Europarecht

37 O 14213/21

Aktenzeichen  37 O 14213/21

Datum:
11.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 4918
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Verfügungsbeklagten wird bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, wobei die Ordnungshaft am gesetzlichen Vertreter der Verfügungsbeklagten zu vollziehen ist,
untersagt,
das mit Bekanntmachung im Bundesanzeiger vom 29.12.2017 begonnene Verfahren zur Neuvergabe des Wegenutzungsvertrages zur Verlegung und zum Betrieb von Stromversorgungsanlagen zur unmittelbaren Versorgung von Letztverbrauchern im Gemeindegebiet der Gemeinde L. für den Gemeindebereich „…“ fortzusetzen und den ausgeschriebenen Wegenutzungsvertrag mit den Stadtwerken L. abzuschließen, ohne dass sie zuvor
a) der Verfügungsklägerin in den Geschäftsräumen der Verfügungsbeklagten unter Wahrung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen konkurrierender Bewerber, die sie nach eigener offenzulegender Begründetheitsprüfung für berechtigt hält, Einsicht in die Originalakten des gesamten Verfahrens, insbesondere
– in die Korrespondenz der Vergabestelle mit den Bewerbern,
– in die von diesen eingereichten Unterlagen,
– in den die jeweiligen Verfahrensschritte vorbereitenden internen Schriftverkehr der verfahrensführenden Stelle,
– in den Schriftverkehr mit den beratenden Rechtsanwälten oder anderen technischen oder energiewirtschaftlichen Beratern,
– in den Schriftverkehr mit anderen Verwaltungsstellen der Gemeinde und mit Aufsichtsbehörden,
– in die Protokolle von Besprechungen und Bewerberpräsentationen,
– in Protokolle von Nachverhandlungen mit Bewerbern,
– in Verwaltungsanweisungen zur Wahrung des Geheimnisschutzes sowie der organisatorischen und personelle Trennung von Vergabestelle und gemeindeeigenem Bewerber,
– in die Unterlagen zur Auswertung der von den Bewerbern eingereichten Angebote, insbesondere der Auswertungsvermerk und die Bepunktung der verschiedenen Angebote und
– in die Angebote selbst
gewährt,
b) der Verfügungsklägerin die Gelegenheit gibt, gegen die Vergabeentscheidung Rügen innerhalb der gesetzlichen Rügefrist von 30 Kalendertagen ab dem Tag der Bereitstellung der Akten zu erheben oder bereits vorab erhobene Rügen nach Akteneinsicht zu ergänzen,
c) über erhobene bzw. noch zu ergebende Rügen entscheidet und
d) das Vollzugsverbot gemäß § 47 Abs. 6 EnWG beachtet.
2. Die Verfügungsbeklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Gründe

Der zulässige Antrag ist vollumfänglich begründet. Die Verfügungsklägerin hat glaubhaft gemacht, von der Verfügungsbeklagten unbillig behindert worden zu sein, indem ihr nach Art und Umfang nur unzureichend Einsicht gemäß § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG in die Akten des Konzessionsvergabeverfahrens betreffend das Gemeindegebiet „…“ gewährt wurde. Die Verfügungsbeklagte hat den Vertragsschluss mit den Stadtwerken L. daher gemäß §§ 33 Abs. 1, Abs. 2, 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB zu unterlassen, bis der Verfügungsklägerin ordnungsgemäße Akteneinsicht gewährt wurde und sie hieraus gegebenenfalls ersichtliche Rügen im Rahmen der nach § 47 Abs. 2 Satz 3, Abs. 5 Satz 1 EnWG vorgesehenen Fristen geltend machen konnte. Die Verfügungsklägerin kann den ihr dementsprechend zustehenden Anspruch gemäß § 47 Abs. 5 Satz 3 EnWG im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens geltend machen.
A.
Der von der Verfügungsklägerin gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig.
I. Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist gemäß § 47 Abs. 5 Satz 1 EnWG eröffnet. Die sachliche Zuständigkeit des Landgericht München I folgt aus § 87 Satz 1 GWB. Die örtliche Zuständigkeit ist gemäß §§ 32 ZPO, 89 Abs. 1 GWB, 33 Abs. 1 Nr. 1 GZVJu begründet.
II. Der Verfügungsantrag ist hinreichend bestimmt, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
Im Falle eines wie hier geltend gemachten Unterlassungsanspruchs muss die zu untersagende Verhaltensweise durch gegenständliche Beschreibung so konkret bezeichnet sein, dass der Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis mit Blick auf § 308 ZPO klar abgegrenzt ist, Inhalt und Umfang der materiellen Rechtskraft der begehrten Entscheidung gemäß § 322 ZPO erkennbar sind, das Risiko des (eventuell teilweisen) Unterliegens der Klagepartei nicht durch vermeidbare Ungenauigkeit auf die beklagte Partei abgewälzt und eine etwaige Zwangsvollstreckung nicht mit einer Fortsetzung des Streits im Vollstreckungsverfahren belastet wird (vgl. Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 253 ZPO, Rn. 13). Dabei sind gewisse Verallgemeinerung zulässig, wenn darin wenigstens das Charakteristische des konkreten Verletzungstatbestandes zum Ausdruck kommt (BGH, Urt. v. 16.03.2000, Az. I ZR 229/97 = WRP 2000, 1131, 1132 – Lieferstörung; BGH, Urt. v. 23.06.1994, Az. I ZR 15/92 = NJW 1994, 2820, 2822 – Rotes Kreuz).
Der Antrag der Verfügungsklägerin lässt das von ihr verfolgte Rechtsschutzziel hinreichend klar und eindeutig erkennen und ermöglicht der Verfügungsbeklagten, sich erschöpfend zu verteidigen. Mit dem für die vorliegende Entscheidung maßgeblichen Antrag zu I. will die Verfügungsklägerin erreichen, dass der Verfügungsbeklagten der Abschluss des Konzessionsvertrages untersagt wird, bis ordnungsgemäß Akteneinsicht in die Verfahrensakte des Konzessionsvergabeverfahrens genommen und die sich daraus ergebenden Rügen vorgetragen werden konnten. Hinreichend deutlich gehen aus dem von der Verfügungsklägerin gestellten Antrag auch Art und Umfang der geltend gemachten Akteneinsicht hervor.
B.
Der Verfügungsklägerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch auf der Rechtsgrundlage der §§ 33 Abs. 1, Abs. 2, 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB i.V.m. § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG zu. Die Verfügungsklägerin hat glaubhaft gemacht, dass die Verfügungsbeklagte ihr im Rahmen des Konzessionsvergabeverfahrens „…“ nach Art und Umfang nur unzureichend Akteneinsicht gewährt und sie damit in kartellrechtswidriger Weise unbillig behindert hat. Die Rüge des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung durch unzureichende Gewährung von Akteneinsicht hat die Verfügungsklägerin form- und fristgerecht im Rahmen eines Rügeverfahrens nach § 47 Abs. 5 EnWG geltend gemacht (nachfolgend Ziff. I.). In der Sache ist die Rüge berechtigt (nachfolgend Ziff. II.). Eine zeitliche Einschränkung auf die Aktenbestandteile nach dem Versand des 1. Verfahrensbriefs am 02.05.2018 ist ebenso wenig angezeigt wie eine Herausnahme der Aktenbestandteile, die Gegenstand des Vorprozesses unter dem Aktenzeichen LG München I, 37 O 11966/18, und dem nachfolgenden Berufungsverfahren waren (nachfolgend Ziff. III.).
I. Die Verfügungsklägerin hat das ihr gemäß § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG zustehende Akteneinsichtsrecht in ihrem der Kammer als Anlage Ast. 7 vorliegenden Schreiben vom 21.11.2019 form- und fristgemäß im Rahmen des Rügeverfahrens nach § 47 Abs. 5 EnWG geltend gemacht.
1. Insbesondere ist die Verfügungsklägerin berechtigt, die unzureichende Akteneinsicht im Rahmen eines Rügeverfahrens nach § 47 Abs. 5 EnWG geltend zu machen. Entgegen der Ansicht der Verfügungsbeklagten ist die Frage der ordnungsgemäßen Akteneinsicht dabei unabhängig von den im einzelnen vorgetragenen Rügen zu beantworten (so auch OLG Düsseldorf, Urt. v. 04.11.2020, Az. I-27 U 3/20 = NZBau 2021, 283, 285 Tz. 33; KG, Urt. v. 24.09.2020, Az. 2 U 93/19, juris Tz. 94; OLG Dresden, Urt. v. 18.09.2019, Az. U 1/19 Kart, juris Tz. 27; Pfeiffer in: Assmann/Pfeiffer, BeckOK EnWG, 1. Edition, Stand: 15.07.2021, EnWG, § 47 Rn. 14; Wegner in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 4. Aufl. 2019, EnWG, § 47 Rn. 33; a.A. LG Stuttgart, 18.02.2021, Az. 11 O 398/20 = EnWZ 2021, 324, 326 Tz. 32 und wohl auch, letztlich aber offen gelassen, OLG Koblenz, Urt. v. 12.09.2019, Az. U 678/19 Kart, juris Tz. 26). Die von der Verfügungsbeklagten auf die vorgenannten Urteile des Landgerichts Stuttgart und des Oberlandesgerichts Koblenz gestützte Argumentation ist nach dem Dafürhalten der Kammer sowohl aus gesetzessystematischen Gründen (a.) als auch mit Blick auf den Wortlaut (b.) und die mit dem Rüge- und Präklusionsregime der §§ 46, 47 EnWG bezweckte Verfahrensbeschleunigung (c.) abzulehnen.
a. Eine systematische Auslegung des § 47 Abs. 3 EnWG spricht dafür, dass rechtswidrige Entscheidungen einer Gemeinde über die nach dieser Vorschrift zu gewährende Akteneinsicht eine im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens nach § 47 Abs. 5 EnWG isoliert, d.h. unabhängig von konkreten Sachrügen rügefähige Rechtsverletzung darstellen. Zwar kann nach der vergaberechtlichen Vorschrift des § 165 Abs. 4 GWB die Versagung der Akteneinsicht nur im Zusammenhang mit der sofortigen Beschwerde in der Hauptsache angegriffen werden. Gleiches gilt nach allgemeinem Verwaltungsrecht. Gemäß § 44 a Satz 1 VwGO können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen, zu denen auch die (Nicht-) Gewährung von Akteneinsicht gemäß Art. 29 BayVwVfG zählt, nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Im Gegensatz dazu fehlt eine entsprechende Regelung im Rahmen der konzessionsvergaberechtlichen Vorschriften der §§ 46, 47 EnWG. Das Fehlen einer in dem verwandten Regelungsbereich des allgemeinen Vergabeverfahrens ausdrücklich vorgesehenen Beschränkung der Anfechtbarkeit behördlicher Gewährung von Akteneinsicht zwingt in dogmatischer Hinsicht aber schon vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 GG dazu, von einer analogen Anwendung abzusehen und vielmehr im Umkehrschluss von einer uneingeschränkten, eigenständigen Anfechtbarkeit der fraglichen behördlichen Handlung auszugehen.
b. Dass das Akteneinsichtsrecht des § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG als ein von den möglichen Sachrügen unabhängiger, eigenständiger Anspruch ausgestaltet ist, entspricht überdies auch einer am ausdrücklichen Zweck der Regelung orientierten Auslegung. Dem Wortlaut des § 47 Abs. 3 EnWG zufolge dient das Akteneinsichtsrecht ausdrücklich „zur Vorbereitung einer Rüge nach [§ 47] Abs. 2 Satz 3 [EnWG]“. Der unterlegene Konzessionsbewerber soll also in die Lage versetzt werden, die zu seinen Lasten getroffene Auswahlentscheidung der fraglichen Gemeinde auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Eine dahingehende Überprüfung muss mit Blick auf den Zweck der Vorbereitung möglicher Rügen allerdings die Möglichkeit einschließen, eine rügefähige Rechtsverletzung als solche überhaupt erst auf der Grundlage der im Rahmen der Akteneinsicht gewonnenen Informationen zu erkennen (Wegner in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 4. Aufl. 2019, EnWG, § 47 Rn. 33; Pfeiffer in: Assmann/Pfeiffer, BeckOK EnWG, 1. Edition, Stand: 15.07.2021, EnWG § 47 Rn. 14; Czernek, EnWZ 2018, 99, 101 f.). Wenn aber die Akteneinsicht den Zweck verfolgt, mögliche Rügen überhaupt erst zu entdecken, wäre es bereits im Ansatz widersinnig, die Geltendmachung des Akteneinsichtsrechts von einer zugleich vorzubringenden Sachrüge abhängig zu machen.
c. Darüber hinaus würde der von der Verfügungsbeklagten vertretene Ansatz den mit den Regelungen der §§ 46, 47 EnWG verfolgten Zweck der Verfahrensbeschleunigung konterkarieren. Dem vom Gesetzgeber beabsichtigten Zweck der Rechtssicherheit und Verfahrensbeschleunigung entspricht es vielmehr, in einem ersten Schritt sicherzustellen, dass im gebotenen Umfang Akteneinsicht gewährt wird. So wird der erfolglose Konzessionspetent in die Lage versetzt, mögliche Rügen zunächst fundiert zu prüfen und nach Gewährung der (vollständigen) Akteneinsicht binnen der gesetzlich vorgesehenen Frist des § 47 Abs. 2 Sätze 3 und 4 EnWG von 30 Kalendertagen einheitlich und umfassend geltend zu machen. Nach der von der Verfügungsbeklagten vertretenen Ansicht müsste der unterlegene Konzessionspetent dagegen zweistufig vorgehen. In einem ersten Schritt wäre er gehalten, aus Vorsichtsgründen zur Vermeidung einer möglichen Präklusion binnen der 30-Tage-Frist gemäß § 47 Abs. 2 Satz 3 EnWG sämtliche denkbaren Rügen – gegebenenfalls sogar ins Blaue hinein – geltend zu machen. In einem zweiten Schritt müsste er dann nach gewährter Akteneinsicht erneut die sich gegebenenfalls weiter ergebenden Rügen geltend machen. In der Folge eines solchermaßen gestuften Vorgehens kann es letztlich auch zu einer Doppelung gerichtlicher Verfahren kommen. Sollte die Gemeinde den zunächst geltend gemachten Rügen nicht abgeholfen haben, könnte der unterlegene Konzessionsbewerber bereits ein erstes Gerichtsverfahren nach § 47 Abs. 5 EnWG einleiten. Ein weiteres Gerichtsverfahren müsste er sodann einleiten, falls die Gemeinde den weiteren, im Rahmen der Akteneinsicht gegebenenfalls weiter entdeckten Rügen gleichfalls nicht abhelfen würde. Eine dahingehende Doppelung gerichtlicher Verfahren zur Überprüfung konzessionsvergaberechtlicher Auswahlentscheidungen kann bereits dadurch vermieden werden, dass – die aus Sicht der Kammer im Anschluss an die Oberlandesgerichte Düsseldorf und Dresden sowie das Kammergericht Berlin zutreffende Auffassung zu Grunde gelegt – in einem ersten Schritt dem Gesetzeswortlaut entsprechend unabhängig von konkret vorzutragenden Rügen umfassend Akteneinsicht gewährt wird. Dem unterlegenen Petenten ist es dann möglich, auf der Grundlage vollständiger Kenntnis der relevanten Verfahrensdetails in einem Zuge umfassend sämtliche relevanten Rügen substantiiert vorzutragen.
2. Die Verfügungsklägerin hat das ihr zustehende Akteneinsichtsrecht zudem form- und fristgerecht geltend gemacht.
a. Gemäß § 47 Abs. 3 Satz 2 EnWG ist der Antrag auf Akteneinsicht in Textform innerhalb einer Woche ab Zugang der Information nach § 46 Abs. 5 Satz 1 EnWG zu stellen. § 46 Abs. 5 Satz 1 EnWG verpflichtet die Gemeinde als Vergabestelle, die Unternehmen, deren Angebote nicht angenommen werden sollen, über die Gründe der vorgesehenen Ablehnung ihres Angebots und über den frühesten Zeitpunkt des beabsichtigten Vertragsschlusses in Textform zu informieren. Die Verfügungsbeklagte hat ihre Vergabeentscheidung mit Schreiben vom 14.11.2019, der Verfügungsklägerin zugegangen am 15.11.2019, bekannt gegeben (Anlagen Ast. 4, Ast. 5 und Ast. 6). Mit Schreiben vom 21.11.2019, der Verfügungsbeklagten am selben Tag und damit binnen der gemäß § 47 Abs. 3 Satz 2 EnWG vorgesehenen Wochenfrist zugegangen, hat die Verfügungsklägerin in Textform ihren Akteneinsichtsanspruch gemäß § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG geltend gemacht (Anlagen Ast. 7, Ast. 8 und Ast. 9).
b. Dem kann die Verfügungsbeklagte nicht entgegenhalten, dass die Verfügungsklägerin mit dem Schreiben vom 21.11.2019 lediglich Einsicht in den Auswertungsvermerk begehrt, ein umfassendes Akteneinsichtsrecht aber erst mit Schreiben vom 12.05.2020 (Anlage Ast. 16) und damit nach Ablauf der gesetzlich vorgesehenen Wochenfrist geltend gemacht habe. Es ist insoweit schlicht falsch, wenn die Verfügungsbeklagte behauptet, dass die Verfügungsklägerin auf Seite 2 ihres Schreibens vom 21.11.2019 (Anlage Ast. 7) den Umfang des Akteneinsichtsgesuchs als „Anspruch auf Einsicht in den Auswertungsvermerk“ gekennzeichnet habe (so aber die Verfügungsbeklagte ausdrücklich auf Seite 10 der Klageerwiderung vom 24.11.2021, Bl. 107 d. Akte). Auf Seite 1 des Schreibens vom 21.11.2019 macht die Verfügungsklägerin gemäß § 47 Abs. 2 Sätze 3 und 4, Abs. 3 i.V.m. § 46 Abs. 5 Satz 1 EnWG einen explizit als solchen bezeichneten – dies an zentrierter Stelle im Fettdruck hervorgehoben – „Anspruch auf Akteneinsicht“ geltend. Dass die Verfügungsklägerin diesen unmissverständlich als solchen geltend gemachten Anspruch auf Akteneinsicht auf Seite 2 des Schreibens auf den Auswertungsvermerk beschränkt haben sollte, ist nicht nachvollziehbar. Aus Sicht der Kammer betritt die Verfügungsbeklagte mit ihrer Argumentation vielmehr einen schmalen Grat zwischen (noch) zulässiger Auslegung schriftsprachlicher Äußerungen und unzulässiger Missachtung der prozessualen Wahrheitspflicht. Ob sich die Verfügungsbeklagte hier noch im zulässigen Rahmen bewegt, braucht an dieser Stelle indes nicht entschieden zu werden. Fest steht jedenfalls, dass die behauptete Selbstbeschränkung nicht vorliegt. Das Schreiben ist – was die Verfügungsbeklagte grundlegend verkennt – im Gesamtzusammenhang zu betrachten und darf nicht auf eine willkürlich aus dem Zusammenhang gerissene Teilaussage reduziert werden. Der objektive Empfänger erkennt aber neben der eindeutigen Kennzeichnung als „Anspruch auf Akteneinsicht“ gleichfalls unmissverständlich bereits auf Seite 1 des insgesamt nur drei Seiten umfassenden Schreibens, dass die Verfügungsklägerin explizit um Mitteilung bittet, wann die Verfahrensakten zur Einsicht in den Geschäftsräumen der Verfügungsbeklagten aufliegen. Die weiteren Ausführungen ergänzen und konkretisieren den geltend gemachten Akteneinsichtsanspruch lediglich. Auf Seite 2 erfolgt im ersten Absatz ein „vorsorglicher“ Hinweis darauf, „dass es einen Verstoß gegen das Transparenzgebot darstellt, wenn die beantragte Akteneinsicht nach § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG nicht gewährt wird“. Im zweiten Absatz weist die Verfügungsklägerin „der guten Ordnung halber (…) desweiteren darauf hin, dass im Rahmen der Akteneinsicht grundsätzlich ein Anspruch auf Einsicht in den Auswertungsvermerk besteht.“ Zudem führt die Verfügungsklägerin aus, dass aus ihrer Sicht auch Rücksprache mit den Stadtwerken L. wegen möglicher Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse gehalten werden müsse. Eine pauschale Verweigerung der Einsicht in Angebotsunterlagen wegen möglicher Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse bezeichnet die Verfügungsklägerin im darauffolgenden dritten Absatz als rechtlich nicht haltbar. Der Wortlaut des Schreibens lässt dabei aber in unmissverständlicher Weise erkennen, dass die Einsicht in den Auswertungsvermerk „im Rahmen der Akteneinsicht“, d.h. als ausschnittsweiser Teil der Einsicht in die Verfahrensakten zu gewähren ist. Dem entspricht es auch, dass die Verfügungsklägerin auf Seite 3 ihres Schreibens vom 21.11.2019 wiederum ausdrücklich auf die zu gewährende „Akteneinsicht“ abstellt, und gerade nicht – wie die Verfügungsbeklagte behauptet – auf eine Einsicht in den Auswertungsvermerk.
II. In der Sache liegen die Voraussetzungen der von der Verfügungsklägerin geltend gemachten Rüge des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung durch unzureichende Akteneinsicht vor. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch ergibt sich aus § 33 Abs. 1, Abs. 2 GWB. Gemäß § 33 Abs. 1 GWB besteht bei Verstößen gegen den ersten Teil des GWB und damit gegen das Missbrauchsverbot des § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB bei Vorliegen von Wiederholungsgefahr ein Unterlassungsanspruch. Unabhängig von einem bereits erfolgten Verstoß gegen das Missbrauchsverbot sieht § 33 Abs. 2 GWB einen Unterlassungsanspruch bereits dann vor, wenn ein entsprechender Verstoß droht. Gemäß § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB ist ein Verstoß gegen das Missbrauchsverbot insbesondere dann anzunehmen, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen ein anderes Unternehmen unmittelbar oder mittelbar unbillig behindert. Die Verfügungsbeklagte hat die Verfügungsklägerin unbillig behindert, indem sie mit dem Nichtabhilfeschreiben vom 11.10.2021 (Anlage Ast. 18) die beantragte Akteneinsicht abgelehnt hat.
1. Die Verfügungsbeklagte ist als Unternehmen Adressat des kartellrechtlichen Behinderungsverbotes gemäß § 19 Abs. 1 GWB. Gemeinden werden bei der Vergabe von Wegenutzungsverträgen trotz ihrer Eigenschaft als Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts als Unternehmen im kartellrechtlichen Sinne tätig. Die Vergabe von Wegenutzungsrechten an den in ihrem Eigentum stehenden Grundstücken an mögliche Stromversorgungsunternehmen zum Zweck der Verlegung und des Betriebs von Stromversorgungsleitungen stellt ein privatrechtliches Handeln dar, mit dem eine Gemeinde die ihr als Grundeigentümerin zustehenden Wegerechte wirtschaftlich verwertet (BGH, Urt. v. 17.12.2013, Az. KZR 66/12 = NVwZ 2014, 807, 810 Tz. 19, 21 – Stromnetz Berkenthin; BGH, Beschl. v. 11.03.1997, Az. KZR 2/96 = GRUR 1997, 770, 771 – Erdgasdurchleitung; OLG Düsseldorf, 04.11.2020, Az. I-27 U 3/20 = NZBau 2021, 283, 284 Tz. 25; OLG Stuttgart, Beschl. v. 07.11.2013, Az. 201 Kart 1/13 = EnWZ 2014, 83, 85).
2. Die Verfügungsklägerin ist auf dem hier relevanten Markt für die Vergabe von Wegenutzungsverträgen i.S.v. § 46 EnWG für Stromleitungen im Gemeindegebiet „…“ als die in ihrem Gemeindegebiet alleinige Anbieterin marktbeherrschend (BGH, Urt. v. 17.12.2013, Az. KZR 66/12 = NVwZ 2014, 807, 809 Tz. 22 – Stromnetz Berkenthin; OLG Düsseldorf, 04.11.2020, Az. I-27 U 3/20 = NZBau 2021, 283, 284 Tz. 25; OLG Dresden, Urt. v. 18.09.2019, Az. U 1/19 Kart, juris Tz. 25). Nichts anderes ergibt sich daraus, dass es hier nur um die Stromkonzession für das Teilgebiet „…“ des Gemeindegebiets der Verfügungsbeklagten geht. Entscheidend ist, dass innerhalb des gesamten Gemeindegebiets der Verfügungsbeklagten und damit auch im Teilgebiet „…“ keine Ausweichmöglichkeiten bestehen, um das Leitungsnetz zur Sicherstellung der Stromversorgung der im fraglichen Gebiet ansässigen Anwohner verlegen und betreiben zu können. Die Verfügungsbeklagte besitzt auch insoweit das Monopol für die Vergabe von Wegenutzungsverträgen in ihrem Gemeindegebiet.
3. Die Verfügungsbeklagte hat ihre marktbeherrschende Stellung entgegen dem Verbot des § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB bereits dadurch missbraucht, dass sie den der Verfügungsklägerin gemäß § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG zustehenden Anspruch auf Akteneinsicht nur unzureichend erfüllt und die Verfügungsklägerin damit im Rahmen des Konzessionsvergabeverfahrens „…“ unbillig behindert hat. Darüber hinaus droht eine Vertiefung dieser Rechtsverletzung durch den Abschluss des Stromkonzessionsvertrages der Verfügungsbeklagten mit den Stadtwerken L., wenn nicht zuvor in ordnungsgemäßer Weise und in ordnungsgemäßem Umfang Akteneinsicht gewährt wird (vgl. OLG Düsseldorf, NZBau 2021, 283, 284 Tz. 22; KG, Urt. v. 24.09.2020, Az. 2 U 93/19, juris Tz. 92; OLG Dresden, Urt. v. 18.09.2019, Az. U 1/19 Kart, juris Tz. 26/27).
a. Für die Beurteilung der Frage, ob eine Gemeinde im Rahmen eines Konzessionsvergabeverfahrens nach § 46 EnWG einen Bewerber unbillig behindert hat, gilt in rechtlicher Hinsicht Folgendes:
aa. Ob eine unbillige Behinderung vorliegt, ist auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung und Abwägung aller beteiligten Interessen zu beurteilen, die sich an der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Funktion des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen zu orientieren hat (st. Rspr., statt vieler: BGH, Urt. v. 23.01.2018, Az. KZR 48/15 = WuW 2018, 326, 329 Tz. 34; Markert/Fuchs in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl. 2020, GWB, § 19 Rn. 106).
bb. Im Falle der Vergabe von Wegenutzungsverträgen i.S.v. § 46 EnWG ist im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung auf Seiten der Verfügungsbeklagten die kommunale Selbstverwaltungsgarantie gemäß Art. 28 Abs. 2 GG zu berücksichtigen, die einer Gemeinde das Recht zur eigenverantwortlichen Regelung aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft einräumt. Das Recht auf kommunale Selbstverwaltung besteht indes nicht schrankenlos, sondern gilt nur im Rahmen der allgemeinen Gesetze (vgl. BGH, Urt. v. 17.12.2013, Az. KZR 66/12 = NVwZ 2014, 807, 810 Tz. 31 – Stromnetz Berkenthin). Das Energiewirtschaftsgesetz als ein solches Gesetz bestimmt aber, dass den Gemeinden auf dem Gebiet des Netzbetriebs im Rahmen der Vergabe von Wegenutzungsverträgen i.S.v. § 64 EnWG die Rolle zukommt, einen Wettbewerb um die auf ihrem Gemeindegrund liegenden Netze zu veranstalten (OLG Schleswig, Urt. v. 22.11.2012, Az. 16 U (Kart) 21/12 = EnWZ 2013, 76, 78).
cc. In wettbewerblicher Hinsicht besteht bei der Vergabe von Wegenutzungsverträgen die Besonderheit, dass die Gemeinde als Vergabestelle in ihrem Gemeindegebiet die einzige Anbieterin möglicher Wegerechte ist. Mögliche Vertragspartner sind mit Blick auf diese monopolartige Stellung in besonderem Maße von der jeweiligen Gemeinde abhängig. Aus dieser wettbewerblichen Machtstellung resultiert eine besondere Pflicht der Gemeinden zur Offenhaltung des Marktzugangs und Sicherstellung eines Leistungswettbewerbs um die Vergabe von Stromkonzessionen. Entsprechende Leistungskriterien haben sich dabei an dem spezifischen Sinn und Zweck des Energiewirtschaftsgesetzes zu orientieren. Die Gemeinde muss daher sicherstellen, dass im Rahmen des Konzessionsvergabeverfahrens der Netzbetreiber ermittelt wird, der nach seiner personellen und sachlichen Ausstattung, seiner fachlichen Kompetenz und seinem Betriebskonzept am besten geeignet ist, eine gemäß § 1 Abs. 1 EnWG möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität, die zunehmend auf erneuerbaren Energien beruht, sicherzustellen (OLG Dresden, Urt. v. 18.09.2019, Az. U 1/19 Kart, juris Tz. 23; BT-Drs. 18/8184, 8). Gemäß § 1 Abs. 2 EnWG ist hierzu ein wirksamer und unverfälschter Wettbewerb bei der Versorgung mit Elektrizität und der Sicherung eines langfristig angelegten leistungsfähigen und zuverlässigen Betriebs von Energieversorgungsnetzen zu gewährleisten (vgl. BT-Drs. 18/8184, 25).
dd. Wirksamer und unverfälschter Wettbewerb setzt aber unabdingbar voraus, dass die Vergabe im Rahmen eines transparenten, fairen und nicht-diskriminierenden Verfahrens erfolgt. Dabei kommt gerade in Fällen der Teilnahme kommunaler Eigengesellschaften dem das gesamte Konzessionsvergabeverfahren umfassende und dieses übergreifende Transparenzgebot eine fundamentale Bedeutung zu. Denn die Gemeinde ist auf Grund des von ihr letztlich sicherzustellenden Leistungswettbewerbs und dem ihr obliegenden Diskriminierungs- und Willkürverbot sowie unter dem Gesichtspunkt des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 GG gehalten, den mit Blick auf die Kriterien des § 1 Abs. 1 EnWG am besten geeigneten Bewerber zu wählen (vgl. BGH, Urt. v. 17.12.2013, Az. KZR 65/12 = BeckRS 2014, 5313 Tz. 51/52 – Stromnetz Heiligenhafen). Konkret folgt hieraus insbesondere die einer Gemeinde obliegende Pflicht, sämtlichen Konzessionsbewerbern die für die Vergabeentscheidung maßgeblichen Kriterien vorab vollständig, klar und nachvollziehbar mitzuteilen und nach erfolgter Auswahlentscheidung deren Grundlagen sowie die Art und Weise deren Zustandekommens gleichfalls vollständig, klar und nachvollziehbar offenzulegen (vgl. BGH, Urt. v. 07.09.2021, Az. EnZR 29/20 = NVwZ 2022, 26, 27 Tz. 9/12 – Gasnetz Rösrath; BGH, Urteil v. 28.01.2020, Az. EnZR 116/18 = NZKart 2020, 253, 254 Tz. 14 ff. – Stromnetz Steinbach; OLG Brandenburg, Urt. v. 19.07.2016, Az. Kart U 1/15 = BeckRS 2016, 15145 Tz. 44/45, 57; OLG München, Beschl. v. 08.11.2010, Az. Verg 20/10 = BeckRS 2010, 28709). Grenzen findet das Transparenzgebot nur in möglichen berechtigten Geheimhaltungsinteressen konkurrierender Mitbewerber (vgl. OLG München, Beschl. v. 08.11.2010, Az. Verg 20/10 = BeckRS 2010, 28709 sowie vgl. BGH, Urt. v. 07.09.2021, Az. EnZR 29/20 = NVwZ 2022, 26, 27 Tz. 13/14 – Gasnetz Rösrath).
ee. Vor dem Hintergrund dieser, im Rahmen von Konzessionsvergabeverfahren grundlegenden Bedeutung des Transparenzgebotes hat der Gesetzgeber mit der am 03.02.2017 in Kraft getretenen Regelung des § 47 Abs. 3 EnWG eine ausdrückliche gesetzliche Pflicht der Gemeinde formuliert, jedem an einem Konzessionsvergabeverfahren beteiligten Unternehmen zur Vorbereitung einer Rüge betreffend die Auswahlentscheidung vorbehaltlich berechtigter Geheimhaltungsinteressen Einsicht in die Verfahrensakten zu gewähren und auf dessen Kosten Ausfertigungen, Auszüge oder Abschriften zu erteilen. Dem spezialgesetzlich geregelten Akteneinsichtsrecht nach Maßgabe des § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG kommt damit eine für die Erfüllung des konzessionsvergaberechtlichen Transparenzgebots und die Gewährung wettbewerblicher Chancengleichheit der teilnehmenden Konzessionsbewerber grundlegende Bedeutung zu. Verkennt eine Gemeinde daher die ihr obliegenden Transparenzpflichten, indem sie Akteneinsicht nicht oder nur unzureichend gewährt, behindert sie im Konzessionsvergabeverfahren unterlegene Bewerber zugleich in deren Chancen auf Zugang zu dem jeweiligen relevanten Energieversorgungsmarkt (so i.E. auch OLG Düsseldorf, NZBau 2021, 283, 284 Tz. 22; KG, Urt. v. 24.09.2020, Az. 2 U 93/19, juris Tz. 92; OLG Dresden, Urt. v. 18.09.2019, Az. U 1/19 Kart, juris Tz. 26/27; für die Rechtslage vor Inkrafttreten des § 47 EnWG n.F. auch bereits BGH, Urt. v. 07.09.2021, Az. EnZR 29/20 = NVwZ 2022, 26, 27 Tz. 9/12 – Gasnetz Rösrath). Dies gilt umso mehr, als Stromkonzessionen regelmäßig für einen Zeitraum von 20 Jahren abgeschlossen werden (§ 46 Abs. 2 Satz 1 EnWG). Mit dem Abschluss des Konzessionsvertrages mit einem Mitbewerber geht ein für den unterlegenen Konzessionsbewerber entsprechender, langfristiger Marktausschluss einher. Eine Vergabeentscheidung beeinträchtigt den unterlegenen Bewerber folglich in besonders erheblichem Maße.
b. Den sich aus § 47 Abs. 3 EnWG ergebenden Anforderungen an eine ordnungsgemäße Akteneinsicht hat die Verfügungsbeklagte im Rahmen des Konzessionsvergabeverfahrens „…“ nicht Genüge getan.
aa. Irrelevant ist zunächst der Einwand der Verfügungsbeklagten, dass die Verfügungsklägerin ihrerseits die zur Verfügung zu stellenden Netzdaten nicht ordnungsgemäß offengelegt habe. Die Mitteilung der Netzdaten nach § 46a EnWG hat stellt sich im Vorfeld eines Vergabeverfahrens nach § 46 EnWG. Gemäß § 46a Satz 1 EnWG ist der bisherige Konzessionsinhaber verpflichtet, der Gemeinde spätestens ein Jahr vor Bekanntmachung des Vertragsendes eines Wegenutzungsvertrages nach § 46 Abs. 3 EnWG Informationen über die technische und wirtschaftliche Situation des Netzes zur Verfügung zu stellen. Schon mit Blick auf die zwischenzeitlich erfolgte Vergabeentscheidung ist davon auszugehen, dass die notwendigen Informationen zwischenzeitlich von Seiten der Verfügungsklägerin mitgeteilt wurden. Ob und inwieweit es in diesem Zusammenhang möglicherweise zu Verzögerungen gekommen sein mag, ist für die Reichweite des die Vorbereitung möglicher Sachrügen betreffenden Akteneinsichtsrechts nach § 47 Abs. 3 EnWG schlicht ohne jede Bedeutung. Eine allgemeine „unclean hands“-Doktrin, auf welche die Verfügungsklägerin hier anspielt, ist – zu Recht – nicht anerkannt.
bb. Fehl geht weiter die Behauptung der Verfügungsbeklagten, den Akteneinsichtsanspruch der Verfügungsklägerin bereits aus dem Grund erfüllt zu haben, weil die Verfügungsklägerin selbst ihren Anspruch auf bloße Einsicht in den Auswertungsvermerk beschränkt habe. Wie ausgeführt, entbehrt die Annahme einer dahingehenden Selbstbeschränkung bereits im Ansatz jedweder Grundlage (Ziff. B.I.2.b.).
cc. Seinem Umfang nach ist das Akteneinsichtsrecht gemäß § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG weit zu verstehen und beschränkt sich vorbehaltlich gegebenenfalls berechtigter Geheimhaltungsinteressen entgegen der Ansicht der Verfügungsbeklagten weder auf eine bloße Einsichtnahme in den Auswertungsvermerk noch auf eine Zurverfügungstellung des Auswertungsvermerks nebst den Angebotsunterlegen des obsiegenden Konzessionsbewerbers.
(1) § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG verpflichtet eine Gemeinde seinem Wortlaut nach dazu, einem unterlegenen Konzessionsbewerber „Einsicht in die Akten zu gewähren“. Wortlautgemäß hat die Gemeinde dem unterlegenen Konzessionsbewerber daher die Originalakte vor Ort, d.h. in ihren Geschäftsräumen zur Einsichtnahme zur Verfügung zu stellen. Entsprechendes gilt für eine mögliche elektronische Aktenführung. Soweit die Aktenführung elektronisch erfolgt, hat die Gemeinde auf elektronischem Wege, etwa in einem elektronischen Datenraum, Akteneinsicht zu gewähren (Pfeiffer in: Assmann/Pfeiffer, BeckOK EnWG, 1. Edition, Stand: 15.07.2021, EnWG, § 47 Rn. 18).
Inhaltlich erfasst der Begriff der Akten sämtliche bei der Vergabestelle im Zusammenhang mit dem Konzessionsvergabeverfahren vorhandenen Unterlagen und Aktenbestandteile einschließlich entsprechender Entwürfe, Vorbereitungsarbeiten und Abstimmungspapiere (Wegner in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 4. Aufl. 2019, EnWG, § 47 Rn. 35; vgl. insoweit auch zum allgemeinen Vergaberecht Byok in Byok/Jaeger, Vergaberecht, 4. Aufl. 2018, § 165 Akteneinsicht Rn. 4). Hierzu zählen insbesondere die von der Verfügungsklägerin genannten Dokumente und Unterlagen (vgl. Wegner a.a.O.; Pfeiffer in: Assmann/Pfeiffer, BeckOK EnWG, 1. Edition, Stand: 15.07.2021, EnWG, § 47 Rn. 14; zu Protokollen als Gegenstand des Akteneinsichtsrecht auch OLG Karlsruhe in einem Urt. v. 28.8.2019 zur Gestaltung der Auswahlkriterien und des Verfahrensablaufs vor Erlass der Auswahlentscheidung, Az. 6 U 109/18 Kart = EWeRK 2020, 34, 43):
-Korrespondenz der Vergabestelle mit den Bewerbern,
-von den Bewerbern eingereichte Unterlagen,
-die jeweiligen Verfahrensschritte vorbereitender interner Schriftverkehr der verfahrensführenden Stelle,
-Schriftverkehr der verfahrensführenden Stelle mit den beratenden Rechtsanwälten oder anderen technischen oder energiewirtschaftlichen Beratern,
-Schriftverkehr mit anderen Verwaltungsstellen der Gemeinde und mit Aufsichtsbehörden,
-Protokolle von Besprechungen und Bewerberpräsentationen,
-Protokolle von Nachverhandlungen mit Bewerbern,
-Verwaltungsanweisungen zur Wahrung des Geheimnisschutzes sowie der organisatorischen und personelle Trennung von Vergabestelle und gemeindeeigenem Bewerber,
-Unterlagen zur Auswertung der von den Bewerbern eingereichten Angebote, insbesondere der Auswertungsvermerk und die Bepunktung der verschiedenen Angebote und
-die Angebote selbst.
Ohne Belang ist in diesem Zusammenhang, ob die Verfügungsbeklagte die entsprechenden Dokumente physisch in dem fraglichen Konzessionsvergabeverfahren spezifisch gewidmeten Aktenbänden an einem einzelnen Ort sammelt oder diese Dokumente an verschiedenen Stellen aufbewahrt (vgl. Herrmann, BeckOK VwVfG, Bader/Ronellenfitsch, 54. Edition, Stand 01.01.2022, § 29 VwVfG Rn. 9). Für das Konzessionsvergabeverfahren gilt der auch im allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht maßgebliche materielle Aktenbegriff, so dass auch teils elektronisch, teils papiergebqnden geführte „Hybrid-Akten“, beigezogene Akten anderer Behörden und Gerichte sowie möglicherweise geführte „Schattenakten“ von dem Recht auf Akteneinsicht erfasst sind (Huck in: Huck/Müller, Verwaltungsverfahrensgesetz, 3. Aufl. 2020, VwVfG, § 29 Rn. 15; Bohl, NVwZ 2005, 133, 134; BeckOK VwVfG, Herrmann in: Bader/Ronellenfitsch, 54. Edition, Stand: 01.01.2022, VwVfG, § 29 Rn. 10).
Ein Wahlrecht, einem unterlegenen Konzessionsbewerber nur Ausfertigungen, Auszüge oder Abschriften zur Verfügung zu stellen, steht einer Gemeinde dagegen nicht zu. Insbesondere ersetzt das Nachreichen einzelner Dokumente im Rahmen eines laufenden Gerichtsverfahrens nicht die Gewährung von Akteneinsicht. Auch insoweit verkennt die Verfügungsbeklagte den eindeutigen Gesetzeswortlaut, in dem es ausdrücklich heißt, dass Einsicht in die Akten zu gewähren ist „und“ Ausfertigungen, Auszüge oder Abschriften zu erteilen sind. Der unterlegene Konzessionspetent kann folglich, wenn auch nur auf eigene Kosten, verlangen, dass die Gemeinde ihn zunächst die Originalakten einsehen lässt und ihm sodann ferner – soweit gewünscht – entsprechende Kopien zur Verfügung stellt (Pfeiffer in: Assmann/Pfeiffer, BeckOK EnWG, 1. Edition, Stand: 15.07.2021, EnWG, § 47 Rn. 18; a.A., aber gleichfalls unter Verkennung des eindeutigen Wortlauts, Huber in: Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2. Aufl. 2019, EnWG, § 47 Rn. 26).
(2) Für eine dem Umfang nach weit zu verstehende Akteneinsicht spricht neben dem Wortlaut auch der Sinn und Zweck des konzessionsvergaberechtlichen Akteneinsichtsrechts, dem unterlegenen Bewerber die Vorbereitung gegebenenfalls zuvor noch nicht bekannter und auch nicht erkennbarer Rügen und damit eine umfassende und effektive Überprüfung von Konzessionsvergabeentscheidungen zu ermöglichen (hierzu bereits Ziff. B.I.1.b. sowie Ziff. B.II.3.a.dd. und ee.). Eine engere Auslegung des Umfangs der nach § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG zu gewährenden Akteneinsicht lässt sich daher gerade nicht mit Blick auf die Formulierung des Gesetzeswortlautes begründen, wonach die Akteneinsicht „zur Vorbereitung“ einer Rüge diene. Die Verfügungsbeklagte will hieraus herleiten, dass die Akteneinsicht auf die Dokumente beschränkt sei, welche die in diesem Verfahrensstadium allein noch zu überprüfende Auswahlentscheidung dokumentiert. Dies ist nach Ansicht der Verfügungsbeklagten eben nur der Auswertungsvermerk. Diese Argumentation überzeugt jedoch nicht. Im Gegenteil zeigt der mit der Akteneinsicht ausdrücklich verfolgt Zweck, mögliche Rügen vorbereiten zu können, dass ein umfassender Einblick in die Akten des jeweiligen Konzessionsvergabeverfahrens genommen werden kann, um eine umfassende und effektive Überprüfung von Konzessionsvergabeentscheidungen zu ermöglichen (so auch Wegner in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 4. Aufl. 2019, EnWG, § 47 Rn. 33; siehe zudem bereits Ziff. B.I.1.b. sowie Ziff. B.II.3.a.dd. und ee.). Dazu kommt, dass der unterlege Bewerber ohne umfassende Einsichtnahme der vollständigen Originalakten nicht nachprüfen könnte, ob und inwieweit es gegebenenfalls zu möglichen Übertragungsfehlem gekommen ist (vgl. OLG Dresden, Urt. v. 18.09.2019, Az. U 1/19 Kart, juris Tz. 27). Vor diesem Hintergrund ist eine Einsichtnahme in die Originalakten nach Ansicht der Kammer bereits mit Blick auf den Gesetzeswortlaut und den Sinn und Zweck einer umfassenden und effektiven Überprüfung von Konzessionsvergabeentscheidungen zwingend geboten.
(3) Weiter spricht auch die Gesetzessystematik dafür, dass einem unterlegenen Konzessionsbewerber mit der Regelung des § 47 Abs. 3 EnWG ein umfassendes und inhaltlich weit zu verstehendes Akteneinsichtsrecht an die Hand gegeben werden sollte.
(a) Hätte der Gesetzgeber beabsichtigt, Gemeinden nur zur Offenlegung des Auswertungsvermerks und gegebenenfalls der Angebotsunterlagen des obsiegenden Konzessionsbewerbers zu verpflichten, hätte dies im Wortlaut ohne weiteres zum Ausdruck gebracht werden können. Dies hätte insbesondere im Zusammenhang des energiewirtschaftsrechtlichen Konzessionsvergabeverfahrens auch nahe gelegen, da der Gesetzgeber im Rahmen der Regelung der §§ 46, 47 EnWG im Übrigen klar und spezifisch zwischen konkreten Informationspflichten und -mitteilungen differenziert. So ist die Gemeinde auf der Stufe der Ausschreibung der zu vergebenden Konzession gemäß § 46 Abs. 4 Satz 4 EnWG verpflichtet, „die Auswahlkriterien und deren Gewichtung“ mitzuteilen. Entsprechende Rügen sind gemäß § 47 Abs. 2 Satz 2 EnWG binnen einer Frist von 15 Kalendertagen zu erheben. Auf der Stufe der Auswahlentscheidung ist die Gemeinde dann gemäß § 46 Abs. 5 Satz 1 EnWG verpflichtet, die unterlegenen Konzessionspetenten „über die Gründe der vorgesehenen Ablehnung ihres Angebots und über den frühesten Zeitpunkt des beabsichtigten Vertragsschlusses in Textform zu informieren“. Diesbezügliche Rügen sind gemäß § 47 Abs. 2 Satz 3 EnWG binnen einer Frist von 30 Kalendertagen geltend zu machen. Obwohl der Gesetzgeber folglich im Rahmen des Rüge- und Präklusionsregimes der §§ 46, 47 EnWG klar und präzise zwischen bestimmten begrifflich klar umrissenen Informationspflichten differenziert, hat er in § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG zum Zwecke der Herstellung der nötigen Transparenz der Auswahlentscheidung den umfassenden Begriff der „Einsicht in die Akten“ gewählt. Auch bei gesetzessystematischer Betrachtung wäre es daher geradezu widersinnig, dem Gesetzgeber zu unterstellen, dass er mit einem umfassend formulierten Recht auf „Einsicht in die Akten“ Gemeinden lediglich zur Gewährung von Einsicht in den Auswertungsvermerk und allenfalls noch in die Angebotsunterlagen des obsiegenden Konzessionsbewerbers verpflichten wollte.
(b) Gesetzessystematisch ist zudem Folgendes zu bedenken: Mit dem zum 02.03.2017 in Kraft getretenen, zeitlich straffen Rüge- und Präklusionsregime verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, Konzessionsvergabeverfahren zu beschleunigen und die Rechtssicherheit zu erhöhen (BT-Drs. 18/8184, 16/17). Dabei war jedoch zu berücksichtigen, dass das auf Grund jeweils kurzer und klar definierter Rügefristen vorgesehene Rüge- und Präklusionsregime zugleich mit nicht unerheblichen Härten und einer möglichen Rechtsschutzverkürzung zum Nachteil der im Konzessionsvergabeverfahren unterlegenen Konzessionsbewerber einhergeht. Dies bedingt aber nicht zuletzt die Gefahr, dass der gemäß § 1 Abs. 2 EnWG sicherzustellende Wettbewerb um die Netze über Gebühr eingeschränkt wird. Um daraus resultierende Gefahren für den Wettbewerb und infolgedessen für den durch mögliche nachteilige Energienutzungskonditionen benachteiligte Verbraucher zu vermeiden, sollte auf der Grundlage eines umfassenden Akteneinsichtsrechts größtmögliche und lediglich unter dem Vorbehalt etwaiger Geheimhaltungsinteressen stehende Transparenz gegenüber den in der Auswahlentscheidung unterlegenen Mitbewerbern gewährt werden. Denn nur von einer umfassenden und erst damit effektiven Nachprüfungsmöglichkeit kommunaler Vergabeentscheidungen geht letztlich ein hinreichendes Maß an zumindest mittelbarem wettbewerblichem Druck aus, der als solcher geeignet sein kann, von Anfang an auf die Durchführung des gebotenen fairen, nicht-diskriminierenden und transparenten Verfahrens disziplinierend einzuwirken. Vor diesem Hintergrund betont auch der Gesetzgeber zutreffend, dass es schon aus verfassungsrechtlichen Gründen erforderlich ist, eine durch den Beschleunigungsgedanken motivierte Rügeobliegenheit durch eine klare Vorgabe von Informationsrechten und -pflichten zu ergänzen. Ausdrücklich heißt es in der Gesetzesbegründung insoweit, dass, um eine Rügepflicht in Bezug auf die konkrete Unternehmensauswahl sachgerecht auszugestalten, für einen unterlegenen Bewerber klar erkennbar sein muss, warum ein anderer Bewerber den Vorzug erhalten soll. Der unterlegene Bewerber muss daher den bestmöglichen Einblick in die Erwägungen der Gemeinde für deren diskriminierungsfreie Sachentscheidung erhalten (BT-Drs. 18/8184, 15). Eine Rügeobliegenheit in Bezug auf die von der Gemeinde getroffene Auswahlentscheidung setzt folglich voraus, dass dem unterlegenen Bewerber zügig Informationen über sämtliche Tatsachen zugänglich gemacht werden, die eine Verletzung in seinen Rechten begründen könnten (BT-Drs. 18/8184, 17).
(4) Letztlich kann die Verfügungsbeklagte die von ihr vertretene Ansicht auch nicht mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs in Sachen „Gasnetz Rösrath“ begründen. Richtig ist zwar, dass der Bundesgerichtshof in dieser Entscheidung festgestellt hat, dass eine umfassende Unterrichtung des unterlegenen Konzessionsbewerbers über das Ausschreibungsergebnis durch Überlassung einer ungeschwärzten und vollständigen Kopie des für die Auswahlentscheidung der Gemeinde erstellten Auswertungsvermerks „erforderlich, aber auch ausreichend“ ist (BGH, Urt. v. 07.09.2021, Az. EnZR 29/20 = NVwZ 2022, 26, 27 Tz. 11 – Gasnetz Rösrath). Allerdings betraf die Entscheidung die Rechtslage vor Inkrafttreten des Rüge- und Präklusionsregimes der §§ 46, 47 EnWG. Ein – wie jetzt positiv-rechtlich geregeltes – umfassendes Akteneinsichtsrecht entsprechend der Regelung des § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG gab es zu dem für diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs relevanten Zeitpunkt schlicht nicht. Gleiches gilt für die Entscheidung des OLG Schleswig vom 16.04.2018 (Az. 16 U 110/17 Kart = EnWZ 2018, 277). Auch diese Entscheidung betraf eine bereits vor dem Inkrafttreten des § 47 EnWG erfolgte Vergabeentscheidung. Die zur alten Rechtslage ergangenen Entscheidungen können indes für die Auslegung des § 47 EnWG nicht herangezogen werden, da das hierin nunmehr ausdrücklich verankerte, umfassende Akteneinsichtsrecht – wie ausgeführt – zum Ausgleich des neu eingeführten, zeitlich gestrafften Rüge- und Präklusionsregimes gesetzlich geregelt wurde. Diese verfassungsrechtlich unter dem Gesichtspunkt des dem unterlegenen Bewerber zustehenden Rechts auf effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 GG gebotene Ausgleichsfunktion würde aber konterkariert, wenn man nunmehr entgegen dem jetzt ausdrücklich weit und uneingeschränkt gefassten Gesetzeswortlaut die Reichweite des neu eingeführten Akteneinsichtsrechts wieder auf den nach alter Rechtslage bestehenden Umfang begrenzen wollte.
(5) Eventuellen Geheimhaltungsinteressen gemäß § 47 Abs. 3 Satz 3 EnWG ist gegebenenfalls durch Schwärzung der betroffenen Dokumente oder Informationen Rechnung zu tragen. Bei der Annahme eines Geheimhaltungsinteresses hat eine Gemeinde allerdings zurückhaltend zu verfahren. Im Regelfall ist von einer Offenlegungspflicht auszugehen. Die Zurückhaltung von Informationen wegen behaupteter Geheimhaltungsinteressen stellt lediglich die Ausnahme dar und bedarf gegebenenfalls der hinreichend substantiierten und nachvollziehbare Darlegung gegenüber dem unterlegenen Konzessionsbewerber. Dabei ist die Notwendigkeit der Zurückhaltung bestimmter Informationen zum Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen jeweils für die konkrete Angabe substantiiert darzulegen und dazu auszuführen, welche schützenswerten Interessen des betreffenden Bieters in welchem Umfang eine Beschränkung der Auskunft erfordern sollen (BGH, Urt. v. 07.09.2021 – EnZR 29/20, NZBau 2022, 111, 112 Tz. 12 – Gasnetz Rösrath; KG, Urt. v. 24.09.2020, Az. 2 U 93/19, juris Tz. 125; OLG Dresden, Urt. v. 18.09.2019, Az. U 1/19 Kart, juris Tz. 27; Pfeiffer in: Assmann/Pfeiffer, BeckOK EnWG, 1. Edition, Stand: 15.07.2021, EnWG, § 47 Rn. 16). Nur dann, wenn die Offenlegung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen des erfolgreichen Konzessionsbewerbers ausnahmsweise erhebliche nachteilige Konsequenzen für diesen hätte, wenn er z.B. der Gemeinde unterbreitete Angebotsbestandteile nachweisbar auch in anderen Konzessionsverfahren noch anbieten möchte, können Geheimhaltungsinteressen vorrangig zu berücksichtigen sein (Wegner in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 4. Aufl. 2019, EnWG, § 47 Rn. 38).
dd. Den im vorliegenden Fall maßgeblichen gesetzlichen Anforderungen des § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG hat die Verfügungsbeklagten sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht nicht Genüge getan.
(1) In formeller Hinsicht hat die Verfügungsbeklagte der Verfügungsklägerin bislang nicht die Gelegenheit gegeben, in die Originalakten in ihren Räumlichkeiten Einsicht zu nehmen.
(2) In materieller Hinsicht hat die Verfügungsbeklagte den Anspruch der Verfügungsklägerin auf Akteneinsicht gleichfalls nicht ordnungsgemäß erfüllt:
Die beschränkte Gewährung von Einsicht in den Auswertungsvermerk und die Angebotsunterlagen greift wie ausgeführt zu kurz und genügt den sich aus § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG ergebenden Anforderungen bereits dem Grunde nach nicht (siehe Ziff. B.II.3.b.cc.).
Dies gilt in besonderem Maße für den von der Verfügungsbeklagten zur Verfügung gestellten Auswertungsvermerk. Auf Seite 2 des der Kammer als Anlage Ast. 12 vorliegenden Auswertungsvermerks betont die Verfügungsbeklagte selbst, dass es das Ziel dieses Dokuments ist, „die wesentlichen Inhalte der Angebote sowie der Bewertung derselben zu dokumentieren“. Zudem wird darauf hingewiesen, dass die bewertungsrelevanten Inhalte der Angebote „hier nur schlagwortartig enthalten [sind], ohne dass alle Aspekte, die erörtert worden sind, hier wegen des Umfangs wiedergegeben werden können.“ Weiter wird nochmals ausdrücklich betont, dass „nicht alle Aspekte, die in die Bewertung einbezogen worden sind, vorliegend dargestellt werden [können], weil dies den Umfang der Darstellung sprengen würde.“ Damit steht aus Sicht der Kammer fest, dass Aspekte in die zu Gunsten der Stadtwerke L. erfolgte Vergabeentscheidung eingeflossen sind, die aus dem Vergabevermerk und den Angeboten gerade nicht ersichtlich sind. Umso mehr ist damit für den vorliegenden Fall belegt, dass eine dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz genügende Nachprüfbarkeit eine umfassende Einsicht in die gesamte Akte zum streitgegenständlichen Konzessionsvergabeverfahren erfordert.
Darüber hinaus hat die Verfügungsbeklagte die in dem als Anlage Ast. 12 vorgelegten Auswertungsvermerk auf Seiten 11, 12, 17 bis 20, 22, 28, 29, 37 bis 40, 42, 44, 45, 49, 51, 55, 57, 58, 64, 66, 67, 71 und 78 enthaltenen Schwärzungen lediglich mit einem pauschalen Verweis auf Geheimhaltungsinteressen vorgenommen. Eine hinreichend nachvollziehbare Darlegung, welche eine von der Verfügungsbeklagten vorgenommene Interessenabwägung erkennen lässt, fehlt (siehe Ziff. B.II.3.b.cc.(5)).
Nichts anderes ergibt sich aus dem Vortrag der Verfügungsbeklagten, dass sie die zunächst geschwärzten Bewerbungsunterlagen der Stadtwerke L. gemäß Anlagen VBekl 13 bis 16, 18, 20 und 21 zwischenzeitlich der Verfügungsklägerin ergänzend vorgelegt habe. Das Nachreichen einzelner Unterlagen und Unterlagenteile genügt bereits in formeller Hinsicht nicht den sich aus § 47 Abs. 3 Satz 1 EnWG ergebenden Anforderungen, da auch hiermit nicht Einsicht in die Originalakte gewährt wurde. Das Vorgehen der Verfügungsbeklagten veranschaulicht nach Ansicht der Kammer vielmehr, dass eine dem berechtigten Transparenzinteresse der Verfügungsklägerin entsprechende Nachprüfbarkeit der zu ihren Lasten ergangenen Vergabeentscheidung eine umfassende und – vorbehaltlich etwaiger berechtigter und nachvollziehbar darzulegender Geheimhaltungsinteressen – uneingeschränkte Einsichtnahme in die Originalverfahrensakten erfordert. Auf Basis wie hier selektiv in Form von Abschriften vorgelegter, einzelner Aktenbestandteile und Teildokumente ist die mit der Akteneinsicht bezweckte Überprüfung des tatsächlichen Verfahrensablaufs und der in diesem Rahmen getroffenen Abwägungsentscheidungen schlechterdings nicht möglich.
4. Schließlich liegt auch die für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch erforderliche Begehungsgefahr vor. Mit dem Nichtabhilfeschreiben vom 11.10.2021 hat die Verfügungsbeklagte das Akteneinsichtsgesuch der Verfügungsklägerin rechtswidrig zurückgewiesen (Anlage Ast. 18, S. 3/6). Mit dem Abschluss des Konzessionsvertrages droht zudem eine Vertiefung der in der rechtswidrig verweigerten Akteneinsicht liegenden Rechtsverletzung (OLG Düsseldorf, Urt. v. 04.11.2020, Az. I-27 U 3/20 = NZBau 283, 285 Tz. 22). Der Anspruch war daher antragsgemäß zu tenorieren, um dem Abschluss des Konzessionsvertrages der Verfügungsbeklagten mit den Stadtwerken L. vorzubeugen und sicherzustellen, dass die rechtlich gebotene Akteneinsicht nachgeholt werden kann und die Rügen nach Gewährung der Akteneinsicht binnen der gemäß § 47 Abs. 2 Satz 4 EnWG einheitlich für sämtliche Rügen neu laufenden Frist von 30 Kalendertagen geltend gemacht werden können.
III. Eine Einschränkung des der Verfügungsklägerin zustehenden Akteneinsichtsrechts war nicht vorzunehmen.
1. Die Kammer hatte – so explizit auch in der Einführung zum Sach- und Streitstand in der mündlichen Verhandlung – zunächst erwogen, dem Antrag der Verfügungsklägerin lediglich im Umfang des hilfsweise gestellten Antrages gemäß Ziff. I.a.2. stattzugeben. Dem lag die Erwägung zu Grunde, dass die die Mitteilung der Vergabekriterien mit dem 1. Verfahrensbrief vom 02.05.2018 (Anlage Ast. 2) betreffenden Rügen bereits mit dem rechtskräftigen Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 28 W 1607/18 Kart erledigt wurden. Diese Erwägung greift aber letztlich nicht durch. Eine Einschränkung des der Verfügungsklägerin zustehenden Akteneinsichtsrechts auf die Aktenbestandteile ab Versand des 1. Verfahrensbriefs widerspräche gerade dem Sinn und Zweck des § 47 Abs. 3 EnWG, durch umfassende Akteneinsicht auch bislang möglicherweise nicht bekannte Rügen vorbereiten und geltend machen zu können.
Gerade in den Fällen, in denen seitens einer Kommune bereits im frühen Stadium eines Verfahrens eine unzulässige Vorfestlegung auf einen bestimmten Bewerber stattgefunden haben sollte, würden sich – die zunächst erwogene Rechtsauffassung zu Grunde gelegt – erhebliche Rechtsschutzlücken zum Nachteil des unterlegenen Bewerbers ergeben. Gerade in solchen Fällen frühzeitiger Vorfestlegungen auf einen bestimmten Bewerber wird nur eine auch in zeitlicher Hinsicht umfassende Akteneinsicht dem berechtigten Interesse des unterlegenen Konzessionspetenten an einer diskriminierungsfreien und transparenten Vergabe gerecht. Denn allenfalls eine den Verfahrensverlauf von Beginn des Konzessionsverfahrens an umfassende Akteneinsicht vermag einem Bewerber die Möglichkeit zu eröffnen, tragfähige Anhaltspunkte für mögliche Rechtsverstöße zu entdecken, nachzuvollziehen und auf dieser Grundlage substantiiert gerichtlich zu rügen.
Eine davon unabhängige Frage ist es, inwieweit mögliche auf der Grundlage der Akteneinsicht entdeckte Rügen betreffend die im 1. Verfahrensbrief festgelegten Auswahlkriterien in der Sache geltend gemacht werden können. Insoweit gilt, dass Rügen, die aus den fraglichen Mitteilungen nach § 46 Abs. 3, Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 1 EnWG nicht erkennbar waren, auch nicht der Präklusion unterliegen und somit gegebenenfalls weiterhin gerichtlich geltend gemacht werden können. Der Umfang der Präklusion richtet sich entscheidend nach der Erkennbarkeit der Rechtsverstöße (Pfeiffer in: Assmann/Pfeiffer, BeckOK EnWG, 1. Edition, Stand: 15.07.2021, EnWG § 47 Rn. 46; vgl. auch Theobald/Schneider in: Theobald/Kühling, Energierecht, Werkstand: 112. EL Juni 2021, EnWG § 47 Rn. 16; KG, Urt. v. 25.10.2018, Az. 2 U 18/18. EnWG, juris Tz. 31). Das Rügeregime des § 47 Abs. 2 EnWG führt daher gerade nicht zu einer in zeitlicher Hinsicht absoluten Präklusion hinsichtlich des jeweiligen Verfahrensstadiums, sondern präkludiert ausschließlich die aus den jeweils bezeichneten Mitteilungen heraus erkennbaren Rechtsverletzungen.
2. Gleiches gilt, wenn – wie hier – ein dem Grunde nach noch als Gegenstand einer Rüge in Betracht kommender Verstoß gegen das Trennungs- und Neutralitätsgebot im Streit steht.
a. Bei dem Trennungs- und Neutralitätsgebot handelt es sich um einen wesentlichen Eckpfeiler des Konzessionsvergabeverfahrens. Gemeinden ist es zwar grundsätzlich schon in Ausübung der verfassungsrechtlich gemäß Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleisteten kommunalen Selbstverwaltung ohne weiteres erlaubt, die örtliche Energieversorgung über kommunale Eigenbetriebe sicherzustellen. Zur Sicherstellung des gemäß § 1 Abs. 2 EnWG geforderten wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs müssen Eigengesellschaften aber in diskriminierungsfreier Art und Weise an dem Vergabeverfahren nach §§ 46, 47 EnWG beteiligt werden. Insbesondere muss eine Gemeinde auch im Hinblick auf einen kommunalen Eigenbetrieb die für das Vergabeverfahren vorab definierten Vergabekriterien einhalten. Eine Vorfestlegung hat zu unterbleiben. Hieraus folgt, dass, auch auf der Ebene der Gemeindeverwaltung, eine strenge organisatorische und personelle Trennung zwischen der Vergabestelle und dem jeweiligen Eigenbetrieb vorzunehmen ist (st. Rspr., statt vieler: BGH, Urt. v. 12.10.2021, Az. EnZR 43/20 = NZKart, 2022, 80, 81 Tz. 34 – Stadt Bargeheide).
Angesichts dieser grundlegenden Bedeutung des Trennungs- und Neutralitätsgebotes kommt es für die Feststellung eines möglichen Verstoßes nicht darauf an, ob die Auswahlentscheidung tatsächlich durch unsachliche Erwägungen beeinflusst worden ist. Vielmehr genügt bereits eine Konstellation, die geeignet ist, das Fehlen der notwendigen Unparteilichkeit der zuständigen Vergabestelle zu begründen. Das Rechtsstaatsgebot und der Grundsatz des freien Wettbewerbs gebieten es den Gemeinden, alles zu vermeiden, was auch nur den „bösen Schein“ mangelnder Objektivität erwecken könnte. Das notwendige Vertrauen der Öffentlichkeit in die Transparenz und Diskriminierungsfreiheit des Auswahlverfahrens fordern eine strenge Sichtweise. Der Beweis für eine Kausalität von personellen Verflechtungen für eine ihm nachteilige Entscheidung ist für den Bieter, der im Wege einstweiliger Verfügung den Zuschlag auf einen Mitkonkurrenten zu verhindern sucht, regelmäßig nicht zu führen (BGH, Urt. v. 12.10.2021, Az. EnZR 43/20 = NZKart, 2022, 80, 81 Tz. 35 – Stadt Bargeheide; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urt. v. 19.07.2016, Az. Kart U 1/15, juris Tz. 67).
b. Ob ein solcher Verstoß im Rahmen des streitgegenständlichen Konzessionsverfahrens „…“ tatsächlich erfolgt ist, braucht an dieser Stelle nicht entschieden zu werden. Entscheidend ist allein, dass ein solcher Verstoß dem Grunde nach noch gerügt werden kann und auch aus anderen Gründen nicht per se ausgeschlossen erscheint. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt:
aa. Ein Verstoß gegen das Trennungs- und Neutralitätsgebot ist von der Verfügungsklägerin zunächst nicht nur völlig unsubstantiiert ins Blaue hinein behauptet worden. Im Gegenteil erscheint es der Kammer schon auf Grund der Tatsache, dass die zur Durchsetzung der gebotenen Trennung erlassene Verwaltungsanweisung auf den 20.03.2018 und damit auf einen Zeitpunkt datiert ist, zu dem das im Bundesanzeiger vom 29.12.2017 bekannt gemachte Vergabeverfahren bereits in Gang gesetzt war, denkbar, dass eine hinreichende Trennung nicht eingehalten wurde. Insbesondere erscheint es fraglich, ob die für das Vergabeverfahren entscheidenden Kriterien, die von dem Stadtrat der Verfügungsbeklagten am 26.04.2018 beschlossen und mit dem 1. Verfahrensbrief vom 02.05.2018 den Bewerbern zur Verfügung gestellt wurden, bereits auf der Grundlage einer hinreichenden Trennung ausgearbeitet wurden. Jedenfalls erscheint eine Akteneinsicht vor diesem Hintergrund gerechtfertigt und geboten.
bb. Einem möglichen Verstoß gegen das Trennungs- und Neutralitätsgebot steht mangels Erkennbarkeit i.S.d. § 47 Abs. 2 EnWG auch eine Präklusion nicht entgegen. Die Präklusion umfasst nur diejenigen Rechtsverstöße, die im Konzessionsvergabeverfahren erkennbar waren und gerügt hätten werden können (siehe Ziff. B.III.1.). Der Präklusion unterliegen daher von vornherein nur diejenigen Rechtsverletzungen, die in der dem Bewerber ersichtlichen Korrespondenz der ausschreibenden Gemeinde verkörpert sind (KG, Urt. v. 25.10.2018, Az. 2 U 18/18. EnWG, juris Tz. 31 f.).
Aus der Mitteilung nach § 46 Abs. 4 Satz 4 EnWG, im Streitfall dem sogenannten 1. Verfahrensbrief vom 02.05.2018 (Anlage Ast. 2), ergeben sich keine erkennbaren Anhaltspunkte für eine Verletzung des Neutralitätsgebotes. In dem 1. Verfahrensbrief sind Ausführungen zur Sicherstellung des Geheimwettbewerbs und der Einhaltung der Neutralitätspflicht nicht enthalten. Lediglich auf Seite 5 des 1. Verfahrensbriefs wird auf die Notwendigkeit der Gewährleistung des Geheimwettbewerbs hingewiesen, dies jedoch nur in Gestalt einer an die an dem Konzessionsvergabeverfahren teilnehmenden Unternehmen gerichteten Verpflichtung. Auf die in dem Rügeschreiben vom 16.05.2018 (Anlage Ast. 3) aufgeworfene Frage der Verfügungsklägerin nach der Gewährleistung eines hinreichenden Schutzes des Geheimwettbewerbs auf Seiten der Verfügungsbeklagten als zuständige Vergabestelle erwiderte diese mit Schreiben vom 10.08.2018 selbst, dass hierin keine Rüge, sondern lediglich eine Auskunftsbitte liege (Anlage Ast. 3a). Nach Ansicht der Verfügungsbeklagten hat die Verfügungsklägerin nicht einmal die Beteiligung der Stadtwerke L. an dem Konzessionsvergabeverfahren hinreichend substantiiert vorgetragen, da eine nur behauptete Kenntnis nicht ausreichend sei. Zugleich führt die Verfügungsbeklagte aus, dass mit Beginn des Konzessionsvergabeverfahrens eine strikte personelle, informatorische und organisatorische Trennung auf der Ebene der Verwaltung und des Stadtrats umgesetzt wurde (Anlage Ast. 3a, Seite 2). Auch hieraus ist mangels greifbarer Anhaltspunkte ein möglicher Verstoß gegen das Neutralitäts- und Trennungsgebot nicht erkennbar. Dies gilt umso mehr, als die Verfügungsbeklagte zu diesem Zeitpunkt nicht einmal bestätigt hat, dass sich ihre Eigengesellschaft, die Stadtwerke L., an dem Konzessionsvergabeverfahren überhaupt beteiligen. Die dahingehende Vermutung der Verfügungsklägerin hat die Verfügungsbeklagte in dem Schreiben vom 10.08.2018 – wie ausgeführt – lediglich als zu unsubstantiiert zurückgewiesen, im Übrigen aber unkommentiert stehen lassen.
cc. Entgegen dem Hinweis der Kämmerin der Verfügungsbeklagten in der mündlichen Verhandlung vom 18.02.2022 kann eine Verletzung des Neutralitätsgebots auch nicht allein mit Blick auf das der Verfügungsklägerin als Teil der vollziehenden Staatsgewalt gemäß Art. 20 Abs. 3 GG obliegenden Bindung an Recht und Gesetz zurückgewiesen werden. Das Rechtsschutzregime des § 47 EnWG dient gerade der Überprüfung, ob die Durchführung des Konzessionsvergabeverfahrens durch die Verfügungsklägerin den gesetzlichen Vorgaben tatsächlich entsprochen hat. Dazu kann im Rahmen des vorliegenden Verfahrens noch keine Aussage getroffen werden. Vielmehr ist der Verfügungsklägerin im tenorierten Umfang zunächst Akteneinsicht zu gewähren, um die behauptete Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens umfassend überprüfen und entscheiden zu können, ob und inwieweit eventuelle Rügen der Sache nach vorzubringen sind. Insofern scheint es nach derzeitigem Stand auch nicht ausgeschlossen, dass die Akteneinsicht – rechtmäßiges Verhalten der Verfügungsbeklagten unterstellt – etwaige Bedenken hinsichtlich einer Missachtung der Neutralitätspflicht ausräumen kann.
3. Schließlich war auch eine Einschränkung des der Verfügungsklägerin zustehenden Akteneinsichtsrechts gemäß dem von der Verfügungsklägerin gestellten Hilfsantrag zu Ziff. I.a.1. auf die Aktenbestandteile, die noch nicht Gegenstand des Vorprozesses vor dem Landgericht München I, Az. 37 O 11966/18, und dem darauffolgenden Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht München, Az. 29 W 1607/18 Kart, waren, nicht angezeigt. Auch diese Einschränkung widerspräche letztlich dem Sinn und Zweck des § 47 Abs. 3 EnWG, durch umfassende Akteneinsicht auch bislang möglicherweise nicht bekannte Rügen vorbereiten und geltend machen zu können. Dies gilt umso mehr, als mit einer solchen Ausnahme Tür und Tor für mögliche missbräuchliche Aktenzuordnungen geöffnet werden könnten. Auch im Interesse der Rechtssicherheit und Verfahrensbeschleunigung ist daher eine umfassende und vorbehaltlich gerechtfertigter Geheimhaltungsinteressen uneingeschränkte Akteneinsicht geboten.
C.
Einen Verfügungsgrund muss die Verfügungsklägerin gemäß § 47 Abs. 5 Satz 3 EnWG nicht glaubhaft machen (KG, Urt. v. 24.09.2020, Az. 2 U 93/19, juris Tz. 485; OLG Dresden, Urt. v. 18.09.2019, Az. U 1/19 Kart, juris Tz. 19). Der für den Erlass einer einstweiligen Verfügung notwendige Verfügungsgrund ergibt sich aber unabhängig davon aus §§ 936, 920 Abs. 2 ZPO. Die gemäß §§ 935, 940 ZPO erforderliche Rechtsgefährdung folgt dabei aus der Gefahr eines Vertragsschlusses der Verfügungsbeklagten mit den Stadtwerken L. (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 04.11.2020, Az. I-27 U 3/20 = NZBau 2021, 283, 286 Tz. 44). Angesichts des vom 11.10.2021 datierenden Nichtabhilfeschreibens betreffend sowohl das von der Verfügungsklägerin geltend gemachte Akteneinsichtsrecht als auch die soweit möglich zugleich unpräjudiziell vorgetragenen, weiteren Verfahrens- und Sachrügen droht – jedenfalls nach Abschluss des hiesigen Verfahrens – ein Vollzug der mit Stadtratsbeschluss vom 15.07.2019 erfolgten Vergabeentscheidung.
D.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich, ohne dass dies im Tenor auszusprechen war, aus der Natur des streitgegenständlichen Verfahrens als einstweiliges Verfügungsverfahren (Götz in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, ZPO, § 704 Rn. 15).


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