Erbrecht

Vorfälligkeitsentschädigung als Nachlassverbindlichkeit

Aktenzeichen  II R 17/18

Datum:
2.12.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BFH:2020:U.021220.IIR17.18.0
Normen:
§ 10 Abs 5 Nr 1 ErbStG 1997
§ 10 Abs 5 Nr 3 ErbStG 1997
§ 12 ErbStG 1997
§ 9 Abs 2 S 2 BewG 1991
§ 12 Abs 1 BewG 1991
§ 488 BGB
§ 490 BGB
§ 1922 BGB
§ 1960 BGB
§ 1967 BGB
§ 2042 BGB
§ 118 Abs 2 FGO
§ 120 Abs 3 Nr 2 Buchst a FGO
Spruchkörper:
2. Senat

Leitsatz

1. Wird nach Eintritt des Erbfalls ein Darlehen des Erblassers vorzeitig abgelöst, so ist die Vorfälligkeitsentschädigung mit ihrem Zinsanteil nicht gesondert als Nachlassverbindlichkeit abzugsfähig. Die Zinsen sind Teil der als Kapitalschuld zu bewertenden und als Erblasserschuld abziehbaren Darlehensverbindlichkeit.
2. Soweit die Vorfälligkeitsentschädigung neben ihrem Zinsanteil auch sonstige Elemente wie Kosten oder Gebühren enthält, richtet sich die Abzugsfähigkeit danach, ob die vorzeitige Kündigung des Darlehens eine Maßnahme der Nachlassregelung oder der Nachlassverwaltung war.
3. Hat ein Nachlasspfleger Kosten veranlasst, so richtet sich die Abziehbarkeit als Nachlassverbindlichkeit nach denselben Maßstäben, die auch bei den durch den Erben selbst veranlassten Kosten anzulegen sind.

Verfahrensgang

vorgehend FG Münster, 12. April 2018, Az: 3 K 3662/16 Erb, Urteil

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 12.04.2018 – 3 K 3662/16 Erb aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.
1
Die Erblasserin verstarb am 00.00.2013. Da ihre Erben nicht bekannt waren und sicherungsbedürftiger Nachlass vorlag, bestellte das Amtsgericht als Nachlassgericht mit Beschluss vom 00.00.2013 eine Nachlasspflegerin. Ihr Wirkungskreis umfasste die Sicherung und Verwaltung des Nachlasses sowie die Ermittlung der Erben.
2
Zum Nachlass gehörten u.a. ein Einfamilienhaus sowie drei Mietshäuser. Für drei dieser Immobilien hatte die Erblasserin Darlehen aufgenommen, die zum Todeszeitpunkt in Höhe von insgesamt XXX € valutierten. Anfang 2014 veräußerte die Nachlasspflegerin die Grundstücke unter der Verpflichtung zur Ablösung der Grundpfandrechte für insgesamt 633.000 € und erhielt dafür die Genehmigung des Nachlassgerichts. Durch die vorzeitige Ablösung bestehender Darlehen fielen im April 2014 Vorfälligkeitsentschädigungen von insgesamt YYY € an. Die Erbenermittlung war zu jenem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen.
3
Das Nachlassgericht stellte am 00.00.2015 zwei gemeinschaftliche Teil-Erbscheine für insgesamt 29 Erben aus und hob am selben Tage die Nachlasspflegschaft auf. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wurde Erbe zu 1/8.
4
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) setzte gegenüber dem Kläger mit Bescheid vom 01.08.2016 Erbschaftsteuer fest und dabei die Darlehensverbindlichkeiten als Schulden des Erblassers an.
5
Den Einspruch, mit dem der Kläger die Vorfälligkeitsentschädigungen –gemäß § 10 Abs. 6 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) zu 90 Prozent (YY €)– als Nachlassverbindlichkeiten zu berücksichtigen begehrte, wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 10.11.2016 zurück. Es ging unter Berufung auf das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 05.02.2009 – 9 K 204/07 davon aus, es handele sich um nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 3 ErbStG nicht abzugsfähige Kosten für die Verwaltung des Nachlasses.
6
Im Rahmen des Klageverfahrens hat das Finanzgericht (FG) Auskunft bei der Nachlasspflegerin über die Beweggründe des Verkaufs eingeholt. Diese verwies auf die erheblichen laufenden Tilgungs- und Zinszahlungen. Das Einfamilienhaus sei veräußert worden, da es nicht wirtschaftlich sinnvoll habe genutzt werden können und ein Versicherungsschutz bei Leerstand nicht mehr gegeben gewesen sei. Die drei Mietshäuser habe sie veräußert, da deren wirtschaftliche Verwaltung nicht möglich und die Ermittlung der Erben nicht absehbar gewesen sei. Die Verwaltung der Mietshäuser hätte den Rahmen der Nachlasspflegschaft gesprengt.
7
Das FG hat der Klage stattgegeben und den auf den Kläger entfallenden Anteil der Vorfälligkeitsentschädigungen von Y € (1/8 von YY €) als Nachlassverbindlichkeit in Gestalt von Nachlassregelungskosten anerkannt. Als Maßnahme, den Nachlass zu sichern, sei die Anordnung der Nachlasspflegschaft gleichzeitig eine Maßnahme, die Erben in den Besitz der ihnen aus der Erbschaft zukommenden Güter zu setzen. Es bestehe zudem ein enger Zusammenhang zur Abwicklung und Verteilung des Nachlasses. Der Nachlasspfleger habe zwar nicht die Erbauseinandersetzung zu betreiben, er habe aber das verwaltete Vermögen herauszugeben. Die Herausgabe von vier belasteten Grundstücken sei bei unbekannten und letztlich 29 Erben nicht praktikabel. Außerdem handele es sich um Aufwendungen für die Tilgung von Erblasserschulden. Die dafür angefallenen Kosten seien ebenso abzugsfähig wie beim Verkauf durch die Erben. Zwar stelle die Vorfälligkeitsentschädigung wirtschaftlich nur vorweggenommenen Zins dar; im Allgemeinen sei der Abzug künftiger Aufwendungen bei Dauerschuldverhältnissen wegen der grundsätzlich gleichwertigen Gegenleistung nicht möglich. Dies gelte aber nicht, wenn der Erbe kein Interesse an der Gegenleistung oder diese für ihn keinen wirtschaftlichen Wert habe. Nach der Veräußerung der Grundstücke sei das Interesse an der Kapitalüberlassung entfallen. Schließlich sei allein die Erblasserin in den Genuss der durch die Vorfälligkeitsentschädigung ausgeglichenen günstigeren Darlehenskonditionen gekommen. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2018, 1207, veröffentlicht.
8
Mit der Revision macht das FA eine Verletzung von § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 1 ErbStG geltend. Vorfälligkeitsentschädigungen, die im Rahmen einer Nachlasspflegschaft für die vorzeitige Ablösung von Darlehen anfielen, seien keine Nachlassverbindlichkeiten. Wie das FG Köln in seinem Urteil vom 05.02.2009 – 9 K 204/07 bereits zutreffend erkannt habe, müssten die betreffenden Aufwendungen in einem hinreichend engen Sachzusammenhang zur Abwicklung, Regelung und Verteilung des Nachlasses bzw. Erlangung des Erwerbs stehen. Dies sei weder im Hinblick auf die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft noch auf die Verteilung des Aktivvermögens der Fall. Die von der Nachlasspflegerin benannten Gründe seien sachlich und wirtschaftlich tragfähig, aber nicht zwingend. Sicherungsmaßnahmen, die zur Abziehbarkeit der entsprechenden Kosten führten, müssten die rechtliche oder tatsächliche Sicherung betreffen. Wirtschaftliche Sicherung genüge nicht. Ebenso sei die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft nicht zwingend. Schulden könnten auch geteilt werden. An Stelle des insoweit unbekannten Willens der Erben trete zwar der Wille der Nachlasspflegerin. Da sie die Anzahl der Erben zum Zeitpunkt des Verkaufs aber noch gar nicht gekannt habe, könne diese ihr Verhalten auch nicht beeinflusst haben. Die Abzugsfähigkeit der Vorfälligkeitsentschädigung könne auch nicht von der Anzahl der Erben abhängig sein. Zu den Annahmen schließlich, dass den Vorfälligkeitsentschädigungen kein wirtschaftlicher Wert für die Erben gegenüberstehe, seien weder etwas vorgetragen noch bewiesen worden.
9
Das FA beantragt,die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
10
Der Kläger beantragt,die Revision zurückzuweisen.
11
Der Kläger hält die Revisionsbegründung für unzureichend. Sie erschöpfe sich in einer Bezugnahme auf das Urteil des FG Köln vom 05.02.2009 – 9 K 204/07, dem ein anderer Sachverhalt zugrunde gelegen habe (keine Nachlasspflegschaft). Das FG-Urteil sei aber auch in der Sache zutreffend. Zu den –weit auszulegenden– Tatbestandsmerkmalen des § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 1 ErbStG zählten alle Kosten, die zur Durchführung der Erbauseinandersetzung erforderlich seien. Die auf den Veräußerungen beruhenden Vorfälligkeitsentschädigungen gehörten dazu, da jeder Erbe die Auseinandersetzung hätte erzwingen können. Die Kosten seien auch deshalb abziehbar, weil sie im Rahmen der gerichtlichen Sicherung des Nachlasses in Gestalt der Nachlasspflegschaft entstanden seien. Es reiche aus, wenn eine Sicherungsmaßnahme zweckmäßig gewesen sei. Weitere Voraussetzungen (zwingende Notwendigkeit o.ä.) ergäben sich aus dem Gesetz nicht, führten zu nicht übersehbaren Haftungsrisiken beim Nachlasspfleger und stünden im Widerspruch zum Nettoprinzip, da der Erwerber, der Erbe, sich den Maßnahmen des Nachlasspflegers nicht entziehen könne.


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