Europarecht

Ausweisung, Spezial- und Generalprävention, gefährliche Körperverletzung, Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt

Aktenzeichen  AN 11 K 21.00888

Datum:
2.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 14081
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG §§ 53 Abs. 1, 54 Abs. 2 und 55 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Klägerseite über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Klägerin ordnungsgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen wurde, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 14. April 2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten; diese hat derzeit auch keinen Anspruch auf Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 VwGO).
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird Bezug genommen auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheids (§ 117 Abs. 5 VwGO) und ergänzend ausgeführt:
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung und der Befristungsentscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – BVerwGE 157, 325).
1. Die von der Klägerin angefochtene Ausweisung ist rechtmäßig.
a) Gegen die formelle Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids bestehen – insbesondere auch hinsichtlich der Zuständigkeit der Ausländerbehörde – keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Nach Art. 3 Abs. 3 BayVwVfG kann die bisher zuständige Behörde das Verwaltungsverfahren fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr zuständige Behörde zustimmt. Eine solche Zustimmung ist gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m Abs. 2 BayVwVfG auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren möglich und vorliegend nach den Darlegungen der Beklagten in der mündlichen Verhandlung am 27. Mai 2022 erfolgt, nachdem die Zuständigkeit zwischenzeitlich auf die Zentrale Ausländerbehörde … übergegangen ist (vgl. BayVGH B.v. 22.2.2012 – 10 ZB 11.969 – juris Rn. 19 m.w.N.). Gründe dafür, dass die Fortführung des Verfahrens durch die Ausländerbehörde der Beklagten nicht der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens diente und die Interessen der Klägerin nicht gewahrt wurden, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Allein die theoretische Möglichkeit, dass die nunmehr zuständige Behörde die Ausweisung nicht bzw. eine kürzere Frist verfügt hätte, genügt insoweit nicht, eine Rechtsverletzung der Klägerin zu begründen.
b) Die verfügte Ausweisung stützt sich auf § 53 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) in Verbindung mit § 54 Abs. 2 Nr. 1 und 8 Buchst. b AufenthG. Der besondere Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3, 3a und 3b AufenthG findet vorliegend keine Anwendung.
Gemäß § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem Verbleib des Ausländers ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Dabei sind nach § 53 Abs. 2 AufenthG bei der Abwägung nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei dieser Beurteilung müssen die Behörden sowohl den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als auch die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, wahren (vgl. EuGH, U.v. 22.12.2010 – Bozkurt, C-303/08 – juris Rn. 57 ff. m.w.N.; U.v. 8.12.2011 – Ziebell, C-371/08 – NVwZ 2012, 422 Rn. 82). Dabei sind auch nach der Ausweisungsverfügung eingetretene Tatsachen zu berücksichtigen, die den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen können (vgl. EuGH, U.v. 11.11.2004 – Cetinkaya, C-467/02 – juris Rn. 47, EuGH, U.v. 8.12.2011 – a.a.O. Rn. 84).
Auf die zutreffenden Ausführungen der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid wird Bezug genommen; im gerichtlichen Verfahren wurde nichts vorgetragen bzw. hinreichend dargelegt, was eine andere Beurteilung rechtfertigen würde.
Im Fall der Klägerin liegt ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 8 Buchst. b AufenthG vor. Nach dieser Norm wiegt das Ausweisungsinteresse schwer, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist (§ 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG); nach § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. b AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse schwer, wenn der Ausländer in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde. Die Klägerin erfüllt diese Voraussetzungen; sie wurde während ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet rechtskräftig verurteilt. Ausweisungsanlass war die vorgenannte Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung (AG …, U.v. 11.8.2020 – … -, Bl. 560 ff. der Behördenakte), deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Im Übrigen besteht zudem ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. b AufenthG wegen der im Bescheid dargelegten unterlassenen Mitwirkung (trotz bestehender Rechtspflicht) nach erfolgtem entsprechenden Hinweis seitens der Ausländerbehörde der Beklagten.
Der Aufenthalt der Klägerin gefährdet die öffentliche Sicherheit und Ordnung i.S.d. § 53 Abs. 1 AufenthG. Die Beklagte hat die Ausweisung sowohl auf generalpräventive als auch auf spezialpräventive Gründe gestützt. Dies ist vorliegend nicht zu beanstanden. Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass sich auch nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Recht (allein) mit generalpräventiven Gründen ein Ausweisungsinteresse begründen lässt (vgl. BVerwG, U.v. 9.5.2019 – 1 C 21/18 – InfAuslR 2019, 381; U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 16). Dem Gedanken der Generalprävention liegt zugrunde, dass – über eine ggf. erfolgte strafrechtliche Sanktion hinaus – ein besonderes Bedürfnis besteht, durch die Ausweisung andere Ausländer von Taten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Erforderlich ist regelmäßig, dass eine Ausweisungspraxis, die an die Begehung ähnlicher Taten anknüpft, geeignet ist, auf potentielle weitere Täter abschreckend zu wirken. Bei der generalpräventiven Aufenthaltsbeendigung ist besonders sorgfältig das Gewicht der mit ihr verfolgten im öffentlichen Interesse liegenden Ziele zu ermitteln. Hierzu gehört auch für die Verwaltungsgerichte eine genaue Kenntnisnahme und Würdigung des der Aufenthaltsbeendigung zugrundeliegenden Tatgeschehens und seiner strafgerichtlichen Bewertung (vgl. BVerfG, B.v. 21.3.1985 – 2 BvR 1642/83 – juris Rn. 24). Zudem rechnet die Klägerin nicht zu den durch § 53 Abs. 3 AufenthG privilegierten Personengruppen, so dass auch insoweit das Abstellen auf generalpräventive Gründe nicht ausgeschlossen ist.
Insbesondere im Hinblick auf die Art der Straftat soll Ausländern – bei einer Ausweisung aus generalpräventiven Gründen – vor Augen geführt werden, dass derartige Verstöße mit einer Aufenthaltsbeendigung mit einem damit einhergehenden Aufenthaltsverbot bedacht werden. Diesem Zweck wird durch eine einheitlich verlässliche Verwaltungspraxis der Ausländerbehörde Rechnung getragen. Die konsequente Ahndung ist geeignet, unmittelbar auf das Verhalten anderer Ausländer einzuwirken und damit künftigen Delikten generalpräventiv vorzubeugen. Es besteht ein öffentliches Interesse, eine verhaltenssteuernde Wirkung bei anderen Ausländern zu erreichen. Dabei ist zu berücksichtigten, dass jedes generalpräventive Ausweisungsinteresse mit zunehmendem Zeitabstand an Bedeutung verliert und ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr herangezogen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16/17 – FamRZ 2018, 1544, juris Rn. 22 f. zur Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG bei Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis). Für die zeitliche Begrenzung eines generalpräventiven Ausweisungsinteresses, das an strafrechtlich relevantes Handeln anknüpft, ist für die vorzunehmende gefahrenabwehrrechtliche Beurteilung eine Orientierung an den Fristen der §§ 78 ff. StGB zur Strafverfolgungsverjährung angezeigt. Dabei bildet die einfache Verjährungsfrist des § 78 Abs. 3 StGB, deren Dauer sich nach der verwirklichten Tat richtet und die mit Beendigung der Tat zu laufen beginnt, eine untere Grenze. Die obere Grenze orientiert sich hingegen regelmäßig an der absoluten Verjährungsfrist des § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB, die regelmäßig das Doppelte der einfachen Verjährungsfrist beträgt. Innerhalb dieses Zeitrahmens ist der Fortbestand des Ausweisungsinteresses anhand generalpräventiver Erwägungen zu ermitteln. Bei abgeurteilten Straftaten bilden zudem die Tilgungsfristen des § 46 BZRG eine absolute Obergrenze, weil nach deren Ablauf die Tat und die Verurteilung dem Betroffenen im Rechtsverkehr nach § 51 BZRG nicht mehr vorgehalten werden dürfen (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16/17 – FamRZ 2018, 1544, juris Rn. 22 m.w.N.).
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist das generalpräventive Ausweisungsinteresse vorliegend im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auch noch aktuell. Bei gefährlicher Körperverletzung beläuft sich der Strafrahmen gemäß § 224 StGB auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB beträgt die Verjährungsfrist daher zehn Jahre, wobei die Verjährung am Tag der Tatbeendigung beginnt, § 78a Satz 1 StGB. Da die Tat, auf deren Grundlage die Verurteilung erfolgte am 22. September 2018 begangen worden ist, ist vorliegend unzweifelhaft noch nicht einmal die untere Grenze erreicht und das generalpräventive Ausweisungsinteresse damit noch aktuell.
Soweit die Beklagte die Ausweisung zudem auf spezialpräventive Erwägungen stützt, ist auch dies nicht zu beanstanden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zu der Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris, Rn. 18). Dabei sind die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte rechtlich nicht gebunden. Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris, Rn. 33). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – Rn. 18; BayVGH, B.v. 8.3.2016 – 10 B 15.180 – juris Rn. 31).
Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Kammer zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt zu der Überzeugung (§ 108 Abs. 1 VwGO) gelangt, dass eine hinreichend konkrete Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass die Klägerin erneut die öffentliche Sicherheit durch vergleichbare Straftaten (auch Körperverletzungsdelikte) beeinträchtigen wird. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die körperliche Unversehrtheit des Menschen ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut ist (vgl. BayVGH, B.v. 26.10.2016 – 19 C 15.2217 – juris). Zwar setzte das Amtsgericht die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, weil es vom Vorliegen einer günstigen Sozialprognose ausging, demgegenüber geht es bei der Ausweisung um die Frage, ob das Risiko eines Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder von der Gesellschaft im Heimatstaat des Ausländers getragen werden muss; die Prognoseentscheidung bezieht sich folglich nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern hat einen längeren Zeithorizont in den Blick zu nehmen. Denn es geht hier um die Beurteilung, ob es dem Ausländer gelingen wird, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen (vgl. BayVGH, B.v. 8.4.2019 – 10 ZB 18.2284 – juris). Das Gericht geht mit der Beklagten davon aus, dass nach dem persönlichen Verhalten der Klägerin und aufgrund der konkreten Umstände des Falls – auch mit Blick auf Tatmotiv und -bild – mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass von ihr auch künftig eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht. Dies gilt insbesondere mit Blick darauf, dass die Klägerin am 22. September 2018, demnach etwa zwei Jahre nach ihrer Einreise am 16. Juni 2016, erheblich in der vorgenannten Weise strafrechtlich in Erscheinung trat und dabei nach den Feststellungen des Strafgerichts (Bl. 560 ff. Behördenakte) zwar aufgrund der vorhergehenden Auseinandersetzung erregt, aber voll schuldfähig war, wenngleich sie sich beim Amtsgericht dahingehend einließ, dass sie sich an die Tat nicht erinnern könne, die Tat als solche aber auch nicht abstritt. Dabei ist zu sehen, dass die Klägerin nach den strafgerichtlichen Feststellungen zunächst plangemäß aus der Küche ein Brotmesser holte, sich von der Sicherheitsmitarbeiterin nicht aufhalten ließ, in das Zimmer der Geschädigten eindrang und dann diese mehrmals mit dem Messer verletzte und auch nach deren Flucht aus dem Zimmer noch weitere Versuche unternahm, die Tat fortzusetzen. Letzteres scheiterte nur deshalb, da die Türe von der Geschädigten und weiteren Mitbewohnern zugehalten wurde. Die Klägerin ging demnach mehrfach mit dem Messer, einem gefährlichen Werkzeug, auf die Geschädigte los, die erhebliche Verletzungen erlitt. Die in diesem Vorgehen zum Ausdruck kommende Aggressivität belegt die charakterlichen Defizite der Klägerin; die Beklagte geht daher zu Recht von einer mangelnden Hemmschwelle für aggressives Verhalten aus. Allein der Vortrag des Bevollmächtigten der Klägerin im Rahmen des Verwaltungsverfahrens, es handle sich um ein länger zurückliegendes singuläres Ereignis, sowie die Tatsache, dass das Strafgericht die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt hat, führen aufgrund der gegebenen Gesamtumstände zu keiner anderen Beurteilung. Insbesondere kann auch mit Blick auf die Tochter (geb. …2017) der Klägerin nicht von einer Zäsur in der Lebensführung der Klägerin gesprochen werden, die eine straffreie Lebensführung erwarten ließe, da die Tochter im Tatzeitpunkt bereits geboren und noch ein Kleinkind war. Zumal die Klägerin nach Anhörung zur Ausweisung die gefälschte Geburtsurkunde vorlegte. Die Straffreiheit während der Bewährungszeit nach Aktenlage führt insoweit zu keiner anderen Beurteilung; zumal der Bewährungszeitraum noch nicht abgelaufen ist, die Klägerin also unter einem besonderen Legalbewährungsdruck steht. Demzufolge ist das Legalverhalten für die ausweisungsrechtliche Prognose zwar heranzuziehen, jedoch nur bedingt aussagekräftig, weil es nicht ohne weiteres auf ein straffreies Leben nach dem Abschluss des Ausweisungsverfahren schließen lässt. Die Kammer ist daher der Auffassung, dass aufgrund des Gesamtverhaltens und der Persönlichkeit der Klägerin sowie im Hinblick auf die längerfristig angelegte ausländerrechtliche Gefahrenprognose und den Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass die Klägerin wieder straffällig wird.
c) Unter Berücksichtigung aller Umstände und nach Abwägung des öffentlichen Ausweisungsinteresses (§ 54 AufenthG) mit dem privaten Bleibeinteresse (§ 55 AufenthG) der Klägerin ist das Verwaltungsgericht der Überzeugung, dass hier das öffentliche Interesse an der Ausreise der Klägerin ihr Interesse an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und die Ausweisung auch nicht gegen höherrangige Normen verstößt.
Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keine überwiegenden Bleibeinteressen der Klägerin gegenüber: Die streitgegenständliche Ausweisung der Klägerin ist weder unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG – allerdings nicht abschließend – aufgeführten Umstände noch mit Blick auf die Anforderungen der wertentscheidenden Grundsatznormen des Art. 6 Abs. 1 GG und des Art. 8 EMRK unverhältnismäßig.
Zudem liegt es im öffentlichen Interesse, die von der Klägerin begangenen Taten neben der strafrechtlichen Sanktion mit dem Mittel der Ausweisung zu bekämpfen, um auf diese Weise andere Ausländer von der Nachahmung eines solchen Verhaltens abzuschrecken.
Die Beklagte ist zugunsten der Klägerin von einem – im Bescheid dargelegten – schwerwiegenden Bleibeinteresse ausgegangen (§ 55 Abs. 2 Nr. 3 bzw. 5 AufenthG); sie hat insbesondere berücksichtigt, dass sich die Klägerin nach ihren Angaben erst seit Juni 2016 im Bundesgebiet aufhält und der Asylantrag ihrer hier geborenen Tochter zwar negativ beschieden, die Klage hiergegen aber noch anhängig ist. Eine Integration in die hiesige Rechts- und Werteordnung ist ihr bislang nicht gelungen. Auch die Identität der Klägerin ist nicht geklärt, diese hat vielmehr eine Geburtsurkunde vorgelegt, die als Fälschung identifiziert wurde. Zudem ist sie relativ kurze Zeit nach ihrer Einreise am 22. September 2018 massiv strafrechtlich in Erscheinung getreten und wegen dieser (Anlass-)Tat zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt worden. Die 21-jährige Klägerin ist demnach nicht im Bundesgebiet aufgewachsen und nach Aktenlage bzw. den Darlegungen der Beklagten in der mündlichen Verhandlung derzeit u.a. mangels Vorlage eines Passes, aber auch wegen des Asylklageverfahrens ihrer Tochter (AN …*) geduldet. Auch die möglichen Folgen der Ausweisung für die Klägerin führen letztlich nicht zu deren Unverhältnismäßigkeit. Ausgehend von den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerfG (Kammer), B.v. 10.5.2007 – 2 BvR 304/07 – NVwZ 2007, 946; BVerwG, U.v. 23.10.2007 – 1 C 10/07 – BVerwGE 129, 367) und den maßgeblichen Kriterien seitens des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. EGMR, U.v. 13.10.2011 – „Trabelsi“, Nr. 41548/06 – juris) sind die persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin sowie das öffentliche Interesse seitens der Beklagten zutreffend abgewogen und gewichtet worden. Die Kammer erkennt, dass der Klägerin als Folge der Ausweisung (ggf. nach Abschluss des o.g. Asylklageverfahrens ihrer Tochter) eine Abschiebung nach Äthiopien droht. Das Gericht geht jedoch davon aus, dass es der Klägerin nach Aktenlage zumutbar ist, dort Anschluss an das soziale und berufliche Leben zu finden. Im Übrigen entschied das Bundesamt über das Vorliegen zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote (§ 42 Satz 1 AsylG). Auch ist vorliegend davon auszugehen, dass die – nach ihren Angaben jedenfalls bis zum 15. Lebensjahr im Heimatland lebende – Klägerin mit den dortigen Lebensverhältnissen vertraut ist.
Die Ausweisung erweist sich im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung auch unter Berücksichtigung von Art. 8 Abs. 1 und Abs. 2 EMRK als verhältnismäßig.
Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit sind insbesondere die Anzahl, Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftaten, das Alter des Ausländers bei Begehung dieser Taten, die Dauer des Aufenthalts in dem Land, das der Ausländer verlassen soll, die seit Begehung der Straftaten vergangene Zeit und das seitdem gezeigte Verhalten des Ausländers, die Staatsangehörigkeit aller Beteiligten, die familiäre Situation und gegebenenfalls die Dauer einer Ehe sowie andere Umstände, die auf ein tatsächliches Familienleben eines Paares hinweisen, Kinder des Ausländers und deren Alter, das Interesse und das Wohl der Kinder, insbesondere auch die Schwierigkeiten, auf die sie wahrscheinlich in dem Land treffen, in das der Betroffene ggf. abgeschoben werden soll, die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland einerseits und zum Herkunftsland andererseits als Kriterien heranzuziehen (EGMR, U.v. 25.3.2010 – Mutlag/ Bundesrepublik Nr. 40601/05 – InfAuslR 2010, 325; U.v. 13.10.2011 – Trabelsi/ Bundesrepublik Nr. 41548/06 – juris Rn. 54).
Ausgehend von diesen Maßgaben kann sich die Klägerin nicht auf eine Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung berufen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die obige Abwägung und den Bescheid der Beklagten verwiesen. Die Ausweisung ist die geeignete, erforderliche und angemessene Maßnahme, um den dargelegten beabsichtigten Zweck durchzusetzen. Durch ein anderes, milderes Mittel kann der mit ihr verfolgte Zweck vorliegend nicht erreicht werden. Im Ergebnis ist die Ausweisung der Klägerin daher rechtmäßig.
2. Die Verfügung in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids, mit der das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG auf die Dauer von vier Jahren ab Verlassen des Bundesgebietes befristet wurde, ist ebenfalls rechtmäßig.
Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist nach Ermessen zu befristen ist (§ 11 Abs. 2 und 3 AufenthG). Dies hat zur Folge, dass das Gericht die Länge der Frist grundsätzlich nur in dem durch § 114 Satz 1 VwGO vorgegebenen Rahmen überprüfen darf. Eine Verkürzung der Dauer der Frist für das Einreise- und Aufenthaltsverbot durch das Gericht selbst kommt also nur in Betracht, wenn eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt. In allen anderen Fällen ist zwar die Entscheidung der Verwaltungsbehörde aufzuheben, jedoch muss das Gericht der Verwaltungsbehörde erneut Gelegenheit geben, ihr Ermessen rechtsfehlerfrei auszuüben (vgl. BayVGH, U.v. 28.6.2016 – 10 B 15.1854 – juris; U.v. 12.7.2016 – 10 BV 14.1818 – juris Rn. 59 m.w.N.). Gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG darf die Frist außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten. Nach § 11 Abs. 5 Satz 1 AuenthG soll die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht.
Bei der Bestimmung der Länge der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen; es bedarf einer prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zu Grunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag, wie lange also die Gefahr besteht, dass der Ausländer weitere Straftaten oder andere Verstöße gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung begehen wird, wobei die Umstände des Einzelfalles anhand des Gewichts des Ausweisungsgrundes zu berücksichtigen sind. In einem zweiten Schritt ist die so ermittelte Frist an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK zu überprüfen und gegebenenfalls zu verkürzen; dieses normative Korrektiv bietet den Ausländerbehörden und den Gerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (BVerwG, U.v. 13.12.2012 – 1 C 14.12 – juris Rn. 14; BayVGH, U.v. 25.8.2015 – 10 B 13.715 – juris Rn. 56; BayVGH, U.v. 28.6.2016 – 10 B 15.1854 – juris Rn. 50; BayVGH, U.v. 12.7.2016 – 10 BV 14.1818 – juris).
Nach diesen Maßstäben und nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung ist die mit dem angefochtenen Bescheid der Beklagten festgesetzte Frist nicht zu lang und daher rechtmäßig. Die Beklagte konnte ihre Ermessensentscheidung aufrechterhalten; durchgreifende Ermessensfehler sind weder ersichtlich noch von der Klägerin geltend gemacht.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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