Europarecht

Diesel-Abgasskandal

Aktenzeichen  18 U 6174/19

Datum:
19.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 32439
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 242, § 826
ZPO § 513 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die Kausalität der konkludenten Täuschung für den Vertragsschluss ist nicht erst dann zu verneinen, wenn dem Käufer die Betroffenheit des konkret erworbenen Pkws von den Abgasmanipulationen bei Vertragsschluss positiv bekannt war. Vielmehr reicht aus, dass der Käufer es jedenfalls für möglich gehalten hat, dass der von ihm erworbene Pkw betroffen sein könnte, aber keine ihm möglichen und zumutbaren Schritte unternommen hat, diese Frage vor Vertragsschluss zu klären. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Kenntnis vom Abgasskandal im gesamten Volkswagenkonzern umfasst Fahrzeuge der Marke SEAT. (Rn. 10 und 11) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für die Kenntnis vom VW-Abgasskandal kann nicht allein auf die Adhoc-Mitteilung von VW vom 22.09.2015 und deren Funktion abgestellt werden. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

5 O 3873/18 2019-10-07 Endurteil LGTRAUNSTEIN LG Traunstein

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Endurteil des Landgerichts Traunstein vom 07.10.2019, Az. 5 O 3873/18, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis 18.03.2020.

Gründe

I.
Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Traunstein vom 07.10.2019 gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Gemäß § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf einer Rechtsverletzung im Sinne von § 546 ZPO beruht oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Dies zeigt die Berufungsbegründung nicht auf. Das Landgericht hat Schadensersatzansprüche der Klagepartei wegen des Erwerbs eines vom sogenannten Dieselskandal betroffenen Pkw im Ergebnis zu Recht verneint und die Klage als unbegründet abgewiesen.
1. Ein grundsätzlich in Betracht kommender deliktischer Schadensersatzanspruch, insbesondere aus § 826, § 31 BGB, scheitert im vorliegenden Fall daran, dass die Klagepartei weder hinreichend dargelegt noch nachgewiesen hat, dass eine Täuschung seitens der Beklagten für ihre Entscheidung zum Erwerb des streitgegenständlichen Pkw kausal geworden ist und sie diesen nicht erworben hätte, wenn sie von einer Betroffenheit des Fahrzeugs vom sogenannten Diesel-Abgasskandal gewusst hätte.
1) Die Schädigungshandlung der Beklagten kann allein darin gesehen werden, dass sie einen Dieselmotor des Typs EA 189 entwickelt und in Verkehr gebracht hat, der von der sog. „VW-Abgasthematik“ betroffen ist, also mit einer – nicht offen gelegten – Motorsteuerungssoftware ausgestattet ist, die den Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand gegenüber dem Ausstoß im normalen Fahrbetrieb reduziert. Dieser Motor sollte bestimmungsgemäß in ein Kraftfahrzeug eingebaut und sodann an einen Endkunden, dem gegenüber die Funktionsweise der Software nicht offengelegt wird, verkauft werden. In Übereinstimmung mit dem Oberlandesgericht Karlsruhe (Hinweisbeschluss vom 05.03.2019 – 13 U 142/18, BeckRS 2019, 3395) wertet der Senat das Inverkehrbringen eines mit einer solchen nicht offengelegten Abschalteinrichtung ausgestatteten Motors als konkludente Täuschung des Endkunden, der das Fahrzeug, in das der Motor eingebaut worden ist, erwirbt.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht der Schaden im Fall einer durch arglistige Täuschung verübten sittenwidrigen Schädigung (§ 826 BGB) regelmäßig in der eingegangenen Verpflichtung, die der Getäuschte bei Kenntnis der Umstände nicht eingegangen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 21.12.2004 – VI ZR 306/03, BGHZ 161, 361, juris Rn. 14 ff.).
Die Darlegungs- und Beweislast für den Kausalzusammenhang zwischen Täuschung und eingegangener Verpflichtung trifft den Geschädigten; auf den Nachweis der konkreten Kausalität der Täuschung für den Willensentschluss des Getäuschten kann nicht verzichtet werden (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 79. Aufl., § 826 Rn. 18; BGH, Urteil vom 04.06.2013 – VI ZR 288/12, NJW-RR 2013, 1448, juris Rn. 25). Dabei kann es genügen, dass der Getäuschte Umstände darlegt, die für seinen Entschluss von Bedeutung sein konnten, und dass die arglistige Täuschung nach der Lebenserfahrung bei der Art des zu beurteilenden Rechtsgeschäfts Einfluss auf die Entschließung hat (vgl. BGH, Urteil vom 12.05.1995 – V ZR 34/94, NJW 1995, 2361, juris Rn. 17).
Das Oberlandesgericht Karlsruhe stellt in seinem vorerwähnten Hinweisbeschluss unter anderem darauf ab, dass nach der Lebenserfahrung niemand ein Kraftfahrzeug in Kenntnis einer nicht bestehenden Genehmigung oder Genehmigungsfähigkeit käuflich erwerben würde (a.a.O., Rn. 23). Dieser Gedanke erscheint allerdings nur uneingeschränkt tragfähig, wenn der Käufer – wie in dem vom Oberlandesgericht Karlsruhe beurteilten Fall – den Pkw vor Bekanntwerden des Abgasskandals erworben hat. Hatte der Käufer dagegen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses Kenntnis von den Abgasmanipulationen, was angesichts der Offenlegung und breiten Erörterung dieses Themas in den Medien ab Herbst 2015 regelmäßig anzunehmen ist, muss er nachvollziehbar darlegen, aus welchen Gründen er davon ausgegangen ist, dass das von ihm erworbene Fahrzeug von der Problematik nicht betroffen ist. Ein Anscheinsbeweis greift zu seinen Gunsten nicht ein.
Entgegen der Ansicht der Klagepartei ist die Kausalität der konkludenten Täuschung für den Vertragsschluss nicht erst dann zu verneinen, wenn dem Käufer die Betroffenheit des konkret erworbenen Pkws von den Abgasmanipulationen bei Vertragsschluss positiv bekannt war. Vielmehr reicht aus, dass der Käufer es jedenfalls für möglich gehalten hat, dass der von ihm erworbene Pkw betroffen sein könnte, aber keine ihm möglichen und zumutbaren Schritte unternommen hat, diese Frage vor Vertragsschluss zu klären. Denn ein solches Verhalten des Käufers lässt im Allgemeinen den Rückschluss darauf zu, dass die als möglich erkannte Betroffenheit des Fahrzeugs von den Abgasmanipulationen für seine Kaufentscheidung nicht von wesentlicher Bedeutung war. Verbleibende Zweifel gehen jedenfalls zu Lasten des darlegungsund beweisbelasteten Käufers.
1) Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe fehlt es im vorliegenden Fall an einer für den Erwerb des streitgegenständlichen Pkw durch den Kläger kausalen Täuschungshandlung der Beklagten.
Der Kläger hat bei seiner Anhörung im Termin vom 27.09.2019 angegeben, dass er zwar zum Zeitpunkt des Kaufvertrags am 23.04.2016 bereits am Rande etwas vom Dieselskandal erfahren habe, ihm aber nicht bewusst gewesen wäre, dass auch das streitgegenständliche Fahrzeug hiervon betroffen sei. Insoweit sei er davon ausgegangen, „ein SEAT ist ja kein VW“. Mit der damaligen Verkäuferin sei nicht darüber gesprochen worden, dass das Fahrzeug mit einem VW Motor EA 189 ausgestattet sei und eine Serviceaktion von SEAT demnächst stattfinden werde. Er könne sich auch nicht mehr daran erinnern, dass ihm damals der entsprechende Passus „Sondervereinbarung zum Kaufvertrag“ aufgefallen sei.
Zu Recht hat das Landgericht darauf verwiesen, dass zum Zeitpunkt des Kaufvertrags vom 23.04.2016 der Dieselskandal bereits längst bekannt gewesen sei. Entgegen der Auffassung der Klagepartei kann dabei nicht allein auf die Adhoc-Mitteilung der Beklagten vom 22.09.2015 und deren Funktion abgestellt werden. Bei dem Dieselskandal handelt es sich um einen der größten Wirtschaftsskandale der letzten zehn Jahr in Deutschland, der von Anfang an breiteste Erörterung in sämtlichen Medien gefunden hat. Es ist gerichtsbekannt, dass das Kraftfahrtbundesamt (KBA) Mitte Oktober 2015 den Rückruf der mit dem Motor vom Typ EA 189 ausgestatteten Dieselfahrzeuge angeordnet und per Pressemitteilung bekannt gegeben hat. In diesem Zusammenhang hatte die Behörde mitgeteilt, dass allein in Deutschland rund 2,4 Mio. Fahrzeuge betroffen seien. Darüber hinaus erfolgten weitere Pressemitteilungen der Beklagten sowie eine fortdauernde intensive Berichterstattung über die Thematik in sämtlichen Medien. Insbesondere im Zusammenhang mit dem vom Kraftfahrtbundesamt angeordneten Rückruf ist auch die Pressemitteilung der Beklagten vom 15. Oktober 2015 zu nennen, in der ebenfalls über den Rückruf von rund 2,4 Mio. Fahrzeugen im gesamten Volkswagen Konzern berichtet sowie auf die Einrichtung von Websites auch für die Marken Audi, SEAT und SKODA verwiesen wurde. Dies wurde ebenfalls von den Medien aufgegriffen und intensiv darüber berichtet, dass die mit der Abschaltsoftware ausgestatteten Motoren auch in den Fahrzeugen anderer zum VW-Konzern gehörender Hersteller eingebaut waren. Der Kläger hat selbst eingeräumt, im Kaufzeitpunkt zumindest am Rande vom Dieselskandal an sich Kenntnis gehabt zu haben. Hinzu kommt, dass es sich bei dem von ihm erworbenen Fahrzeug um ein Gebrauchtfahrzeug handelte, das ausweislich des Kaufvertrags (Anlage K 1) erstmals am 21.06.2012 zugelassen und damit mehr als drei Jahre vor Bekanntwerden des Skandals hergestellt worden war und im Kaufvertrag auf Seite 3 sogar ausdrücklich darauf verwiesen wird, dass das Auto mit dem VWMotor EA 189 ausgestattet ist und eine Serviceaktion von SEAT demnächst stattfindet.
Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses es jedenfalls für möglich gehalten hat, wenn nicht sogar Kenntnis davon hatte, dass auch das von ihm erworbene Fahrzeug betroffen ist. Der Kläger trägt auch nicht vor, dass er irgendwelche Schritte unternommen hätte, um vor Vertragsschluss die Betroffenheit des Fahrzeugs abzuklären. Dies lässt erkennen, dass es ihm zum maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags letztlich gleichgültig war, ob das von ihm erworbene Fahrzeug vom Diesel-Abgasskandal betroffen war oder nicht. Eine konkludente Täuschung seitens der Beklagten hat sich deshalb auf die Entscheidung des Klägers für den Erwerb des streitgegenständlichen Pkw zur Überzeugung des Senats nicht ausgewirkt.
1) Die Beklagte war auch nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verpflichtet, den Kläger über die am Abgasrückführungssystem des streitgegenständlichen Pkw vorgenommenen Manipulationen zu informieren. Informationspflichten könnten sich nur aus einem Schuldverhältnis zwischen den Parteien ergeben. Die Beklagte ist aber weder Vertragspartnerin des Klägers geworden noch haftet sie diesem aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen gemäß § 311 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3, § 241 Abs. 2 BGB.
2. Die vorstehenden Ausführungen gelten in gleicher Weise für alle übrigen von der Klagepartei ins Feld geführten deliktischen Anspruchsgrundlagen. Die Darlegungs- und Beweislast für den erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen Schädigungshandlung und Schaden trifft bei allen in Betracht kommenden Haftungstatbeständen den Geschädigten (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 79. Aufl., § 823 Rn. 80 ff.).
3. Da Schadensersatzansprüche der Klagepartei bereits dem Grunde nach nicht bestehen, sind auch die weiteren Berufungsanträge unbegründet, ohne dass es darauf ankäme, ob die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen der geltend gemachten Ansprüche im vorliegenden Fall erfüllt wären.
II.
Zur Vermeidung weiterer Kosten regt der Senat die Zurücknahme der offensichtlich unbegründeten Berufung an. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben