Europarecht

I ZR 190/19

Aktenzeichen  I ZR 190/19

Datum:
28.5.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2020:280520BIZR190.19.0
Normen:
Art 103 Abs 1 GG
Spruchkörper:
1. Zivilsenat

Verfahrensgang

vorgehend OLG München, 26. September 2019, Az: 6 U 2612/17vorgehend LG München I, 27. Juni 2017, Az: 1 HKO 7046/15

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 26. September 2019 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf 1.900.000 € festgesetzt.

Gründe

1
I. Die Klägerin ist eine deutsche Filmproduktionsgesellschaft und Inhaberin der deutschen Wortmarke “RAT PACK” (im Folgenden: Klagemarke), die unter anderem für die Dienstleistungen der Klasse 41 “Unterhaltung” eingetragen ist. Die Beklagte führt die Bezeichnung “RatPac Entertainment, LLC”. Sie ist ein US-amerikanisches Unternehmen, das Filme finanziert. Filmproduktionen führt die Beklagte in Deutschland nicht durch.
2
Die Klägerin meint, die Beklagte trete in Deutschland als Filmproduzentin auf, und sieht in der Filmfinanzierung einen wesentlichen Bestandteil einer Filmproduktion, für welche die Klagemarke Schutz beanspruche.
3
Soweit für das Beschwerdeverfahren von Bedeutung hat die Klägerin mit ihrem Hauptantrag I unter Bezugnahme auf Abbildungen der konkreten Verletzungsformen in einem “Insbesondere”-Zusatz – namentlich Filmvor- und -abspänne, Filmplakate, DVD-Hüllen und Trailer – die Unterlassung der Benutzung der Bezeichnung “RatPac” und/oder “RatPac Entertainment” für das Angebot und/oder die Bewerbung der Dienstleistung Filmproduktion verlangt. Mit dem Hilfsantrag I b hat sie verlangt, die Benutzung der genannten Bezeichnung für das Angebot und/oder die Bewerbung der Dienstleistung Filmproduktion sowie die Werbung, wie dargestellt in den Abbildungen unter I, zu unterlassen.
4
II. Das Landgericht hat dem Unterlassungsanspruch wegen Erstbegehungsgefahr stattgegeben und die Auskunfts- und Schadensersatzansprüche abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Auf die Anschlussberufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage vollumfänglich abgewiesen.
5
Das Berufungsgericht hat – soweit für das Beschwerdeverfahren von Bedeutung – angenommen, die Beklagte trete durch Verwendung der Bezeichnung “RatPac” und/oder “RatPac Entertainment” auf den streitgegenständlichen Filmplakaten, in den Filmvor- und -abspännen sowie auf DVD-Hüllen aus Sicht des angesprochenen Verkehrs nicht als Produzentin oder Co-Produzentin der beworbenen Filme oder DVDs auf. Zum maßgeblichen Verkehr zählten die Verkehrskreise, die als potentielle Interessenten einer Inanspruchnahme der Dienstleistung “Filmproduktion” in Betracht kämen. Das sei nicht der Durchschnittsverbraucher, sondern das Fachpublikum, in erster Linie in- und ausländische Filmproduktionsgesellschaften bzw. Filmproduzenten. Den von der fraglichen Werbung angesprochenen Fachkreisen werde überwiegend bekannt sein, dass es sich bei der Beklagten um ein in den USA ansässiges Filmfinanzierungsunternehmen handele. Sie würden ferner die Beklagte als eine von zahlreichen Gesellschaften des RatPac-Konzerns ansehen. Dass dieser Konzern Filme produziert, wüssten die Fachleute ebenso. Über keine näheren Kenntnisse verfügten die potentiellen Interessenten zu der Frage, inwieweit die Beklagte innerhalb des RatPac-Konzerns in die Filmproduktion eingebunden oder hierfür verantwortlich sei.
6
Die Klägerin könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Beklagte in Verlautbarungen Dritter als Filmproduktionsunternehmen dargestellt werde. In der Verwendung eines Zeichens der RatPac-Gruppe in einer Internetdatenbank wie “Internet Movie Database” sähen die angesprochenen Fachkreise keine Nutzung des Zeichens für Filmproduktionsdienstleistungen in Deutschland, zumal wenn sie in englischer Sprache gehalten seien. Zum Teil sei auch nur “RatPac Entertainment” ohne konkreten Bezug auf die Beklagte angeführt; die Klägerin habe den Vortrag der Beklagten nicht entkräftet, die angesprochenen Beteiligungen an Filmwerken bezögen sich nicht auf sie, sondern auf andere Konzernunternehmen. Soweit es in einem Artikel heiße, “… Produziert wird der Film von B.  R.   und D.  G.   mit ihrer RatPac Entertainment …”, werde der angesprochene Verkehr darin keine Nutzung des Zeichens “RatPac” durch die Beklagte für die Bewerbung von Filmproduktionsdienstleistungen sehen, weil ihm bekannt sei, dass der RatPac-Konzern aus zahlreichen Gesellschaften bestehe. Eine Zuordnung zu der Beklagten ohne Angabe des Firmenzusatzes (LLC) werde der Verkehr nicht vornehmen. Dasselbe gelte für die Auszüge aus “Variety.com”, “Hollywoodreporter.com” und “Law360.com”. Die Angaben beschränkten sich auf die Wiedergabe des Konzernnamens.
7
Der auf wettbewerbswidrige Irreführung gestützte Hilfsantrag I b habe ebenfalls keinen Erfolg. Zu dem von der streitgegenständlichen Zeichenverwendung durch die Beklagte angesprochenen Verkehr seien ausschließlich Fachkreise zu zählen. Dass ein relevanter Teil dieser Fachkreise der falschen Vorstellung unterliege, die Beklagte trete mit der Zeichenverwendung als (Co-)Produzentin auf, sei – obgleich bestritten – weder von der Klägerin unter Beweis gestellt noch aus den Umständen des konkreten Falls ersichtlich. Die Beklagte präsentiere sich nicht als Filmproduktionsunternehmen.
8
Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Nichtzulassungsbeschwerde.
9
III. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Recht, das Berufungsgericht habe das Verfahrensgrundrecht der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
10
1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht soll sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen des einschlägigen Prozessrechts die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge (vgl. BVerfGE 60, 247, 249 [juris Rn. 5]). Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebotes verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie aus Gründen erfolgt, die im Prozessrecht keine Stütze mehr finden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 2018 – 1 BvR 1155/18, juris Rn. 11 mwN). Nach diesen Maßstäben liegt eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG vor.
11
2. Das Berufungsgericht hat die Feststellungen zur Verkehrsauffassung sowohl hinsichtlich des Hauptantrags I als auch hinsichtlich des Hilfsantrags I b unter Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG getroffen. Die Ermittlung des Verkehrsverständnisses beruht auf der Anwendung speziellen Erfahrungswissens. Das Berufungsgericht hat weder dargelegt, dass es in dem hier in Rede stehenden Bereich der (internationalen) Filmproduktion über entsprechendes Erfahrungswissen verfügt, noch hat es das von der Klägerin angebotene Sachverständigengutachten eingeholt.
12
a) Gehören die Mitglieder des Tatgerichts selbst zu den angesprochenen Verkehrskreisen, bedarf es im Allgemeinen keines durch eine Meinungsumfrage untermauerten Sachverständigengutachtens, um das Verständnis des Verkehrs zu ermitteln (vgl. BGH, Urteil vom 13. September 2012 – I ZR 230/11, BGHZ 194, 314 Rn. 32 – Biomineralwasser, mwN; Urteil vom 16. April 2015 – I ZR 225/12, GRUR 2015, 1189 Rn. 63 = WRP 2015, 1507 – Goldrapper). Auch wenn die Mitglieder des Tatgerichts nicht zu den angesprochenen Verkehrskreisen gehören, können sie die Sichtweise der angesprochenen Fachkreise aufgrund eigenen Erfahrungswissens beurteilen, wenn dafür keine besonderen Kenntnisse oder Erfahrungen erforderlich sind. Gerichte, die ständig mit Wettbewerbs- und Markensachen befasst sind, können zudem aufgrund ihrer besonderen Erfahrung die erforderliche Sachkunde erworben haben, um eigenständig beurteilen zu können, wie Fachkreise oder Verkehrskreise, denen sie nicht angehören, eine bestimmte Aussage verstehen (vgl. BGH, Urteil vom 2. Oktober 2003 – I ZR 150/01, BGHZ 156, 250 [juris Rn. 20] – Marktführerschaft; Urteil vom 17. Juli 2013 – I ZR 21/12, GRUR 2013, 1052 Rn. 29 = WRP 2013, 1339 – Einkaufswagen III; Urteil vom 20. September 2018 – I ZR 71/17, GRUR 2019, 196 Rn. 19 = WRP 2019, 184 – Industrienähmaschinen, mwN). Eine Beweisaufnahme ist aber erforderlich, wenn dem Tatgericht die erforderliche Sachkunde fehlt oder sich ihm trotz eigener Sachkunde Zweifel am Ergebnis aufdrängen müssen (vgl. BGHZ 194, 314 Rn. 43 – Biomineralwasser; BGH, Urteil vom 27. März 2013 – I ZR 100/11, GRUR 2013, 631 Rn. 47 f. = WRP 2013, 778 – AMARULA/Marulablu).
13
b) Die Beurteilung, ob die Feststellung der Verkehrsauffassung kraft eigener richterlicher Sachkunde möglich ist oder eine Beweisaufnahme erfordert, ist in der Revisionsinstanz nur daraufhin zu überprüfen, ob das Tatgericht den Prozessstoff verfahrensfehlerfrei ausgeschöpft und seine Beurteilung zur Verkehrsauffassung frei von Widersprüchen zu den Denkgesetzen und Erfahrungssätzen vorgenommen hat. In diesem Zusammenhang ist es grundsätzlich erforderlich, dass das Tatgericht die Feststellungen zur Verkehrsauffassung in einer Weise darlegt, die dem Revisionsgericht eine Überprüfung ermöglicht (vgl. BGH, Urteil vom 15. April 2010 – I ZR 145/08, GRUR 2010, 1125 Rn. 50 = WRP 2010, 1465 – Femur-Teil; Urteil vom 6. Februar 2013 – I ZR 62/11, GRUR 2013, 649 Rn. 50 = WRP 2013, 772 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil; BGH, GRUR 2013, 1052 Rn. 29 – Einkaufswagen III; BGH, Urteil vom 14. September 2017 – I ZR 2/16, GRUR 2017, 1135 Rn. 30 = WRP 2017, 1332 – Leuchtballon; Bornkamm, WRP 2000, 830, 833).
14
c) Nach diesen Maßstäben findet die Nichtberücksichtigung des von der Klägerin angebotenen Sachverständigenbeweises für das Verständnis der Fachkreise im Prozessrecht keine Stütze mehr. Mangels eigener Sachkunde des Berufungsgerichts war eine Beweisaufnahme vielmehr erforderlich.
15
Die Mitglieder des Tatgerichts gehören nicht selbst zum angesprochenen Verkehrskreis der in- und ausländischen Filmproduktionsgesellschaften und Filmproduzenten. Im Streitfall kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass für die Beurteilung der Sichtweise der angesprochenen Fachkreise keine besonderen Kenntnisse oder Erfahrungen erforderlich sind. Ebenfalls ist nichts dafür ersichtlich, dass das Berufungsgericht aufgrund seiner ständigen Befassung mit Wettbewerbs- und Markensachen über die erforderlichen besonderen Kenntnisse der (internationalen) Filmproduktionsbranche verfügt. Insoweit fehlt es an der regelmäßig notwendigen Darlegung zu den Feststellungen der Verkehrsauffassung. Davon konnte nicht ausnahmsweise abgesehen werden; eine eigene Sachkunde des Gerichts ist im Streitfall keineswegs selbstverständlich (vgl. BGH, Urteil vom 22. Januar 2014 – I ZR 218/12, GRUR 2014, 682 Rn. 29 = WRP 2014, 835 – Nordjob-Messe; Urteil vom 15. Dezember 2016 – I ZR 197/15, GRUR 2017, 734 Rn. 70 = WRP 2017, 792 – Bodendübel).
16
d) Überdies mussten sich dem Berufungsgericht aufgrund des klägerischen Vortrags Zweifel an dem von ihm gefundenen Ergebnis aufdrängen.
17
aa) Die Klägerin hat in ihrer Berufungsbegründung zur fehlenden Sachkunde des Gerichts und zum Verständnis der Verkehrskreise vorgetragen. Sie hat insbesondere ausgeführt, aus den schon erstinstanzlich vorgelegten Auszügen aus Branchenfachpublikationen (“IMDb”, “Mediabiz”) sowie aus einem aktuellen Auszug aus dem Fachmedium “BLICKPUNKT:FILM” und den weiteren vorgelegten Fachpublikationen ergebe sich, dass das Fachpublikum die Beklagte tatsächlich als Produzentin wahrnehme. Vorsorglich hat die Klägerin in diesem Zusammenhang erneut die Einvernahme eines Sachverständigen angeboten.
18
bb) Aus diesem Vortrag ergibt sich, dass es der Klägerin bei den vorgelegten Veröffentlichungen in Fachmedien entgegen dem Verständnis des Berufungsgerichts nicht um die Darlegung einer Verletzungshandlung ging, sondern um einen Beweis für das Verständnis der Fachkreise. Dieser Vortrag musste bei richtigem Verständnis Zweifel an der Auffassung des Berufungsgerichts wecken, das Fachpublikum werde die Beklagte nicht als Produzentin ansehen. Soweit das Berufungsgericht angenommen hat, die Veröffentlichungen enthielten keinen konkreten Bezug auf das Unternehmen der Beklagten, weshalb die Fachkreise die Veröffentlichungen nicht der Beklagten zuordnen würden, liegt dem die unzutreffende Annahme zugrunde, die fehlende Angabe des Rechtsformzusatzes (LLC) hindere den Verkehr daran, die Berichte der Beklagten zuzuordnen. Der Rechtsformzusatz ist in diesem Zusammenhang nicht aussagekräftig.
19
3. Diese Gehörsverletzung ist sowohl für den Hauptantrag I als auch für den Hilfsantrag I b entscheidungserheblich. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Berufungsgericht zu einem anderen Verständnis der maßgeblichen Fachkreise hinsichtlich einer Darstellung der Beklagten als Produzentin in Filmvor- und -abspännen, auf Filmplakaten und DVDs gekommen wäre, wenn es den erforderlichen Sachverständigenbeweis erhoben hätte.
Koch     
        
Löffler     
        
Schwonke
        
Feddersen     
        
Schmaltz     
        


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