Europarecht

Auslegungsmaßstab für die Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings; Unterstützung der PKK; Einzelfallentscheidung

Aktenzeichen  1 B 18/12

Datum:
8.10.2012
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Beschluss
Normen:
§ 54 Nr 5 AufenthG 2004
§ 132 Abs 2 Nr 1 VwGO
Spruchkörper:
1. Senat

Verfahrensgang

vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 16. Mai 2012, Az: 11 S 2328/11, Urteil

Gründe

1
Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger und anerkannter Flüchtling, wendet sich gegen seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet. Der Verwaltungsgerichtshof hält die auf § 54 Nr. 5 AufenthG gestützte Ausweisung für rechtmäßig, weil Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigten, dass der Kläger seit Jahren den internationalen Terrorismus der PKK unterstütze. Die auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Sie genügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
2
Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und sowohl für das Berufungsurteil als auch für die angefochtene Revisionsentscheidung entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus und verlangt außerdem die Angabe, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (stRspr; vgl. Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – NJW 1997, 3328 m.w.N.). Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher höchstrichterlich noch nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage führen kann.
3
Die Beschwerde hält die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig, “ob ein anerkannter Flüchtling, der keine Handlungen vorgenommen hat, die geeignet wären, einen Schaden für die Existenz, die Bestands- und Funktionsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen, der weder selbst Gewalt angewendet noch dazu aufgerufen oder diese aktiv verherrlicht hat aufgrund einer vor mehreren Jahren beendeten Vorstandstätigkeit und einer vor spätestens 3 Jahren beendeten’ aktiven Mitgliedschaft’ für einen den internationalen Terrorismus unterstützenden Verein nach Art. 24 Abs. 1 QRL aus der Bundesrepublik ausgewiesen werden kann”.
4
Eine entscheidungserhebliche Grundsatzfrage wirft die Beschwerde damit schon deshalb nicht auf, weil die Ausweisung des Klägers nicht auf Art. 24 der Richtlinie 2004/83/EG, sondern auf § 54 Nr. 5 AufenthG gestützt worden ist. Aber auch wenn man davon ausgeht, dass die Beschwerde Art. 24 der Richtlinie als Auslegungsmaßstab für den nationalen Ausweisungstatbestand verstanden wissen will, wird jedenfalls eine verallgemeinerungsfähige Frage des revisiblen Rechts nicht dargelegt. Die Beschwerde bezieht sich zur Begründung u.a. auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Mai 2012 (BVerwG 1 C 8.11 – zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen, Rn. 24), wonach einem anerkannten Flüchtling eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis wegen Vorliegens eines Ausweisungsgrundes nach § 54 Nr. 5 AufenthG nur versagt werden darf, wenn der Flüchtling eine Vereinigung, die den Terrorismus unterstützt, in qualifizierter Weise, insbesondere durch eigene Gewaltbeiträge oder als Funktionär unterstützt. Die von ihr aufgeworfene Frage zielt aber nicht auf die Klärung einer allgemeinen Rechtsproblematik – etwa einer vom Bundesverwaltungsgericht noch nicht geklärten Maßstabsfrage, sondern wendet sich in Gestalt einer Grundsatzrüge gegen die Anwendung der zitierten Norm auf den konkreten Einzelfall. Dies ergibt sich u.a. daraus, dass sie in die Fragestellung eine “vor mehreren Jahren beendete Vorstandstätigkeit” und eine “vor spätestens 3 Jahren beendete aktive Mitgliedschaft” einbezieht und damit auf Umstände abstellt, die den vorliegenden Fall charakterisieren mögen, aber einer fallübergreifenden Klärung entgegen stehen. Im Übrigen hat der Senat in dem von der Beschwerde zitierten Urteil vom 22. Mai 2012 ausgeführt, dass sich die Frage, wann eine strukturelle Einbindung des Ausländers in die den Terrorismus unterstützende Organisation die nach § 54 Nr. 5 AufenthG erforderliche Gefahrenschwelle erreicht, nicht abstrakt beantworten lässt, sondern von einer wertenden Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalles abhängt (a.a.O.).
5
Zwar legt der Verwaltungsgerichtshof in der angegriffenen Entscheidung der unionsrechtskonformen Auslegung des genannten Ausweisungstatbestandes ein Verständnis von Art. 21 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 und Art. 24 der Richtlinie 2004/83/EG zugrunde, das mit dem des Senats in dem bereits zitierten Urteil vom 22. Mai 2012 nicht übereinstimmt. Der Senat geht davon aus, dass mit Blick auf Terrorismusgefahren “zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung” im Sinne des Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie eine höhere Gefahrenschwelle beinhalten als “schwerwiegende Gründe für die Sicherheit des Mitgliedstaats” im Sinne des Art. 21 Abs. 2, 3 und 1 (a.a.O. Rn. 21). Damit ist die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs nicht vereinbar, der mit Blick auf die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung durch den Kläger das Vorliegen “schwerwiegender Gründe für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland” verneint und gleichzeitig die Schwelle “zwingender Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung” bejaht (UA S. 54 = juris Rn. 102). Die fehlerhafte Auslegung einer Rechtsvorschrift eröffnet für sich genommen jedoch noch nicht die Zulassung einer Grundsatzrevision.
6
Schließlich ist das Berufungsgericht nicht – wie die Beschwerde meint – von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen, dass von dem Ausländer noch eine aktuelle Gefährdung ausgehen muss. Es hat tatrichterlich aus der festgestellten Mitgliedschaft und Verbandstätigkeit des Klägers sowie seinen Aktivitäten in der Vergangenheit vielmehr in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise Rückschlüsse auf seine fortdauernde Gefährlichkeit gezogen und sich zur Begründung u.a. darauf gestützt, dass keine äußerlich feststellbaren Umstände vorlägen, aus denen auf eine Änderung der inneren Einstellung des Klägers und ein künftiges Unterlassen von Unterstützungshandlungen geschlossen werden könne (UA S. 51).

Die gegen diese Entscheidung erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 22.01.2015 – 2 BvR 2644/12 – nicht zur Entscheidung angenommen.


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