Europarecht

Abschiebung nach Italien gemäß § 34 Abs. 1 AsylG

Aktenzeichen  M 9 S 17.51321

Datum:
3.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 25, § 34a Abs. 2 Satz 1, § 77 Abs. 2
AufenthG AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 2, Abs. 3, Abs. 4, Abs. 5, Abs. 6., Abs. 7

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die bevorstehende Überstellung nach Italien im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens.
Der Antragsteller ist (nach eigenen Angaben bzw. belegt durch einen italienischen Visa-Treffer, vgl. Bl. 47 und 67 der Bundesamtsakten) Staatsangehöriger von Tansania und geboren am 10. Juli 1985. Auf seine Angaben im persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates und die persönliche Anhörung zur Klärung der Zulässigkeit des gestellten Asylantrags am 13. Februar 2017 (vgl. Bl. 8 – 11 der Bundesamtsakte) wird Bezug genommen. Er habe sein Heimatland erstmalig am 18. Januar 2017 mit einem von der italienischen Botschaft in Daressalam ausgestellten, zehn Tage gültigen Schengenvisum verlassen und sei per Flugzeug in die Schweiz, von dort nach Italien und über ein unbekanntes Land nach Deutschland gereist, wo er am 22. Januar 2017 angekommen sei und wo er am 13. Februar 2017 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) – Außenstelle München einen Asylantrag gestellt hat. Er habe in Italien keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, es seien ihm dort auch keine Fingerabdrücke abgenommen worden. Außerdem wird auf die Angaben im persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens – Zweitbefragung am 20. Februar 2017 (Bl. 31 – 33 bzw. Bl. 50 – 52 der Bundesamtsakte) Bezug genommen. Auf die Frage, ob es Staaten gebe, in die er nicht überstellt werden wollte, erklärte der Antragsteller: In keinen anderen Staat. Auf die Frage nach Beschwerden, Erkrankungen, Gebrechen oder eine Behinderung verneinte der Antragsteller.
Ebenfalls am 20. Februar 2017 fand außerdem noch eine Anhörung gemäß § 25 AsylG statt. Auf die Niederschrift (Bl. 34 – 39 bzw. Bl. 54 – 59 der Bundesamtsakte) wird Bezug genommen.
Bereits am 31. Januar 2017 fand seitens der Regierung von Oberbayern – Zentrale Ausländerbehörde Oberbayern / Zentrale Passbeschaffung Bayern eine Befragung zur Identitätsklärung statt. Auf das Befragungsprotokoll (Bl. 41 – 44 sowie die Anlage Bl. 45) im Übrigen und die „Einschätzung“ zur Erstbefragung (Bl. 46f. der Bundesamtsakten) wird Bezug genommen.
Für den Antragsteller folgt aus dem von der Antragsgegnerin vorgelegten Verwaltungsvorgang ein VIS-Treffer für Italien (ITA026702396); dem Antragsteller wurde von der italienischen Botschaft am 6. Januar 2017 ein vom 19. bis 28. Januar 2017 gültiges Schengen-Visum ausgestellt.
Auf ein Übernahmeersuchen der Antragsgegnerin vom 6. März 2017 an Italien erfolgte keine Reaktion.
Mit Bescheid vom 8. Mai 2017 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2) und ordnete die Abschiebung nach Italien an (Nr. 3). Die Nr. 4 des Bescheids enthält die Befristungsentscheidung hinsichtlich des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG. Auf den Bescheid und seine Begründung wird Bezug genommen.
Mit Begleitschreiben ebenfalls vom 8. Mai 2017 wurde der Bescheid an den Antragsteller versandt. Der Bescheid wurde dem Antragsteller laut Postzustellungsurkunde am 11. Mai 2017 zugestellt. Der bereits im Verwaltungsverfahren bestellten Bevollmächtigten wurde eine Bescheidskopie übersandt.
Der Antragsteller ließ hiergegen mit Schreiben seiner Bevollmächtigtem vom 14. Mai 2017, beim Verwaltungsgericht München eingegangen am per Telefax am selben Tag, Klage erheben (Az.: M 9 K 17.51320) und beantragen, den Bescheid vom 8. Mai 2017 aufzuheben und festzustellen, dass der Asylantrag zulässig ist und dass Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bei ihm vorliegen.
Außerdem ließ er beantragen,
gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Nr. 3 des Bescheids anzuordnen bzw. wiederherzustellen.
Zur Begründung von Klage und Antrag wird vorgetragen, dass das inländische Asylbegehren des Antragstellers als unzulässig abgelehnt worden sei, weil angeblich Fingerabdrücke im Eurodac-System in Italien vorliegen würden. Damit sei jedoch nicht bewiesen, dass der Antragsteller in Italien ein Asylverfahren durchgeführt habe, sondern nur, dass er dort registriert worden sei. Über Art, Dauer, Umfang und Entscheidung eines eventuellen Asylverfahrens sei nichts vorgetragen oder recherchiert. Aus diesem Grund könne auch ein Asylverfahren nicht als unzulässig abgelehnt werden.
Mit weiterem Schreiben seiner Bevollmächtigtem vom 1. Juli 2017 ließ der Antragsteller ein ärztliches Schreiben der H. Klinik München … vom 22. Mai 2017 vorlegen. Aus diesem Schreiben, auf das im Übrigen Bezug genommen wird, geht hervor, dass sich der Antragsteller einer Blinddarmoperation unterziehen musste.
Die Antragsgegnerin legte die Behördenakten vor, äußerte sich in der Sache aber nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in diesem und im dazugehörigen Klageverfahren und der Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Der Antrag ist zwar zulässig, insbesondere ist er fristgerecht gestellt worden, § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Der Antrag ist jedoch unbegründet, denn die Hauptsacheklage hat voraussichtlich keinen Erfolg.
Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 8. mai 2017, auf den im Sinne von
§ 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen wird, ist voraussichtlich rechtmäßig.
Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann.
1. Italien ist als Mitgliedstaat, der dem der Antragsteller ausweislich des VIS (= europäisches Visa-Informationssystem) – Treffers ein Visum ausgestellt hat, für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens richtet sich vorliegend nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO). Die Zuständigkeitskriterien der Dublin III-VO finden nach Art. 49 Abs. 2 dieser Verordnung auf Asylanträge, die – wie hier – nach dem 1. Januar 2014 gestellt worden sind, Anwendung.
Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Bei Anwendung dieser Kriterien ist ohne weiteres Italien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Das ergibt sich aus Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO, hier i.V.m. Art. 12 Abs. 4 Unterabs. 1 Dublin III-VO, da der Antragsteller mit einem von Italien ausgestellten Visum in den Schengen-Raum bzw. in den Anwendungsbereich der Dublin III-VO eingereist ist. Damit ist Italien als der Staat, der das Visum ausgestellt hat, für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers zuständig. Der Umstand der Ausstellung des Visums durch Italien unterliegt keinen Zweifeln; er ergibt sich sowohl aus dem italienischen VIS-Treffer als auch aus dem eigenen Vortrag des Antragstellers, der in seiner Erstbefragung angegeben hat, die italienische Botschaft in Daressalam habe ihm ein für zehn Tage gültiges Visum ausgestellt. Auch der vom Antragsteller angegebene Gültigkeitszeitraum passt mit den im VIS hinterlegten Daten zusammen. Ob der Antragsteller in Italien bereits einen Asylantrag gestellt hat, ist dagegen wegen des italienischen Visums für die Zuständigkeit vollkommen irrelevant. Damit ist vorliegend Italien der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige Mitgliedstaat.
Da die italienischen Behörden auf das Wiederaufnahmeersuchen der Antragsgegnerin nicht reagiert haben, ist gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die betreffende Person wieder aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen (Art. 18 Abs. 1 Dublin III-VO).
2. Die Abschiebung nach Italien kann gemäß § 34a Abs. 1 AsylG auch durchgeführt werden.
Die Zuständigkeit ist nicht gem. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO auf die Antragsgegnerin übergegangen, weil eine Überstellung an Italien als den zuständigen Mitgliedstaat an Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO scheitern würde. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Antragsteller im Falle einer Abschiebung nach Italien infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt wäre.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v.14.05.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v.21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 -, juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 Grundrechtscharta ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v.21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v.19.03.2014 – 10 B 6.14 -, juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller in Italien aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. BayVGH, U.v.28.02.2014 – 13a B 13.30295 -, juris; OVG NRW, B.v. 16.2.2017 – 13 A 316/17.A – juris Rn. 3 – 5; U.v.22.09.2016 – 13 A 2248/15.A -, juris Rn. 72ff.; U.v.18.07.2016 – 13 A 1859/14.A -, juris Rn. 54ff.; U.v.24.04.2015 – 14 A 2356/12.A -, juris; U.v. 07.03.2014 – 1 A 21/12.A -, juris; VGH BW, U.v.16.04.2014 – A 11 S 1721/13 -, juris; OVG Rh-Pf, U.v.21.02.2014 – 10 A 10656/13.OVG -, juris; OVG LSA, U.v.02.10.2013 – 3 L 645/12 -, juris; OVG Berlin-Bbg, B.v.17.06.2013 – OVG 7 S. 33.13 -, juris; NdsOVG, B.v.30.01.2014 – 4 LA 167/13 -, juris; U.v.25.06.2015 – 11 LB 248/14 -, juris; vgl. auch BVerfG, Kammerb.v.17.09.2014 – 2 BvR 732/14 -, juris). Danach verfügt Italien unter Berücksichtigung der Verwaltungspraxis über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren, welches trotz einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der vor Ort tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber im Normalfall nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen muss. Obwohl sich in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen durchaus erhebliche Mängel und Defizite feststellen lassen, werden diese, weder für sich genommen noch insgesamt, als so gravierend bewertet, dass ein grundlegendes, systemisches Versagen des Mitgliedstaates vorläge, welches für einen Dublin-Rückkehrer nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert (vgl. OVG NRW, U.v.07.03.2014, a.a.O, Rn 132; OVG Rh-Pf, U.v. 21.02.2014, a.a.O, Rn 45 f.).
Das Gericht schließt sich damit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an (vgl. EGMR, B.v.02.04.2013 – Hussein u.a../.Niederlande und Italien, Nr. 27725/10 -, ZAR 2013, 336; B.v.18.06.2013 – Halimi./.Österreich und Italien, Nr. 53852/11 -, ZAR 2013, 338). Unter Berücksichtigung der Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsinstitutionen und -organisationen über die Aufnahmeprogramme für Asylbewerber in Italien kam der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die allgemeine Situation und die Lebensbedingungen in Italien für Asylbewerber, anerkannte Flüchtlinge und Ausländer, die aus Gründen des internationalen Schutzes oder zu humanitären Zwecken eine Aufenthaltserlaubnis erhalten hätten, zwar einige Mängel aufweisen mögen, dass die vorliegenden Materialien jedoch kein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen für Asylbewerber als Mitglieder einer besonders schutzbedürftigen Personengruppe aufzeigen würden. Berichte des UNHCR und des Menschenrechtskommissars wiesen auf jüngste Verbesserungen der Situation hin mit dem Ziel der Mängelbeseitigung; alle Berichte zeigten übereinstimmend und ausführlich die Existenz ausgearbeiteter Strukturen von Einrichtungen und Hilfsmaßnahmen, die auf die Bedürfnisse der Asylbewerber zugeschnitten seien. Diese Rechtsauffassung hat der EGMR, dessen Rechtsprechung für die Auslegung der EMRK auch über den jeweilig entschiedenen Fall hinaus eine Orientierungs- und Leitfunktion hat (BVerfG, U.v.04.05.2011 – 2 BvR 2333/08 -, juris), durch seine Entscheidung vom 10. September 2013 (Nr. 2314/10 – HUDOC) ausdrücklich bestätigt.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des EGMR vom 4. November 2014 im Verfahren Tarakhel ./. Schweiz (Az. 29217/12, NVwZ 2015, 127 ff.). Der EGMR hat hier lediglich entschieden, dass die Schweizer Behörden die Abschiebung einer Familie nach Italien nicht vornehmen dürfen, ohne vorher individuelle Garantien von den italienischen Behörden erhalten zu haben, dass die Antragsteller in Italien in einer dem Alter der Kinder adäquaten Art und Weise behandelt werden und die Familie zusammenbleiben darf. Das Urteil beinhaltet damit keine Aussage zu eventuellen systemischen Mängeln in Italien, sondern lediglich eine Einschränkung für die Abschiebung von Familien nach Italien. Zudem hat der EGMR in seiner Entscheidung vom 5. Februar 2015 im Verfahren A.M.E. ./. Niederlande (Az. 51428/10) entschieden, dass die Struktur und die Gesamtsituation des italienischen Flüchtlings- und Asylbewerberaufnahmesystems kein genereller Grund sind, eine Überstellung im Zuge des sog. Dublin-Verfahrens zu verbieten. Unabhängig davon sind die Umstände des streitgegenständlichen Falles des Antragstellers mit denjenigen in der Entscheidung des EGMR nicht vergleichbar.
Auch aus neueren Erkenntnismitteln können keine Hinweise auf systemische Mängel entnommen werden. In dem vom Europäischen Rat für Flüchtlinge und im Exil lebende Personen (ECRE) für das Projekt AIDA – Asylum Information Database erstellten Länderbericht zu Italien vom Dezember 2015 (abrufbar unter http://www.asylumineurope.org/reports/country/italy) wird zwar ausgeführt (vgl. S. 62 ff. des Berichts), dass dort zumindest in der Vergangenheit nicht für alle Asylbewerber adäquate Aufnahmeeinrichtungen zur Verfügung gestanden haben und die Zahl von Unterbringungsplätzen nur unzureichend war. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der italienische Staat hiergegen erfolgsversprechende Gegenmaßnahmen ergreift. Zum einen werden die Kapazitäten der Aufnahmeeinrichtungen dem vorgenannten Bericht zufolge seit 2013 deutlich erhöht. UNHCR und Nichtregierungsorganisationen beraten die staatlichen Stellen bei der Verbesserung der Aufnahmebedingungen. Speziell für Dublin-Rückkehrer wurden zum anderen Zentren zur übergangsweisen Unterbringung eingerichtet (vgl. S. 63f. des Berichts). Ein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen lässt sich dem AIDA-Bericht nicht entnehmen. Ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen kann daher auch für die Personengruppe, der der Antragsteller angehört, nicht angenommen werden.
Auch aus dem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe von August 2016 (vgl. Schweizerischen Flüchtlingshilfe (https://www.fluechtlingshilfe.ch/…/160815-sfh-bericht-italien-aufnahmebedingungen) ergibt sich nichts Anderes. Denn erstens handelt es sich hierbei nicht um das einzig richtige bzw. einzig maßgebliche Erkenntnismittel, vielmehr ergibt eine Berücksichtigung dieses Erkenntnismittels in der Zusammenschau mit den zahlreichen anderen vorhandenen Erkenntnismitteln eben im Ergebnis, dass systemische Mängel im italienischen Asylverfahren nicht vorliegen. Zweitens wäre die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch Italien erst dann überschritten, wenn absehbar wäre, dass auf die erhöhte Zahl von Einwanderern keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung des Problems ergriffen würden. Dafür gibt es auch nach dem aktuellen Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe aus dem August 2016 keine Hinweise (vgl. VG Schwerin, U.v.26.09.2016 – 16 A 1757/15 As SN -, juris Rn. 122), auch ansonsten ist das nicht der Fall (vgl. z.B. OVG NRW, U.v.18.07.2016 – 13 A 1859/14.A -, juris Rn. 103ff.).
Die gegenwärtig hohe Zahl von Einwanderern nach Italien stellt keinen Umstand dar, der eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte. Die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch Italien würde erst dann überschritten, wenn auf die erhöhte Zahl von Einwanderern hin keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung der damit verbundenen Probleme ergriffen würden. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden (vgl. OVG NRW, U.v.24.04.2015 a.a.O.).
Auch der Umstand, dass sich die Situation des Antragstellers in Italien u.U. deutlich schlechter als im Bundesgebiet darstellt, begründet keinen systemischen Mangel des Asylverfahrens (vgl. EGMR, B.v.02.04.2013 – a.a.O.).
Auch im Hinblick auf medizinische Betreuung und Versorgung ergibt sich keine Verpflichtung der Antragsgegnerin, das Asylverfahren durchzuführen (vgl. EGMR, U.v.30.6.2015 – 39350/13 – A.S. gegen Schweiz), da Italien über eine umfassende Gesundheitsfürsorge verfügt, die italienischen Staatsbürgern sowie Flüchtlingen, Asylbewerbern und unter humanitären Schutz stehenden Personen gleichermaßen zugänglich ist. Nach der bestehenden Auskunftslage funktioniert die notfallmedizinische Versorgung und der Zugang zu Hausärzten grundsätzlich ebenso wie das Angebot von psychologischer und psychiatrischer Behandlung (vgl. VG Ansbach, U.v.11.12.2015 – AN 14 K 15.50316 -, juris Rn. 26 m.w.N.). Auch der bereits erwähnte Bericht von AIDA bestätigt die Gleichstellung von Asylsuchenden und international Schutzberechtigten mit italienischen Staatsangehörigen hinsichtlich der gesundheitlichen Versorgung (vgl. dort S. 84). Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21. Januar 2013 an das OVG Sachsen-Anhalt steht eine kostenfreie medizinische Versorgung auch Personen zu, die nicht in einer staatlichen Unterkunft untergebracht sind. Eine aktuelle Vereinbarung zwischen der italienischen Zentralregierung und den Regionen garantiert dabei die Not- und Grundversorgung auch von Personen, die sich illegal im Land aufhalten (VG Augsburg, B.v.19.09.2015 – Au 7 S. 15.50412 -, juris). Die Notambulanz ist für alle Personen in Italien kostenfrei (VG München, B.v.05.11.2014 – M 18 S. 14.50356 – juris m.w.N.). Auch bei Überstellung von kranken Personen, deren Asylverfahren in Italien negativ abgeschlossen ist, besteht damit die Möglichkeit der Behandlung. Es ist daher davon auszugehen, dass der Antragsteller, der noch dazu jedenfalls nach seinen eigenen Angaben im Verwaltungsverfahren gesund ist, in Italien Zugang zu einer angemessenen medizinischen Versorgung hat.
Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO notwendig machen, liegen nicht vor. Ebenso wenig liegen inlandsbezogene oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse vor. Das gilt insbesondere in Bezug auf das übersandte ärztliche Schreiben (H. Klinik München … vom 22. Mai 2017, Dr. P.) und die durchgeführte Blinddarmoperation. Unabhängig davon, dass dieses Schreiben, das vom 22. Mai 2017 datiert, aber erst mit Schreiben der Bevollmächtigten vom 1. Juli 2017 dem Gericht vorgelegt wurde, nicht mehr den aktuellen Zustand wiederspiegelt und ebenfalls unabhängig davon, dass entsprechende medizinische Anschlussbehandlungen, sollten solche erforderlich sein, in Italien ohne weiteres durchgeführt werden können (vgl. oben S. 12 / 13), geht aus dem ärztlichen Schreiben bereits keinerlei medizinisch veranlasste Einschränkung beim Antragsteller hervor. Im ärztlichen Schreiben wird u.a. ausgeführt, dass zwar trotz kompletter Beschwerdefreiheit des Patienten wegen der Entzündungswerte der Wurmfortsatz des Blinddarms entfernt wurde, was sich postoperativ aber komplikationslos gestaltete, die Wunden wurden als reizlos beschrieben.
Dass der Antragsteller in der Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags – sog. Zweitbefragung angegeben hat, dass er in keinen anderen Staat gehen wolle, ändert am Ergebnis nichts, da es nicht im Belieben des Antragstellers steht, wo sein Asylverfahren durchgeführt, solange wie hier im zuständigen Mitgliedstaat keine systemischen Schwachstellen des Asylverfahrens einschließlich der Aufnahmebedingungen bestehen (vgl. hierzu ausführlich oben).
Die Angaben des Antragstellers im Rahmen der Anhörung nach § 25 AsylG führen ebenfalls nicht zu einem anderen Ergebnis. Hierbei handelt es sich um die Geltendmachung von Umständen, die für die Überstellung des Antragstellers im Rahmen der Anwendung der Dublin III-Verordnung nicht relevant sind, vielmehr handelt es sich um sog. zielstaatsbezogenes Vorbringen, das zum Asylantrag des Antragstellers gehört, für den die Antragsgegnerin aber gerade nicht zuständig ist.
Auch gegen die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen in den Nummern 2 und 4 des streitgegenständlichen Bescheids bestehen keine Bedenken.
3. Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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