Europarecht

Antragsfrist, Widereinsetzung in den vorigen Stand, POSTIDENT, Rechtzeitige Antragstellung

Aktenzeichen  B 8 K 19.1257

Datum:
9.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 44549
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Baukindergeld-Plus-Richtlinien

 

Leitsatz

1. Es entspricht der Bewilligungspraxis in Anwendung der Nr. 8.2 der Baukindergeld-Plus-Richtlinie auf den rechtzeitigen Eingang des unterschriebenen Antrags bei der Bewilligungsbehörde abzustellen.
2. Die isolierte Identifikation via POSTIDENT ohne Versendung der unterschriebenen Antragsunterlagen reicht nicht aus, um die Antragsfrist zu wahren.

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei darf die Vollstreckung durch die Beklagtenseite durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v.H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagtenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Halbsatz 1 VwGO). Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört. Der Beklagte hat sich mit einer Entscheidung nach § 101 Abs. 2 VwGO einverstanden erklärt.
1. Die Klage ist zulässig. Die Klage ist als Versagungsgegenklage, § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO, zu verstehen, da dieses Begehren der Klägerin dem Klageschriftsatz zu entnehmen ist und als solches ausgelegt werden kann (§§ 86 Abs. 3, 88 VwGO).
2. Die Klage hat in der Sache allerdings keinen Erfolg.
Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 17.12.2019 ist rechtmäßig und damit nicht aufzuheben (§ 113 Abs. 1 VwGO). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Wohnraumförderung in Form einer Zuwendung auf Grundlage der Richtlinien für die Gewährung eines Pflegebonus Gewährung des Bayerischen Baukindergelds Plus zum Bau oder Erwerb von selbstgenutztem Wohnraum für Familien mit Kindern und alleinerziehende in Bayern (Baukindergeld-Plus-Richtlinien – BayBauKGPR) (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird im Wesentlichen zur Begründung auf die zutreffenden Ausführungen im genannten Bescheid des Beklagten Bezug genommen, § 117 Abs. 5 VwGO. Ergänzend ist auszuführen:
2.1 Die Bewilligung des hier in Rede stehenden „Baukindergelds-Plus“ erfolgt nach den Richtlinien für die Gewährung des Baukindergelds-Plus zum Bau oder Erwerb von selbstgenutztem Wohnraum für Familien mit Kindern und Alleinerziehenden in Bayern (Baukindergeld-Plus-Richtlinien – BayBauKGPR) und den allgemeinen haushaltsrechtlichen Bestimmungen (Art. 44 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 23 der Bayerischen Haushaltsordnung – BayHO). Sind die Fördervoraussetzungen – wie hier – zulässigerweise in Förderrichtlinien geregelt, so müssen diese von der zuständigen Bewilligungsbehörde gleichmäßig (Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Abs. 1 BV), im Einklang mit Art. 23 und 44 BayHO, ohne Verstoß gegen andere Rechtsvorschriften und gemäß dem Förderzweck angewendet werden, wie dieser in den selbst gegebenen Richtlinien zum Ausdruck kommt. Das Gericht hat sich auf die Prüfung zu beschränken, ob bei der Anwendung einer solchen Richtlinie im Einzelfall der Gleichheitssatz verletzt worden ist oder ein sonstiger Verstoß gegen einschlägige materielle Rechtsvorschriften vorliegt. Entscheidend ist daher allein, wie die zuständige Behörde die Richtlinie im maßgeblichen Zeitpunkt in ständiger, zu einer Selbstbindung führenden Verwaltungspraxis gehandhabt hat und in welchem Umfang sie infolgedessen an den Gleichheitssatz gebunden ist. Dabei darf eine solche Richtlinie nicht – wie Gesetze oder Rechtsverordnungen – gerichtlich ausgelegt werden, sondern sie dient nur dazu, eine dem Gleichheitsgrundsatz entsprechende Ermessensausübung der Behörde zu gewährleisten (vgl. BVerwG, B.v. 11.11.2008 – 7 B 38.08 – juris Rn. 9; BayVGH, U.v. 11.10.2019 – 22 B 19.840 – juris Rn. 26 m.w.N.; B.v. 9.3.2020 – 6 ZB 18.2102 – juris Rn. 9).
Nach Nr. 8.2 BayBauKGPR ist die Antragstellung ab Bezug des Wohnraums nach Nr. 2 und bis spätestens drei Monate nach dem Datum der Auszahlungsbestätigung der KfW für das Baukindergeld des Bundes zulässig. Das Gericht nimmt mangels entgegenstehender Anhaltspunkte oder entsprechenden Vortrags hierzu auf die von der Beklagtenseite vorgebrachte Behördenpraxis Bezug, auf den rechtzeitigen Eingang des unterschriebenen Antrags abzustellen (vgl. Schriftsatz vom 21.01.2021). Hierauf wurde die Klägerin nach den insoweit nachvollziehbaren Angaben der Behörde auch deutlich und mehrfach beim Durchlaufen des den Antrag vorbereitenden Onlineverfahrens hingewiesen (vgl. die ausführlichen Anlagen zum Schriftsatz der Beklagten vom 21.01.2021). Die Hinweise bilden dabei auch das stichhaltigste Indiz für die nach außen kundgegebene Behördenpraxis. Es verbietet sich nach dem oben beschriebenen Maßstab der gerichtlichen Überprüfung eine durch die Gerichte erfolgende erweiternde „Auslegung“ der Richtlinie.
Es ist vom Gericht insbesondere auch nicht zu entscheiden, ob der Richtliniengeber damit die praktikabelste oder gerechteste Lösung gefunden hat, sondern ob der Richtliniengeber sowie die tatsächliche Förderpraxis sich im Rahmen des weiten Gestaltungsspielraumes insbesondere unter Beachtung des Willkürverbotes hinsichtlich dieser freiwilligen Leistung gehalten haben. Dies ist vorliegend der Fall. Es erscheint sachgerecht, im Hinblick auf das behördliche Abwicklungsverfahren zur Bewilligung des Bayerischen Baukindergelds Plus, eine Frist zur Vorlage der unterschriebenen Antragsunterlagen zu setzen. Zum einen kann dadurch eine zeitnahe Abwicklung im Förderungssinne gewährleistet werden. Zum anderen kann dadurch auch sichergestellt werden, dass die Förderung auch tatsächlich im zeitlichen Zusammenhang mit dem Erwerb und dem Bezug der Immobilie steht und damit auch ein Bedürfnis auf Antragstellerseite zur Inanspruchnahme einer Förderung zur Schaffung von Wohnraum im Sinn des Förderzwecks befriedigt wird. Zweck der Zuwendung ist es, die Bildung von Wohneigentum in Bayern für Familien mit Kindern und Alleinerziehende durch Verstärkung des Baukindergelds des Bundes zu unterstützen, vgl. Nr. 1 Satz 1 der BayBauKGPR. Das bayerische Förderprogramm Baukindergeld Plus knüpft dabei unmittelbar an eine Förderung durch den Bund an und ist streng akzessorisch zu dieser. Das ergibt sich aus Nr. 2 der BayBauKGPR, wonach das Schaffen von Eigenwohnraum zur Selbstnutzung durch den Erwerb von neuen oder bestehenden Ein- oder Zweifamilienhäusern oder Eigentumswohnungen gefördert wird, soweit dafür das Baukindergeld des Bundes gewährt wird.
2.2 Die Klägerin hat diese Fördervoraussetzung des Nr. 8.2 BayBauKGPR vorliegend nicht erfüllt. Die Auszahlungsbestätigung der KfW datiert auf den 04.06.2019 (vgl. Bl. 25 d. Behördenakten). Ausgehend davon erfolgte ihr bei der Behörde am 15.10.2019 eingegangener schriftlicher Antrag samt Unterlagen (vgl. Bl. 22 d. Behördenakten) eindeutig zu spät, was die Klägerin auch selbst einräumt. Entsprechend Art. 31 Abs. 1 BayVwVfG i.V.m. §§ 187 ff. BGB hätten die unterschriebenen Unterlagen bis spätestens zum 04.09.2019 bei der Behörde eingehen müssen (vgl. § 188 Abs. 2 BGB).
Nach den oben genannten Maßstäben ist nicht entscheidend, dass die Klägerin zwar die Personenidentifikation via POSTIDENT durchgeführt hat, dessen Bestätigung der BayernLabo am 26.06.2019 zugegangen ist (Bl. 32 d. Behördenakten). Insofern eindeutig ist auch der Hinweis der BayernLabo bei Onlineantragstellung, dass „ein rechtsgültiger Antrag nur zustande kommt, wenn zusätzlich ein unterzeichnetes Antragsformular zusammen mit den benötigten Unterlagen“ eingereicht wird (vgl. Anlagen zum Schriftsatz vom 21.01.2021).
2.3 Eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht. Es kann dabei dahinstehen, ob entgegen dem eindeutigen Wortlaut des Art. 32 Abs. 1 BayVwVfG („gesetzliche Frist“) dieser vorliegend entsprechend anzuwenden wäre (offen gelassen für den Bereich nicht rechtssatzmäßig geregelter staatlicher Leistungsgewährung, BayVGH, B.v. 17.12.2009 – 3 CE 09.2494 – juris). Offenbleiben kann auch, ob eine Wiedereinsetzung nach Art. 32 Abs. 5 BayVwVfG unzulässig ist, weil es sich bei Nr. 8.2 BayBauKGPR um eine im – Subventionsrecht naheliegende – materielle Ausschlussfrist handelt (vgl. OVG NRW, U.v. 26.02.2001 – 15 A 527/00 – juris Rn. 11).
Zwar können grundsätzlich Unkenntnis oder Sprachbarrieren Hinderungsgründe sein; sie entheben aber nicht von jeder Sorgfaltspflicht (vgl. BVerfG, B.v. 08.11.1991 – 2 BvR 1388, 1389, 1390, 1391/91 – juris). Es ist im vorliegenden Fall nicht davon auszugehen, dass die Klägerin aufgrund solcher Hindernisse unverschuldet verhindert gewesen sein soll, den Antrag rechtzeitig zu stellen. Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls war es nach Überzeugung des Gerichts der Klägerin vielmehr zumutbar, sich entsprechend zu informieren bzw. Unklarheiten rechtzeitig zu beseitigen.
Es liegt zunächst grundsätzlich im Verantwortungsbereich der Klägerin, eine rechtzeitige und ordnungsgemäße Antragstellung für eine sie begünstigende Leistung im erforderlichen Maße sicherzustellen, um damit die Fördervoraussetzungen zu erfüllen. Dabei berücksichtigt das Gericht auch, dass der Beklagte sich selbst zur Vorgabe gemacht hat, Antragsteller zu informieren und bei der Antragstellung zu unterstützen, vgl. Nr. 8.3. Satz 2 BayBauKGPR.
In Anbetracht der in Erfüllung dieser Vorgabe vorhandenen – im gerichtlichen Verfahren vorgebrachten und von der Klägerseite nicht in Zweifel gezogenen – Vielzahl an Hinweisen und Informationen seitens der Behörde konnte die Klägerin gerade nicht allein darauf vertrauen, dass sie mit dem Durchlaufen des POSTIDENT-Verfahrens ohne die für den Antrag maßgeblichen Unterlagen ausgedruckt und unterschrieben zu verschicken, die Fördervoraussetzungen schon erfüllen wird. Laut eigenem Vortrag hat sich die Klägerin erstmals nach Ablauf der für sie eindeutig ergebenden Drei-Monatsfrist per E-Mail am 19.09.2019 hinsichtlich ihrer Antragstellung bei der Behörde vergewissern wollen.
Es ist zudem weder konkret vorgetragen noch nachvollziehbar, weshalb eine Ausräumung von allenfalls pauschal geltend gemachten sprachlichen Unklarheiten für die Klägerin im Einzelfall nicht möglich oder bis zum Ablauf der Drei-Monats-Frist für die vollständige Antragstellung nach Nr. 8.2 BayBauKGPR hinderlich gewesen wären. Auch würde es an einem entsprechenden Vortrag fehlen, inwiefern sich die Klägerin rechtzeitig um eine entsprechende Übersetzung bemüht hätte, um etwaige Sprachbarrieren auszuräumen.
Auch der Verweis der Klägerin auf Art. 25 Abs. 2 BayVwVfG ändert an diesem Ergebnis nichts. Es ist nicht ersichtlich, dass die Behörde im vorliegenden Fall im Vorfeld fehlerhafte bzw. unklare Hinweise gegeben oder notwendige Erörterungen unterlassen hätte. Vielmehr hat der Beklagte mit dem vorgeschalteten Online-Antragsverfahren für eine Vielzahl von Fällen standardisiert die Erfüllung seiner grundsätzlichen Hinweis- und Informationspflichten zur Vorbereitung ordnungsgemäßer und fristwahrender Anträge abgesichert, die nach Überzeugung des Gerichts auch im Falle der Klägerin unter Berücksichtigung der obigen Erwägungen als ausreichend anzusehen sind. Vor dem Hintergrund der Gewährung freiwilliger Leistungen in einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle kann es für die Behörde nicht als erforderlich angesehen werden, darüber hinaus im konkreten Einzelfall proaktiv auf die Klägerin zuzugehen, zumal aus dem aufgrund des isolierten Durchlaufens des POSTIDENT-Verfahrens übermittelten Dokument (vgl. Bl. 32 d. Behördenakten) ein konkretes Anliegen nicht hervorgeht.
Der Verweis auf § 3a Abs. 3 Satz 1 VwVfG bzw. Art. 3a Abs. 3 Satz 1 BayVwVfG überzeugt nicht, da im vorliegenden Fall die Übermittlung schriftlicher Dokumente zur Überprüfung steht. Die Klägerin hat im Übrigen nicht geltend gemacht, dass sie etwa die von der Behörde – nach Durchlaufen des Online-Antragsverfahren – zum Download bereitgestellten Antragsdokumente (zum Ausdrucken, Unterschreiben und Versenden) nicht hätte bearbeiten können, Art. 3a Abs. 3 Satz 2 BayVwVfG. Der Anwendungsbereich der §§ 71a ff. VwVfG bzw. Art. 71a ff. BayVwVfG ist mangels gesetzlicher Anordnung nicht eröffnet.
2.4 Auch ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die Behörde in gleichgelagerten Fällen eine Bewilligung ausgesprochen und nur die Klägerin unter Missachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG davon ausgenommen hätte.
Die Klage hat deshalb inhaltlich keinen Erfolg und ist abzuweisen.
3. Als unterliegender Teil trägt die Klägerin gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V. m. §§ 708 ff. ZPO.


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