Europarecht

Dublin-Verfahren (Italien)

Aktenzeichen  M 9 S 16.50788

Datum:
23.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 29  Abs. 1 Nr. 1
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2, Art. 13 Abs. 1

 

Leitsatz

Nach gegenwärtigem Erkenntnisstand bestehen in Italien keine generellen systemischen Mängel des Asylverfahren oder der Aufnahmebedingungen mit der Folge, dass Asylbewerber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden. Grundsätzlich erhalten auch Rückkehrer eine Unterkunft, medizinische Behandlung und sonstige Versorgung. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der am … geborene Antragsteller reiste nach eigenen Angaben am … September 2015 von Italien kommend in das Bundesgebiet ein (Bl. 2 des Behördenakts – i.F.: BA -). Er beantragte am … Februar 2016 Asyl (Bl. 9 des BA). Der Antragsteller ist Staatsangehöriger des Senegals.
Nach eigener Aussage beantragte der Antragsteller vor seiner Einreise nach Deutschland bereits in Italien Asyl (Bl. 3 des BA). Daraufhin wurde am … April 2016 ein Wiederaufnahmegesuch an Italien gerichtet (Bl. 38ff. des BA). Die italienischen Behörden haben nicht geantwortet.
Mit gegen Postzustellungsurkunde vom … September 2016 zugestelltem Bescheid vom … September 2016 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2), ordnete die Abschiebung nach Italien an (Nr. 3) und befristete das Verbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 4).
Wegen des Bescheidinhalts wird auf diesen Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers hat mit Schriftsatz vom … Oktober 2016, bei Gericht am selben Tag eingegangen, Klage gegen den Bescheid erhoben. Vorliegend beantragt er,
die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO wiederherzustellen.
Die Abschiebung nach Italien erscheine als unzulässig, da dort systemische Mängel des Verfahrens vorlägen. Dies ergebe sich aus einem Beschluss des VG … B. v. 8.8.2016 – M 24 S 16.50494 – juris.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die Gerichts- sowie die beigezogene Behördenakte.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Bei dieser Entscheidung sind das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts einerseits und das private Aussetzungsinteresse, also das Interesse des Betroffenen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts von dessen Vollziehung verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu.
An der Rechtmäßigkeit der vom Bundesamt zutreffend auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gestützten Abschiebungsanordnung bestehen bei summarischer Prüfung keine Zweifel. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat u. a. aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft, v.a. nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013, für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Italien ist hier für die Prüfung zuständig. Dies ergibt sich aus Art. 13 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1 Buchst. b, Art. 23 Abs. 1, Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO. Mit Verstreichen der Monatsfrist aus Art. 25 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO war die fiktive (Wieder-) Aufnahmebereitschaft Italiens gegeben. Das Wiederaufnahmegesuch wurde auch innerhalb der 3-Monats-Frist des Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO – welche am … Februar 2016 (Erstbefragung am … Februar 2016) begann und am … Mai 2016 endete – und damit rechtzeitig, Art. 23 Abs. 3 Dublin III-VO, gestellt. Dass der Antragsteller in der Erstbefragung vom … Februar 2016 zunächst noch angab, aus Griechenland zu kommen (Bl. 2 des BA), ist als irrtümliche Fehlinformation zu werten, da er in diesem Zusammenhang auch behauptete, sich dort in „Calabria“ aufgehalten zu haben. Kalabrien aber ist eine Region in Italien.
Die Überstellung an Italien ist auch nicht rechtlich unmöglich im Sinn des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO. Das Gericht geht nach den vorliegenden Erkenntnissen davon aus, dass in Italien keine generellen systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen mit der Folge gegeben sind, dass Asylbewerber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden. Grundsätzlich erhalten auch Rückkehrer eine Unterkunft, medizinische Behandlung und sonstige Versorgung. Sofern sie einen Asylantrag stellen, wird ein Asylverfahren durchgeführt. Zusätzliche Aufnahmezentren sind geschaffen worden. Aktuelle Erkenntnisse diesbezüglich liegen den neueren Entscheidungen zugrunde (VG München, U. v. 9.12.2016 – M 9 K 16.50798 -m. w. N.; BayVGH, U. v. 28.2.2014 – 13a B 13.30295 – juris; OVG NW, U. v. 21.6.2016 – 13 A 1896/14.A – juris; U. v. 24.8.2016 – 13 A 63/16.A – juris; B. v. 12.10.2016 – 13 A 1624/16.A – juris; NdsOVG, U. v. 25.6.2015 – 11 LB 248/14 – juris). Gegenteilige Ansichten, auf die sich der Antragsteller beruft, blieben vereinzelt und sind für das Gericht nicht bindend. Probleme bei der Unterbringung in der zweiten Jahreshälfte 2015 und im Folgenden rechtfertigen keine andere Einschätzung, da diesbezügliche Schwierigkeiten nicht nur in Italien, sondern in weiten Teilen Europas bestanden und bestehen. Die hohe Zahl von speziell nach Italien einreisenden Asylbewerbern stellt keinen Umstand dar, der hier eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte. Auch der Umstand, dass sich die Situation des Antragstellers in Italien unter Umständen schlechter als im Bundesgebiet darstellt, begründet keinen systemischen Mangel des Asylverfahrens (EGMR, B. v. 2.4.2013 – Hussein u. a. ./. Niederlande und Italien, Nr. 27725/10). Aus diesen Gründen bestand für die Beklagte auch keine Veranlassung, das Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben.
Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG, oder inlandsbezogene Vollzugshindernisse (BayVGH, B. v. 12.3.2014 – 10 CE 14.427 – juris) wurden darüber hinaus nicht geltend gemacht und sind nicht ersichtlich. In der Zweitbefragung vom … Juni 2016 (Bl. 58f. des BA) gab der Antragsteller an, unter keinen Beschwerden oder Krankheiten zu leiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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