Europarecht

Flughafen Berlin Brandenburg: Keine Ausweitung des Nachtflugverbots; Nachbesserung beim Schallschutz

Aktenzeichen  4 A 4000/10

Datum:
13.10.2011
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 2 Abs 2 FluLärmG
§ 2 Abs 3 FluLärmG
Art 2 Abs 2 S 1 GG
Anh 2 Nr 3.1.12 IntZLuftAbk
§ 8 Abs 1 LuftVG
§ 8 Abs 4 LuftVG
§ 10 Abs 4 S 1 LuftVG
§ 29b Abs 1 S 2 LuftVG
§ 32 Abs 4 Nr 8 LuftVG
§ 32 Abs 4c LuftVG
§ 26 Abs 2 LuftVO
§ 27a Abs 2 S 1 LuftVO
§ 9 Abs 1 UIG
§ 42 Abs 2 VwGO
§ 99 Abs 1 VwGO
§ 100 Abs 1 VwGO
§ 21 Abs 1 VwVfG
Spruchkörper:
4. Senat

Verfahrensgang

nachgehend BVerfG, 2. Juli 2018, Az: 1 BvR 847/12, Nichtannahmebeschluss

Tatbestand

1
Die Kläger sind Eigentümer von Wohngrundstücken in der Nähe des Flughafens Berlin-Schönefeld. Sie wenden sich gegen den vom Beklagten erlassenen Planergänzungsbeschluss “Lärmschutzkonzept BBI” zum Vorhaben “Ausbau Verkehrsflughafen Berlin-Schönefeld” vom 20. Oktober 2009.
2
Der angegriffene Planergänzungsbeschluss (PEB) ergänzt den Planfeststellungsbeschluss des Beklagten vom 13. August 2004 zum Ausbau des Verkehrsflughafens Berlin-Schönefeld (PFB). Durch den Planfeststellungsbeschluss wurde die Grundlage für den Ausbau des Flughafens zum alleinigen internationalen Verkehrsflughafen für die Region Berlin-Brandenburg geschaffen. A II 5.1.1 PFB regelte den Flugbetrieb während der Nacht (22:00 bis 6:00 Uhr). In dieser Zeit sollten grundsätzlich nur lärmarme Flugzeuge starten und landen dürfen (5.1.1 Nr. 1). Ausbildungs- und Übungsflüge waren grundsätzlich nicht zulässig (5.1.1 Nr. 4). Abgesehen hiervon sollten Starts und Landungen während der gesamten Nacht zulässig sein.
3
Auf ausgewählte Musterklagen von Anwohnern und Gemeinden hat der Senat den Beklagten durch Urteile vom 16. März 2006 – BVerwG 4 A 1001.04, 1073.04, 1075.04 und 1078.04 (BVerwG 4 A 1075.04 veröffentlicht in BVerwGE 125, 116) – verpflichtet, u.a. über eine weitergehende Einschränkung des Nachtflugbetriebs in Teil A II 5.1.1 des Planfeststellungsbeschlusses vom 13. August 2004 in der Fassung vom 21. Februar 2006 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Soweit der Planfeststellungsbeschluss den ausgesprochenen Verpflichtungen entgegenstand, hat er ihn aufgehoben. Im Übrigen hat er die Klagen abgewiesen.
4
Um der Verpflichtung aus den Urteilen vom 16. März 2006 nachzukommen, hat der Beklagte den Planergänzungsbeschluss vom 20. Oktober 2009 erlassen. Durch diesen Beschluss hat A II 5.1.1 PFB folgende Fassung erhalten:
5.1.1 Flugbetriebliche Regelungen
Ab Inbetriebnahme der planfestgestellten neuen Südbahn unterliegt der Flugbetrieb folgenden Regelungen:
1) In der Zeit zwischen 23:30 und 5:30 Uhr Ortszeit dürfen keine Luftfahrzeuge starten oder landen.
2) In der Zeit zwischen 22:00 und 6:00 Uhr Ortszeit dürfen strahlgetriebene Flugzeuge mit einer maximal zulässigen Abflugmasse von mehr als 20 000 kg auf dem Flughafen nur starten oder landen, wenn sie nachweisen, dass ihre gemessenen Lärmzertifizierungswerte in der Summe mindestens 10 EPNdB unter der Summe der für sie geltenden Grenzwerte gemäß Band 1, Teil II, Kapitel 3 des Anhangs 16 zum Abkommen über die Internationale Zivilluftfahrt (ICAO-Abkommen) liegen. …
3) Von den unter Nr. 1) und 2) genannten Regelungen sind ausgenommen:
a) Landungen von Luftfahrzeugen, wenn die Benutzung des Flughafens als Not- oder Ausweichflughafen aus meteorologischen, technischen oder sonstigen Sicherheitsgründen erfolgt,
b) Starts und Landungen von Luftfahrzeugen, die sich im Einsatz für den Katastrophenschutz oder für die medizinische Hilfeleistung befinden oder die für Vermessungsflüge von Flugsicherungsunternehmen bzw. in deren Auftrag eingesetzt werden,
c) Starts und Landungen von Luftfahrzeugen, die bei Staatsbesuchen und für Regierungsflüge sowie Militär- und Polizeiflüge eingesetzt werden.
4) Von den unter Nr. 1) genannten Regelungen sind ausgenommen:
a) Starts und Landungen von Luftfahrzeugen im Luftpostverkehr werktags in den fünf Nächten von Montag auf Dienstag bis Freitag auf Samstag,
b) verspätete Starts von Luftfahrzeugen im Interkontinental-Verkehr zu Zielen außerhalb Europas sowie außerhalb der nichteuropäischen Mittelmeer-Anrainerstaaten, deren planmäßige Abflugzeit vor 23:30 Uhr Ortszeit liegt, bis 24:00 Uhr Ortszeit,
c) verspätete Landungen von Luftfahrzeugen, deren planmäßige Ankunftszeit vor 23:30 Uhr Ortszeit liegt, bis 24:00 Uhr Ortszeit und verfrühte Landungen von Luftfahrzeugen, deren planmäßige Ankunft nach 5:30 Uhr Ortszeit liegt, ab 5:00 Uhr Ortszeit,
d) Starts und Landungen von Luftfahrzeugen bei deren Bereitstellung und instandhaltungsbedingter Überführung als Leerflüge bis 24:00 Uhr Ortszeit und ab 5:00 Uhr Ortszeit.
5) In der Zeit zwischen 22:00 und 23:00 Uhr Ortszeit sind auch verspätete Landungen von Flugzeugen mit Lärmzulassung nach Band 1, Teil II, Kapitel 3 des Anhangs 16 zum ICAO-Abkommen im gewerblichen Verkehr gestattet, wenn deren planmäßige Ankunftszeit vor 22:00 Uhr Ortszeit liegt.
6) An- und Abflüge im Rahmen von Ausbildungs- und Übungsflügen sind in der Zeit von 22:00 bis 6:00 Uhr Ortszeit sowie an Sonn- und Feiertagen nicht zulässig. Nach vorheriger Zustimmung der örtlichen Luftaufsicht können Ausbildungs- und Übungsflüge an Werktagen bis 23:00 Uhr Ortszeit durchgeführt werden, wenn sie nach luftverkehrsrechtlichen Vorschriften über den Erwerb, die Verlängerung oder Erneuerung einer Erlaubnis oder Berechtigung als Führer eines Luftfahrzeugs zur Nachtzeit erforderlich sind und die Flüge nicht vor 22:00 Uhr Ortszeit beendet werden können. Als Feiertag im oben genannten Sinne gilt jeder Feiertag, der in den Gesetzen über die Sonn- und Feiertage der Länder Berlin oder Brandenburg genannt ist.
7) (Triebwerksprobeläufe) 8) … (Schubumkehr)
9) Zum Schutz der Nachtruhe sind Starts und Landungen bei Flügen nach Instrumentenflugregeln mit Ausnahme der in A II 5.1.1 Nr. 3) genannten Flüge und der im Abschnitt A II 5.1.1 Nr. 4) a) genannten Luftpostflüge wie folgt geregelt:
a) Starts und Landungen sind zwischen 23:00 und 24:00 Uhr sowie 5:00 und 6:00 Uhr bis zu einer jährlichen Nachtverkehrszahl von 12 852 für die Sommer- und Winterflugplanperiode zulässig.
b) Die Nachtverkehrszahl ist die Summe der Starts und Landungen über alle Zeitscheiben, pro Zeitscheibe jeweils multipliziert mit einem Nachtflugfaktor. Die maßgeblichen Nachtflugfaktoren und Zeitscheiben sind wie folgt definiert: Nachtflugfaktor 1 für 23:00 bis 23:30 Uhr Ortszeit, Nachtflugfaktor 2 für 23:30 bis 24:00 Uhr Ortszeit, Nachtflugfaktor 2 für 5:00 bis 5:30 Uhr Ortszeit und Nachtflugfaktor 1 für 5:30 bis 6:00 Uhr Ortszeit.
c) Für jede Flugplanperiode ist die geplante Nachtverkehrszahl im Voraus zu ermitteln. Die geplante Nachtverkehrszahl darf in der Sommerflugplanperiode maximal 71 % (9 125) der zugelassenen jährlichen Nachtverkehrszahl betragen, in der Winterflugplanperiode 29 % (3 727). Drei Jahre nach Inbetriebnahme der planfestgestellten Südbahn ergibt sich für die kommenden Jahre die Aufteilung der jährlich zugelassenen maximalen Nachtverkehrszahl (12 852) auf die Sommer- und Winterflugplanperiode jeweils aus den Durchschnittswerten der Aufteilung der tatsächlichen Nachtverkehrszahlen auf die Sommer- und Winterflugplanperiode der sechs zurückliegenden Flugplanperioden.
d) Zur Berücksichtigung von Verspätungen und Verfrühungen sowie ungeplanter Flüge muss die geplante Nachtverkehrszahl erstmalig vor Beginn der Flugplanperiode, in der die planfestgestellte Südbahn in Betrieb geht, mindestens um 36 % unter der maximal zulässigen Nachtverkehrszahl der Flugplanperiode liegen (Minderungsbetrag). Drei Jahre nach Inbetriebnahme der planfestgestellten Südbahn ergibt sich für die kommenden Flugplanperioden der Minderungsbetrag jeweils als Durchschnittswert der tatsächlichen Nachtverkehrszahlen aller Verspätungen und Verfrühungen sowie ungeplanter Flüge in den letzten drei Jahren.
e) Sofern nach Ablauf der jeweiligen Flugplanperiode festgestellt wird, dass die maximal zulässige Nachtverkehrszahl aufgrund der tatsächlich durchgeführten Starts und Landungen überschritten wurde, muss in der kommenden Flugplanperiode die geplante Nachtverkehrszahl um den Minderungsbetrag und zusätzlich um den Überschreitungsbetrag unter der maximal zulässigen Nachtverkehrszahl liegen.
f) Die geplante Nachtverkehrszahl und die tatsächliche Nachtverkehrszahl der letzten Flugplanperiode einschließlich einer Flugbewegungsstatistik für die maßgeblichen Zeitscheiben sind der Genehmigungsbehörde unverzüglich zu übermitteln, die geplante Nachtverkehrszahl erstmalig vor Beginn der Flugplanperiode, in der die planfestgestellte Südbahn in Betrieb geht. Der Aufbau und Inhalt der Flugbewegungsstatistik sind mit der Genehmigungsbehörde abzustimmen.
10) … (Verteilung der Flüge auf die Start- und Landebahnen)
11) Die Genehmigungsbehörde kann in begründeten Einzelfällen Abweichungen von den vorgenannten flugbetrieblichen Regelungen zulassen.
5
Die Kläger, die bereits gegen den Planfeststellungsbeschluss vom 13. August 2004 geklagt hatten, haben im Anhörungsverfahren rechtzeitig Einwendungen erhoben. Am 12. Februar 2010 haben sie die vorliegenden Klagen erhoben. Sie halten den Planergänzungsbeschluss aus mehreren Gründen für rechtswidrig:
6
Gegen den für den Erlass des Planergänzungsbeschlusses zuständigen Beamten bestehe die Besorgnis der Befangenheit. Er habe zwischen April 2005 und September 2008 an Sitzungen der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV) teilgenommen und sich mit flughafenfreundlichen Beiträgen beteiligt.
7
Der Planergänzungsbeschluss verstoße gegen die Vorgaben des Urteils vom 16. März 2006 und die darin geäußerte Rechtsauffassung des Gerichts. Das Gutachten der I. GmbH (im Folgenden: I.), auf das sich der Beklagte zum Nachweis des Nachtflugbedarfs stütze, leide an mehreren, im Einzelnen benannten Fehlern. Die Prognose finde in einer nicht überprüfbaren “Black Box” statt. Die Nachtflugregelung lasse sich auch nicht durch die Erwägungen zum Bedarf der einzelnen Verkehrssegmente rechtfertigen. Regionalwirtschaftliche Effekte könnten Nachtflugverkehr nicht rechtfertigen. Eine Eindämmung des Nachtflugverkehrs erst durch eine Kontingentierung stehe mit den Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts nicht in Einklang. Im Übrigen sei die Nachtverkehrszahl auch in ihrer Ausgestaltung unzureichend.
8
Die der Ermittlung der Lärmbetroffenheiten zugrunde gelegten parallelen Abflugstrecken seien aus Gründen der Flugsicherheit nicht vertretbar. Die gleichzeitige unabhängige Durchführung von IFR-Abflügen erfordere um mindestens 15Grad divergierende Abflugkurse. Der Planergänzungsbeschluss gehe – wie bereits der Planfeststellungsbeschluss – von im Wesentlichen unzutreffenden Betroffenheiten aus; insbesondere bleibe die Betroffenheit zehntausender zusätzlicher Anwohner außer Betracht.
9
Die Gesamtabwägung stehe mit den Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts nicht in Einklang. Wohngrundstücke in der Nähe des Flughafens seien ohnehin praktisch unverkäuflich; ihr Wert werde bei zusätzlichem Flugverkehr auch in der Nacht noch weiter sinken. Auch die Schadstoffbelastung und die Katastrophengefahr würden weiter erhöht.
10
Die Kläger beantragen,
die im Planergänzungsbeschluss vom 20. Oktober 2009 angeordneten flugbetrieblichen Regelungen (Verfügung A I 1) sowie die diese ergänzenden “Nebenentscheidungen” (Verfügung A III, IV) aufzuheben,
hilfsweise
den Beklagten zu verpflichten,
über weitergehende Einschränkungen des Nachtflugbetriebes in Teil A II Ziff. 5.1.1 des Planfeststellungsbeschlusses vom 13. August 2004 in der Fassung des Planergänzungsbeschlusses vom 20. Oktober 2009 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden,
und den Planfeststellungsbeschluss aufzuheben, soweit er dieser Verpflichtung entgegensteht.
11
Soweit die Klagen ursprünglich auch auf weitergehenden passiven Schallschutz und eine weitergehende Entschädigung für die Beeinträchtigung der Außenwohnbereiche gerichtet waren, haben die Kläger den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.
12
Der Beklagte verteidigt den Planergänzungsbeschluss und beantragt,
die Klagen abzuweisen, soweit sie noch aufrechterhalten sind.
13
Im Übrigen hat auch er den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.
14
Die Beigeladene beantragt,
die Klagen abzuweisen.
15
Für den Fall, dass es hierauf ankommt, stimmt sie den Erledigungserklärungen zu.

Die gegen diese Entscheidung erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 2. Juli 2018 – 1 BvR 847/12 – nicht zur Entscheidung angenommen.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben