Europarecht

Erfolglose Anhörungsrüge gegen Zurückweisung der Beschwerde wegen versammlungsrechtlicher Beschränkungen (“Querdenken”-Versammlung)

Aktenzeichen  10 CS 21.604

Datum:
28.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 4188
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 152a Abs. 1

 

Leitsatz

1. Soweit der Rügeführer im Wesentlichen die Nichtberücksichtigung seines Sachvortrags rügt, muss er für den Erfolg der Anhörungsrüge sein tatsächliches (oder rechtliches) Vorbringen sowie die besonderen Umstände des Einzelfalles anführen, die die Annahme rechtfertigen, dass das Gericht entgegen der bestehenden Vermutung sein Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder nicht erwogen hat. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Aus dem Umstand, dass das Gericht nicht auf sämtliche Begründungselemente des Beteiligtenvorbringens eingegangen ist, nur dann geschlossen werden, es habe diesen Aspekt nicht berücksichtigt, wenn er nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts eine Frage von zentraler Bedeutung betrifft (Anschluss an BVerwG BeckRS 2018, 35039). (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

10 CS 21.602 2021-02-27 Bes VGHMUENCHEN VGH München

Tenor

I. Die Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Mit der Anhörungsrüge erstrebt der Antragsteller die Fortführung des Verfahrens über seine mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom vom 27. Februar 2021 teilweise zurückgewiesene Beschwerde, mit der er den erstinstanzlich erfolglosen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage gegen versammlungsrechtliche Beschränkungen im Bescheid der Antragsgegnerin vom 25. Februar 2021 weiterverfolgt.
Die zulässige Anhörungsrüge ist unbegründet. Die Voraussetzungen des § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO liegen nicht vor, weil der Verwaltungsgerichtshof mit der angegriffenen Entscheidung den Anspruch des Antragstellers auf rechtliches Gehör nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
Nach § 152a Abs. 1 Satz 1 VwGO ist auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten das Verfahren fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist (Nr. 1) und das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (Nr. 2). Die Anhörungsrüge stellt keinen Rechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung dar. Es handelt sich vielmehr um ein formelles Recht, das dann greift, wenn das Gericht entscheidungserhebliches Vorbringen der Beteiligten nicht in ausreichendem Maße zur Kenntnis genommen und sich mit ihm nicht in der gebotenen Weise auseinandergesetzt hat. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht jedoch nicht, dem Tatsachenvortrag oder der Rechtsansicht eines Verfahrensbeteiligten inhaltlich zu folgen (vgl. BVerwG, B.v. 1.4.2015 – 4 B 10.15 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 24.11.2011 – 8 C 13.11 – juris Rn. 2 m.w.N.; BayVGH, B.v. 30.6.2015 – 10 ZB 15.1197 – juris Rn. 3 m.w.N.; zuletzt B.v. 17.1.2021- 10 CS 21.170 – noch nicht veröffentlicht, Rn. 3). Gemäß § 152a Abs. 2 Satz 6 VwGO ist das Vorliegen der in § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO genannten Voraussetzungen, also eine entscheidungserhebliche Verletzung des Gehörsanspruchs, darzulegen. Soweit der Betroffene wie hier im Wesentlichen die Nichtberücksichtigung seines Sachvortrags rügt, muss er sein tatsächliches (oder rechtliches) Vorbringen sowie die besonderen Umstände des Einzelfalles anführen, die die Annahme rechtfertigen, dass das Gericht entgegen der bestehenden Vermutung sein Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder nicht erwogen hat (Kaufmann in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand 1.1.2020, § 152a Rn. 12; Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Jan. 2020, § 152a Rn. 26.; BayVGH, B.v. 17.1.2021- 10 CS 21.170 – noch nicht veröffentlicht, Rn. 4).
Davon ausgehend ist vom Antragsteller eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise aber nicht hinreichend dargelegt bzw. liegt nicht vor.
Soweit er unter Nr. 1. seiner Begründung Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zitiert und Ausführungen des Senats in der angegriffenen Entscheidung mit „Die Ausführungen des 10. Senats lassen sich in etwa mit folgenden Worten zusammenfassen:“ sowie „Juristisch ausgedrückt: Der 10. Senat fast [sic] den gesamten Sachvortrag des Antragstellers unter das Stichwort ‚kanonartiger Vortrag‘ und meint sich hierdurch nicht mehr mit dem Vortrag des Antragstellers auseinandersetzen zu müssen.“ interpretiert, genügt dies schon nicht den Darlegungsanforderungen. Bei aufmerksamer Lektüre der im angegriffenen Beschluss zitierten vorangegangenen Senatsbeschlüsse vom 16. Januar 2021 (10 CS 21.166), 24. Januar 2021 (10 CS 21.249), 31. Januar 2021 (10 CS 21.323) und vom 21. Februar 2021 (10 CS 21.526) hätte er im Übrigen festgestellt, dass sich der Senat mit den von ihm angesprochenen Punkten – wenn auch nicht mit dem von ihm gewünschten Ergebnis – auseinandergesetzt hat.
Soweit der Senat nicht ausdrücklich auf den „fachwissenschaftlichen Vortrag“ in Bezug auf die Belegung von Intensivbetten und „statistische Auswertungen in Bezug auf die nicht vorhandene Übersterblichkeit durch COVID19“ eingegangen ist, gilt folgendes: Das Gericht kann sich – zumal unter den besonderen Umständen eines versammlungsrechtlichen Eilverfahrens – auf die Darstellung und Würdigung derjenigen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte beschränken, auf die es nach seinem Rechtsstandpunkt entscheidungserheblich ankommt. Daher kann aus dem Umstand, dass das Gericht nicht auf sämtliche Begründungselemente des Beteiligtenvorbringens eingegangen ist, nur dann geschlossen werden, es habe diesen Aspekt nicht berücksichtigt, wenn er nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts eine Frage von zentraler Bedeutung betrifft (stRspr; vgl. BVerwG, B.v. 30.11.2018 – 6 B 157/18 u.a. – juris Rn. 3 m.w.Rsprnachweisen). Dies war in Bezug auf diesen „fachwissenschaftlichen Vortrag“ des Antragstellers aber erkennbar (vgl. nur Rn. 22 des Beschlusses) nicht der Fall.
Die unter Nr. 2. angesprochenen Fragen und Punkten, insbesondere die rechtlichen Grundlagen der angefochtenen Beschränkungen, deren tatbestandliche Voraussetzungen, die anzustellenden Gefahrenprognose und die dabei maßgeblich zu berücksichtigenden Punkte, die besonderen örtlichen Verhältnissen an den Versammlungsorten, hat der Senat zur Kenntnis genommen und sich damit – wenn auch zur Vermeidung überflüssiger Wiederholungen teilweise unter Verweis auf seine bisherige Entscheidungen zu Versammlungen des Antragstellers – unter Rn. 20 ff. des angefochtenen Beschlusses auseinandergesetzt. Damit ist dem rechtlichen Gehör des Antragstellers Genüge getan.
Unabhängig davon hat der Senat den Antragsteller wiederholt darauf hingewiesen, dass es – nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Darlegungsgebots des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO – nicht Aufgabe des Senats ist, sich jeweils in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit aus einer Vielzahl teils kaum mehr nachvollziehbarer Ausführungen mehr oder weniger relevantes Beschwerdevorbringen selbst herauszusuchen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil für das Verfahren über die Anhörungsrüge nach Nr. 5400 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Festgebühr anfällt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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