Aktenzeichen W 3 K 16.30324
BVFG BVFG § 15, § 27
Leitsatz
1 Einer Klage auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus eigenem Recht fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Asylbewerberin bereits bestandskräftig die (Familien-)Flüchtlingseigenschaft nach § 26 Abs. 5, 2 AsylG zuerkannt worden ist. (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Die Möglichkeit einer minderjährigen Asylbewerberin, ihre Geschwister im Wege des Familiennachzugs nach Deutschland nachzuholen, wenn die gemeinsame Mutter einen von ihr abgeleiteten Flüchtlingsstatus erwirbt, begründet kein Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus eigenem Recht. Rechtlich schützenswerten Interessen an einem Nachzug der Geschwister kann durch die Härtefallregelung des § 36 Abs. 2 S. 1 AufenthG ausreichend Rechnung getragen werden. (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Es besteht kein Rechtsschutzinteresse von Personen, die als Ehegatte oder als Abkömmling in den Aufnahmebescheid eines Spätaussiedlers einbezogen und danach in das Bundesgebiet übergesiedelt waren, an der Erteilung eines nachträglichen Aufnahmebescheids aus eigenem Recht nach § 27 Abs. 1 S. 2 BVFG, weil sie im Wege des Aufnahmeverfahrens in das Bundesgebiet eingereist sind und keinen Aufnahmebescheid aus eigenem Recht für die Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung benötigen (vgl. BVerwG BeckRS 2015, 50460). (red. LS Clemens Kurzidem)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Über die Klage, mit der die Klägerin die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus eigenem Recht begehrt, entscheidet die Einzelrichterin, nachdem ihr die Sache mit Beschluss vom 26. April 2016 gemäß § 76 Abs. 1 AsylG zur Entscheidung übertragen worden ist.
Die Klage, über die gemäß § 102 Abs. 2 VwGO trotz Nichterscheinens aller Beteiligten in der mündlichen Verhandlung entschieden werden kann, hat keinen Erfolg, da sie bereits unzulässig ist. Ihr fehlt das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis, weil der Klägerin bereits bestandskräftig die (Familien-) Flüchtlingseigenschaft nach § 26 Abs. 5 i.V.m. Abs. 2 AsylG zuerkannt worden ist. Das Gericht folgt insoweit der Begründung des Gerichtsbescheids und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 84 Abs. 4 VwGO).
Ergänzend ist lediglich auszuführen, dass auch die Möglichkeit, Geschwister der Klägerin im Wege des Familiennachzugs nachzuholen, wenn die gemeinsame Mutter einen – von der Klägerin abgeleiteten – Flüchtlingsstatus erlangt, kein Rechtsschutzbedürfnis für die streitgegenständliche Klage begründet. Soweit die Klägerin tatsächlich ein rechtlich schützenswertes Interesse an dem Nachzug von Geschwistern haben sollte, kann diesem durch die Härtefallregelung des § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ausreichend Rechnung getragen werden. Der Schaffung der Voraussetzungen, um der Mutter der Klägerin nach § 26 AsylG die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und damit den Weg zu einem Nachzug von Geschwistern der Klägerin über die Regelung des § 32 AufenthG zu ebnen, bedarf es daher auch im Hinblick auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK zum Schutz der Rechte der Klägerin nicht.
Ebenso wenig folgt in der streitgegenständlichen Konstellation ein Rechtsschutzbedürfnis aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Rechtsschutzbedürfnis im Vertriebenenrecht.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wird einem Spätaussiedler, der bereits eine Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG erhalten hat, ein Rechtsschutzinteresse für die nachträgliche Erteilung eines Aufnahmebescheids nur zugebilligt, wenn ein weitergehendes Begehren wie die Einbeziehung und damit der Vertriebenenstatus der Angehörigen anders nicht erreicht werden kann (BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 5 C 32/00 – BeckRS 9998, 31556; ebenso OVG NRW, B.v. 1.8.2007 – 12 A 307/07 – juris Rn. 3). Indes ist nach den vorstehenden Ausführungen in der streitgegenständlichen Konstellation die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für die Klägerin nicht der einzige Weg, um ihren Familienangehörigen ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet zu verschaffen, soweit die Klägerin ein nach Art. 6 GG schützenswertes Interesse an einem Aufenthalt(srecht) ihrer Angehörigen im Bundesgebiet hat.
Im Übrigen wird auch sonst im Vertriebenenrecht ein Rechtsschutzinteresse an der Erteilung eigener Aufnahmebescheide oder Spätaussiedlerbescheinigungen aus eigenem Recht nur dann bejaht, wenn entweder ein eigenes Recht des Klägers betroffen ist oder wenn sein über das mit der Klage geltend gemachte unmittelbare Rechtsschutzbegehren hinausgehendes Ziel wie die Einbeziehung von Familienangehörigen nicht anders erreichbar ist. So beruht etwa die Bejahung eines berechtigten Rechtsschutzinteresses von in den Aufnahmebescheid eines Spätaussiedlers einbezogenen Abkömmlingen und Ehegatten nach der Übersiedlung an der Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung aus eigenem Recht (§ 15 Abs. 1 BVFG) darauf, dass ein eigener Spätaussiedlerstatus – trotz der durch § 4 Abs. 3 Satz 2 BVFG bewirkten weitgehenden rechtlichen Gleichstellung von Ehegatten und Abkömmlingen mit Spätaussiedlern – mit weiteren rechtlichen, insbesondere fremdrentenrechtlichen Vorteilen (für den klagenden Abkömmling oder Ehegatten selbst) verbunden ist (BVerwG, U.v. 5.7.2007 – 5 C 30/06 – juris Rn. 8; Ue.v. 16.7.2015 – 1 C 30/14 – juris Rn. 22 und – 1 C 29/14 – juris Rn. 26). Dem gegenüber besteht nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kein Rechtsschutzinteresse von Personen, die als Ehegatte oder als Abkömmling in den Aufnahmebescheid eines Spätaussiedlers einbezogen und danach in das Bundesgebiet übergesiedelt waren, an der Erteilung eines nachträglichen Aufnahmebescheids aus eigenem Recht nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG, weil sie im Wege des Aufnahmeverfahrens in das Bundesgebiet eingereist sind und keinen Aufnahmebescheid aus eigenem Recht für die Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung benötigen (BVerwG, Ue.v. 16.7.2015 – 1 C 30/14 und 1 C 29/14 – beide juris unter teilweiser Aufgabe der Rechtsprechung des 5. Senats in seinem Urteil vom 5.7.2007 – 5 C 30/06 – juris). Soweit im Vertriebenenrecht ein Anspruch auf Einbeziehung in den Aufnahmebescheid einer Bezugsperson nach der Änderung des § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG durch das Zuwanderungsgesetz vom 30. Juli 2004 (BGBl I S. 1950) nicht mehr vom Einzubeziehenden, sondern nur noch von der Bezugsperson geltend gemacht werden kann (OVG NRW, B.v. 15.1.2008 – 12 A 698/05 – juris Rn. 26), die Bezugsperson also ein Rechtsschutzinteresse in Bezug auf die Durchsetzung von Rechtsstellungen ihrer Abkömmlingen und ihres Ehegatten hat, beruht dies darauf, dass § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG der Bezugsperson das Recht auf Beantragung der Einbeziehung zuordnet. Eine rechtswidrige Nichteinbeziehung eines Abkömmlings oder eines Ehegatten verletzt daher eigene (einfachgesetzliche) Rechte der Bezugsperson.
Soweit in den vorstehend dargestellten Konstellationen ein Rechtsschutzinteresse bejaht worden ist, sind diese nicht mit der streitgegenständlichen Konstellation vergleichbar. Wie vorstehend und insbesondere im Gerichtsbescheid vom 3. Mai 2016 erläutert, sind die eigenen Rechte und rechtlich – insbesondere im Hinblick auf Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK – schützenswerte Interessen der Klägerin selbst bereits ausreichend durch die bestehenden aufenthaltsrechtlichen Regelungen geschützt. Unabhängig von der Frage, inwieweit die im Vertriebenenrecht entwickelten Grundsätze überhaupt auf das Asyl- und Flüchtlingsrecht übertragbar sind, ergibt sich somit auch aus der Rechtsprechung zum Rechtsschutzbedürfnis im Vertriebenenrecht kein Rechtsschutzbedürfnis der Klage.
Da die Durchführung eines – auf die Flüchtlingszuerkennung aus eigenem Recht gerichteten – weiteren Asylverfahrens und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus eigenem Recht der Klägerin somit keinen rechtlich anerkennenswerten Vorteil bringen würden, fehlt der Klage das Rechtsschutzbedürfnis. Sie ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.