Erbrecht

Zum Restitutionsanspruch nach § 3 Abs. 1 Satz 10 VermG

Aktenzeichen  8 C 18/09

Datum:
28.4.2010
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 3 Abs 1 S 1 VermG
§ 3 Abs 1 S 10 VermG
§ 6 Abs 6a VermG
§ 6 Abs 10 S 6 VermG
Spruchkörper:
8. Senat

Leitsatz

§ 3 Abs. 1 Satz 10 VermG findet auf solche Vermögenswerte Anwendung, die nach § 6 Abs. 6a Satz 1 VermG nicht restituierbar sind, weil sie vor der Stilllegung des Unternehmens “weggeschwommen” sind.

Verfahrensgang

vorgehend VG Gera, 6. November 2008, Az: 6 K 1540/04, Urteil

Tatbestand

1
Die Klägerin macht Ansprüche nach dem Vermögensgesetz geltend hinsichtlich der Teilfläche des heutigen Grundstücks Flurstück Nr. … der Flur … der Gemarkung E., die vormals im Eigentum der Firma Kurt J. u. Co. i.L. stand.
2
Das streitgegenständliche und weitere Grundstücke, die Gegenstand anderer vermögensrechtlicher Verfahren sind, standen seit 1918 im Eigentum der Firma Sally J. OHG in E. Seit dem Jahr 1924 waren Gesellschafter der OHG Emil J. (50 %) und die Kinder des verstorbenen Bruders Julius, Kurt und Hilda J. (je 25 %). Alle Gesellschafter waren Angehörige der jüdischen Glaubensgemeinschaft. Nachdem im August 1931 ein Vergleichsverfahren zur Abwendung des Konkurses der OHG eröffnet und im September 1931 nach Bestätigung des Vergleichs wieder aufgehoben worden war, beschlossen die Gesellschafter am 21. Oktober 1931 die Auflösung der Sally J. OHG mit Wirkung zum 1. Oktober 1931. Das Geschäft nebst Firma und Übernahme der Aktiva und Passiva, jedoch mit Ausnahme der zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Grundstücke …, wurde an den bisherigen Gesellschafter Emil J. veräußert. Hinsichtlich des Restvermögens in Form der Grundstücke wurde die Liquidation beschlossen und unter der neu angenommenen Firma “Kurt J. u. Co. i.L.”, E., weitergeführt. Die Firma war im Handelsregister eingetragen; als Liquidatoren wurden Emil J. sowie ein in E. ansässiger Rechtsanwalt bestellt. Auf mehrere Nachfragen des Amtsgerichts hinsichtlich des Standes des Liquidationsverfahrens antwortete der Liquidator zwischen Dezember 1932 und April 1937 regelmäßig dahingehend, dass die Liquidation noch nicht beendet werden konnte, weil die Lage am Grundstücksmarkt und die allgemeine wirtschaftliche Depression eine angemessene Verwertung des Grundbesitzes der Liquidationsgesellschaft derzeit nicht möglich mache. Zwei Parzellen wurden 1934 verkauft und die Erlöse an die Hypothekengläubiger zur anteilmäßigen Befriedigung abgeführt.
3
Mit Kaufvertrag vom 7. Juli 1937 wurden die der Firma Kurt J. u. Co. i.L. gehörenden Grundstücke (zusammen 29 375 qm, darunter auch das streitgegenständliche, später abgeteilte Flurstück Nr. …) lasten- und hypothekenfrei der Stadt E. zur Errichtung von Volkswohnungen verkauft. Der Kaufpreis betrug 45 000 RM (1,53 RM/qm) und war durch die Stadthauptkasse bei Auflassung der Grundstücke an die Verkäuferin zu zahlen. Die Stadt E. wurde am 11. Oktober 1937 im Grundbuch als Eigentümerin eingetragen. Auf Antrag der Liquidatoren vom 18. Oktober 1937 wurde die Firma Kurt J. u. Co. i.L. am 26. Oktober 1937 im Handelsregister gelöscht.
4
Das streitgegenständliche Grundstück wurde nach 1945 als in Volkseigentum stehend in die Rechtsträgerschaft des VEB … und mit Vermögenszuordnungsbescheid vom 1. April 1992 auf den Eigentümer … E. übertragen. Mit Kaufvertrag vom 10. November 1997 wurde es an Wolfgang und Marianne G. veräußert. Die Klägerin erklärte später ihre Zustimmung zu diesem Verkauf.
5
Emil J. verstarb 1948 und wurde von seiner Witwe Adele J. allein beerbt. Diese verstarb 1963 und wurde von ihrem Sohn Ernst J. beerbt, der 1973 verstarb und von seiner Witwe Anna J. allein beerbt wurde. Die Klägerin ist alleinige Erbin der 1987 verstorbenen Hilda und Kurt J.
6
Am 12. September 1990 bevollmächtigte Anna J. notariell beglaubigt die Klägerin, alle Anträge und Anfragen hinsichtlich des in E. befindlichen Grundbesitzes oder anderweitigen Vermögens, soweit es in ihrem oder im Eigentum ihres verstorbenen Ehemannes steht, zu stellen. Die Klägerin sei zudem befugt, den entsprechenden Grundbesitz und das anderweitige Vermögen zu beliebigen Bedingungen zu veräußern, auch schenkweise und auch an sich selbst. Die Klägerin übertrug ausweislich einer notariellen Beglaubigung vom 12. Februar 2001 die vermögensrechtlichen Ansprüche der Anna J. im Oktober 1990 schenkweise an sich selbst.
7
Mit Antrag vom 18. September/1. Oktober 1990 meldete die Klägerin bei der Stadtverwaltung E. Ansprüche als Erbin für die Grundstücke in E., … an. Ausweislich des Antrages waren beigefügt u.a. “Protokoll des Verkaufs von Emil J. an die Stadt E. vom 7.7.1937” und “Verzichtserklärung von Aenne J. (wird nachgereicht)”. Das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen E. gab den Antrag zuständigkeitshalber nach § 25 VermG an das Thüringer Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen ab.
8
Im Verwaltungsverfahren trug die Klägerin vor, der Verkauf der Grundstücke ihrer Familie sei unter Zwang erfolgt, da die Familie der jüdischen Glaubensgemeinschaft angehört habe. Emil J. sei in der sog. Reichskristallnacht ins Konzentrationslager Buchenwald verbracht worden. Die Liquidation der Firma Kurt J. u. Co. i.L. sei beschlossen worden, weil ihr Vater Kurt J. schon seit 1929 keine Kunden mehr gefunden habe. Mit Schreiben vom 18. Oktober 1996 wies das Thüringer Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen die Klägerin darauf hin, dass das ehemalige Unternehmen Kurt J. u. Co. i.L. Geschädigte wäre.
9
Mit Bescheid vom 17. Juni 2003 lehnte das Thüringer Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen den Antrag der Klägerin im Wesentlichen mit der Begründung ab, die Voraussetzungen des § 1 Abs. 6 VermG lägen nicht vor.
10
Mit ihrer fristgemäß erhobenen Klage hat die Klägerin zunächst angekündigt zu beantragen, die Beklagte zu verpflichten, die im Einzelnen mit dem Altbestand angeführten Grundstücke an die Klägerin zurück zu übertragen. Das Verwaltungsgericht hat durch Beschluss vom 28. September 2004 die Verfahren nach den einzelnen Flurstücknummern und den jeweiligen Verfügungsberechtigten abgetrennt und unter neuen Aktenzeichen weitergeführt. Mit Beschluss vom 10. März 2008 hat es im vorliegenden Verfahren die B. beigeladen.
11
In der mündlichen Verhandlung vom 6. November 2008 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nach Erörterung der Sach- und Rechtslage beantragt, den Bescheid des Thüringer Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 17. Juni 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Berechtigung der Klägerin bezüglich der Teilfläche des heutigen Flurstücks Nr. … der Flur … von E., Blatt …, die vormals das Unternehmensgrundstück der Firma Kurt J. u. Co. i.L. ausmachte, festzustellen. Daraufhin hat das Verwaltungsgericht die Beiladung der B. aufgehoben.
12
Mit Urteil vom 6. November 2008 hat das Verwaltungsgericht den Bescheid des Thüringer Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 17. Juni 2003 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet festzustellen, dass das ehemalige Unternehmen Kurt J. u. Co. i.L. Berechtigte im Sinne des Vermögensgesetzes in Bezug auf die im Grundbuch von E. auf Blatt … eingetragene Teilfläche des Flurstücks Nr. … ist, die vormals im Eigentum der Firma Kurt J. u. Co. i.L. stand. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt, die Klägerin habe einen Anspruch auf die Feststellung der Beklagten, dass die Firma Kurt J. u. Co. i.L. Berechtigte im Sinne des § 6 Abs. 1a Satz 1 VermG bezüglich des in Streit stehenden Grundstücks ist. Der entgegenstehende Bescheid des Thüringer Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen sei rechtswidrig und verletze die Klägerin in ihren Rechten. Gemäß § 6 Abs. 1a Satz 1 VermG sei Berechtigter bei der Rückgabe oder Rückführung eines Unternehmens derjenige, dessen Vermögenswerte von Maßnahmen nach § 1 VermG betroffen seien. Der Anspruch der Klägerin hinsichtlich des streitgegenständlichen Flurstückes richte sich entsprechend dem Normzweck nach § 6 Abs. 1, Abs. 6a Satz 1 VermG und nicht nach § 3 Abs. 1 VermG, der Ansprüche der Einzelrestitution betreffe. Das Unternehmen selbst habe seinen Geschäftsbetrieb eingestellt und könne nicht mehr zurückgegeben werden. Der Antrag der Klägerin erfülle das erforderliche Quorum nach § 6 Abs. 1a VermG. Die Klägerin sei alleinige Rechtsnachfolgerin nach Kurt und Hilde J. und repräsentiere damit 50 % der Anteile. Weitere Anteile könne sie nicht in eigenem Namen auf sich vereinen. Sie habe allerdings als Vertreterin der Anne J. wirksam Ansprüche angemeldet. Die von der Klägerin aufgrund der von Anne J. erteilten Vollmacht vorgenommene Abtretung der vermögensrechtlichen Ansprüche an sich selbst sei nicht wirksam im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 3 VermG. Für die Anmeldung sei die Unwirksamkeit der Abtretung aber unschädlich, weil ihre Wirksamkeit nicht rückwirkend, sondern nur mit Wirkung für die Zukunft entfallen sei. Daraus folge, dass die von der Klägerin zuvor vorgenommenen Rechtshandlungen, die Anmeldung der vermögensrechtlichen Ansprüche für Anna J. als deren bevollmächtigte Vertreterin, ihre Wirksamkeit behalte. Anna J. repräsentiere als Erbeserbin nach Emil J. weitere 50 % der Anteile der ehemaligen Firma Kurt J. u. Co. i.L. Die Voraussetzungen des Schädigungstatbestandes des § 1 Abs. 6 Satz 1 VermG seien gegeben. Die Vermutung des § 1 Abs. 6 Satz 2 i.V.m. Art. 3 Abs. 2 und 3 REAO, dass es sich bei dem Verkauf der Grundstücke um einen verfolgungsbedingten Vermögensverlust gehandelt habe, sei nicht widerlegt.
13
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Verwaltungsgerichts haben sowohl die Klägerin als auch die Beklagte Beschwerde eingelegt. Mit Beschluss vom 12. Februar 2009 half das Verwaltungsgericht den Beschwerden ab und ließ die Revision zu.
14
Die Klägerin hat zunächst angekündigt, die Herausgabe des der Teilfläche entsprechenden Veräußerungserlöses an sie selbst zu beantragen. Im erstinstanzlichen Verfahren habe sie ihren Klageantrag auf die Berechtigtenfeststellung beschränkt. Nachdem das Verfahren jedoch nicht rechtskräftig abgeschlossen worden sei, verfolge sie ihren Hauptsacheanspruch mit dem Revisionsantrag weiter.
15
Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu Gunsten der Firma Kurt J. u. Co. i.L. verletze ihre Dispositionsbefugnis. Sie habe mit ihrem Antrag im erstinstanzlichen Verfahren die Verpflichtung der Beklagten begehrt, ihre Berechtigung – und nicht diejenige der Liquidationsgesellschaft – festzustellen. Eine Rückübertragung des untergegangenen Unternehmens sei ausdrücklich nicht beantragt worden.
16
Die Klägerin beantragt zuletzt,
unter Aufhebung des Bescheids des Thüringer Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 17. Juni 2003 und des Urteils des Verwaltungsgerichts Gera vom 6. November 2008 die Beklagte zu verpflichten, die Berechtigung der Klägerin bezüglich der Teilfläche des heutigen Flurstücks Nr. … der Flur …, eingetragen im Grundbuch von E., Blatt …, die vormals ein Unternehmensgrundstück der Firma Kurt J. u. Co. i.L. war, festzustellen
und
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
17
Im Übrigen hat die Klägerin ihre Revision zurückgenommen.
18
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen
und
das Urteil des Verwaltungsgerichts Gera vom 6. November 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
19
Das Urteil des Verwaltungsgerichts verletze § 30 Abs. 1 Satz 1 VermG, weil für das Unternehmen Kurt J. u. Co. i.L., dessen Berechtigung an dem betroffenen Vermögenswert festgestellt werden solle, keine Anmeldung vorgenommen worden sei. Deshalb bestehe auch kein materieller Anspruch auf Feststellung der Berechtigung des Unternehmens. Die Klage sei unbegründet, weil die Klägerin die Feststellung ihrer eigenen Berechtigung nicht beanspruchen könne.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben