Aktenzeichen M 18 S 16.50549
AsylG AsylG § 27a, § 34a
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
Leitsatz
1 Reagieren die Behörden nicht innerhalb der Frist des Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO auf ein Wiederaufnahmegesuch, ist davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wurde. (redaktioneller Leitsatz)
2 In Ungarn bestehen keine systemischen Mängel im Asylverfahren oder bei den Aufnahmebedingungen für Asylbewerber, sodass dem Asylbewerber dort keine Gefahr droht, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (ebenso VGH München BeckRS 2016, 46778). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist nach seinen eigenen Angaben am … in D. geboren; seine Staatsangehörigkeit ist ungeklärt. Am 19. Januar 2016 stellte er im Bundesgebiet Asylantrag.
Im Rahmen eines Gesprächs zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens am … 2016 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gab der Antragsteller u. a. an, er sei über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland gelangt. Er habe in keinem anderen Staat internationalen Schutz beantragt. In Ungarn und in Griechenland seien ihm Fingerabdrücke abgenommen worden.
Für den Antragsteller wurde ein EURODAC-Treffer in Ungarn (…) ermittelt.
Am 14. März 2016 richtete das Bundesamt ein Wiederaufnahmegesuch an Ungarn. Eine Reaktion der ungarischen Behörden darauf ist in der Behördenakte nicht ersichtlich.
Mit Bescheid vom 15. Juli 2016 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Ungarn an. Auf die Bescheidsbegründung wird Bezug genommen. Der Bescheid wurde dem Antragsteller gegen Postzustellungsurkunde am 20. Juli 2016 zugestellt.
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 25. Juli 2016, der am gleichen Tag bei Gericht einging, ließ der Antragsteller Klage gegen den Bescheid vom 15. Juli 2016 erheben (M 18 K 16.50548) und weiter beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung nach Ungarn anzuordnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, das Asylverfahren in Ungarn leide unter Systemmängeln. Dies gelte im Hinblick auf den Zustand in den Aufnahmeeinrichtungen und auf die Inhaftierung während des Verfahrens. Der Antragsteller habe daher einen Rechtsanspruch, dass die Antragsgegnerin von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch mache. In den ungarischen Aufnahmeeinrichtungen drohten ihm Zustände, die nicht hinnehmbar seien. Weiter sei das Asylverfahren in Ungarn zum 1. August 2015 nochmals entscheidend verschärft worden. Danach gehöre auch Serbien zu den sicheren Drittstaaten. Dieser Einschätzung könne jedoch nicht gefolgt werden. Nach einer Mitteilung des ungarischen Dublin-Referats vom 14. Juni 2016 an das Bundesamt nehme Ungarn ohnehin keine Asylbewerber im Rahmen des Dublin-Regimes mehr zurück.
Das Bundesamt beantragte mit Schreiben vom 4. August 2016,
den Antrag abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Nach § 27a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt, wenn ein Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Die Voraussetzungen für den Erlass einer Abschiebungsanordnung sind nach der im Eilverfahren vorzunehmenden summarischen Überprüfung gegeben. Danach ist Ungarn aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Die ungarischen Behörden haben auf das Wiederaufnahmegesuch vom 14. März 2016 nicht innerhalb der Frist des Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO reagiert, so dass davon auszugehen ist, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wurde. Da für den Antragsteller ein EURODAC-Treffer der Kategorie 1 (vgl. Art. 24 Abs. 4 Satz 3 i. V. m. Art. 9 Abs. 1 VO (EG) Nr. 603/2013) ermittelt wurde, ist Ungarn nach Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin-III-VO zuständiger Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers. Somit steht grundsätzlich fest, dass die Abschiebung nach Ungarn durchgeführt werden darf.
Die Überstellung an Ungarn ist auch nicht rechtlich unmöglich im Sinn des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der EU den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte i. S. v. Art. 6 Abs. 1 EUV entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für die Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH v. 21.12.2011 a. a. O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller in Ungarn aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. BayVGH v. 9.5.2016 – 20 ZB 16.50034 – juris; SächsOVG v. 1.6.2016 – 1 A 291/15.A – juris). Insoweit ist nicht von ausschlaggebender Bedeutung, dass sich die genannten obergerichtlichen Entscheidungen ausdrücklich nur auf die Darlegungs-anforderungen im Berufungszulassungsverfahren hinsichtlich des Bestehens systemischer Mängel im Dublin-Verfahren bezüglich Ungarn beziehen. Es kann nämlich nicht unterstellt werden, dass bei erkannten systemischen Mängeln eine Berufungszulassung gleichwohl unter dem rein formalen Aspekt der Darlegung dieser Mängel abgelehnt worden wäre.
Gegen die Annahme systemischer Mängel des ungarischen Asylverfahrens im oben genannten strengen Sinn spricht auch der Bericht des UNHCR zur Asylsituation in Ungarn (Hungary as a Country of Asylum) vom Mai 2016. Zusammenfassend äußert der UNHCR insoweit zwar schwerwiegende Bedenken („In conclusion, UNHCR considers that significant aspects of Hungarian law and practice, as described above, raise serious concerns as regards compatibility with international and European law.“). Eine Empfehlung oder gar dringende Empfehlung, von Rückführungen nach Ungarn abzusehen, spricht der UNHCR gleichwohl nicht aus.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).