Europarecht

Anspruch auf Löschung des Eintrags “festgestellter Reichsbürger” in der Verbunddatei INPOL

Aktenzeichen  10 B 20.459

Datum:
20.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 20623
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BKAG § 2 Abs. 3, § 29 Abs. 2, Abs. 5, § 31 Abs. 2, § 77 Abs. 6
BDSG § 75 Abs. 2
PAG Art. 2 Abs. 1, Art. 32 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Art. 62 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Auch wenn INPOL beim Bundeskriminalamt eingerichtet ist, bleibt der Datenbesitz und die Datenverantwortlichkeit im Verbundsystem bei den jeweiligen Polizeien des Bundes und der Länder. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Speicherung der personenbezogenen Information „Reichsbürger“ ist als Ausdruck einer staatsfeindlichen weltanschaulichen Überzeugung zulässig, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die betreffende Person „Reichsbürger“ ist. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3. Weder aus der Erhebung von Schadensersatz- bzw. Entschädigungsklagen in dreistelliger Millionenhöhe noch aus einem teilweise beleidigenden Inhalt von Schreiben an Behörden und Gerichte ergeben sich für sich genommen hinreichende Anhaltspunkte für eine Zugehörigkeit zur Reichsbürgerszene. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 8 K 19.127 2019-11-19 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht Augsburg hat den Beklagten im Ergebnis zu Recht verpflichtet, die Eintragung des Klägers als „festgestellter Reichsbürger“ im Informationssystem Polizei (INPOL) zu löschen. Die darauf gerichtete Verpflichtungsklage des Klägers ist zulässig (1.) und begründet (2.), weil er einen Anspruch auf Löschung dieser personenbezogenen Daten gegenüber dem Beklagten hat und er durch das Unterlassen des entsprechenden Verwaltungsakts (Löschungsverfügung) in seinen Rechten verletzt wird (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Der Kläger verfolgt sein Begehren auf Löschung des Eintrags nach erfolgter behördlicher Ablehnung seines Löschungsantrags mit Schreiben des Polizeipräsidiums S. vom 21. November 2018 in zulässiger Weise mit einer Verpflichtungsklage (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 9.6.2010 – 6 C 5.09 – juris Rn. 23). Seine Klage ist nicht durch die am 5. Dezember 2019 vom Polizeipräsidium S. zunächst veranlasste Löschung des INPOL-Eintrags „festgestellter Reichsbürger“ unzulässig geworden, denn das mit der Verpflichtungsklage verfolgte Begehren hat sich durch diese Löschung des streitgegenständlichen Eintrags nicht erledigt. Eine Erledigung läge nur dann vor, wenn das Klageziel – der erstrebte Ausspruch des Gerichts – aus tatsächlichen Gründen nicht mehr erreicht werden könnte (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO,15. Aufl. 2019, § 113 Rn. 131) oder der erstrebte Verpflichtungsausspruch für den Kläger objektiv sinnlos würde und für ihn mit keinem Nutzen mehr verbunden wäre (Riese in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juli 2019, § 113 Rn. 113). Das ist hier nicht der Fall, weil der Beklagte die zunächst gelöschte Eintragung am 28. Januar 2020 wiederhergestellt hat, so dass die Weiterverfolgung des Begehrens des Klägers auf Verpflichtung des Beklagten zur (erneuten) Löschung des Datensatzes tatsächlich möglich und nicht sinnlos ist.
2. Die Verpflichtungsklage ist auch begründet, weil der Kläger einen Anspruch auf Löschung des INPOL-Eintrags „festgestellter Reichsbürger“ hat und er durch das Unterlassen des entsprechenden Verwaltungsakts in seinen Rechten verletzt wird.
Für die Prüfung des geltend gemachten Verpflichtungsbegehrens ist auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der letzten Tatsacheninstanz – hier der mündlichen Verhandlung am 20. Juli 2020 – abzustellen.
2.1 Passivlegitimiert für den vom Kläger geltend gemachten Löschungsanspruch ist gemäß § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO der Freistaat Bayern als Träger der Landespolizei und damit der die streitbefangenen Daten eingebenden und die Löschung ablehnenden Stelle. Dies ergibt sich aus Folgendem: Das polizeiliche Informationssystem INPOL ist das gemeinsame, arbeitsteilige, elektronische Informationssystem der Polizeien des Bundes und der Länder zur Unterstützung vollzugspolizeilicher Aufgaben, in dem informationstechnische Einrichtungen des Bundes und der Länder in einem Verbund zusammenwirken. Dieses System wird im Rahmen der Bundesaufgabe des Bundeskriminalamtes nach § 2 Abs. 3 BKAG geführt. Das Bundeskriminalamt ist gemäß § 29 Abs. 1 BKAG Zentralstelle für den polizeilichen Informationsverbund und stellt ein einheitliches Verbundsystem zur Verfügung. Die Daten für dieses Verbundsystem stellen die daran teilnehmenden Behörden zur Verfügung (§ 29 Abs. 2 Satz 2 BKAG; BT-Drs. 18/11163 S. 109). Den Angaben des Beklagten zufolge ist die auf den Kläger bezogene Information „festgestellter Reichsbürger“ in der INPOL-Datei dergestalt abgespeichert, dass dieser Hinweis bei Aufruf der entsprechenden Seite sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene erscheint.
Auch wenn INPOL beim Bundeskriminalamt eingerichtet ist und von dort den Landespolizeien und der Bundespolizei zur Verfügung gestellt wird, bleibt der Datenbesitz und die Datenverantwortlichkeit im Verbundsystem weiter bei den jeweiligen Polizeien des Bundes und der Länder (BT-Drs. 18/11163 S. 85). Dies folgt aus § 29 Abs. 5 Satz 1 und § 31 Abs. 2 BKAG, wonach im Rahmen des polizeilichen Informationsverbundes die datenschutzrechtliche Verantwortung für die bei der Zentralstelle gespeicherten Daten den Stellen obliegt, die die Daten unmittelbar eingeben, und zur Löschung nur diejenige Stelle befugt ist, die die Daten eingegeben hat (vgl. auch OVG Saarl, U.v. 30.1.2018 – 2 A 269/16 – juris Rn. 32; Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, BKAG, § 29 Rn. 28).
2.2 Rechtsgrundlage für die vom Kläger begehrte Löschung des Eintrags „festgestellter Reichsbürger“ im Verbundsystem ist § 77 Abs. 6 Satz 1 BKAG i.V.m. § 75 Abs. 2 BDSG. Zwar bleibt die datenschutzrechtliche Verantwortung für die bei der Zentralstelle gespeicherten Daten, nämlich für die Rechtmäßigkeit der Erhebung, die Zulässigkeit der Eingabe sowie die Richtigkeit und Aktualität der Daten, gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1 BKAG bei der Stelle, die die Daten eingegeben hat. Geführt bzw. zur Verfügung gestellt wird die Verbunddatei jedoch vom Bundeskriminalamt als Zentralstelle gemäß § 2 Abs. 3 BKAG. Da sich die Rechtsgrundlage für die Errichtung und Führung der Verbunddatei im BKAG befindet, ist folglich für die Geltendmachung eines Löschungsanspruchs die Verbunddatei betreffend auf die entsprechenden Normen des BKAG zurückzugreifen (vgl. zu § 32 BKAG a.F, jetzt § 77 BVerwG, U.v. 9.6.2010 – 6 C 5.09 – juris Rn. 16; OVG Saarl, U.v. 30.1.2018 – 2 A 269/16 – juris Rn. 33 ff.; vgl. Graulich in Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, BKAG, § 29 Rn. 28).
2.3 Voraussetzung für einen Anspruch auf Löschung der Daten ist gemäß § 77 Abs. 6 Satz 1 BKAG i.V.m. § 75 Abs. 2 BDSG, dass ihre Verarbeitung unzulässig ist, sie zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung gelöscht werden müssen oder ihre Kenntnis für die Aufgabenerfüllung des Verantwortlichen für die Daten nicht mehr erforderlich ist. Da die datenschutzrechtliche Verantwortung für die bei der Zentralstelle gespeicherten Daten bei der Stelle liegt, die die Daten eingegeben hat (§ 31 Abs. 2 BKAG), bestimmt sich die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung (Datenerhebung und Datenspeicherung) zum Zwecke der Gefahrenabwehr folglich nach den für die bayerische Landespolizei geltenden Vorschriften des PAG (Art. 30 ff. vgl. Graulich, a.a.O., § 31 Rn. 4).
Art. 30 Abs. 1 PAG stellt zunächst klar, dass die Regelungen des III. Abschnitts grundsätzlich für alle Datenerhebungen nach dem PAG gelten, unabhängig davon, innerhalb welcher Strukturen die Verarbeitung personenbezogener Daten erfolgt (z. B. in Akten, Dateien oder anderweitigen Informationssystemen). Diese Regelung dient als „Transmissionsriemen“ dem Umstand, dass sich das BKAG in den §§ 13 ff. sowie in § 29 BKAG, mit Relevanz insbesondere auch für den Bund-Länder-Datenverbund, des Begriffs des Informationssystems bedient (vor allem, um damit eine neue, horizontal ausgelegte Daten- und Abrufstruktur zum Ausdruck zu bringen, LT-Drs. 17/20425, S. 48). In Art. 30 Abs. 2 PAG werden die Vorgaben aus Art. 10 der Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 (Datenschutzrichtlinie) hinsichtlich der Verarbeitung von Daten, die besonderen Kategorien angehören, implementiert. Besondere Kategorien personenbezogener Daten sind u.a. solche, aus denen die rassische oder ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen. Beim Eintrag „festgestellter Reichsbürger“ handelt es sich um eine solche personenbezogene Information, aus der sich die politische und weltanschauliche Überzeugung der betreffenden Person entnehmen lässt.
Die Datenerhebung nach Art. 32 PAG und die Datenspeicherung nach Art. 54 PAG setzen jeweils voraus, dass der polizeiliche Aufgabenbereich nach Art. 2 PAG eröffnet ist. Die Polizei kann personenbezogene Daten erheben und speichern, wenn dies zur Gefahrenabwehr erforderlich ist (Art. 32 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Art. 54 Abs. 1 PAG). Das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Art. 2 Abs. 1 PAG umfasst neben der Unverletzlichkeit der Normen der Rechtsordnung die Unversehrtheit von Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre und Vermögen des Einzelnen sowie den Bestand und das Funktionieren des Staates und seiner Einrichtungen (Holzner in BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht, Stand 1.5.2020, Art. 2 PAG Rn. 11 m.w.N.). Dazu gehört auch der Schutz des Lebens und der Gesundheit von Polizeibeamten sowie der Polizei als Institution. Personen, die ihren Äußerungen oder ihrem sonstigen Verhalten nach erkennbar die Existenz und staatliche Hoheitsgewalt der Bundesrepublik Deutschland oder ihrer Bundesländer und damit die geltende Rechtsordnung offensiv ablehnen oder ignorieren, bieten keine hinreichende Gewähr dafür, dass sie bereit sind, Gesetze und Vorschriften einzuhalten, und bedrohen die Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen. Dies trifft aufgrund ihrer Ideologie auch auf Angehörige der Reichsbürgerszene zu (zur Ideologie der Reichsbürgerbewegung und ihrer Ablehnung der gesamten Rechtsordnung vgl. z.B. BayVGH, B.v. 6.12.2019 – 21 CS 19.759 – juris Rn. 15 ff; B.v. 5.2.2020 – 10 ZB 19.2459 – juris Rn. 7). Deshalb ist die Speicherung der personenbezogenen Information „Reichsbürger“ als Ausdruck einer staatsfeindlichen weltanschaulichen Überzeugung nach Art. 32 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 PAG und Art. 54 Abs. 1 PAG zulässig, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die betreffende Person „Reichsbürger“ ist. Dies ist beim Kläger jedoch nicht der Fall.
Zur Definition des Reichsbürgers führt das Bundesamt für Verfassungsschutz im Verfassungsschutzbericht 2018 (S. 97) aus: „Reichsbürger und Selbstverwalter sind Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen – unter anderem unter Berufung auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht – die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen. Sie sprechen den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation ab oder definieren sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend. Deshalb besteht die Besorgnis, dass sie Verstöße gegen die Rechtsordnung begehen. Neben falschen Deutungen und Behauptungen oder unzulässig verkürzt dargestellten Zitaten versenden Reichsbürger und Selbstverwalter häufig in aggressiver Diktion verfasste Schreiben an staatliche Stellen. Zudem nehmen sie mitunter rechtswidrig hoheitliche Aufgaben und Rechte für sich in Anspruch. Dieses rechtswidrige Beanspruchen hoheitlicher Rechte und Aufgaben, wie etwa die Produktion und der Vertrieb von Fantasieausweisen, die Weigerung, Steuern, Gebühren und Abgaben zu entrichten oder die Einrichtung verschiedener Regierungen und Verwaltungen sind weitere Vorgehensweisen, durch die Reichsbürger und Selbstverwalter in Erscheinung treten“. Nach dem Verfassungsschutzbericht Bayern 2018 (S. 175 ff.) sind „Reichsbürger“ Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen. Dabei berufen sie sich unter anderem auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht. Den Vertretern des Staates sprechen sie die Legitimation ab oder definieren sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend. Sie berufen sich in unterschiedlichster Form auf den Fortbestand des Deutschen Reiches. Dabei treten sie zur Verwirklichung ihrer Ziele zum Teil aggressiv gegenüber Behörden und Gerichten auf. Die Reichsbürgerideologie ist geeignet, Personen in ein geschlossenes verschwörungstheoretisches Weltbild zu verstricken, im dem aus Staatsverdrossenheit Staatshass werden kann. Dies kann die Grundlage für Radikalisierungsprozesse sein bis hin zur Gewaltanwendung. Reichsbürger entfalten gegenüber staatlichen Institutionen eine Vielzahl von Aktivitäten, die z.T. Ausdruck ihrer Ideologie sind, aber auch auf die gezielte Lahmlegung der öffentlichen Verwaltung zielen. Dazu zählt u.a. die Beantragung eines Staatsangehörigkeitsausweises, des sog. „gelben Scheins“.
Gemessen daran stellen die vom Beklagten für die streitbefangene Eintragung „festgestellter Reichsbürger“ angeführten Anhaltspunkte, nämlich die vom Kläger gegen den Freistaat Bayern erhobenen Schadensersatz- bzw. Entschädigungsklagen in dreistelliger Millionenhöhe, der teilweise beleidigende Inhalt seiner an Behörden und Gerichte gerichteten Schreiben sowie das Gespräch beim Finanzamt der Stadt A. Ende des Jahres 2016, zur Überzeugung des Senats jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür dar, dass der Kläger der Reichsbürgerszene zuzurechnen ist.
Die Schadensersatz- bzw. Entschädigungsklagen des Klägers mögen einer rechtlichen Grundlage entbehren und auch objektiv nicht nachvollziehbar sein. Die hinter den Klagen stehende Motivation ist jedoch keine staatsfeindliche Gesinnung im oben beschriebenen Sinn, sondern seine (Fehl-)Vorstellung, dass er zu Unrecht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und inhaftiert worden ist und ihm deshalb sowohl ein Entschädigungsanspruch wegen zu Unrecht erlittener Haft als auch ein Schadensersatzanspruch wegen der dadurch erzwungenen Einstellung seiner Tätigkeit als Bauträger zustehen. Seine Klagen haben auch nicht das Ziel, die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung oder der Gerichtsbarkeit zu beeinträchtigen, sondern seine vermeintlich bestehenden Ansprüche und daraus abgeleiteten Folgeansprüche gerichtlich durchzusetzen. Ein ständiges und querulatorisches Insistieren auf rechtlich nicht nachvollziehbaren Forderungen drückt für sich genommen keine staatsfeindliche Haltung aus. Bei den Forderungen handelt sich auch um keine „Fantasieforderung“ zur Einschüchterung oder Bedrohung von staatlichen Funktionsträgern, da der Kläger der festen Überzeugung ist, aufgrund der seiner Auffassung nach zu Unrecht erlittenen Inhaftierung stünden ihm die gegen den Freistaat Bayern geltend gemachten Ansprüche zu. Hintergrund der Forderungen ist eine rechtliche Fehleinschätzung, der aber zumindest ein realer Lebenssachverhalt zugrunde liegt. Auch wenn die Schreiben des Klägers an Behörden und Gerichte teilweise beleidigende Inhalte haben, offenbaren sie lediglich eine fehlende Akzeptanz gerichtlicher Entscheidungen, wenn sie seiner Rechtsauffassung nicht entsprechen, sowie die Verkennung der rechtlichen Grundlagen der geltend gemachten Ansprüche, stellen aber die Rechtsordnung und das Rechtssystem der Bundesrepublik nicht generell in Frage. Zu keiner anderen Beurteilung führt die Aussage des auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vernommenen Zeugen S. über ein Gespräch mit dem Kläger beim Finanzamt A. Der Zeuge hat ausgesagt, dass er sich an den genauen Wortlaut der Äußerung des Klägers, er bestreite die Vollstreckungsbefugnis der Behörde, nicht mehr erinnern könne. Er sei am Ende des Gesprächs aber der Überzeugung gewesen, dass die Mitteilung der um die Vollstreckung nachsuchenden Stelle, der Kläger sei möglicherweise „Reichsbürger“, zutreffe. Der Kläger habe monoton wiederholt, dass er die Vollstreckungsbefugnis bestreite. Letztlich hat der Zeuge aber auch bestätigt, dass in dem Gespräch auch Sachargumente, nämlich die vom Kläger erklärte Aufrechnung und Pfändungsschutzgründe, zur Sprache kamen. Der Kläger sei auch nicht aggressiv aufgetreten. Die vom Beklagten angeführten Anhaltspunkte sind auch bei einer Gesamtwürdigung aller erkennbaren Umstände zur Überzeugung des Senats (§ 108 VwGO) nicht ausreichend, den Kläger als „festgestellten Reichsbürger“ zu bezeichnen bzw. in polizeilichen Dateien zu führen. Der Kläger definiert sich durch seine Aktionen nicht als außerhalb der Rechtsordnung stehend, sondern versucht lediglich uneinsichtig im Rahmen der bestehenden Rechtsordnung illusorische Forderungen mit pseudojuristischen Argumenten durchzusetzen. Dem Gespräch beim Finanzamt misst der Senat keine entscheidende Bedeutung zu, weil der Erwartungshorizont des Zeugen durch die Vorabinformation der um Vollstreckung nachsuchenden Stelle offensichtlich geprägt war und die Äußerung des Klägers, er bestreite die Vollstreckungsbefugnis, daher in die vorgegebene Richtung interpretiert worden sein kann. Bestätigt wird dies auch durch die Aussage des Zeugen, das Gespräch mit dem Kläger sei das einzige mit einer derartigen Vorabinformation gewesen, weil „Reichsbürger“ in der Regel nicht das Gespräch mit dem Finanzamt suchten. Schließlich hat auch das Auftreten des Klägers in der mündlichen Verhandlung keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass er die Existenz der Bundesrepublik leugnen oder die bestehende Rechtsordnung nicht anerkennen würde. Vielmehr wurde deutlich, dass ihm nach seiner Überzeugung die behaupteten Schadensersatzsprüche zustehen und er sich in Verkennung der Rechtslage immer weiter in sein gedankliches bzw. argumentatives Konstrukt verstrickt.
Da der Beklagte somit schon von Anfang an nicht berechtigt war, die personenbezogenen Daten „festgestellter Reichsbürger“ zu erheben und zu speichern, kommt es nicht mehr darauf an, ob die gespeicherten personenbezogenen Daten zur weiteren Aufgabenerfüllung der Polizei noch erforderlich sind und ob sich der Kläger von der Ideologie der Reichsbürger distanziert hat. Ist die vom Beklagten vorgenommene Verarbeitung der personenbezogenen Information rechtswidrig erfolgt, ist der Kläger in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) verletzt.
Dahinstehen kann, ob als Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Löschungsanspruch neben § 77 Abs. 6 Satz 1 BKAG i.V.m. § 75 Abs. 2 BDSG auch noch Art. 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 PAG heranzuziehen ist, soweit der Eintrag „festgestellter Reichsbürger“ im INPOL auf Ebene der Landespolizei sichtbar ist – wie der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat. Der Klageantrag ist jedenfalls dahingehend auszulegen, dass der Eintrag „festgestellter Reichsbürger“ aus der INPOL-Datei auf allen Ebenen gelöscht werden soll. Dies wird nach Auffassung des Senats bereits durch Löschung aus der Verbunddatei gemäß § 77 Abs. 6 Satz 1 BKAG i.V.m. § 75 Abs. 2 BDSG erreicht, weil durch die Löschung die betreffenden personenbezogenen Daten vernichtet werden und nicht nur das Zugriffsrecht für die anderen Landespolizeien oder die Bundespolizei entzogen wird. Da die Anspruchsvoraussetzungen für eine Löschung der Daten in § 77 Abs. 6 Satz 1 BKAG i.V.m. § 75 Abs. 2 BDSG und Art. 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 PAG identisch sind, hätte ein vom gestellten Klageantrag mitumfasster Antrag auf Löschung nach Art. 62 Abs. 2 Satz 1 PAG ebenfalls Erfolg.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.


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