Europarecht

Absatzbehinderung durch Grenzbeschlagnahmeanträge von Automobilherstellern

Aktenzeichen  29 U 3149/18

Datum:
5.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
WRP – 2020, 366
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
UWG § 4 Nr. 4, § 8 Abs. 1, Abs. 2, § 9 Satz 1, § 3 Abs. 1
MarkenG §§ 149, 150
VO (EU) Nr. 608/2013 Art. 28
BGB §§ 1004 Abs. 1, 823 Abs. 1
BGB §§ 683 Abs. 1, 670, 677

 

Leitsatz

1. Einschränkungslose Grenzbeschlagnahmeanträge eines Automobilherstellers und Markeninhabers nach der VO (EU) Nr. 608/2013, in denen die Zollbehörden nicht auf die europäische und deutsche Rechtsprechung zu die Herstellermarken nicht verletzenden originalgetreuen Spielzeugmodellen (EuGH GRUR 2007, 318 – Opel ./. Autec; BGH GRUR 2010, 726 – Opel-Blitz II) hingewiesen werden, stellen in der Regel keine gezielte Behinderung der Modellautohersteller im Sinne von § 4 Nr. 4 UWG dar.
2. Bei der Prüfung einer vertriebsbezogenen Absatzbehinderung im Sinne von § 4 Nr. 4 UWG ist in die umfassende Interessenabwägung maßgeblich das Interesse der Allgemeinheit an der Berücksichtigung der vom Unionsverordnungsgeber vorgegebenen Wertungen einzustellen, die in der Struktur des Grenzbeschlagnahmeverfahrens nach der VO (EU) Nr. 608/2013 zum Ausdruck kommen.
3. Die Inanspruchnahme des Grenzbeschlagnahmeverfahrens als eines staatlich eingerichteten und geregelten Verfahrens kann in der Regel keinen rechtswidrigen Eingriff in die Rechtsposition des Modellautoherstellers darstellen, weil dem Schutzrechtsinhaber in der VO (EU) Nr. 608/2013 jedenfalls für die erste Phase des Beschlagnahmeverfahrens bis zur Zurückhaltung der Ware eine deutlich stärkere Rechtsposition eingeräumt ist, der die gegenläufigen Belange des mutmaßlichen Verletzers wie die Gewährung rechtlichen Gehörs oder die Möglichkeit, Grenzbeschlagnahmemaßnahmen kurzfristig anzufechten oder außer Kraft zu setzen, vom Unionsverordnungsgeber bewusst untergeordnet wurden.
4. Zur Frage, wie diese Hinnahme der unionsrechtlichen Wertungen zusätzlich unter den Vorbehalt einer redlichen Inanspruchnahme des Grenzbeschlagnahmeverfahrens gestellt werden kann.

Verfahrensgang

33 O 7422/17 2018-07-30 Endurteil LGMUENCHENI LG München I

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 30.07.2018, Az. 33 O 7422/17, wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts München I vom 30.07.2018, Az. 33 O 7422/17, sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115% des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

II.
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
I.
Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Unterlassung einschränkungsloser Grenzbeschlagnahmeanträge aus § 8 Abs. 1, Abs. 2, § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 4 UWG oder aus §§ 1004 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zu.
1. Eine etwaige Behinderung der Klägerin im Rahmen der denkbaren Fallgruppe der vertriebsbezogenen Absatzbehinderung war – wie das Landgericht zutreffend angenommen hat – nicht gezielt im Sinne von § 4 Nr. 4 UWG.
a) Als gezielt ist eine Behinderung dann anzusehen, wenn bei objektiver Würdigung aller Umstände eine Maßnahme in erster Linie nicht auf die Förderung der eigenen wirtschaftlichen Entfaltung, sondern auf die Beeinträchtigung der wettbewerblichen Entfaltung des Mitbewerbers gerichtet ist (BGH GRUR 2008, 621 Rn. 32 – AKADEMIKS; GRUR 2007, 800 Rn. 23 – Außendienstmitarbeiter). Es muss ein Eingriff in die wettbewerbliche Entfaltung eines Mitbewerbers erfolgen, der im Sinne eines weiteren, die Unlauterkeit begründenden Umstandes über das hinausgeht, was allgemein im Wettbewerb darauf abzielt, auf Kosten der Mitbewerber einen Wettbewerbsvorsprung zu erzielen (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, UWG, 37. Aufl., § 4, Rn. 4.7, 4.8).
Erfolgt eine Behinderung – wie hier – durch die Errichtung von Vertriebshindernissen, sind derartige Maßnahmen stets unlauter, wenn sie nur den Zweck haben können, den Vertrieb des Mitbewerbers zu behindern oder auszuschalten. Das ist immer dann anzunehmen, wenn kein sachlicher Grund für die Maßnahme erkennbar ist (OLG München NJW-RR 1998, 984, 985; OLG Dresden NJWE-WettbR 1999, 133, 136; OLG Düsseldorf GRUR 2001, 247, 250). In allen anderen Fällen kommt es darauf an, ob die Behinderung dazu führt, dass der betroffene Mitbewerber seine Leistung am Markt durch eigene Anstrengung nicht mehr angemessen zur Geltung bringen kann. Dazu bedarf es einer Gesamtwürdigung der Umstände unter Berücksichtigung der Interessen der Mitbewerber, Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer sowie der Allgemeinheit (BGH GRUR 2014, 785 Rn. 23, 40 – Flugvermittlung im Internet; GRUR 2011, 1018 Rn. 65 – Automobil-Onlinebörse; GRUR 2010, 346 Rn. 12 – Rufumleitung; GRUR 2010, 642 Rn. 53 – WM-Marken; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, UWG, 37. Aufl., § 4, Rn. 4.10, 4.55).
b) Die seitens der Beklagten gestellten Anträge auf Grenzbeschlagnahme nach der VO (EU) Nr. 608/2013 können naturgemäß nicht nur den Zweck haben, den Vertrieb des importierenden Mitbewerbers zu behindern oder auszuschalten, da sie vielmehr auch dazu dienen, die Einfuhr von Piraterieware in die Europäische Union bereits an der Grenze zu verhindern.
Folglich ist – wie es das Landgericht zutreffend getan hat – im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Umstände unter Berücksichtigung der Interessen der Mitbewerber, Verbraucher und sonstigen Marktteilnehmer sowie der Allgemeinheit zu prüfen, ob die Behinderung dazu führt, dass der Mitbewerber seine Leistung am Markt nicht mehr angemessen zur Geltung bringen kann.
Dies ist nicht deswegen der Fall, weil die Beklagte Grenzbeschlagnahmeanträge nach der VO (EU) Nr. 608/2013 stellt, ohne die Zollbehörden auf die sogenannte Spielzeugrechtsprechung (EuGH GRUR 2007, 318 – Opel ./. Autec; BGH GRUR 2010, 726 – Opel-Blitz II; OLG München BeckRS 2014, 23117) hinzuweisen.
(1) In die Interessenabwägung ist neben dem offensichtlichen Kontrollinteresse des Markeninhabers und dem Absatz- und Beschleunigungsinteresse des Importeurs die im Interesse der Allgemeinheit liegende Berücksichtigung der vom Unionsverordnungsgeber vorgegebenen Wertungen einzustellen, die in der Struktur des Grenzbeschlagnahmeverfahrens nach der VO (EU) Nr. 608/2013 zum Ausdruck kommt.
Die bloße Inanspruchnahme des Grenzbeschlagnahmeverfahrens als eines staatlich eingerichteten und geregelten Verfahrens kann in der Regel keinen rechtswidrigen Eingriff in die Rechtsposition des verfügungsberechtigten Importeurs darstellen. Insoweit ist die grundsätzliche Interessenabwägung und Verfahrensausgestaltung durch den Unionsverordnungsgeber hinzunehmen, dass dem Schutzrechtsinhaber in der VO (EU) Nr. 608/2013 – jedenfalls für die erste Phase des Beschlagnahmeverfahrens bis zur Zurückhaltung der Ware, die auf Seiten des Verfügungsberechtigten bereits beträchtliche Schäden verursachen kann – eine deutlich stärkere Rechtsposition eingeräumt ist, der die gegenläufigen Belange des mutmaßlichen Verletzers wie der Gewährung rechtlichen Gehörs oder der Möglichkeit, Grenzbeschlagnahmemaßnahmen kurzfristig anzufechten oder außer Kraft zu setzen, bewusst untergeordnet werden, obwohl ein gegebenenfalls bloß vager Verletzungsverdacht gegeben ist. Solange der Schutzrechtsinhaber sich dieses förmlichen Verfahrens bedient, ist es daher sachlich nicht gerechtfertigt, die legislativen Absichten zur Bekämpfung von Produktpiraterie dadurch zu unterlaufen, dass eine Ausnutzung der mit der VO (EU) Nr. 608/2013 für den Schutzrechtsinhaber bereitgestellten Möglichkeiten zur Durchsetzung ihrer Rechte des geistigen Eigentums vorschnell als gezielte Behinderung im Sinne des Lauterkeitsrechts angesehen wird (vgl. Kühnen, Die Haftung wegen unberechtigter oder zu Unrecht unterbliebener Grenzbeschlagnahme nach der VO (EU) Nr. 608/2013 (Teil 2), GRUR 2014, 921, 924).
(2) Stellt man diese Hinnahme der unionsrechtlichen Wertungen mit Kühnen zusätzlich unter einen Redlichkeitsvorbehalt, so ist vorliegend nicht ersichtlich, warum sich die Beklagte des Grenzbeschlagnahmeverfahrens in unredlicher Weise bedient haben soll.
Das Kriterium der „redlichen Inanspruchnahme“ des Grenzbeschlagnahmeverfahrens wäre dann nicht als erfüllt anzusehen, wenn der Antragsteller aktiv oder durch Verschweigen mit unwahren Angaben operiert, von denen er annehmen muss, dass sie für die Willensbildung und die Entschließung des Zolls von Belang sind. Soweit der Antragsteller vollständige und wahrheitsgetreue Angaben macht, wird seine Redlichkeit im Beschlagnahmeverfahren noch nicht dadurch infrage gestellt, dass sich zurückgehaltene Waren tatsächlich als nicht schutzrechtsverletzend erweisen und der Antragsteller dies fahrlässig verkannt hat. Lediglich, wenn sich der Antragsteller bewusst der Erkenntnis von der fehlenden Berechtigung seines Verletzungsvorwurfs verschließt, ist von einer Unredlichkeit auszugehen (Kühnen, a.a.O., 924; LG Düsseldorf InstGE 9, 130 Rn. 54, 65 ff. – Druckbogenstabilisierer II).
Dass über die unterlassene Information zur „Spielzeug“-Rechtsprechung hinaus von der Beklagten mit vermeintlich unrichtigen Tatsachen operiert worden sein soll, behauptet vorliegend die Klägerin nicht einmal selbst.
Die unterlassene Information des niederländischen Zolls über die „Spielzeug“-Rechtsprechung macht die Inanspruchnahme des Grenzbeschlagnahmeverfahrens indes nicht unredlich. Zum einen handelt es sich bei der von der Klägerin angeführten „Spielzeug“-Rechtsprechung um eine materielle markenrechtliche Überlegung, die eine Markenverletzung nur in dem sehr engen Bereich ausschließt, in dem die maßgeblichen Verkehrskreise das identische Zeichen auf den von der Beklagten vertriebenen verkleinerten Modellen nicht als Angabe darüber verstehen, dass diese Waren von der Klägerin oder einem mit dieser wirtschaftlich verbundenen Unternehmen stammen (BGH GRUR 2010, 726 Rn. 18 – Opel-Blitz II). Diese materiellrechtliche Überlegung ist indes vom Zoll im Rahmen des Grenzbeschlagnahmeverfahrens nach der VO (EU) Nr. 608/2013 nicht anzustellen, da der dort anzulegende Maßstab nach Art. 17 Abs. 1 der Verordnung der bloße Verdacht ist, dass die Waren ein Recht des geistigen Eigentums verletzen. Schon aus diesem Grund sind die Informationen über die „Spielzeug“-Rechtsprechung für die Willensbildung und die Entschließung des Zolls nicht von Belang. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass die Grenzbeschlagnahmeanträge nicht an einzelne Zollbeamte, sondern an die Direktion VI der Generalzolldirektion zu richten sind, die über Fachpersonal verfügt. Die Frage der Personalausstattung einer mitgliedstaatlichen Antragsadressatin hat nämlich mit dem unionsrechtlich vorgegebenen Prüfungsmaßstab des Art. 17 Abs. 1 VO (EU) Nr. 608/2013 nichts zu tun.
Zum anderen kann auch aus einer – unterstellten – Nichtverletzung, die sich letztlich herausstellt, nicht auf eine Unredlichkeit geschlossen werden, wenn – wie im vorliegenden Fall – mehrere differenziert zu betrachtende Aspekte wie die unterschiedliche Zeichenverwendung auf dem Modellauto und der Verpackung inmitten stehen, bei denen unterschiedliche Argumente betreffend den Verletzungsvorwurf jedenfalls vertretbar erscheinen.
2. Auch ein Unterlassungsanspruch aus §§ 1004 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb scheidet – wie das Landgericht zutreffend angenommen hat – aus, weil es sich dabei um einen Auffangtatbestand handelt und nach der Rechtsprechung ein im Rahmen von § 4 Nr. 4 UWG nicht zu beanstandendes Verhalten auch keinen entsprechenden rechtswidrigen Eingriff darstellt (BGH, GRUR 1983, 467, 468 – Photokina; GRUR 2004, 877, 880 – Werbeblocker).
II.
Der Klägerin stehen gegen die Beklagte weiter keine Ansprüche auf Schadensersatz- oder Aufwendungsersatz im Hinblick auf die durch Beauftragung einer Spedition sowie der klägerischen Prozessbevollmächtigten im Beschlagnahmeverfahren entstandenen Kosten zu.
1. Für Ansprüche aus § 9 Satz 1, § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 4 UWG oder §§ 823 Abs. 1, 249 ff. BGB fehlt es nach dem oben Gesagten an einer gezielten Behinderung bzw. einem rechtswidrigen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Klägerin.
2. Ein Schadensersatzanspruch nach §§ 149, 150 MarkenG in Verbindung mit der VO (EU) Nr. 608/2013 scheidet ebenfalls aus, weil die Beklagte den Beschlagnahmeantrag nicht aufrechterhalten hat, sondern die Waren vielmehr unverzüglich innerhalb der Zehntagesfrist des Art. 23 Abs. 1 lit. a) VO (EU) Nr. 608/2013 am 21.11.2016 freigegeben hat.
3. Für eine Haftung nach Art. 28 VO (EU) Nr. 608/2013 fehlt es an einer gerichtlichen Feststellung im nachgelagerten Rechtsverletzungsverfahren über die Nichtverletzung eines Rechts des geistigen Eigentums.
4. Im Hinblick auf einen etwaigen Anspruch aus §§ 683 Abs. 1, 670, 677 BGB ist dem Landgericht ebenfalls beizupflichten, dass es an einem Fremdgeschäftsführungswillen der Klägerin fehlte, da sie die Spedition und ihre Rechtsvertreter im Beschlagnahmeverfahren ausschließlich in ihrem eigenen Interesse beauftragte, die angehaltenen Waren freizubekommen.
III.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
IV.
Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat aufgrund ihres Einzelfallcharakters keine grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO liegen nicht vor.


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