a GO folgenden Voraussetzungen für ein Bürgerbegehren gegeben. Insbesondere konnten, wie von der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid vom 4. Mai 2020 angenommen, auch diejenigen Unterschriften, die in der Zeit vor Einleitung des Bauleitplanverfahrens am 16. Dezember 2019 gesammelt wurden, für das Bürgerbegehren gewertet werden, auch wenn zu diesem Zeitpunkt noch der Bauantrag und damit für die Beklagte eine Angelegenheit des übertragenen Wirkungskreises rechtliche Grundlage für das Bauvorhaben war. Dies ergibt sich daraus, dass während des gesamten Zeitraums, in dem Unterschriften gesammelt wurden, weder die Fragestellung noch die Begründung verändert wurden und der rechtliche Unterschied zwischen einem vorhabenbezogenen Bebauungsplan und der Genehmigung eines Einzelbauvorhabens als rechtliche Grundlage für das Bauvorhaben für Unterzeichnungsberechtigte nicht entscheidend gewesen sein dürfte, zumal die Intention – die Verhinderung des konkreten Vorhabens – sich für die Initiatoren des Begehrens und für die Unterzeichnungsberechtigten nicht geändert hat. Zum Zeitpunkt der Einreichung des Begehrens im Februar 2020 war sodann auch die aus Art. 18a Abs. 1 GO folgende Voraussetzung erfüllt und das Begehren rechtlich auf den Bebauungsplan, mithin auf eine Angelegenheit des eigenen Wirkungskreises, bezogen.
2. Streitentscheidend ist somit die gewählte Begründung. Diese ist als zulässig anzusehen.
a) Gemäß Art. 18a Abs. 4 Satz 1 VwGO muss ein Bürgerbegehren eine Begründung enthalten. Zu diesem Begründungserfordernis führt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 17. Mai 2017 (4 B 16.1856 – NVwZ-RR 2018, 71 Rn. 33) aus:
„Damit soll sichergestellt werden, dass die Gemeindebürger, wenn sie zur Unterschriftsleistung aufgefordert werden, schon in dieser ersten Phase des direktdemokratischen Verfahrens die Bedeutung und Tragweite der mit Ja oder Nein zu entscheidenden Fragestellung erkennen können (vgl. zum Volksgesetzgebungsverfahren BayVerfGH, VGH nF 53, 81 [105] = NVwZ-RR 2000, 737). Da bereits mit der Unterzeichnung eines Bürgerbegehrens das Recht auf Teilhabe an der Staatsgewalt in Gestalt der Abstimmungsfreiheit (Art. 7 II, 12 III BayVerf) ausgeübt wird, ergeben sich aus der Bayerischen Verfassung auch Mindestanforderungen an die Richtigkeit der Begründung. Die Bürger können nur dann sachgerecht über die Unterstützung eines Bürgerbegehrens entscheiden und von ihrem Eintragungsrecht Gebrauch machen, wenn sie nicht durch den vorgelegten Begründungstext in wesentlichen Punkten in die Irre geführt werden. Es ist daher mit dem Sinn und Zweck eines Plebiszits auch auf kommunaler Ebene nicht vereinbar, wenn in der Begründung des Bürgerbegehrens in einer entscheidungsrelevanten Weise unzutreffende Tatsachen behauptet werden oder wenn die maßgebende Rechtslage unzutreffend bzw. unvollständig erläutert wird (VGH München, Beschluss vom 9.12.2010 – 4 CE 10.2943, BeckRS 2010, 33826; Beschluss vom 20.1.2012 – 4 CE 11.2771, BeckRS 2012, 50791; BayVBl 2013, 19 = BeckRS 2012, 54343; Beschluss vom 14.10.2014 – 4 ZB 14.707, BeckRS 2014, 58742; NVwZ-RR 2017, 1 = BayVBl 2017, 92; anders noch BayVBl 2002, 184 = BeckRS 2001, 20964).“
Hinsichtlich des Maßstabs, der an diese Begründung anzulegen ist, fährt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (U.v. 17.5.2017 – 4 B 16.1856 – NVwZ-RR 2018, 71 Rn. 35) fort:
„Die Begründung des Bürgerbegehrens erfüllt zwar eine wichtige Informationsfunktion, weil sie den Unterzeichnern verdeutlicht, worauf sich die Fragestellung bezieht und welche Motive aus Sicht der Initiatoren für den angestrebten Bürgerentscheid maßgebend sind. Anders als die – meist von Verwaltungsmitarbeitern erarbeiteten – Beschlussvorlagen für Gemeinderatssitzungen, die der dortigen Diskussion und Abstimmung als Grundlage dienen und die bestehende Sach- und Rechtslage zunächst in neutraler Form darstellen sollten, muss aber die einem Bürgerbegehren beigefügte Begründung noch keinen (vorläufigen) Überblick über die Ausgangssituation und den kommunalpolitischen Streitstand vermitteln. Die Betreiber des Bürgerbegehrens nehmen am öffentlichen Meinungskampf teil und sind nicht zu einer objektiv ausgewogenen Erläuterung ihres Anliegens verpflichtet. Die um ihre Unterschrift gebetenen Gemeindebürger müssen sich vielmehr selbstständig ein Urteil darüber bilden, ob sie die – in der Regel einseitig zugunsten des Bürgerbegehrens – vorgebrachten Gründe für stichhaltig halten oder ob sie sich zusätzlich aus weiteren Quellen informieren wollen. Zu beanstanden ist die Begründung eines Bürgerbegehrens daher nur, wenn sie über eine bloß tendenziöse Wiedergabe hinaus einen entscheidungsrelevanten Umstand nachweislich falsch oder in objektiv irreführender Weise darstellt.“
Unter Anwendung der dargestellten Grundsätze ist das streitgegenständliche Bürgerbegehren mithin danach zu beurteilen, ob es bei seinen tragenden Begründungselementen falsche Tatsachenbehauptungen – und nicht lediglich Werturteile – enthält (vgl. auch Müller in: Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Werkstand: 31. EL Februar 2021 Art. 18a Rn. 22). Zur Ermittlung, ob eine Begründung falsche und irreführende Tatsachenbehauptungen enthält, kann im Ausgangspunkt auf die für die Abgrenzung zwischen Werturteilen und Tatsachenbehauptungen zu Art. 5 Grundgesetz (GG) entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden. Danach ist ein Werturteil eine „durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägte Äußerung“, die durch eine subjektive Einstellung des Äußernden zum Inhalt seiner Aussage charakterisiert ist und sich daher nicht als wahr oder unwahr erweisen lässt, mithin keinem empirischen Beweis zugänglich ist (so Grabenwarter in: Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 95. EL Juli 2021, Art. 5 GG Rn. 47). Zu beachten ist, dass es häufig zu einer Überlappung der Kategorien in dem Sinne kommt, dass Tatsachen nicht selten die Grundlage von Werturteilen darstellen können (vgl. Schemmer in: BeckOK Grundgesetz, 50. Edition, Stand 15.2.2022, Art. 5 GG Rn. 6). Die Begründung ist stets im Kontext der gesamten Fragestellung zu würdigen (BayVGH, B.v. 9.12.2010 – 4 CE 10.2943 – BeckRS 2010, 33826) und eine abwertende plakative Argumentation insofern im Rahmen des politischen Meinungskampfes grundsätzlich hinnehmbar (vgl. zum Volksbegehren BayVerfGH, E.v. 13.4.2000 – Vf. 4 -IX-00 – NVwZ-RR 2000, 737/741). Bei der Auslegung ist grundsätzlich vom Wortlaut der Äußerung auszugehen, jedoch sind auch der Kontext sowie die Begleitumstände miteinzubeziehen und ist auf die Perspektive eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums abzustellen (vgl. Grabenwarter in: Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 95. EL Juli 2021, Art. 5 GG Rn. 55). Im Kontext der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens kommt es entscheidend darauf an, ob die Begründung des Bürgerbegehrens geeignet ist, die Unterzeichnungsberechtigten hinsichtlich relevanter Tatsachen in die Irre zu führen. Sind im Rahmen einer Auslegung mehrere Bedeutungen vom Wortlaut erfasst, ist der Gedanke der „bürgerbegehrensfreundlichen Auslegung“ zu berücksichtigen (vgl. etwa VG Regensburg, U.v. 7.8.2013 – RN 3 K 13.678 – BeckRS 2013, 55605; VG Regensburg, U.v. 28.3.2007 – RO 3 K 07.00149 – BeckRS 2007, 32898).
Ausreichend für die Unzulässigkeit des Begehrens ist dabei bereits, wenn eines der tragenden Begründungselemente eine falsche Tatsachenbehauptung enthält, sofern diese Behauptung hinreichendes Gewicht hat, um Unterzeichner von der Notwendigkeit einer Unterschrift zu überzeugen. Denn es kommt hierbei nicht darauf an, ob die Begründung auch ohne das betreffende Element bestehen bleiben könnte, sondern darauf, „ob die unrichtige Sachaussage im Kontext der übrigen Begründung als so gewichtig anzusehen ist, dass ohne sie möglicherweise weniger Unterzeichner das Bürgerbegehren unterstützt hätten. Eine solche Eignung zur Beeinflussung des Unterschriftsverhaltens darf allerdings nicht nur theoretisch bestehen, sondern muss nach allgemeiner Lebenserfahrung als konkrete und nicht ganz fernliegende Möglichkeit erscheinen“ (so BayVGH, U.v. 4.7.2016 – 4 BV 16.105 – BeckRS 2016, 50127 m.w.N.). Finden sich Mängel bei tragenden Begründungselementen, so ist – auch wenn das Begehren auf mehrere gleich gewichtige Gründe gestützt wird – von einer solchen Kausalität auszugehen (BayVGH, a.a.O. Rn. 35).
b) Nach diesen Grundsätzen erweisen sich die drei Begründungselemente des streitgegenständlichen Bürgerbegehrens als (noch) zulässig.
(1) Das erste Begründungselement „Die geplante Bebauung und Nutzung vernichtet eine erhebliche Fläche des Landschaftsschutzgebietes. Die damit eingehergehende Lärm- und Lichtverschmutzung wirkt sich negativ auf die einheimische Tier- und Pflanzenwelt aus.“ enthält zwei zu differenzierende Aussagen. Die Aussage, dass eine erhebliche Fläche des Landschaftsschutzgebietes vernichtet werde, ist noch keine objektiv irreführende Behauptung eines entscheidungsrelevanten Umstandes. Es handelt sich bei ihr um eine Behauptung, die wertende Elemente enthält und auch mögliche dahinterliegende Tatsachen nicht auf eine Weise darstellt und vermittelt, die hinsichtlich dieser Tatsachen objektiv irreführend wäre. Zwar kann der Argumentation der Klägerseite insoweit nicht gefolgt werden, als diese zum Teil darauf abstellt, es komme auf die Erheblichkeit eines zu erwartenden Eingriffs in das Landschaftsschutzgebiet an, da die Begründung ihrem Wortlaut nach auf eine erhebliche Fläche und gerade nicht auf einen erheblichen Eingriff abstellt. Ob eine Fläche erheblich ist, ist im Grundsatz aber eine Wertungsfrage, denn es kann zwar Beweis über etwaige hinter dieser Frage liegende Tatsachen erhoben werden, etwa wie viel der Fläche im Vergleich zum gesamten Landschaftsschutzgebiet überbaut werden soll oder durch welche Merkmale gerade diese Fläche gegenüber dem restlichen Landschaftsschutzgebiet ausgezeichnet wird, nicht aber darüber, ob dieser überbaute Teil auch erheblich ist. Zwar ist die Äußerung hinsichtlich der genannten etwaigen dahinterliegenden Tatsachen suggestiv formuliert. Dennoch werden diese im Rahmen der konkret gewählten Formulierung nicht behauptet, sondern es wird durch die Wahl des relativ offenen Begriffes eine eigene Schlussfolgerung, eine durch Elemente des Dafürhaltens geprägte Meinung, nämlich dass die konkrete Fläche jedenfalls aus Sicht der Initiatoren nicht unerheblich, sondern bedeutend ist, vorgebracht. Ob eine Fläche erheblich ist, obliegt der Bewertung jeder einzelnen Person und lässt für die unterzeichnungsberechtigten Bürger einen eigenen Einschätzungsspielraum. Die Ansicht der Beklagten, dass eine Fläche von nur 0,01% der Gesamtfläche, die zudem keine besonders schutzwürdigen Anlagen aufweisen kann, aus ihrer Sicht gerade nicht als erheblich eingestuft werden kann, mag naheliegend sein. Es ist aber nach allgemeinen (zivilrechtlichen, vgl. § 133, 157 BGB) Auslegungsgrundsätzen, welche sich maßgeblich am objektivierten Empfängerhorizont unter Beachtung der Grundsätze von Treu und Glauben orientieren, keineswegs zwingend davon auszugehen, dass jeder Unterzeichnungsberechtigte den Wortlaut der Begründung ebenso versteht wie die Beklagte und die Erheblichkeit ebenso beurteilt wie sie. Insofern hat die Beklagte an dieser Stelle ihre eigene – mit nachvollziehbaren Kriterien begründete – Interpretation des Begriffs zum objektiven Zulässigkeitsmaßstab erklärt, anstatt ebendiese Interpretation im Rahmen der politischen Auseinandersetzung auch den Unterzeichnungsberechtigten nahezubringen. Insgesamt werden demnach die entscheidungsrelevanten Umstände nicht in objektiv irreführender Weise dargestellt. Die Äußerung ist, obwohl sie wertenden, färbenden und suggestiven Charakter hat, relativ offen gehalten und ermöglicht es den unterzeichnungsberechtigten Bürgern, sich, gegebenenfalls nach Einholung weiterer, etwa durch die Beklagte im Rahmen des öffentlichen Meinungsaustausches bereitgestellter, Informationen, selbst eine Meinung darüber zu bilden, ob sie die beanspruchte Fläche qualitativ oder quantitativ als besonders bedeutend im Vergleich zum restlichen Landschaftsschutzgebiet einstufen.
Auch der Passus zur Lärm- und Lichtverschmutzung ist nicht zu beanstanden. Dieser ist zwar als Tatsachenbehauptung anzusehen, da das Vorliegen negativer Auswirkungen auf die einheimische Tier- und Pflanzenwelt nachweisbar ist. Er ist jedoch pauschal gehalten und spezifiziert oder quantifiziert die negativen Auswirkungen – vor allem im Vergleich zur bisherigen Nutzung – nicht. Davon, dass das Vorhaben aufgrund der erweiterten Nutzung im Zusammenhang mit dem Hotel und dem Veranstaltungssaal ganz grundsätzlich zu einer (höheren) Licht- und Lärmverschmutzung führt, kann jedoch ausgegangen werden. Und auch die Aussage, dass eine (erhöhte) Licht- und Lärmverschmutzung negative Auswirkungen auf die einheimische Tier- und Pflanzenwelt hat, kann in dieser Pauschalität nicht als falsch bewertet werden.
(2) Das zweite Begründungselement „Der bisherige Ort der Ruhe und Einkehr für Bürger und Gläubige weicht dem Massentourismus.“ ist der Auslegung zugänglich und nach den eingangs dargelegten Grundsätzen (noch) als überspitzte und wertende Meinungsäußerung zu sehen. Die Grenze zur unrichtigen Tatsachenbehauptung ist nicht überschritten. Im Rahmen einer erneuten Anwendung der dargestellten Abgrenzungskriterien, insbesondere aufgrund einer Würdigung der Begründung im Kontext der gesamten Fragestellung sowie der Überschrift des Bürgerbegehrens, stellt der Begriff „Massentourismus“ zwar einen Grenzfall dar, da er sowohl (ab-)wertende Elemente als auch einen Tatsachenbezug enthält. Er ist plakativ gewählt und deutlich dazu gedacht, einen sprachlichen Kontrast aufzubauen. Aus der Perspektive eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums führt jedoch gerade diese plakative und deutlich überspitzte Begriffswahl dazu, dass das Element der Meinung im Vordergrund steht. Denn es werden im Rahmen der Begründung nicht etwa Tatsachen – beispielsweise eine bestimmte, sehr hohe Anzahl vermeintlich zu bauender Gästezimmer oder tatsächlich nicht geplante weitere Touristenattraktionen – behauptet. Vielmehr bleibt es der Beklagten unbenommen, dem Bürgerbegehren eine eigene Argumentation entgegenzusetzen und die Unterschriftsberechtigten davon zu überzeugen, warum aus ihrer Sicht ein „Kippen“ der Situation von einem bisherigen Ort der Ruhe und Stille hin zu „Massentourismus“ gerade nicht droht. Dies ermöglicht den Unterschriftsberechtigten, ihre eigenen Schlüsse zu ziehen und die Situation zu beurteilen (vgl. hierzu auch die Maßstäbe des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in seinem Urteil vom 17. Mai 2017 – 4 B 16.1856 – NVwZ-RR 2018, 71 Rn. 35). Zu bedenken ist hierbei, dass der Begriff „Massentourismus“ zwar abstrakt definiert werden kann, sein Vorliegen im Einzelfall aber auch stark von den örtlichen Gegebenheiten und dem persönlichen Empfinden abhängt und aus diesem Grund nicht dem Beweis zugänglich ist. Zwar versuchen die Initiatoren des Bürgerbegehrens durch dessen Begründung und die Wahl des plakativen, einseitigen und überspitzten Begriffs wiederum, den Unterzeichnungsberechtigten ihre eigene Beurteilung nahezulegen. Allerdings ist die Aussage aus eben diesem Grund auch als Werturteil anzusehen. Schließlich ändert auch die Erwägung, dass die bisherige, bereits sehr touristisch geprägte Nutzung in der Begründung möglicherweise außer Acht gelassen wird – vor allem durch die Verwendung des Ausdrucks „weicht dem Massentourismus“ – an diesem Ergebnis nichts, da auch hier die Wertung im Vordergrund steht und darüber hinaus den Unterzeichnungsberechtigten die bisherige Nutzung, mithin die relevante zugrundeliegende Tatsache, bekannt sein dürfte.
(3) Bei den beiden im Rahmen des dritten Begründungselements „Das Bauvorhaben zieht weitere Baumaßnahmen bzgl. erforderlicher Zugangsstraßen und benötigter Infrastruktur nach sich.“ enthaltenen Aussagen handelt es sich nach den oben dargestellten Grundsätzen um Tatsachenbehauptungen, da die Frage, ob weitere Baumaßnahmen nach sich gezogen werden, dem Beweis zugänglich ist. Diese Behauptungen sind jedoch nicht als objektiv unwahr und irreführend anzusehen. Die Aussage, das Vorhaben ziehe weitere Baumaßnahmen bzgl. erforderlicher Zugangsstraßen nach sich, ist anhand eines objektivierten Empfängerhorizonts auszulegen. Danach ist vom Wortlaut einerseits das Verständnis der Beklagten gedeckt, die betont, es gebe aktuell nur eine einzige Straße – mit dem Straßennamen „Auf dem M* …“ -, die unmittelbar an das Bauvorhaben angrenze und deshalb als Zugangs straße bezeichnet werden könne und es werde aufgrund der Verwendung des Wortes „Zugangsstraßen“ im Plural durch die Begründung des Bürgerbegehrens suggeriert, dass der Bau einer neuen Zugangs straße notwendig werde. Eine solche Behauptung wäre in der Tat objektiv falsch. Andererseits ist aber auch ein wesentlich weniger weitgehendes Verständnis möglich, nämlich dass an den vorhandenen Zugangsstraßen, die sich zumindest aus der Straße zum Parkplatz – mit dem Namen „Bergauffahrt“ – und der Straße „Auf dem M* …“ zusammensetzen, Baumaßnahmen irgendeiner Art notwendig werden. So verstanden – und diese Sichtweise ist zwanglos vom Wortlaut gedeckt, ohne dass es entscheidend auf eine bürgerbegehrensfreundliche Auslegung ankommen würde, die dieses Verständnis jedoch zusätzlich stützt – ist die Aussage jedoch nicht objektiv falsch und irreführend. Denn dass mit der vorgesehenen „Ertüchtigung der Wegeverbindung“ auch (möglicherweise zwar nur kleinere) Baumaßnahmen verbunden sind, etwa der Einbau versenkbarer Poller und die Reparatur der Straßen nach Durchführung des Bauvorhabens, steht außer Frage. Und dass nicht nur die unmittelbar vom Parkplatz zur Kirche führende Straße, sondern jedenfalls auch schon die auf den Berg führende Straße als „Zugangsstraßen“ bezeichnet werden, ist ebenfalls naheliegend. Zwar ist auch das dritte Begründungselement suggestiv formuliert und es ist nicht ausgeschlossen, dass Unterzeichnungsberechtigte deshalb zur Unterschrift motiviert werden, da sie weitere neue bauliche Maßnahmen im Sinne einer „Flächenversiegelung“ im betroffenen Gebiet verhindern möchten. Dahingehende Tatsachenbehauptungen werden von den Initiatoren des Begehrens jedoch nicht aufgestellt, sodass auch an dieser Stelle im Rahmen einer öffentlichen Auseinandersetzung die Beklagte die Möglichkeit hat, den Unterzeichnungsberechtigten insbesondere näherzubringen, welche Baumaßnahmen im Zusammenhang mit welchen Zugangsstraßen konkret geplant sind. Aus den genannten Gründen ist auch das Vorbringen der Beklagten nicht überzeugend, dass das Begründungselement dahingehend verstanden werden müsse, dass mit „weiteren“ Baumaßnahmen nur solche außerhalb des vorhabenbezogenen Bebauungsplans gemeint sein könnten, solche aber nicht geplant seien und die Aussage deshalb falsch sei. Denn genauso vom Wortlaut gedeckt und auch näherliegend ist ein Verständnis dahingehend, dass die Begründung solche Baumaßnahmen thematisiert, die nicht zusätzlich zum Bebauungsplan, sondern zusätzlich zum Hotelanbau und Veranstaltungssaal-Neubau an sich erforderlich werden. Aus den genannten Gründen ist mithin die getroffene Aussage nicht unzutreffend und kommt es auch nicht entscheidend darauf an, dass in Anbetracht des gewählten Wortlauts der Begründung auf die Befürchtungen der Klägerseite, es könnten zukünftig weitere Baumaßnahmen, insbesondere eine Verbreiterung der Wege, die Anlegung eines Fußwegs, der Ausbau und die Versiegelung des Parkplatzes etc. drohen, mangels dahingehender Planungen der Beklagten wohl nicht abgestellt werden kann.
Schließlich ist auch die Aussage, das Vorhaben ziehe weitere Baumaßnahmen bezüglich benötigter Infrastruktur nach sich, zwar eine Tatsachenbehauptung; allerdings ist sie nicht unrichtig. Auch hier gilt, dass es keineswegs zwingend ist, die Aussage so zu verstehen, dass weitere Baumaßnahmen außerhalb des vorhabenbezogenen Bebauungsplans, der Gegenstand des Bürgerbegehrens ist, erforderlich seien (was objektiv unrichtig wäre), sondern ein objektiver Betrachter durchaus davon ausgehen kann, dass mit dieser Aussage zusätzlich zum Hotelgebäude bzw. zum Veranstaltungssaal an sich erforderliche Baumaßnahmen gemeint sind. In diesem Sinn verstanden ist die Aussage jedoch nicht unrichtig, da solche Infrastrukturmaßnahmen – etwa die Errichtung von Fahrrad-Stellplätzen anstelle vorhandener PKW-Stellplätze und die Errichtung einer unterirdischen Rigolen-Anlage zur Versickerung des Regenwassers auf dem Grundstück sowie ein neuer Abwasserkanal – durchaus geplant sind. Auch die Überlegung, dass diese Maßnahmen womöglich auch bei einer bloßen Renovierung des bestehenden Gasthauses nötig geworden wären, ändern an der Richtigkeit der Behauptung, dass solche Maßnahmen (auch) im Zuge des geplanten Hotelneubaus mit Veranstaltungssaal notwendig werden, nichts.
Die Begründung ist mithin insgesamt zulässig.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
IV. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1, 2 Zivilprozessordnung (ZPO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben