Europarecht

Erfolgreicher Antrag wegen Ablauf der Überstellungsfrist

Aktenzeichen  M 1 S7 16.50180

Datum:
2.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 34a Abs. 1 S. 1
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 29

 

Leitsatz

Der Mitgliedstaat, der die Überstellung in den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat nicht zeitgemäß durchführt, muss die Folgen tragen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 10. August 2015 (M 1 S 15.50679) wird geändert.
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die in Nr. 2 des Bescheids vom 18. Juni 2015 angeordnete Abschiebung nach Ungarn wird angeordnet.
II.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben Staatsangehöriger der Republik Sierra Leone. Er beantragte hier am 17. März 2015 seine Anerkennung als Asylberechtigter.
Im Rahmen von persönlichen Gesprächen mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens am 17. März und 16. April 2015 gab er an, er habe bereits in Ungarn Asylantrag gestellt. Er wolle jedoch nicht dorthin überstellt werden, weil er medizinische Probleme und dort keine Unterkunft habe. Die Asylantragstellung in Ungarn wird bestätigt durch eine Eurodac-Treffermeldung vom 1. April 2015. Mit Schreiben vom 4. Juni 2015 sagte die zuständige ungarische Stelle zu, den Antragsteller nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) zurück zu übernehmen.
Mit Bescheid vom 18. Juni 2015 wurde der Asylantrag des Antragstellers für unzulässig erklärt (Nr. 1) und die Abschiebung nach Ungarn angeordnet (Nr. 2).
Am …. Juli 2015 erhob der Antragsteller Klage gegen den Bescheid des Bundesamts mit dem Antrag auf Bescheidsaufhebung (M 1 K 15.50678), über die noch nicht entschieden ist. Er stellte ferner einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, der mit Beschluss vom 10. August 2015 abgelehnt wurde (M 1 S 15.50679). Dieser Beschluss wurde dem Bundesamt am 21. August 2015 zugestellt.
Am … Februar 2016 beantragte der Antragsteller,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 12. August 2015 (richtig: 10.8.2015) abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamts vom 18. Juni 2015 anzuordnen.
Zur Begründung führte der Bevollmächtigte aus, die sechsmonatige Überstellungsfrist nach Ungarn sei nunmehr abgelaufen und damit die Zuständigkeit für die Durchführung eines Asylverfahrens auf Deutschland übergegangen.
Die Antragsgegnerin hat sich nicht geäußert.
Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO ist begründet. Die Sachlage hat sich maßgeblich zugunsten des Antragstellers geändert.
Die Klage hat nunmehr hohe Erfolgsaussichten, weil die Abschiebungsanordnung zum maßgeblichen gegenwärtigen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) wohl rechtswidrig ist.
Die sechsmonatige Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO ist inzwischen auch dann abgelaufen, wenn man mit dem Bundesamt davon ausgeht, dass diese Frist mit der Zustellung des den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ablehnenden Beschlusses vom 10. August 2015 am 21. August 2015 nochmals neu zu laufen begonnen hat. Auch dann ist gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO Ungarn wohl jedenfalls seit dem 22. Februar 2016 nicht mehr zur Wiederaufnahme des Antragstellers verpflichtet, sondern die Bundesrepublik Deutschland ist zuständig geworden.
Ob der Antragsteller den Ablauf der Überstellungsfrist unmittelbar als Rechtsverletzung geltend machen kann, kann offen bleiben. Er kann sich jedenfalls darauf berufen, dass die Voraussetzungen des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht mehr vorliegen, wonach feststehen muss, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Dies ist jedenfalls in tatsächlicher Hinsicht zum maßgeblichen gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr der Fall, weil nicht erkennbar ist, dass Ungarn, obwohl die Überstellungsfrist abgelaufen und die Bundesrepublik Deutschland zuständig geworden ist, nach wie vor ohne weiteres zur Aufnahme des Antragstellers bereit ist.
Angesichts der hohen Erfolgsaussichten der Klage überwiegt das private Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung der Klage das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).

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