Aktenzeichen B 6 E 17.32351
Leitsatz
Die Wahrscheinlichkeit einer ernsthaften Bedrohung durch die bewaffneten Auseinandersetzungen in den einzelnen Provinzen Afghanistans liegt unterhalb der Schwelle des Art. 3 EMRK. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Prozessbevollmächtigten wird abgelehnt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung der Beklagten Bundesrepublik Deutschland, der Ausländerbehörde mitzuteilen, dass eine Abschiebung vorläufig bis zum Abschluss des Wiederaufgreifensverfahrens nicht vorgenommen werden darf.
Der Asylerstantrag des Antragstellers wurde mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 22.07.2016 abgelehnt. Die dagegen gerichtete Klage wurde mit rechtskräftigem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts vom 16.03.2017 (B 1 K 16.31092) abgewiesen; auf den Inhalt dieses Urteils wird verwiesen.
Am 30.05.2017 stellte der Antragsteller einen Folgeantrag. Dieser wurde insbesondere damit begründet, dass eine Tante väterlicherseits vor kurzer Zeit mit ihrem Mann und ihrem Sohn ums Leben gekommen sei. Auf deren Haus sei eine Bombe geworfen worden, weil der Onkel vor einigen Jahren mit dem Vater des Antragstellers zusammengearbeitet habe. Er habe Angst um sein Leben und könne nicht zurück nach Afghanistan. Er würde nach einer Rückkehr nach Afghanistan getötet. Zwei Dokumente in Kopie lägen bei (Anlagen 1 und 2, ohne Übersetzung, Behördenakte S. 28 ff.) Die Originale seien im Heimatland und er bekomme sie aus Sicherheitsgründen nicht. Er sei nach Deutschland gekommen in der Hoffnung, dass er in Ruhe leben und in Sicherheit eine Zukunft aufbauen könne. Mit schriftlicher Begründung wurde weiter vorgetragen (Behördenakte S. 25 ff.), die Situation des Antragstellers in Afghanistan habe sich verschlechtert, man übe Vergeltung an seiner Familie, da man ihn nicht greifen könne. Unbekannte Täter hätten in das Haus der Familie der Tante eine Granate geworfen und dieses Haus befindet sich etwa 100 m von seinem Elternhaus entfernt.
Es handele sich um die Rache an Familienmitgliedern seines Vaters, da der Vater als Oberster Kommandant des Bezirks Badachschan unter der Führung von Burhanuddin Rabbani für ein freies Afghanistan gekämpft habe. Rabbani habe den Vorsitz im islamischen Rat von Afghanistan übernommen und habe den Vater nach Kabul berufen. Der Vater habe dieses Angebot mit der Begründung abgelehnt, er habe nicht für die Macht, sondern nur für ein freies Afghanistan gekämpft. Auch der Ältestenrat von …, der Heimatstadt, wolle nicht, dass der Vater nach Kabul gehe. Der Vater habe seine Aufgabe darin gesehen, in seinem Heimatort die Schule wieder aufzubauen und der Jugend zur Bildung zu verhelfen. Seine Entscheidung sei im Prinzip von keiner Seite akzeptiert worden und deshalb wollten sich die unterschiedlichsten Gruppierungen bis heute am Vater rächen. Die aus Rache getöteten Personen hätten alle in der unmittelbaren Nähe des Elternhauses des Antragstellers gewohnt. Als direkte Familienmitglieder lebten außer dem Antragsteller noch sein alter Vater, die Mutter, der kleine Bruder und die kleine Schwester. Als einziger erwachsener Sohn gelte er somit als potenzieller Kandidat, an dem man Rache verüben könne, um den Vater tiefst möglich zu treffen. Somit sei es für ihn unmöglich, in den Straßen von Kabul unerkannt frei zu leben. Das Elternhaus in … stehe unter Beobachtung. Die Bekanntheit des Vaters im Lande und somit auch des Sohnes, lasse keinerlei Anonymität zu, selbst eine Existenz im Untergrund von Kabul sei nicht gewährleistet. Mit dem westlichen Lebensstil, den er in den letzten 19 Monaten seines Aufenthaltes in Deutschland habe erfahren dürfen, würde er im Heimatland sehr große Probleme bekommen. Er wolle einfach nur leben und könne in Afghanistan nicht überleben. Auf die beigefügten Anlagen (Behördenakte S. 29 ff.) wird verwiesen.
Mit Bescheid vom 02.06.2017 wurde der Antrag als unzulässig abgelehnt und der Antrag auf Abänderung des Bescheides vom 22.07.2016 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG abgelehnt. Die nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG erforderliche Änderung der Sachlage liege nicht vor. Bereits im Bescheid vom 22.07.2016 sei der Antragsteller auf inländische Fluchtalternativen verwiesen worden. Die Ermordung der Tante und ihrer Familie und der Bekanntheitsgrad des Vaters ändere nichts daran, dass die Gründe für die damalige Nicht-Anerkennung weiterhin bestünden. Der Antragsteller könne sich eine Großstadt aussuchen. Herat liege mehr als 1.100 km von Badachschan entfernt. In Anbetracht des allgemeinkundigen Fehlens eines funktionierenden Meldewesens in Afghanistan sei es nicht wahrscheinlich, dass die Verfolger den Antragsteller in einer vom Heimatdorf entfernt liegenden Großstadt finden könnten. Die Voraussetzung für ein Wiederaufgreifen zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG lägen ebenfalls nicht vor. Es bestehe ein Anspruch des Antragstellers auf eine fehlerfreie Ermessensausübung gemäß §§ 51 Abs. 5, 48 oder 49 VwVfG. Gründe, die unabhängig von den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG eine Abänderung der bisherigen Entscheidung zu § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG gemäß § 49 VwVfG rechtfertigen würden, lägen ebenfalls nicht vor. Die erlassene Abschiebungsandrohung sei weiter gültig und vollziehbar.
Der Antragsteller ließ durch seine Prozessbevollmächtigten am 20.06.2017 Klage (B 6 K 17.32335) gegen den Bescheid der Beklagten vom 02.06.2017 erheben; es wurde auch Verpflichtungsklage erhoben (Flüchtlingseigenschaft, subsidiärer Schutz und nationale Abschiebungsverbote).
Zudem wurde mit Schriftsatz vom 22.06.2017 beantragt,
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Ausländerbehörde mitzuteilen, dass eine Abschiebung vorläufig bis zum Abschluss des Wiederaufgreifensverfahrens nicht vorgenommen werden darf.
Zur Begründung wurde vorgetragen, ohne die beantragte Mitteilung werde der Antragsteller sämtlicher Rechte verlustig gehen. Der Eilantrag sei veranlasst, weil die Bundesregierung vorerst die eingeschränkte Durchführung der Abschiebungen nach Afghanistan offenbar wieder fortsetzen wolle. Zudem werde auf die Sicherheitslage in Kabul verwiesen (siehe Klagebegründung vom 20.06.2017). Die Sicherheitslage in Kabul habe sich erheblich geändert. Dies gehe aus dem aktuellen SFH-Bericht vom 19.06.2017 hervor und aus der Tatsache, dass das Auswärtige Amt einen neuen Lagebericht erstellen soll, noch vor dem geplanten Termin im Herbst.
Ergänzend wird auf die beigezogenen Gerichtsakten B 1 K 16.31092, B 6 K 17.32335, die Gerichtsakte in diesem Verfahren und die Behördenakte verwiesen.
II.
1. Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
Der Eilantrag ist statthaft (§ 123 Abs. 5 VwGO), weil die Abschiebungsandrohung im Erstbescheid bestandskräftig geworden ist und der Bundesamtsbescheid im Folgeverfahren keine erneute Abschiebungsandrohung enthält.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Voraussetzung ist hierbei, dass der Antragsteller das Bestehen eines zu sichernden Rechts, den sogenannten Anordnungsanspruch, und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, den sogenannten Anordnungsgrund, glaubhaft macht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgebend sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Über den Erfolg des Antrags ist aufgrund einer im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen und auch nur möglichen summarischen Prüfung zu entscheiden.
Ergibt die überschlägige rechtliche Beurteilung auf der Grundlage der verfügbaren und vom Antragsteller glaubhaft zu machenden Tatsachenbasis, dass von überwiegenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache auszugehen ist, besteht regelmäßig ein Anordnungsanspruch. Ein Anordnungsgrund setzt voraus, dass es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen unzumutbar ist, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Kopp/Schenke, VwGO, § 123 RdNr. 26 m. w. N.).
1.1 Der vorliegende Antrag richtet sich entsprechend § 78 Abs. 1 VwGO gegen den richtigen Antragsgegner (vgl.: BayVGH, B.v. 12.3.2014 – 10 CE 14.427 -).
1.2 Das Bundesamt hat den Asylfolgeantrag und den Antrag auf Abänderung der Feststellungen zu § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG allen Anhaltspunkten nach zu Recht abgelehnt. Der Antragsteller hat damit einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
1.2.1 Gemäß § 71 Abs. 1 AsylG ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 – 3 VwVfG vorliegen. Dies setzt voraus, dass sich entweder die dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat (§ 51 Abs. 1 Nr.1 VwVfG) oder neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG) oder aber Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Zur Begründung wird auf die Gründe des angefochtenen Bescheids verwiesen, § 77 Abs. 2 AsylG, dessen Argumentation das Gericht folgt (zur zutreffenden Klageantragstellung bei Folgeanträgen: BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris, Rn. 18 ff).
Ergänzend ist zur Sache sowie zum Antragsvorbringen das Folgende auszuführen:
Soweit sich der Antragsteller auf die Verfolgungssituation in seinem Heimatdorf wegen der Stellung und des Engagements seines (weiterhin dort lebenden) Vaters und der deswegen verübten Rache an Familienmitgliedern, der ihm selbst deswegen drohenden Rachehandlungen und die mangelnde Schutzalternative in einer größeren Stadt beruft, war dieser Komplex bereits Gegenstand des rechtskräftig abgeschlossenen Erstverfahrens; insofern ist schon nicht von einer nachträglichen Änderung im Sinne von § 71 Abs. 1 S. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG auszugehen.
Abgesehen davon sind die nicht auf ihre Echtheit zu überprüfenden Kopien „amtlicher Bestätigungen“ aus Afghanistan auch nicht als „neue Beweismittel“ im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG geeignet.
Schließlich ist der neue Vortrag nicht geeignet, eine Entscheidung zu Gunsten des Antragstellers im Folgeverfahren herbeizuführen, weil das rechtskräftige Urteil vom 16.03.2017 und auch der angefochtene Bescheid vom 02.06.2017 den Antragsteller entscheidungserheblich zutreffend auf eine innerstaatliche Fluchtalternative in Afghanistan verwiesen haben. Dass der Antragsteller ein sichereres Leben in der Bundesrepublik Deutschland mit westlichem Lebensstil anstrebt, fällt nicht unter die Reichweite des internationalen Schutzes.
Soweit sich der Antragsteller unter den Voraussetzungen des § 51 Abs. 3 VwVfG auf die veränderte Sicherheitslage in Afghanistan beruft, ist eine Veränderung der dem Bescheid zu Grunde liegenden Sachlage nicht begründet. Einerseits reicht hierfür nicht jede Zunahme der Anschlags- und Opferzahlen aus, sondern es ist vielmehr notwendig, dass die zunehmende Anzahl von Gewalttaten in einem Gebiet zu einem Qualitätsumschlag der Sicherheitslage führt, der eine Neubewertung erfordert. Dies ist beispielsweise entweder bei einer Änderung der Art der Anschläge oder einem erheblichen Anstieg der Anzahl an Ereignissen denkbar. Solche Umstände sind jedoch auf Grund der aktuellen Zahlen nicht erkennbar (vgl.: UNAMA, first quarter 2017 civilian casualty Data, vom 27.04.2017; UN, The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security, vom 15.06.2017; SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 19.06.2017 zu Afghanistan: Sicherheitslage in der Stadt Kabul).
Andererseits zeigen die seitens der UNAMA (a.a.O.) vorgelegten Zahlen, dass in den ersten drei Monaten die Anzahl ziviler Opfer in Afghanistan im Vergleich zu dem ersten Quartal 2016 um vier Prozent zurückging, sodass insoweit schon keine Änderung der Lage zu Gunsten des Antragstellers gegeben ist.
1.2.2 Die Voraussetzungen für die nationalen Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 5 AufenthG oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen im entscheidungserheblichen Zeitpunkt nicht vor. Insoweit handelt es sich im Übrigen um eine Entscheidung, die nach aktueller Rechtslage bei Unzulässigkeitsentscheidungen auf Grund des § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG –ohne Wiederaufgreifensprüfung – geboten ist.
1.2.2.1 Die Abschiebung nach Afghanistan verstößt nicht gegen Art. 3 EMRK. Hiervon werden nur besondere Ausnahmefälle erfasst, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen; die Fallgestaltung, dass bei einer Rückführung die Lage des Ausländers einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, ist für sich genommen nicht ausreichend (vgl.: BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris, Rn. 23 m.w.N.). Dies bedeutet, dass eine Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bewertet werden kann und die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllt. Bei der Prüfung der Voraussetzungen des Art. 3 EMRK ist auf den gesamten Abschiebezielstaat abzustellen. Strikt von dieser mit hohen Hürden verbundenen rechtlichen Frage zu trennen ist die politisch-humanitäre Leitentscheidung des § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG (vgl.: BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 -), etwa ob das gesellschaftliche System Afghanistans durch Rückkehrer (zumutbar) belastet wird bzw. ob durch die Rückkehrer eine weitere Destabilisierung des Landes erfolgt. Zur Entscheidung dieser Problematiken ist die oberste Landesbehörde, nicht aber das an das geltende Recht gebundene Gericht berufen.
Afghanische Rückkehrer teilen mit Millionen ihrer Landsleute Lebensbedingungen, bis hin zum Überlebenskampf (vgl.: Stahlmann, Überleben in Afghanistan? Zur humanitären Lage von Rückkehrenden und ihren Chancen auf familiäre Unterstützung, Asylmagazin 3/2017, S. 73 ff – allerdings fußt dieser Artikel zum Teil auch auf mittlerweile wohl überholtem und teilweise nicht nachprüfbarem Datenmaterial bzw. enthält stellenweise nicht belegte Schlussfolgerungen), die in der bundesdeutschen Sozialstaatswirklichkeit keine Entsprechung finden. Art. 3 EMRK verpflichtet die gebundenen Staaten jedoch gerade nicht, Fortschritte in der Medizin sowie Unterschiede in sozialen und wirtschaftlichen Standards durch freie und unbegrenzte Versorgung von Ausländern ohne Bleiberecht zu beseitigen (BVerwG, U. v. 31.01.2013, Az. 10 C 15/12, m.w.N.).
Daneben ist in Übereinstimmung mit dem UNHCR davon auszugehen, dass alleinstehende, leistungsfähige junge Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter in der Lage sind, auch ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semiurbanen Gegenden ihren Lebensunterhalt hinreichend zu sichern (vgl. statt vieler in ständiger Rechtsprechung zuletzt: BayVGH, B.v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294 -; B.v. 10.4.2017 – 13a ZB 17.30266 -). Daneben besteht weiterhin die Möglichkeit, zumindest finanzielle Unterstützung durch die eigenen Familienverbände zu erhalten und darüber auch das Überleben zu sichern (Stahlmann, Überleben in Afghanistan? Zur humanitären Lage von Rückkehrenden und ihren Chancen auf familiäre Unterstützung, Asylmagazin 3/2017, S. 73 ff), sowie die Inanspruchnahme von erheblichen Rückkehrhilfen bei einer freiwilligen Rückkehr, die nicht nur das Überleben in der Anfangszeit, sondern darüber hinaus auch die Schaffung einer eigenständigen Existenzgrundlage ermöglichen können. Dass dies vorliegend nicht der Fall sein sollte, ist nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich.
Der nachvollziehbare Wunsch nach besseren Lebensverhältnissen kann kein Abschiebungsverbot begründen.
Weiterhin liegt die Wahrscheinlichkeit einer ernsthaften Bedrohung durch die bewaffneten Auseinandersetzungen in den einzelnen Provinzen Afghanistans unterhalb der Schwelle des Art. 3 EMRK.
Unter Zugrundelegung der Einwohnerzahlen Afghanistans (Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, in der Fassung der letzten Einfügung am 11.05.2017, Nrn. 3.1 ff, S. 29 ff) von insgesamt 27.656.245 Personen und einer Gesamtanzahl ziviler Opfer in Afghanistan von 11.418 laut UNAMA (Afghanistan. Protection of civilians in armed conflict. Annual report 2016, Februar 2017) besteht eine Gesamtwahrscheinlichkeit von 0,04%, ein ziviles Opfer in Afghanistan zu werden.
Unter Zugrundelegung der Einwohnerzahlen für die einzelnen Provinzen Afghanistans im Jahr 2016 (Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, in der Fassung der letzten Einfügung am 11.05.2017, Nrn. 3.1 ff, S. 29 ff), der security incidents (Sicherheitsvorfälle) im Zeitraum vom 01.09.2015 bis 31.05.2016 (EASO, „Country of Origin Information Report. Afghanistan. Security Situation“ vom November 2016, Nr. 2, S. 39 ff, aufgeschlüsselt in die einzelnen Provinzen und die Kategorien „violence targeting individuals“, „Armed confrontations and airstrikes“, „Explosions“, „Security enforcement“, „Nonconflict related incidents“ und „Other incidents“) sowie der civilian casualties (zivile Verluste) im Jahr 2016 laut UNAMA (Afghanistan. Protection of civilians in armed conflict. Annual report 2016, vom Februar 2017, der den Zeitraum vom 01.01. bis 31.12.2016 abdeckt und in die Regionen Süden, Zentral, Osten, Nord-Osten, Norden, Süd-Osten, Westen und Zentrales Hochland unterteilt ist, S. 11 f), errechnen sich (unter Einbeziehung der nicht konfliktbasierten Vorfälle) die nachfolgenden Opferwahrscheinlichkeiten.
Diese Wahrscheinlichkeiten ergeben sich durch Multiplikation des prozentualen Anteils der sicherheitsrelevanten Vorfälle der einzelnen Provinz an der Gesamtanzahl der Vorfälle in der entsprechenden Region mit den zivilen Opfern in der Gesamtregion und anschließender Division durch die Bevölkerungsanzahl der Provinz.
Dabei ist dem Gericht bewusst, dass es sich bei den errechneten Wahrscheinlichkeiten nur um Näherungen handelt, da beispielsweise sowohl bei der Erfassung der Daten, als auch in Bezug auf die einzelnen Erhebungszeitpunkte sowie die Zuordnung der Opfer zu den einzelnen Anschlägen notwendig Unschärfen bestehen. Diese sind bei dem – allerdings unumgänglichen – statistischen Abgleich jedoch unvermeidbar.
Zentrales Gebiet: Provinz Kabul – 0,0145%, Provinz Kapisa – 0,06%, Provinz Panjshir – 0,001%, Provinz Parwan – 0,044, Provinz Wardak – 0,1244%, Provinz Logar – 0,1%; zentrales Hochland: Provinz Bamjan – 0,01%, Provinz Dai Kundi – 0,015%; südliches Gebiet: Provinz Kandahar – 0,1%, Provinz Helmand – 0,1306%, Provinz Nimroz – 0,04%, Provinz Uruzgan – 0,08%, Provinz Zabul – 0,05%; süd-östliches Gebiet: Provinz Ghazni – 0,04%, Provinz Paktya – 0,02%, Provinz Khost – 0,03%, Provinz Paktika – 0,04%; östliches Gebiet: Provinz Laghman – 0,07%, Provinz Nangarhar – 0,05%, Provinz Kunar – 0,119%, Provinz Nuristan – 0,02%; nord-östliches Gebiet: Provinz Baghlan – 0,05%, Provinz Kunduz – 0,05%, Provinz Takhar – 0,02%, Provinz Badakhshan – 0,01%; nördliches Gebiet: Provinz Faryab – 0,07%, Provinz Jawzjan – 0,04%, Provinz Balkh – 0,02, Provinz Samangan – 0,01%, Provinz Sar-e Pul – 0,02%; westliches Gebiet: Provinz Herat – 0,02%, Provinz Badghis – 0,03%, Provinz Farah – 0,05%, Provinz Ghor – 0,01%.
Nur in der Provinz Helmand besteht eine Opferwahrscheinlichkeit von mehr als 1:800, nämlich 0,1306% (umgerechnet in die Darstellungsweise des Bundesverwaltungsgerichtes entspräche die Wahrscheinlichkeit 1:766). Damit überschreitet diese die im Urteil des BVerwG für noch nicht ausreichend gehaltene Wahrscheinlichkeit um 0,0056%; eine relevante Überschreitung der Gefährdungsschwelle ist damit nach Auffassung des Gerichts und des Bundesverwaltungsgerichtes (U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 -) nicht verbunden.
Bei Herausrechnung der nicht konfliktbasierten und der sonstigen Vorfälle ergeben sich folgende Opferwahrscheinlichkeiten:
Zentrales Gebiet: Provinz Kabul – 0,0135%, Provinz Kapisa – 0,06%, Provinz Panjshir – 0,000%, Provinz Parwan – 0,043%, Provinz Wardak – 0,1296%, Provinz Logar – 0,1%; zentrales Hochland: Provinz Bamjan – 0,01%, Provinz Dai Kundi – 0,015%; südliches Gebiet: Provinz Kandahar – 0,1%, Provinz Helmand – 0,1318%, Provinz Nimroz – 0,04%, Provinz Uruzgan – 0,08%, Provinz Zabul – 0,05%; süd-östliches Gebiet: Provinz Ghazni – 0,04%, Provinz Paktya – 0,02%, Provinz Khost – 0,03%, Provinz Paktika – 0,04%; östliches Gebiet: Provinz Laghman – 0,07%, Provinz Nangarhar – 0,044%, Provinz Kunar – 0,120%, Provinz Nuristan – 0,02%; nord-östliches Gebiet: Provinz Baghlan – 0,05%, Provinz Kunduz – 0,05%, Provinz Takhar – 0,02%, Provinz Badakhshan – 0,01%; nördliches Gebiet: Provinz Faryab – 0,07%, Provinz Jawzjan – 0,04%, Provinz Balkh – 0,02, Provinz Samangan – 0,008%, Provinz Sar-e Pul – 0,02%; westliches Gebiet: Provinz Herat – 0,02%, Provinz Badghis – 0,03%, Provinz Farah – 0,05%, Provinz Ghor – 0,01%.
Nach diesem Berechnungsmodus besteht in den Provinzen Wardak (0,1296%, entspricht 1:772) und Helmand (0,1318%, entspricht 1:759) eine über der seitens des Bundesverwaltungsgerichtes ausdrücklich nicht beanstandeten Wahrscheinlichkeit. Jedoch erreichen auch diese Werte noch nicht die relevante Opferschwelle (BVerwG, U.v. 17.11.2011, a.a.O., juris, Rn. 23, betont ausdrücklich, dass die Schadensrelation von 1:800 „so weit“ von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt ist, dass auch der Mangel einer wertenden Betrachtung sich nicht auszuwirken vermag).
1.2.2.2 Dem Antragsteller droht auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dabei sind nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Beruft sich der Ausländer demzufolge auf allgemeine Gefahren, kann er Abschiebungsschutz regelmäßig nur durch einen generellen Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erhalten. Allgemeine Gefahren in diesem Sinne sind alle Gefahren, die der Bevölkerung Afghanistan als solcher auf Grund der derzeit dort bestehenden Sicherheits- und Versorgungslage drohen. Dazu zählen neben der Gefahr, Opfer terroristischer Übergriffe zu werden und Gefahren durch die desolate Versorgungslage auch Gefahren krimineller Aktivitäten und Rachebestrebungen von Privatpersonen.
1.3 Weitere Berechtigungen des Antragstellers, sich in dem Gebiet der Antragsgegnerin aufzuhalten, sind in diesem Verfahren nicht zu prüfen, da insoweit die Antragsgegnerin die falsche Beteiligte wäre. Sie trifft bei ihrer Folgeantragsentscheidung nur im Rahmen der § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG und des § 31 Abs. 3 AsylG ausländerrechtliche Entscheidungen, ist aber im Übrigen für ausländerrechtliche Fragestellungen nicht zuständig. Zwar sieht § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG vor, dass die Antragsgegnerin im Rahmen der Entscheidung über die Abschiebungsandrohung zu prüfen hat, ob der Ausländer einen Aufenthaltstitel besitzt. Dies setzt jedoch voraus, dass ein solcher Titel nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG erteilt wurde (vgl.: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, § 34 Rn. 8; Hofmann, Ausländerrecht, § 34 Rn. 12-13; Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, § 34 Rn. 25-29), was auf Grund des § 10 AufenthG nur eingeschränkt möglich ist. Eine Erweiterung des Prüfungsmaßstabes, die sich auch auf den Prüfungsumfangs in hiesigem Verfahren auswirken würde, ist damit jedoch nicht verbunden. Richtiger Antragsgegner für derlei Einwände gegen die Abschiebung wäre der Freistaat Bayern.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 30 RVG.
4. Nachdem der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes erfolglos blieb, konnte auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für dieses Verfahren keinen Erfolg haben (§ 166 VwGO, § 114 ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).