Europarecht

Fehlende Wirksamkeit eines Dublin-Bescheides

Aktenzeichen  M 6 K 16.50627

Datum:
24.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 10
VwZG VwZG § 3, § 8
ZPO ZPO § 181

 

Leitsatz

1 Die Übergabe eines zuzustellenden Schriftstücks an einen Angehörigen des Sicherheitsdienstes ist keine zulässige Zustellung durch Niederlegung. (redaktioneller Leitsatz)
2 Für die Heilung von Zustellungsmängeln ist es erforderlich, dass das zuzustellende Dokument dem Empfangeberechtigten tatsächlich zugegangen ist. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 17. Juni 2016 (Gesch.-Z.: …*) ist nicht wirksam geworden.
II. Die Beklagte hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerinnen vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Mit Einverständnis der Beteiligten konnte gemäß § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – ohne mündliche Verhandlung entschieden werden. Die Beklagte hatte mit ihren allgemeinen Prozesserklärungen vom 25. Februar 2016 und 24. März 2016 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Die in ihrem Hilfsantrag zulässige Klage ist begründet.
Die vom Kläger am 3. August 2016 erhobenen Klage ist nach Maßgabe des Schriftsatzes des Bevollmächtigten des Klägers vom … August 2016 mit dem dort formulierten Feststellungsbegehren, nochmals konkretisiert durch weiteren Schriftsatz vom … September 2016, zulässig. Ihr steht nicht die Subsidiarität einer Feststellungsklage nach § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO entgegen, was sich aus Nachfolgendem noch ergibt. Eine Klage auf Verpflichtung der Beklagten lediglich auf Zustellung eines Bescheids (quasi der „Hauptantrag“ des Klägers) wäre vorliegend jedoch unzulässig gewesen.
Die erkennende Kammer sieht diese Klage auch als begründet an, was zu der begehrten Feststellung in Nr. I. des Tenors geführt hat.
Der Bescheid des Bundesamts vom 17. Juni 2016 wurde fehlerhaft ersatzzugestellt und dieser Zustellungsmangel wurde nicht geheilt. Der Bescheid wurde dem Kläger also bislang nicht bekannt gegeben.
Im Einzelnen gilt Folgendes:
§ 10 AsylG enthält detaillierte Zustellungsvorschriften, die sehr formalisiert sind und einem Ausländer bestimmte Pflichten auferlegen, deren Vernachlässigung für ihn zu Rechtsnachteilen führen kann. So gilt nach § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG eine Sendung unter bestimmten Voraussetzungen selbst dann als zugestellt, wenn sie dem Ausländer nicht zugestellt werden konnte und die Sendung als unzustellbar zurückgekommen ist. Daher müssen andererseits an die Einhaltung der Voraussetzungen hierfür strenge Anforderungen gestellt werden.
Nach § 10 Abs. 5 AsylG bleiben die Vorschriften über die Ersatzzustellung unberührt.
Für die Ausführung einer Zustellung durch die Post mit Zustellungsurkunde nach § 3 Verwaltungszustellungsgesetz – VwZG – gelten nach § 3 Abs. 2 Satz 1 VwZG die §§ 177 bis 182 der Zivilprozessordnung – ZPO – entsprechend unter Berücksichtigung der § 3 Abs. 2 Sätze 2 und 3 VwZVG.
Eine Ersatzzustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO erfolgte ausweislich der Postzustellungsurkunde (Bl. 137 und 138) nicht.
Die Ersatzzustellung durch Niederlegung nach § 181 Abs. 1 ZPO wiederum erfolgte unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften.
Zwar ist aus der Postzustellungsurkunde ersichtlich, dass die schriftliche Mitteilung über die Niederlegung in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abgegeben worden sein soll, § 181 Abs. 1 Satz 3 ZPO. Dort ist aber als Art der Abgabe vermerkt: „Beim Sicherheitsdienst abgegeben“.
Bei der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise muss es sich jedoch um eine rechtlich zulässig und tatsächlich zuverlässige Weise handeln. Das sieht die erkennende Kammer bei einer Übergabe an einen Angehörigen eines Sicherheitsdienstes – dessen Name nicht einmal vermerkt worden ist – nicht als gegeben an. Wären Angehörige des Sicherheitsdienstes hierzu befugt, so würde es sich vielmehr schon um eine Ersatzzustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO gehandelt haben müssen.
Für die Heilung von Zustellungsmängeln nach § 8 VwZVG ist es erforderlich, dass das zuzustellende Dokument dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist.
Das ist hier nicht der Fall gewesen. Der Kläger hat den Bescheid vom 17. Juni 2016 unstreitig nicht selbst erhalten. Vielmehr kam es zu einer Rücksendung dieses Bescheids im Umschlag an das Bundesamt (Bl. 156) unter Umständen, die von der Post nicht mehr aufgeklärt werden konnten (Schreiben der Deutschen Post vom 14.7.2016; Bl. 155). Dabei verwundert insbesondere, dass auf dem Umschlag die Adresse durchgestrichen ist und eine unbekannte Person „unbekannt verzogen“ notierte, obwohl der Kläger unverändert unter der angegebenen Adresse wohnte.
Abschließend sei angemerkt, dass nach Aktenlage (Bl. 52) die Überstellungsfrist hinsichtlich Bulgarien am 18. September 2016 ungehindert abgelaufen sein dürfte. Der Kläger hat nach obigen Ausführungen mit vorliegendem Antrag schon gar keinen Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung im Sinne des § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG stellen können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung hat ihre Rechtsgrundlage in § 167 Abs. 2, Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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