Europarecht

Bescheid, Zulassung, Versorgung, Widerruf, Gerichtsbescheid, Ermessensentscheidung, Frist, Gemarkung, Revision, Berufung, Kostenentscheidung, Aufhebung, Vergleich, Auslegung, Kosten des Verfahrens, gebundene Entscheidung, Formelle Rechtswidrigkeit

Aktenzeichen  B 1 K 20.148

Datum:
27.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 46871
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Halbsatz 1 VwGO). Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört.
Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet. Der Bescheid des Bayerischen Amts für Waldgenetik vom 20. Mai 2019 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Anhaltspunkte für eine formelle Rechtswidrigkeit des Bescheids bestehen nicht. Zwar wurde die Klägerin vor Erlass des Bescheids nicht angehört. Die Anhörung wurde aber nachgeholt, was nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG zu einer Heilung eines etwaigen Formfehlers führt. Zudem ist selbst die fehlende Anhörung unbeachtlich, da sie die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat (Art. 46 BayVwVfG). Der Beklagte hatte hier (wie im Folgenden noch ausgeführt wird) eine gebundene Entscheidung zu treffen, deren gesetzliche Voraussetzungen vorgelegen haben und die auch im Rahmen einer Anhörung nicht hätten ausgeräumt werden können.
2. Der Bescheid ist materiell rechtmäßig.
a) Rechtsgrundlage für den Bescheid ist § 4 Abs. 5 Satz 3 FoVG i.V.m. Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BayVwVfG. Gemäß § 4 Abs. 5 Satz 2 FoVG ist das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zulassung hinsichtlich der Kategorien „Ausgewählt”, „Qualifiziert” und „Geprüft” in regelmäßigen Abständen, insbesondere wenn Anhaltspunkte für Änderungen gegeben sind, zu überprüfen. Wenn die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen, ist nach § 4 Abs. 5 Satz 3 FoVG die Zulassung zu widerrufen; im Übrigen bleiben die den §§ 48 und 49 des Verwaltungsverfahrensgesetzes entsprechenden landesrechtlichen Bestimmungen unberührt. Der Widerruf ist durch die Rechtsvorschrift des § 4 Abs. 5 Satz 3 FoVG zugelassen. Zudem war der Widerruf im Bescheid vom 29. September 2014 (vgl. nachstehende Ausführungen) vorbehalten.
In der Dienstbesprechung der Kontrollbeamten am 2. und 3. Mai 2018 in Oberfranken wurde für das Gebiet … festgehalten, dass „sehr häufig Tiefzwiesel, unschnürige Krümmung (Schlangenwuchs), tlw. Drehwuchs“ vorliegen würden.
Gemäß Anlage 1 zu § 1 Abs. 1 Kapitel I Nr. 10 FoVZV ist hinsichtlich der Anforderungen an Form und Habitus ausgeführt: Bäume in Erntebeständen müssen besonders gute phänotypische Merkmale aufweisen, insbesondere Geradschaftigkeit, Wipfelschäftigkeit und Schaftrundheit, gute Verzweigung und Feinastigkeit. Darüber hinaus darf der Anteil von Bäumen mit Zwieseln oder Drehwuchs nur gering sein. Unstreitig erfüllt der Buchenbestand „B …“ diese Anforderungen nicht. Unbeachtlich ist, dass sich der Bestand nicht wesentlich verändert hat und die Bäume dem entsprechen würden, was aufgrund Witterung, Standort und sonstigen Bedingungen vor Ort wachse (Ausführungen in der Klagebegründung, Blatt 44 der Gerichtsakte). In der Anlage 1 zur FoVZV wird nicht danach differenziert, ob die Bäume grundsätzlich nach ihrem Genotyp gute Merkmale aufweisen, die nur deshalb nicht zum Tragen kommen, da die örtlichen Gegebenheiten ungünstig sind. Es wird ausdrücklich allein auf phänotypische Merkmale abgestellt. Dass die phänotypischen Eigenschaften (zu 90%) hier nicht vorliegen und häufig Tiefzwiesel, Schlangenwuchs und Drehwuchs vorliegen, wurde nicht bestritten und ist in der Akte durch jahrelange Beobachtung der Bestandsqualität nachgewiesen. Die Klägerin hält diese Eigenschaften nur für den Ort des Aufwuchses typisch. Dies ist aber nach dem Wortlaut der Anlage 1 zur FoVZV nicht ausschlaggebend.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Widerruf sind damit erfüllt. § 4 Abs. 5 Satz 3 FoVG eröffnet der Behörde entgegen Art. 49 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG kein Ermessen. Die Zulassung ist vielmehr zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. Insofern kann nicht berücksichtigt werden, ob die Behörde in gleichgelagerten Fällen (die Klägerin spielt auf die Gemarkung W … und die Gemarkung S … an) ebenfalls Widerrufsbescheide erlassen müsste. Nur ergänzend wird ausgeführt, dass der Beklagte nach seinen Ausführungen (nachträgliche Anhörung zum Widerruf – Schreiben vom 28. Mai 2020) auch andere unterdurchschnittliche Bestände gelöscht hat.
b) Die Jahresfrist des Art. 49 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG, Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG findet keine Anwendung. Diese Frist ist immer dann nicht anwendbar, wenn das für den Widerruf maßgebliche Gesetz eine das VwVfG verdrängende Regelung beabsichtigt (Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Auflage 2018, § 49 Rn. 85). Dies ist hier der Fall, da nach § 4 Abs. 5 Satz 3 FoVG die Zulassung zwingend zu widerrufen ist, wenn die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. Der Schutzzweck der Norm verbietet es auch nach Fristablauf, ungeeignetes Saatgut in den Verkehr zu bringen. Die Jahresfrist ist nicht ergänzend anwendbar, wenn der Gesetzgeber erkennbar zum Schutz vorrangiger Grundrechte oder Rechtsgüter Dritter einen gesetzwidrigen Zustand schlechterdings nicht hinnehmen will (BVerwG, U.v. 26.3.1996 – 1 C 12/95 – BVerwGE 101, 24-34 – juris Rn. 27 – zum Waffenrecht).
Vertrauensschutzgesichtspunkte (in erster Linie stehen finanzielle Interessen im Raum) des Eigentümers überwiegen nicht das Interesse der Allgemeinheit – insbesondere der zukünftigen Generationen, dass nur geeignetes Saatgut in den Verkehr gebracht wird. Dies hat der Gesetzgeber durch die Formulierung, dass die Zulassung zu widerrufen ist, ohne dass der Behörde ein Ermessen zukommt, zum Ausdruck gebracht. In diesem Zusammenhang spielt es keine Rolle, dass „B …“ im Landschaftsschutzgebiet und der Bestand im Naturschutzgebiet liegt. § 4 FoVG regelt das Inverkehrbringen von forstlichem Vermehrungsgut. Deshalb bedarf solches Ausgangsmaterial zur Erzeugung von forstlichem Vermehrungsgut, das in den Verkehr gebracht werden soll, der Zulassung (§ 4 Abs. 1 Satz 1 FoVG). Nicht erfasst ist somit (wie auch das Bayerische Amt für Waldgenetik ausgeführt hat), dass Bucheckern zur Aussaat und Anzucht im eigenen Wald verwendet werden. Hierfür wird keine Zulassung benötigt, weshalb sich der Widerruf der Zulassung nicht auf das Erscheinungsbild des Bestandes auswirken kann. Der Gen-Bestand kann somit aufrechterhalten werden. Zudem kann für die Generhaltung nach § 21 FoVG auf Antrag die Erzeugung und das Inverkehrbringen (für angemessene Mengen des Vermehrungsguts) erlaubt werden, das der Generhaltung dient und das nicht die Anforderungen des Gesetzes erfüllt. Eine weitere Beweisaufnahme, dass die Buchen für den Gen-Bestand wichtig sind, ist daher mangels Entscheidungserheblichkeit nicht erforderlich.
c) Selbst wenn man die Jahresfrist des Art. 49 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG, Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG für anwendbar halten sollte, so wäre diese Frist eingehalten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Frist des Art. 48 Abs. 4 Satz 1 BayVwVfG eine Entscheidungsfrist, keine Bearbeitungsfrist. Sie beginnt erst zu laufen, wenn dem nach der behördeninternen Geschäftsverteilung zuständigen Amtswalter alle für die Rücknahme erheblichen Tatsachen vollständig und zweifelsfrei bekannt sind. Hierzu gehört neben der bloßen (Er-) Kenntnis der Rechtswidrigkeit des früheren Bescheids auch die Kenntnis aller für einen möglichen Vertrauensschutz und für die zu treffende Ermessensentscheidung wesentlichen Umstände. Nach dieser vom Gesetzgeber ausdrücklich gebilligten Auslegung (vgl. BT-Drs. 10/6283, 5) beginnt der Fristlauf erst dann, wenn die Behörde ohne weitere Sachaufklärung objektiv in der Lage ist, unter sachgerechter Ausübung ihres Ermessens über die Rücknahme des Verwaltungsakts zu entscheiden; dies setzt – sofern dadurch weitere entscheidungserhebliche Tatsachen ermittelt werden können – auch eine Anhörung des Betroffenen voraus (BeckOK MigR/Decker, VwVfG, 6. Auflage, Stand: 1.10.2020, § 48 Rn. 31 unter Berufung auf BVerwGE 70, 356 (364 f.) – BeckRS 1984, 108100; BVerwGE 112, 360 (364) – BeckRS 2001, 30157345).
Zwar war schon im Jahr 2006 (vgl. Erhebungsbogen, Blatt 5 der Behördenakte) bei 60% der Bäume die Geradschaftigkeit und Wipfelschäftigkeit schlecht, die Bestandsqualität wurde mit schlecht beurteilt. Dies wurde im Jahr 2014 bei einer Bestandserfassung bestätigt. So vermerkte der Kontrollbeamte L … bereits im Juli 2014 (Blatt 7 der Behördenakte), dass die Zulassungsvoraussetzungen nach § 1 Abs. 1 FoVZV nicht erfüllt sind. Deshalb erging auch ein Widerrufsbescheid vom 15. September 2014, der allerdings zurückgenommen wurde, da man in diesem Bescheid davon ausging, dass eine Zustimmung des Eigentümers vorlag. Im Widerruf des Bescheids vom 15. September 2014 (Bescheid vom 29. September 2014) wurde aber ausdrücklich vermerkt, dass nochmals geprüft werde, ob die Zulassungsvoraussetzungen vorliegen. Sofern dies nicht mehr der Fall sei, müsse die Zulassung ohne Einvernehmen mit dem Waldbesitzer widerrufen werden. Der Bescheid wurde nicht angegriffen und ist bestandskräftig. Grund dafür, dass zum damaligen Zeitpunkt nicht schon ein Widerruf (auch ohne Zustimmung des Eigentümers) erfolgte, war nach den Ausführungen des Bayerischen Amts für Waldgenetik (nachträgliche Anhörung zum Widerruf – Schreiben vom 28. Mai 2020, Blatt 62 der Gerichtsakte), dass der autochthone und lokal angepasste Buchenbestand wegen seiner guten Beerntbarkeit nach damaligem Kenntnisstand essentiell für die Saatgutversorgung im Herkunftsgebiet … war und die überwiegende Mehrheit der Rotbuchenbestände dieser Herkunft keine bessere Qualität vorzuweisen hatte.
Durch den bestandskräftigen Widerrufsvorbehalt (Art. 49 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayVwVfG) wurde die Frist des Art. 49 Abs. 2 Satz 2, Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG erneut in Gang gesetzt. Im Einvernehmen mit dem AELF … wurde der Buchenerntebestand am 18. Mai 2015 überprüft (Aktennotiz, Blatt 33 der Behördenakte). Insofern wurde unter anderem vereinbart, dass ein Anbauversuch mit Saatgut erfolgt, um zu klären, ob die schlechten Stammqualitäten auf die Phänologie oder den Genotyp zurückzuführen sind. Weitere angesprochene Änderungen sollten dem Landesgutachterausschuss vorgeschlagen werden. Dies zeigt, dass die Beurteilung des Bestands zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen war und die Entscheidungsfrist noch nicht zu laufen begann. Die Ermittlung weiterer Tatsachen stand unter Vertrauensschutzgesichtspunkten im Interesse der Klägerin, da ansonsten ein sofortiger Widerruf im Raum gestanden wäre.
Zur weiteren Beurteilung wurden am 2. Mai 2018 Flächen besichtigt, um zu prüfen ob Saatgut des HKG … „…“ anderweitig qualitativ hochwertig vorhanden ist. Das Ergebnis wurde dem Landesgutachterausschuss am 17. Mai 2018 vorgelegt (Blatt 41 der Behördenakte). Insbesondere für das Gebiet „…“, BaySF FB … wurde eine mittlere bis gute Qualität und eine Beerntbarkeit in den nächsten Jahren festgestellt (Blatt 39 der Behördenakte).
Am 1. August 2018 wurde noch eine Revision des Erntebestandes eingeholt (Blatt 43 der Behördenakte). Vom 11. bis 13. September 2018 fand eine Exkursion des Revisionsbeamten im Herkunftsgebiet … im angrenzenden Thüringen statt. Hierbei wurden gut beerntbare Buchenbestände mit überdurchschnittlicher Qualität festgestellt (Klageerwiderung vom 28. Mai 2020). Erst zu diesem Zeitpunkt waren sämtliche Tatsachen ermittelt worden, die für die Entscheidungsfrist ausschlaggebend waren.
II.
Als unterliegende Partei trägt die Klägerin die Kosten des Verfahrens nach § 154 Abs. 1 VwGO.
III.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).


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