Aktenzeichen V R 38/18
§ 17a UStDV
§ 17c UStDV
Art 138 EGRL 112/2006
§ 41 AO
Leitsatz
1. Steht aufgrund einer Beweiserhebung fest, dass die gelieferten Fahrzeuge zum Bestimmungsort im übrigen Gemeinschaftsgebiet versendet wurden, kann dies nicht durch die Annahme eines fehlenden Belegnachweises in Abrede gestellt werden .
2. Der sich aus der USt-IdNr. ergebende Nachweis der Unternehmereigenschaft des Abnehmers kann nicht durch die bloße Annahme einer Briefkastenanschrift widerlegt werden .
Verfahrensgang
vorgehend FG München, 10. Oktober 2018, Az: 3 K 1983/17, Urteilnachgehend FG München, 28. Januar 2021, Az: 3 K 1983/17, Gerichtsbescheid
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Finanzgerichts München vom 10.10.2018 – 3 K 1983/17 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht München zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.
Tatbestand
I.
1
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, lieferte im Streitjahr 2007 drei PKW (zwei Fahrzeuge der Marke Volvo und einen Mercedes) in das übrige Gemeinschaftsgebiet. Nach schriftlichen Kaufverträgen war Käufer jeweils die Firma N, eine GmbH nach dem Recht der Slowakischen Republik, mit Sitz in X in der Slowakischen Republik. Der Klägerin lagen ein Handelsregisterauszug der Firma N vor wie auch eine bestätigte Abfrage der Umsatzsteueridentifikationsnummer (USt-IdNr.) der Firma N. Geschäftsführer der Firma N war der in Ungarn ansässige A.MN. Auf ihrem Briefpapier gab die Firma N eine Telefon- und eine Telefaxnummer mit jeweils ungarischer Vorwahl an. Die Klägerin nahm für die drei Fahrzeuglieferungen die Steuerfreiheit für die innergemeinschaftliche Lieferung nach § 6a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) in Anspruch.
2
Im Rahmen einer Außenprüfung kam der Prüfer unter Berücksichtigung der Ergebnisse einer multilateralen Prüfung der deutschen, österreichischen, ungarischen und slowakischen Finanzbehörden zu dem Ergebnis, dass es sich bei der Firma N um eine Scheinfirma gehandelt habe. Sie habe zur Durchschleusung der Fahrzeuge gedient. Trotz der ihr erteilten USt-IdNr. habe es sich um ein Scheinunternehmen gehandelt. Am Sitzort der Firma N sei nur ein Buchhaltungsbüro tätig gewesen, das die Post entgegengenommen habe. Es habe aber keinen Lagerplatz für Fahrzeuge gegeben. Die slowakische Finanzbehörde habe die Unternehmereigenschaft am 31.10.2008 rechtskräftig versagt. Es habe an der erforderlichen wirtschaftlichen, aktiven Geschäftstätigkeit im Gründungsstaat gefehlt. Im Anschluss hieran ging der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) davon aus, dass diese Lieferungen steuerpflichtig seien. Einspruch und Klage zum Finanzgericht (FG) hatten keinen Erfolg.
3
Nach dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2019, 383 veröffentlichten Urteil des FG lag aufgrund einer Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 der Abgabenordnung (AO) keine Festsetzungsverjährung vor. Die Lieferungen seien zudem nicht nach § 6a UStG steuerfrei. Im Streitfall lägen zwar für alle drei Fahrzeuge die für die Steuerfreiheit nach § 6a UStG erforderlichen Belege zur Dokumentation einer Beförderung durch den Abnehmer (Abhollieferung) gemäß § 17a Abs. 2 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) durch die Firma N vor. Tatsächlich seien die Fahrzeuge aber durch einen beauftragten selbständigen Spediteur befördert worden; es habe sich nicht um eine Abhol-, sondern um eine Versendungslieferung gehandelt. Das FG ging somit von einer Steuerpflicht aufgrund eines fehlenden Belegnachweises nach § 10 Abs. 1 UStDV aus, obwohl der vom FG einvernommene Zeuge D ausgesagt hatte, dass er die Fahrzeuge zum angegebenen Bestimmungsort in der Slowakischen Republik befördert habe.
4
Zudem ging das FG von einem fehlenden Buchnachweis aus, da es sich bei der Firma N um eine Scheinfirma gehandelt habe, so dass sich aus der Aufzeichnung der USt-IdNr. dieser Firma nicht deren Unternehmereigenschaft ergeben habe. Diese Feststellungen würden durch die Zeugenaussage des D nicht in Frage gestellt. Denn der Zeuge habe keinen Hinweis auf Geschäftsräume oder Ähnliches dieser Firma gesehen. Die Versagung der Steuerfreiheit aufgrund eines Scheinsitzes der Abnehmerfirma werde nicht durch die neue Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur “Briefkastenadresse” bei der Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs ausgeschlossen. Diese Rechtsprechung zum Vorsteuerabzug sei jedenfalls dann nicht auf die Adresse und den Sitz des Unternehmens des Empfängers einer innergemeinschaftlichen Lieferung übertragbar, wenn es sich bei diesem –wie im Streitfall– um ein Scheinunternehmen gehandelt habe.
5
Die Voraussetzungen für einen Vertrauensschutz nach § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG lägen nicht vor. Es fehle bereits an einem Belegnachweis in der erforderlichen Art. Zudem sei die Klägerin nicht gutgläubig gewesen. Die Klägerin sei vor Abwicklung der Lieferungen von den in Ungarn ansässigen ihr bekannten Herren B und C gefragt worden, “ob sie für den genannten Dr. S drei Autos besorgen könnte”. Die Klägerin habe dies zugesagt und auf die weitere Frage der Herren B und C, ob der Kauf über eine slowakische Firma abgewickelt werden könne, geäußert, “dass ihr dies nichts ausmache, sofern sämtliche erforderlichen Bestätigungen und Nachweise vorliegen würden”. Die Klägerin habe gewusst, dass die Firma N nur “zwischengeschaltet” werden sollte. Auf einem Schreiben der Klägerin vom 22.02.2007 an Herrn B finde sich ein ausdrücklich so bezeichnetes “Angebot” für den hier streitigen Volvo mit dem handschriftlichen Zusatz: “Herr B hat am 23.2.07 telefonisch bestellt”. Die Bestellung sei erkennbar nicht durch die Firma N erfolgt. Auf einem Auszug eines Bankkontos der Klägerin bei der E-Bank vom 16.04.2007 (zehn Tage vor Abholung des Mercedes) über einen Geldeingang finde sich der handschriftliche Vermerk “B Anzahlung”, obwohl hier laut Belegnachweis eine Bestellung dieses Fahrzeugs der slowakischen Firma N vom 01.02.2007 vorgelegen habe. Aus einer “Info an die Buchhaltung” der Klägerin vom 08.05.2007 über den Verkauf des Mercedes sowie den Volvo sei ersichtlich gewesen, dass von den insgesamt sechs Teilzahlungen für die zwei Kfz nur eine als Barzahlung der N erfasst worden sei. Die übrigen Zahlungen seien durch die genannten ungarischen Beteiligten sowie (unbar) durch eine im Übrigen bei den streitgegenständlichen Lieferungen unbekannte “M Limited” erfolgt. Der Kaufpreis sei durch Dritte und nicht durch die Firma N bezahlt worden. Dies sei ungewöhnlich, da die Käuferin N damit noch vor Lieferung der Ware ihren Abnehmer aus dem angeblichen Folgegeschäft offengelegt habe.
6
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Revision. Es sei Festsetzungsverjährung eingetreten. Die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit als innergemeinschaftliche Lieferung lägen vor. Der Belegnachweis für eine Beförderung durch den Abnehmer liege vor. Für sie sei zunächst nicht erkennbar gewesen, dass es sich bei dem Abholer nicht um einen Beauftragten der Firma N gehandelt habe. Die Beweiserhebung habe eindeutig eine Beförderung zum Sitzort der Firma N ergeben. An den Nachweis, dass ein Ausnahmefall i.S. des § 10 Abs. 2 UStDV vorliege, seien keine hohen Anforderungen zu stellen. Dass es sich bei der Firma N um eine Scheinfirma gehandelt habe, habe das FA nicht belegt. Das FG habe insoweit die Zeugenaussage widerrechtlich gewürdigt. Die ungarischen Autohändler hätten die Lieferungen nur vermittelt und angebahnt. Es lägen schriftliche Kaufverträge und der übersetzte Gesellschaftsvertrag der Firma N mit Handelsregisterauszug vor. Diese sei Unternehmer gewesen, eine spätere Aberkennung sei ohne Bedeutung. Der BFH erkenne in seiner neueren Rechtsprechung Briefkastenanschriften an. Ihr sei zumindest Vertrauensschutz zu gewähren. Sie habe zwar gewusst, dass die Firma N zwischengeschaltet gewesen sei. Der Zwischenhandel mit PKW sei aber üblich. Die internen Vermerke ihrer Mitarbeiter seien nur laienhaft und daher rechtlich unzutreffend angefertigt worden. Auf Teilzahlungen anderer Personen als der Firma N komme es nicht an.
7
Die Klägerin beantragt,das Urteil des FG aufzuheben und unter Änderung des Umsatzsteuerbescheids vom 21.05.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14.07.2017 die Umsatzsteuer 2007 um … € herabzusetzen.
8
Das FA beantragt,die Klage abzuweisen.
9
Es liege keine Festsetzungsverjährung vor. Die Lieferungen seien nicht steuerfrei. Der Beleg- und Buchnachweis sei zwingend zu erbringen, fehle aber. Die Prüfungsfeststellungen hätten Beweisqualität. Die Beweiskraft des Buchnachweises sei entkräftet. Auf die Frage der Briefkastenadresse komme es mangels Unternehmerstellung der Firma N nicht an. Die Klägerin habe nicht mit der erforderlichen Sorgfalt gehandelt.