Europarecht

Kassenartrecht: Honorarkürzung wegen Verletzung der Fortbildungspflicht

Aktenzeichen  L 12 KA 11/18

Datum:
16.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 44770
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 3
KBV-Regelung zur Fortbildungsverpflichtung nach § 95d SGB V § 1
SGB V § 95d

 

Leitsatz

§ 95d Abs. 3 Satz 1 SGB V knüpft die Voraussetzungen der Honorarkürzung wegen Verletzung der Fortbildungspflicht nicht an ein bestimmtes Zulassungsgebiet, sondern lediglich an den Status als Vertragsarzt (“Ein Vertragsarzt”). Ein zwischenzeitlicher Verzicht auf die Zulassung und eine sich anschließende Neuzulassung auf einem anderen Fachgebiet berührt die laufende Fortbildungsverpflichtung des Vertragsarztes daher nicht. (Rn. 18)
1. Ein Vertragsarzt ist verpflichtet, sich in dem Umfang fachlich fortzubilden, wie es zur Erhaltung und Fortentwicklung der zu seiner Berufsausübung in der vertragsärztlichen Versorgung erforderlichen Fachkenntnisse notwendig ist. Ein Vertragsarzt hat alle fünf Jahre gegenüber der KV den Nachweis zu erbringen, dass er in dem zurückliegenden Fünfjahreszeitraum seiner Fortbildungspflicht nachgekommen ist. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die KV ist verpflichtet, das an den Vertragsarzt zu zahlende Honorar aus der Vergütung vertragsärztlicher Tätigkeit für die ersten vier Quartale, die auf den Fünfjahreszeitraum folgen, um 10 vH und ab dem darauffolgenden Quartal um 25 vH zu kürzen, wenn ein Vertragsarzt den Fortbildungsnachweis nicht oder nicht vollständig erbringt. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Erfüllung der Fortbildungspflicht „auf Vorrat“ sieht das Gesetz nicht vor. Auch der Einwand, der Arzt  habe aufgrund der Praxisübergabe keine ausreichende Zeit zur Absolvierung der notwendigen Fortbildung gehabt, ist für eine Honorarkürzung ebenso unerheblich  wie etwa eine Erkrankung oder hohe Belastungen.   (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 20 KA 266/16 2018-02-28 Urt SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 28. Februar 2018, S 20 KA 266/16 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und begründet. Anders als das SG meint, ist die im Honorarbescheid vom 20.05.2015 für das Quartal 4/2014 erfolgte Kürzung wegen Verletzung des Nachweises über die Fortbildung rechtmäßig.
1. Gemäß § 95d Abs. 1 Satz 1 SGB V ist der Vertragsarzt verpflichtet, sich in dem Umfang fachlich fortzubilden, wie es zur Erhaltung und Fortentwicklung der zu seiner Berufsausübung in der vertragsärztlichen Versorgung erforderlichen Fachkenntnisse notwendig ist. Ein Vertragsarzt hat alle fünf Jahre gegenüber der K. V. den Nachweis zu erbringen, dass er in dem zurückliegenden Fünfjahreszeitraum seiner Fortbildungspflicht nach Abs. 1 nachgekommen ist; für die Zeit des Ruhens der Zulassung ist die Frist unterbrochen (Abs. 3 Satz 1). Nach Abs. 3 Satz 3 der Vorschrift ist die KÄV verpflichtet, das an den Vertragsarzt zu zahlende Honorar aus der Vergütung vertragsärztlicher Tätigkeit für die ersten vier Quartale, die auf den Fünfjahreszeitraum folgen, um 10 vH und ab dem darauffolgenden Quartal um 25 vH zu kürzen, wenn ein Vertragsarzt den Fortbildungsnachweis nicht oder nicht vollständig erbringt. Die Honorarkürzung endet gemäß § 95d Abs. 3 Satz 5 SGB V nach Ablauf des Quartals, in dem der vollständige Fortbildungsnachweis erbracht wird. Der Fortbildungsnachweis dient der Sicherung der Qualität der vertragsärztlichen Versorgung (vgl. zur Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift BSG, Urteil vom 11.02.2015, B 6 KA 19/14 R).
Für das Verfahren des Fortbildungsnachweises und der Honorarkürzung, u.a den angemessenen Umfang der im Fünfjahreszeitraum notwendigen Fortbildung, hat die KBV im Einvernehmen mit den zuständigen Arbeitsgemeinschaften der Kammern auf Bundesebene auf der Grundlage des § 95d Abs. 6 Satz 2 SGB V Regelungen zum Umfang der Fortbildungsverpflichtung getroffen. Die Regelungen sind für die KVen verbindlich (Absatz 6 Satz 4). Auf dieser Grundlage hat die KBV im Einvernehmen mit der Bundesärztekammer und der Bundespsychotherapeutenkammer in § 1 Abs. 3 S. 1 der Regelung zur Fortbildungsverpflichtung der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten nach § 95d SGB V (DÄ 2005, Heft 5, A 306; im Folgenden: Regelung der KBV) festgelegt, dass Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten innerhalb des Fünfjahreszeitraums 250 Fortbildungspunkte nachzuweisen haben. Bei der Regelung der KBV handelt es sich nicht um eine bloße Verwaltungsvorschrift ohne Außenwirkung, sondern um eine verbindliche Regelung auch mit Wirkung gegenüber den Vertragsärzten (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 11.02.2015, B 6 KA 19/14 R, RdNr. 29, Juris).
2. Die Voraussetzungen, unter denen nach § 95d SGB V eine Honorarkürzung wegen Verletzung der Pflicht zum Nachweis über die Fortbildung festzusetzen ist, sind erfüllt.
a) Für den Kläger, der seit dem 01.02.2002 zunächst als Anästhesist ohne Unterbrechung durch Zeiträume des Ruhens zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen war, endete die Frist zum Nachweis seiner Fortbildungspflicht am 30.06.2014. Die entsprechenden Nachweise im Umfang von 250 Fortbildungspunkten sind erst am 15.06.2015 bei der Beklagten eingegangen. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Die Frist von fünf Jahren zum Nachweis der Erfüllung der Fortbildungsverpflichtung hat der Kläger damit unstreitig versäumt. Dem kann der Kläger auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass er in der Vergangenheit seine Fortbildungsverpflichtung überobligatorisch erfüllt habe. Ausschlaggebend ist nach dem eindeutigen Wortlaut des § 95d Abs. 3 Satz 1 SGB V der rechtzeitige Nachweis, dass in dem zurückliegenden Fünfjahreszeitraum und damit innerhalb der maßgeblichen Frist die erforderlichen Fortbildungen absolviert wurden. Eine Erfüllung der Fortbildungspflicht „auf Vorrat“ sieht das Gesetz nicht vor. Auch der Einwand, der Kläger habe aufgrund der Praxisübergabe keine ausreichende Zeit zur Absolvierung der notwendigen Fortbildung gehabt, verfängt nicht. Persönliche Lebensumstände wie etwa Erkrankung oder hohe Belastungen sind für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die Honorarkürzung vorliegen, ohne Belang (vgl. zum Zulassungsentzug mangels Erfüllung der Fortbildungsverpflichtung BSG, Beschluss vom 11.02.2015, B 6 KA 37/14 B). Da der Kläger den erforderlichen Nachweis über seine Fortbildung nicht innerhalb des genannten Fünfjahreszeitraums, sondern erst am 15.06.2015 erbracht hat, durfte und musste die Beklagte das Honorar des Klägers für das streitgegenständliche Quartal 4/2014 kürzen.
b) Entgegen der Auffassung des SG ändert auch die Tatsache, dass der Kläger zum 30.06.2014 auf seine Zulassung als Anästhesist verzichtet und zum 01.07.2014 eine neue Zulassung als Allgemeinarzt erhalten hat, nichts an der Zulässigkeit der Honorarkürzung. Denn das Gesetz knüpft in § 95d Abs. 3 Satz 1 SGB V die Voraussetzungen der Honorarkürzung wegen Verletzung der Fortbildungspflicht nicht an ein bestimmtes Zulassungsgebiet, sondern lediglich an den Status als Vertragsarzt („Ein Vertragsarzt“). Daher bietet die Vorschrift eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Honorarkürzung im streitgegenständlichen Quartal, obwohl der Kläger zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als Anästhesist, sondern als Allgemeinarzt zugelassen war.
c) Für den Fall des Verzichts auf eine Zulassung und eine spätere Neuzulassung hat die KBV in § 1 Abs. 6 der Regelung (in der Fassung vom 16. September 2004, ändert durch Beschluss vom 31.03.2009; unverändert in der jetzt geltenden Fassung vom 16.09.2016) Folgendes geregelt:
„(6) Verzichtet ein Vertragsarzt oder ein Vertragspsychotherapeut auf seine Zulassung und beantragt diese zu einem späteren Zeitpunkt erneut, so wird der 5-Jahreszeitraum für die Zeit der Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit unterbrochen.“
Die Regelung zeigt, dass die KBV sehr wohl den Fall des Verzichts auf die Zulassung mit spätere Neuzulassung im Blick hatte und auch hierfür Regeln getroffen hat. Die KBV stellt schon nach dem Wortlaut der Regelung auf die Zulassung als solche und damit den Status als Vertragsarzt und nicht auf ein bestimmtes Zulassungsgebiet ab. Dies erklärt sich auch vor dem Hintergrund, dass die Fortbildungsverpflichtung nach § 95d SGB V zu unterscheiden ist von der Weiterbildung nach der Weiterbildungsordnung (WBO). § 95d Abs. 1 SGB V umschreibt die Inhalte der Fortbildung nur allgemein und dass sie frei von wirtschaftlichen Interessen sein müssen. Gefordert wird zwar eine fachliche, aber keine fachspezifische Weiterbildung. Die Pflicht zur fachlichen Fortbildung kann durch die Teilnahme an den von den Kammern anerkannten Fortbildungsmaßnahmen erfüllt werden. Nach § 2 der Regelung der KVB ist die Fortbildung nach § 1 ohne Prüfung durch die KÄV nachgewiesen, wenn der Vertragsarzt die Fortbildung durch ein Fortbildungszertifikat der Ärztekammer nachweist. Daneben ist es auch möglich, dass der Vertragsarzt die Erfüllung seiner Fortbildungspflicht durch die Teilnahme an anderen Fortbildungsmaßnahmen nachweist, sofern diese den von der Bundesärztekammer aufgestellten Anforderungen entsprechen (BtDrs. 15/1525, S. 110, vgl. § 3 der Regelung der KBV). Nach § 1 der Fortbildungsordnung der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK) dient die Fortbildung der Ärztinnen und Ärzte dem Erhalt der kontinuierlichen Weiterentwicklung der beruflichen Kompetenz zur Gewährleistung einer hochwertigen Patientenversorgung und Sicherung der Qualität ärztlicher Berufsausübung. Nach § 2 der Fortbildungsordnung der BLÄK soll die Fortbildung sowohl fachspezifische als auch interdisziplinäre und fachübergreifende Kenntnisse, die Einübung von klinisch-praktischen Fähigkeiten sowie die Verbesserung kommunikativer und sozialer Kompetenzen umfassen. Die Fokussierung ausschließlich auf eine bestimmte Fachrichtung ist gerade nicht gewollt. Damit ist es für die Fortbildungsverpflichtung auch unerheblich, auf welchem Gebiet der Vertragsarzt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen ist.
Soweit demgegenüber die Klägerbevollmächtigte argumentiert, der Verzicht auf die Zulassung und die spätere Wiederzulassung im selben Zulassungsbezirk sei als Neuzulassung anzusehen mit der Folge, dass die Frist von neuem zu laufen beginne, ist dem nicht zu folgen. Denn diese Auslegung steht im Widerspruch zur für die KÄV und den Vertragsarzt verbindlichen und insoweit eindeutigen Regelung in § 1 Abs. 6 der Regelung der KBV. Auch könnte sich ein Vertragsarzt seiner Fortbildungsverpflichtung entziehen, indem er am Ende des 5-Jahreszeitraums auf seine Zulassung verzichtet und sich zu einem späteren Zeitpunkt neu zulässt. Nach der Auslegung des SG sowie des Klägers würde es dazu nicht einmal einer Zulassung auf einem anderen Fachgebiet bedürfen. Mit einem Zulassungsverzicht und einer späteren Neuzulassung (auf gleichem oder anderem Fachgebiet) könnte der Vertragsarzt nicht nur einer Honorarkürzung, sondern auch einem Zulassungsentzug entgehen, ohne seine Fortbildungsverpflichtung zu erfüllen. Diese Auslegung konterkariert die Fortbildungsverpflichtung nach§ 95d Abs. 1 SGB V. Nach Sinn und Zweck der Regelung ist auf den Vertragsarztstatus abzustellen, bei Zulassungsverzicht und späterer Neuzulassung unter Berücksichtigung der Regelung des § 1 Abs. 6 der KBV-Regelung.
Diese Auslegung wird gestützt von der Fortbildungsverpflichtung von ermächtigten Ärzten. Denn § 95d Abs. 4 SGB V ordnet die entsprechende Anwendung der Absätze 1-3 für ermächtigte Ärzte an. Da Ermächtigungen in der Regel auf zwei Jahre begrenzt werden (vgl. § 31 Abs. 7 Ärzte-ZV), kommt eine Überprüfung der Fortbildung nur bei einer fortlaufenden Ermächtigung, die den Fünfjahreszeitraum erreicht, in Betracht (so auch Pawlita in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 95d SGB V, RdNr. 39). Würde allein auf den Zwei-Jahres-Zeitraum der Ermächtigung abgestellt, liefe die Fortbildungsverpflichtung für ermächtigte Ärzte ins Leere. So wie hier auf den Status der „Ermächtigung“ – unabhängig vom jeweiligen Umfang – abgestellt wird, ist bei einem zugelassenen Vertragsarzt allein auf den Status als „Vertragsarzt“ abzustellen, unabhängig vom Fachgebiet, auf dem der Arzt zugelassen ist.
Einer analogen Anwendung des § 95d Abs. 3 Satz 2 SGB V bedarf es daher nicht.
d) Auch das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen steht der hier vertretenen Auffassung nicht entgegen.
Wie die Beklagte zutreffend ausführt, konnte in dem dort entschiedenen Fall eine Honorarkürzung eines MVZ wegen nicht nachgewiesener Fortbildung eines angestellten Arztes nicht erfolgen, da die Pflichtverletzung des Arztes aus seiner früheren vertragsärztlichen Tätigkeit resultierte, die dem MVZ nicht zugerechnet werden konnte. Im dortigen Fall war an den Vertragsarzt selbst kein vertragsärztliches Honorar mehr zu zahlen, sondern lediglich an das MVZ, das im dortigen Fall keine eigene Pflichtverletzung begangen hatte. Eine Sanktionierung gegenüber dem MVZ schied damit aus. Im vorliegenden Fall ist der Kläger aber weiterhin vertragsärztlich mit eigener Zulassung tätig, so dass ihm gegenüber eine Sanktionierung in Form einer Honorarkürzung erfolgen durfte. Dass das vertragsärztliche Honorar in einem anderen Fachgebiet erwirtschaftet wurde, spielt für die Rechtmäßigkeit der Honorarkürzung keine Rolle. Maßgeblich ist vorliegend allein die Zulassung des Klägers als Vertragsarzt.
Die Berufung ist daher erfolgreich. Das Urteil des SG München ist aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 197a SGG iVm § 154 Abs. 1 VwGO und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht erkennbar (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

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