Europarecht

Bauaufsichtliche Nutzungsuntersagung für Wettbüro/Wettannahmestelle

Aktenzeichen  9 B 17.271

Datum:
14.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
LSK – 2017, 133331
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 68 Abs. 1 S. 1, Art. 76 S. 2
BayVwVfG Art. 40
GlüStV § 3, § 4 Abs. 1 S. 1, § 9 Abs. 1 S. 2, S. 3 Nr. 3, § 9a Abs. 2 S. 1 Nr. 3, § 10a Abs. 5 S. 2, § 21
AGGlüStV Art. 2
GG Art. 3 Abs. 1
BV Art. 118 Abs. 1
HGlüG § 16 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Die bauaufsichtliche Nutzungsuntersagung eines Wettbüros/einer Wettannahmestelle aufgrund des Nichtvorliegens einer förmlichen glücksspielrechtlichen Vermittlungserlaubnis setzt die Prüfung voraus, ob die formell illegale Tätigkeit materiell erlaubnisfähig ist; fehlt es an dieser Prüfung, ist die Nutzungsuntersagung unverhältnismäßig. (Rn. 30 – 31) (redaktioneller Leitsatz)
2 Es verletzt den Gleichheitssatz, wenn eine ausschließlich der Wahrung des glücksspielrechtlichen Erlaubnisvorbehalts in § 10a Abs. 5 S. 2 iVm § 4 Abs. 1 GlüStV dienende und zugleich allein auf die formelle Illegalität der Wettvermittlung abstellende bauaufsichtliche Nutzungsuntersagungsverfügung ohne sachlichen Grund aufrecht erhalten bleibt, während in gleichgelagerten glücksspielrechtlichen Fällen nicht allein wegen formell fehlender glücksspielrechtlicher Vermittlungserlaubnis gegen die unerlaubte Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten vorgegangen wurde bzw. wird. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 4 K 13.947 2014-03-11 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 11. März 2014 (Az. W 4 K 13.947) wird aufgehoben.
II. Der Bescheid des Landratsamts A … vom 12. September 2013 (Az. 91.3-6024-B 141/2013/0) wird aufgehoben.
III. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen zu tragen.
IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Über die Berufung kann im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.
I.
Die Berufung des Klägers ist zulässig.
Insbesondere fehlt es dem Kläger nicht am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis für sein Begehren. Denn die unter Beachtung des angeordneten Sofortvollzugs erfolgte Nutzungsaufgabe des gegenständlichen Ladenlokals durch den Kläger hindert diesen nicht daran, die ihm mit Bescheid vom 6. Juni 2013 genehmigte Nutzung wieder aufzunehmen, wenn die Nutzungsuntersagungsverfügung vom 12. September 2013 aufgehoben wird.
II.
Die Berufung ist begründet.
Der Bescheid des Landratsamts A … vom 12. September 2013 ist aufzuheben, weil er rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 114 Satz 1 VwGO).
Da die Nutzungsuntersagungsverfügung nicht nur das Gebot beinhaltet, die beanstandete Nutzung (einmalig) einzustellen, sondern auch das Verbot, auf Dauer dieselbe oder eine vergleichbare Nutzung wieder aufzunehmen, ist im Fall der Klage gegen eine Nutzungsuntersagungsverfügung nicht nur der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, sondern der der letzten mündlichen Verhandlung bzw. hier der Entscheidung im schriftlichen Verfahren maßgebend; die Rechtmäßigkeit der Nutzungsuntersagungsverfügung ist ständig zu kontrollieren (vgl. Decker in Simon/ Busse, BayBO, Stand Mai 2017, Art. 76 Rn. 292 m.w.N.). Für eine glücksspielrechtliche Untersagungsverfügung gilt im Ergebnis nichts anderes (vgl. BVerwG, U.v. 15.6.2016 – 8 C 5.15 – BVerwGE 155, 261 = juris Rn. 16 m.w.N.).
Die zwischen den Parteien umstrittene Frage, ob die bauaufsichtlich genehmigte Nutzung der Räumlichkeiten als „Lotto-, Toto-Geschäft bzw. Wettbüro“ gleichwohl formell illegal ist, weil der Kläger entgegen der Nebenbestimmung, die Wettannahmestelle erst nach Vorliegen einer gültigen Glücksspielerlaubnis nach dem Glücksspielstaatsvertag betreiben zu dürfen, bislang keine derartige Erlaubnis vorgelegt hat, bedarf keiner Klärung in diesem Verfahren. Ebenso wenig muss hier der Frage nachgegangen werden, ob das Vorhaben des Klägers offensichtlich (bau-) genehmigungsfähig ist. Denn die Nutzungsuntersagungsverfügung vom 12. September 2013 ist jedenfalls deshalb rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, weil das Landratsamt als Bauaufsichtsbehörde die gesetzlichen Grenzen des ihm nach Art. 76 Satz 2 BayBO, Art. 40 BayVwVfG eröffneten Ermessens überschritten hat (§ 113 Abs. 1 Satz 1, § 114 Satz 1 VwGO).
1. Die Entscheidung über den Erlass einer Nutzungsuntersagungsverfügung nach Art. 76 Satz 2 BayBO steht im Ermessen der Bauaufsichtsbehörde. Das folgt ohne weiteres bereits aus dem Wortlaut der Befugnisnorm, wonach eine Nutzung untersagt werden „kann“, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt werden (vgl. Decker in Simon/Busse, BayBO, Stand Mai 2017, Art. 76 Rn. 301 ff. m.w.N.).
Ist das Landratsamt als Bauaufsichtsbehörde danach ermächtigt, beim Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 76 Satz 2 BayBO nach seinem Ermessen zu handeln, hat es die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (Art. 40 BayVwVfG). Insoweit musste und muss das Landratsamt klären, „ob“ es trotz Vorliegens der materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Art. 76 Satz 2 BayBO von der Befugnis zum Erlass einer Nutzungsuntersagungsverfügung im konkreten Einzelfall Gebrauch machen darf. Dies ist u.a. dann zu verneinen, wenn durch die Ermessensentscheidung inhaltlich ein Rechtsverstoß bewirkt wird, etwa weil einschlägige, strikt verbindliche Vorschriften nicht angewendet werden. Zu den aufgrund der Bindung des Ermessens an das Gesetz zu beachtenden Rechtsnormen gehören die für die gesamte Rechtsordnung wirksamen verfassungsrechtlichen Anforderungen wie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der Gleichheitssatz (vgl. Sachs in Stelkens/ Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Auflage 2014, § 40 Rn. 82 ff. m.w.N.). Wegen der jeder Ermessensbetätigung zugrunde liegenden Einzelfallbetrachtung ergibt sich nichts anderes aus der Erwägung, dass die Behörde „im Regelfall“ von ihrem Ermessen in einer dem Zweck des Gesetzes entsprechenden Weise Gebrauch macht, wenn sie bei rechtswidrig errichteten oder genutzten Anlagen die unzulässige Benutzung nach Art. 76 Satz 2 BayBO untersagt (vgl. Decker in Simon/Busse, a.a.O., Art. 76 Rn. 301).
2. Hiervon ausgehend ist die angefochtene Nutzungsuntersagungsverfügung wegen Überschreitung der gesetzlichen Grenzen des Ermessens rechtswidrig, weil das Landratsamt die Nichtvorlage der mit der Nebenbestimmung zur Baugenehmigung vom 6. Juni 2013 geforderten „gültigen Glücksspielerlaubnis nach dem Glücksspielstaatsvertrag“ unter Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den Gleichheitsgrundsatz geahndet hat.
a) Die der Nutzungsuntersagungsverfügung zugrunde liegende, nicht weiter begründete Nebenbestimmung des Landratsamts im Baugenehmigungsbescheid vom 6. Juni 2013, „die Wettannahmestelle darf erst nach Vorliegen einer gültigen Glücksspielerlaubnis nach dem Glücksspielstaatsvertrag betrieben werden“, ist dahin auszulegen, dass vor Nutzungsaufnahme eine Erlaubnis zum Vermitteln von Sportwetten nach § 10a Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV (GVBl 2012, 318), Art. 2 AGGlüStV vorzulegen ist.
Baurechtliche Erwägungen verfolgte das Landratsamt mit dieser Nebenbestimmung ersichtlich nicht. Dies ergibt sich hinsichtlich der bauplanungsrechtlichen Zulassungsfähigkeit des Vorhabens aus der Begründung der Baugenehmigung vom 6. Juni 2013, wonach dem Vorhaben des Klägers „keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften, welche im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind“, entgegen stehen (vgl. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1, Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO). Auch im Übrigen hat das Landratsamt im Baugenehmigungsverfahren keine Bedenken wegen eines Verstoßes gegen sonstige materiell baurechtliche Vorschriften geltend gemacht. Die mit der Baugenehmigung festgelegte Nebenbestimmung geht auf eine Stellungnahme des im Baugenehmigungsverfahren beteiligten Gewerbeamts zurück, das vorgeschlagen hatte, folgenden „Hinweis“ aufzunehmen: „Von der Baugenehmigung darf nur bei vorliegender gültiger Glücksspielerlaubnis im Sinne des Glücksspielstaatsvertrags Gebrauch gemacht werden. Aus der Baugenehmigung erwächst kein Anspruch auf Zulassung nach dem in Bayern geltenden glücksspielrechtlichen Bestimmungen“ (vgl. Stellungnahme des Gewerbeamts vom 20.3.2013, Bl. 19 der Akte 141/2013 des Landratsamts). Die von der Bauaufsichtsbehörde des Landratsamts gleichwohl unter der Überschrift „Auflagen und Bedingungen“ und nicht als „Hinweis“ in die Baugenehmigung vom 6. Juni 2013 aufgenommene Nebenbestimmung sollte wohl einerseits Zweifel am Sachbescheidungsinteresse ausräumen (vgl. Schreiben vom 28.3.2013, Bl. 23 der Akte des Landratsamts 141/2013) und andererseits dem Kläger verdeutlichen, dass die rechtmäßige Aufnahme der Sportwettenvermittlung eine glücksspielrechtliche Erlaubnis erfordert. Einen weitergehenden Zweck, der über die Verhinderung von Verstößen gegen sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften i.S.d. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayBO (hier: des Glücksspielrechts) hinausgehen könnte, verfolgt die Nebenbestimmung hier nicht.
Da die Nebenbestimmung allein auf das Vorliegen einer „gültigen Glücksspielerlaubnis nach dem Glücksspielstaatsvertrag“ abstellt, führt ihrem Wortlaut zufolge bereits das Nichtvorliegen einer Glücksspielerlaubnis zur Unzulässigkeit der Nutzungsaufnahme, gleichgültig, ob die aufgenommene Nutzung lediglich formell gegen den Erlaubnisvorbehalt des § 4 Abs. 1 GlüStV verstößt oder zugleich ganz oder teilweise Zweifel am Vorliegen der materiellen glücksspielrechtlichen Erlaubnisvoraussetzungen bestehen. Hiervon ging auch das Landratsamt aus, das die Nutzung mit Bescheid vom 12. September 2013 nicht etwa wegen materiell-rechtlicher Bedenken an der Zulässigkeit des konkreten Wettangebots oder Zweifeln am Vorliegen sonstiger materiell-rechtlicher Regelungen des Glücksspielstaatsvertrags untersagte, sondern weil „eine solche Erlaubnis dem Landratsamt bis zum derzeitigen Zeitpunkt nicht vorliegt“ und der „Betrieb des Wettbüros somit im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften erfolgt“ (ebs. die Begründung des Sofortvollzugs: „Es kann jedoch auf keinen Fall geduldet werden, dass das Wettbüro (Wettannahmestelle) ohne die erforderliche Glücksspielerlaubnis betrieben wird.“).
b) Das somit allein auf der Grundlage des Nichtvorliegens einer förmlichen glücksspielrechtlichen Vermittlungserlaubnis ausgeübte Entschließungsermessen des Landratsamts zum Erlass der angefochtenen bauaufsichtlichen Nutzungsuntersagungsverfügung überschreitet die nach Art. 40 BayVwVfG von der Behörde zu beachtenden gesetzlichen Grenzen des Ermessens, weil die Ermessensausübung im konkreten Fall gegen den aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie gegen den Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Abs. 1 BV verstößt.
aa) Die Ermessensausübung verstößt gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dieser erfordert, dass das staatliche Verhalten zur Erreichung eines legitimen Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen ist (vgl. Grzeszick in Maunz/Dürig, Grundgesetz, Stand Juni 2017, Art. 20 VII. Rn. 110 m.w.N.).
Dem widerspricht die Ermessensausübung des Landratsamts beim Erlass der Nutzungsuntersagungsverfügung vom 12. September 2013, weil diese zur Erreichung der mit dem Erlaubnisvorbehalt nach § 4 Abs. 1 GlüStV verfolgten (legitimen) Zwecke wie u.a. der Sucht- und Kriminalitätsprävention sowie des Jugend- und Spielerschutzes angesichts der konkreten Umstände im Einzelfall nicht erforderlich bzw. unangemessen ist.
(1) In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass eine glücksspielrechtliche Untersagungsverfügung zur Gefahrenabwehr nicht erforderlich und damit unverhältnismäßig ist, wenn die formell illegale Tätigkeit die materiellen Erlaubnisvoraussetzungen – mit Ausnahme der möglicherweise rechtswidrigen Monopolvorschriften – erfüllt und dies für die Untersagungsbehörde im Zeitpunkt ihrer Entscheidung offensichtlich, d.h. ohne weitere Prüfung erkennbar war (vgl. BVerwG, U.v. 16.5.2013 – 8 C 14.12 – BVerwGE 146, 303 = juris Rn. 54). Für die gegenständliche bauaufsichtliche Untersagungsverfügung kann nichts anderes gelten, weil sowohl die Nebenbestimmung, die „Wettannahmestelle“ erst nach Vorliegen einer gültigen Glücksspielerlaubnis betreiben zu dürfen, wie auch die bauaufsichtliche Nutzungsuntersagung hier ausschließlich der Wahrung des glücksspielrechtlichen Erlaubnisvorbehalts in § 10a Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 GlüStV dienen. Es kommt somit nicht darauf an, dass die angefochtene Nutzungsuntersagung wegen Nichterfüllens einer bestandskräftigen Nebenbestimmung zur Baugenehmigung verfügt wurde und nicht unmittelbar auf der Grundlage von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3, Abs. 1 Satz 2 GlüStV erging.
Hiervon ausgehend ist der Erlass der bauaufsichtlichen Nutzungsuntersagungsverfügung vom 12. September 2013 unverhältnismäßig. Es ist zwar ungeklärt, ob die materiellen Erlaubnisvoraussetzungen des Glücksspielstaatsvertrags für die Sportwettvermittlung hier „offensichtlich“ erfüllt sind. Insoweit kann die Erforderlichkeit der Untersagungsverfügung nicht ohne weiteres verneint werden. Fehlerhaft ist die Ermessensausübung durch das Landratsamt als Bauaufsichtsbehörde gleichwohl. Nach Aktenlage hat es das Landratsamt aus rein formalen Gründen unterlassen, die materiell glücksspielrechtliche Erlaubnisfähigkeit der Wettvermittlungsstelle überhaupt in Erwägung zu ziehen. Es hat vielmehr der Nebenbestimmung zur Baugenehmigung vom 6. Juni 2013 folgend allein das Nichtvorliegen einer formellen glücksspielrechtlichen Erlaubnis zum Anlass genommen, die baurechtlich genehmigte Nutzung als Wettbüro zu untersagen. Angesichts der Defizite beim Vollzug des glücksspielrechtlichen Erlaubnisverfahrens greift dies aber zu kurz. Das Landratsamt als Bauaufsichtsbehörde hat hier verkannt, dass es deswegen die materielle glücksspielrechtliche Erlaubnisfähigkeit zumindest in den Blick hätte nehmen müssen.
(2) Dementsprechend hat das Landratsamt bei der Ermessensausübung auch außer Acht gelassen, dass der Kläger die mit der Nebenbestimmung zur Baugenehmigung geforderte glücksspielrechtliche Vermittlungserlaubnis aus Gründen nicht vorlegen kann, die im staatlichen Verantwortungsbereich liegen.
Da ein öffentliches Glücksspiel (§ 3 Abs. 2 GlüStV) – wie hier die Vermittlung von Sportwetten des Veranstalters T … durch einen Dritten (zum Glücksspielcharakter der Sportwette vgl. § 3 Abs. 1 Sätze 3 und 4, § 21 GlüStV) – dort wo es zur Teilnahme angeboten wird, gleichermaßen veranstaltet und vermittelt wird (§ 3 Abs. 4 GlüStV), reicht eine Vermittlungserlaubnis allein nicht, um Glücksspiele zu vermitteln, wenn – wie hier – eine auf das vermittelte Angebot bezogene Veranstaltungserlaubnis oder Veranstaltungskonzession nicht vorliegt (vgl. Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, 2. Auflage 2013, § 3 GlüStV Rn. 16; zu Sportwetten § 10a Abs. 2 i.V.m. §§ 4a bis 4e GlüStV: Konzession als besondere Form der Erlaubnis i.S.d. § 4 Abs. 1 GlüStV, Dieltlein/Hecker/Ruttig a.a.O. § 10a Rn. 19, LT-Drs. 16/11995 S. 23; vgl. auch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 AGGlüStV). Der in Malta ansässige Veranstalter T … hat sich zwar um eine Konzession für die Veranstaltung von Sportwetten bei dem für die Konzessionsvergabe nach § 9a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GlüStV und § 16 Abs. 1 HGlüG zuständigen Hessischen Ministerium für Inneres und Sport beworben und ist auch ins Auswahlverfahren gelangt, er gehörte aber nicht zu den zunächst ausgewählten 20 Konzessionären (vgl. VG Wiesbaden, U.v. 15.4.2016 – 5 K 1431/14.WI – juris; vgl. auch Schreiben von T …, Bl. 24 f der Akte des Landratsamts 141/2013). Angesichts von rechtlichen und tatsächlichen Unklarheiten des sich in Umsetzung befindlichen Konzessionssystems sind bislang – soweit ersichtlich – noch keine Konzessionen an private Sportwetten-Veranstalter erteilt worden (vgl. Deiseroth/Eggert, GewArch 2017, 89 m.w.N.).
In Bayern wurden die Behörden deshalb zuletzt mit Schreiben des Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr vom 5. August 2016 (StMI-IA4-2167-5-9 und IA4-2161-2-71 u.a. mit Leitlinien zum Vollzug im Bereich Sportwetten während des laufenden Konzessionsverfahrens vom 28.1.2016) darauf hingewiesen, dass bei Wahrung der Rahmenbedingungen der Leitlinien vom 28. Januar 2016 Sportwettenveranstaltungen während des laufenden Konzessionierungsverfahrens geduldet werden. Weiter ist danach beabsichtigt, für duldungsfähige Wettvermittlungsstellen dieser Sportveranstalter formelle Duldungsbescheide zu erlassen und gegen alle unerlaubten, nichtgeduldeten Wettvermittlungsstellen aufsichtlich vorzugehen. Antragsteller für den Erlass der Duldungsbescheide sollen die Sportwettenveranstalter sein, nicht die Inhaber der Wettvermittlungsstellen. Welche Folgerungen aus diesen Vorgaben im Einzelnen für den Betrieb des Klägers gezogen werden könnten, kann dahinstehen. Fest steht jedenfalls, dass der Kläger aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat, außerstande war und außerstande ist, die von ihm in der Nebenbestimmung zur Baugenehmigung geforderte glücksspielrechtliche Vermittlungserlaubnis zu erlangen. Die gleichwohl allein wegen Nichtvorliegens einer Vermittlungserlaubnis erlassene und aufrechterhaltene Nutzungsuntersagungsverfügung ist deshalb unangemessen.
bb) Die Ermessensausübung des Landratsamts verletzt unter dem Gesichtspunkt der Selbstbindung der Verwaltung im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auch den Gleichheitssatz, weil das Landratsamt die Nutzungsuntersagungsverfügung entgegen der Vollzugspraxis in Bayern erlassen hat und weiterhin aufrechterhält.
Die Verwaltung ist allgemein verpflichtet, nach sachgerecht begründeten Kriterien folgerichtig zu handeln. Dies gilt insbesondere auch für ordnungsbehördliches Einschreiten gegen eine Vielzahl vergleichbarer Tatbestände, führt allerdings nicht zu einem Gebot „flächendeckenden“ Vorgehens. Allgemein gelten danach die Grundsätze der Selbstbindung der Verwaltung, die eine sachlich unbegründete Abweichung von einer bisher geübten Praxis im Einzelfall verbieten, nicht jedoch deren generelle Änderung für die Zukunft (vgl. Osterloh/Nußberger in Sachs, Grundgesetz, 7. Auflage 2014, Art. 3 Rn. 117 f. m.w.N.). Die Selbstbindung tritt nach Art. 3 Abs. 1 GG aufgrund einer ständigen gleichmäßigen Übung der Verwaltungspraxis ein, deren Maximen das Gleichhandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG inhaltlich ausfüllen (vgl. Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Auflage 2014, § 40 Rn. 105 m.w.N.). So liegt es hier.
Das für das Glücksspielwesen in Bayern zuständige Bayerische Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr (vgl. § 3 Nr. 10 der Verordnung über die Geschäftsverteilung der Bayerischen Staatsregierung, Art. 4 Abs. 1 AGGlüStV) hat vor dem Hintergrund der Urteile des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 12. Januar 2012 (Az. 10 BV 10.2271 und 10 BV 10.2505, nachgehend BVerwG U.v. 16.5.2013 – 8 C 14.12 – BVerwGE 146, 303 und 8 C 15.12 – juris) bereits mit Schreiben vom 28. August 2012 (IA4-0103.2-76 mit Niederschrift zu den Dienstbesprechungen) darauf hingewiesen, dass der Vollzug beim Vorgehen gegen die unerlaubte (Sport-) Wettvermittlung schrittweise aufgebaut werden müsse. Bis zur Erteilung der Sportwettkonzessionen erscheine es nicht erfolgversprechend, die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten allein aufgrund formeller Illegalität zu untersagen. In Reaktion auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Mai 2013 (Az. 8 C 14.12, vgl. juris Rn. 54) wurden vom Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr zudem Vollzugshinweise an die nachgeordneten Behörden herausgegeben, wonach erst nach Konzessionserteilung und nach Erteilung der Erlaubnis für Wettvermittlungsstellen allein wegen formeller Illegalität gegen die unerlaubte Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten vorgegangen werden kann (vgl. Nr. 3 Buchst. b des Schreibens vom 31.7.2015 – IA4-2161-2-38). Ob von diesen Vorgaben nach Abschluss des zuvor genannten Duldungsverfahrens (vgl. StMI-IA4-2167-5-9 und IA4-2161-2-71) abgewichen wird, bleibt abzuwarten (vgl. HessVGH, B.v. 29.5.2017 – 8 B 2744/16 – juris). Jedenfalls verletzt es den Gleichheitssatz, wenn die ausschließlich der Wahrung des glücksspielrechtlichen Erlaubnisvorbehalts in § 10a Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 GlüStV dienende und zugleich allein auf die formelle Illegalität der Wettvermittlung abstellende bauaufsichtliche Nutzungsuntersagungsverfügung vom 12. September 2013 ohne sachlichen Grund aufrecht erhalten bleibt, während in gleichgelagerten glücksspielrechtlichen Fällen nicht allein wegen formell fehlender glücksspielrechtlicher Vermittlungserlaubnis gegen die unerlaubte Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten vorgegangen wurde bzw. wird (vgl. BayVGH, B.v. 1.8.2016 – 10 CS 16.893 – juris Rn. 20).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).

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