Europarecht

2 WD 14/20

Aktenzeichen  2 WD 14/20

Datum:
15.4.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2021:150421U2WD14.20.0
Spruchkörper:
2. Wehrdienstsenat

Leitsatz

1. Eine Lösung von den tatsächlichen Feststellungen in einem sachgleichen rechtskräftigen Strafurteil gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 WDO ist dem Wehrdienstgericht bei einer offenkundigen Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften durch das Strafgericht nur möglich, wenn sich dadurch Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen im Strafurteil ergeben.
2. Unabhängig von der Vorgesetzteneigenschaft bildet beim Besitz kinder- und jugendpornographischer Dateien die Dienstgradherabsetzung den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen.

Verfahrensgang

vorgehend Truppendienstgericht Süd, 15. Januar 2020, Az: S 5 VL 36/16, Urteil

Tenor

Die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft gegen das Urteil der 5. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 15. Januar 2020 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Bund auferlegt, der auch die dem früheren Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen hat.

Tatbestand

1
Das disziplinargerichtliche Berufungsverfahren betrifft den Vorwurf des Besitzes kinder- und jugendpornographischer Dateien.
2
1. Der 19.. geborene, ledige und kinderlose frühere Soldat war nach seinem Hauptschulabschluss und einer Ausbildung zum Bäcker von April 2010 bis Ende März 2014 Zeitsoldat. Er wurde zuletzt 2011 zum Hauptgefreiten befördert und bei … als Richt- und Ladeschütze und Hilfsausbilder am Kampfpanzer Leopard 2 verwendet. Nach seinem Dienstzeitende bezog er bis Oktober 2014 Übergangsgebührnisse von monatlich 1 444,54 € netto und arbeitete zeitweise als Verkäufer in einer Bäckerei. Eine Übergangsbeihilfe von 8 439,52 € wurde einbehalten.
3
2. Mit rechtskräftigem Urteil vom 7. Mai 2015 verhängte das Amtsgericht Bad Salzungen gegen ihn im sachgleichen Strafverfahren wegen des Besitzes kinder- und jugendpornographischer Schriften eine Geldstrafe. Der Zentral- und Erziehungsregisterauszug vom 9. März 2021 verweist zudem auf mehrere Entscheidungen des Amtsgerichts Dresden aus den Jahren 2011 bis 2016, mit denen gegen den früheren Soldaten wegen des wiederholten Erschleichens von Leistungen Geldstrafen verhängt wurden. Der letzte Disziplinarbuchauszug vom 25. November 2013 enthält keine Einträge.
4
3. In dem am 26. Februar 2014 eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahren schuldigte die Wehrdisziplinaranwaltschaft den früheren Soldaten am 8. Dezember 2016 beim Truppendienstgericht wie folgt an:
“Der frühere Soldat hatte jedenfalls am 21.02.2013 während der Mittagspause in seiner Stube in …, …, auf ihm gehörenden digitalen Datenträgern (Festplatte Notebook und zwei externen Festplatten), wie er wusste, insgesamt 14 Bilder mit kinder- und jugendpornographischem Inhalt abgespeichert.”
5
Im Ermittlungsergebnis der Anschuldigungsschrift wurden folgende Feststellungen aus dem Urteil des Amtsgerichts Bad Salzungen vom 7. Mai 2015 zitiert:
“Am 21.02.2013 hatte der Angeklagte auf ihm gehörenden digitalen Datenträgern (Festplatte Notebook und 2 externe Festplatten) insgesamt 14 Bilder abgespeichert. All diese Bilddateien zeigten weibliche Personen und zwar in der Art und Weise, dass deren Geschlechtsteile in anreißerischen, ausschließlich auf die Genital-/Analregion reduzierten Posen dargestellt waren. Teilweise waren auch Manipulationen an den Geschlechtsteilen weiblicher Jugendlicher zu erkennen. Teilweise wurde auf den Bildern (mit Kindern) der Geschlechtsverkehr fotografisch dokumentiert, in einem Fall wurde der Analbereich eines Kindes zentral unter Aufweiten der Gesäßbacken dargestellt.
Das Lichtbild auf Seite 2 und die Lichtbilder auf Seite 4, mittlere Reihe, Bild 2 und 3, sowie unteres Bild zeigen jeweils Kinder. Dies ergibt sich aus der Physiognomie, dem Entwicklungsstand der Geschlechtsorgane wie zum Beispiel auch fehlende oder sich gerade ausbildende Schambehaarung. Insoweit wird auf die genannten Bilder Bezug genommen.
Die übrigen aufgeführten Lichtbilder zeigen Bilder von weiblichen Jugendlichen im Alter von zumindest zwischen 14 und 17 Jahren. Auch hier ergibt sich die Eigenschaft ‘jugendlich’ aus der Physiognomie, dem Körperbau und dem Entwicklungsstand der Geschlechtsorgane der abgebildeten Personen.”
6
4. Das Truppendienstgericht hat das Verfahren mit Urteil vom 15. Januar 2020 unter Feststellung eines Dienstvergehens eingestellt.
7
Die tatsächlichen Feststellungen im Strafurteil vom 7. Mai 2015 seien nicht bindend. Sie seien offenkundig unzureichend und widersprächen dem amtsgerichtlichen Sitzungsprotokoll. Im Urteil sei von 14 Bildern die Rede, obwohl der Beweismittelordner 15 Bilder enthalte. Auch zeigten nicht alle Bilder weibliche Personen so, dass deren Geschlechtsteile in anreißerischen, ausschließlich auf die Genital-/Analregion reduzierten Posen dargestellt seien. Ferner stammten zwei Bilder im Beweismittelordner aus einer Videodatei, während im Urteil nur von “Bilddateien” die Rede sei. Laut amtsgerichtlichem Sitzungsprotokoll sei in der Hauptverhandlung zudem lediglich Blatt 2 des Beweismittelordners in Augenschein genommen worden, auf dem nur ein einziges Bild abgedruckt sei.
8
Nach den eigenen Feststellungen der Kammer habe der frühere Soldat am 21. Februar 2013 in der Mittagspause auf seiner Stube in der Kaserne mit seinem Laptop im Internet gesurft, während sein Stubenkamerad, der damalige Stabsgefreite …, geschlafen habe. Dieser habe nach dem Aufwachen auf dem Bildschirm eine nackte Person gesehen und beim Ankleiden ein Symbol mit der Aufschrift “…” erkannt, welches der frühere Soldat wiederholt vergebens habe “wegdrücken” wollen. Bei der Auswertung von dessen Laptop und zwei externen Festplatten seien 31 470 Dateien untersucht worden. Die 15 ausgedruckten Bilder im Beweismittelordner bewerte die Kammer nicht als kinderpornographisch, aber in acht Fällen als jugendpornographisch; im Übrigen seien darauf Erwachsene abgebildet.
9
Der frühere Soldat habe durch sein Verhalten vorsätzlich seine Pflichten zum treuen Dienen und zum innerdienstlichen Wohlverhalten verletzt.
10
Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen sei beim Besitz von Kinder- und Jugendpornographie nach der Senatsrechtsprechung zwar eine Dienstgradherabsetzung. Allerdings sei in den betreffenden Fällen der Soldat – anders als hier – jeweils Vorgesetzter gewesen. Bei Soldaten ohne Vorgesetztenstellung sei als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen nur ein Beförderungsverbot angezeigt. Dies sei hier auch deshalb angezeigt, weil es nur um den Besitz von Jugendpornographie gehe. Eine Gleichsetzung mit Kinderpornographie sei wegen der sich aus den Strafrahmen ergebenden unterschiedlichen Unrechtsgehalte abzulehnen. Bei älteren Jugendlichen könne davon ausgegangen werden, dass sie sich bewusst seien, auf was sie sich bei solchen Aufnahmen einließen. So erweckten hier einige Bilder nicht den Anschein, dass die Jugendlichen sie mit Widerwillen über sich hätten ergehen lassen; der natürliche Gesichtsausdruck auf einem der Bilder zeige vielmehr Freude daran. Es gehe an der Lebenswirklichkeit vorbei, anzunehmen, dass alle jugendpornographischen Bilder ausgenutzte, die Folgen ihres Handelns nicht erkennende jugendliche Opfer zeigten.
11
Auf der zweiten Stufe der Zumessungserwägungen sei vor allem wegen der geringen Anzahl an Bildern, des langen Zurückliegens der Tat und der dem früheren Soldaten wegen des Disziplinarverfahrens entgangenen Regelbeförderung zum Stabsgefreiten ein Übergang zur Maßnahmeart der Ruhegehaltskürzung geboten. Da sie aber nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 WDO nicht verhängt werden dürfe, sei das Verfahren einzustellen.
12
5. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft hat gegen das Urteil uneingeschränkt Berufung mit dem Ziel einer Aberkennung des Ruhegehalts des früheren Soldaten eingelegt. Die tatsächlichen Feststellungen im rechtskräftigen Strafurteil seien bindend. Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen müsse die Höchstmaßnahme sein, ohne dass zwischen Vorgesetzten und Mannschaftsdienstgraden zu unterscheiden sei. Gründe für ein Abweichen lägen nicht vor.
13
6. Hinsichtlich der Einzelheiten zur Person des früheren Soldaten, zur Anschuldigung und zur Begründung des erstinstanzlichen Urteils wird auf dieses verwiesen. Zu den im Berufungsverfahren eingeführten Unterlagen wird auf das Protokoll der Berufungshauptverhandlung Bezug genommen.


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