Europarecht

Kein vorläufiger Rechtsschutz gegen Abschiebungsanordnung nach Kroatien

Aktenzeichen  M 3 S 16.51108

Datum:
29.11.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 130295
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29, § 34a

 

Leitsatz

Der Rückführung eines jungen syrischen Staatsangehörigen nach Kroatien nach der Dublin III-Verordnung stehen keine systemischen Mängel des kroatischen Asylverfahrens und des dortigen Flüchtlingsaufnahmesystems entgegen. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der am … 1996 in … geborene Antragsteller ist syrischer Staatsangehöriger und reiste am 5.Oktober 2016 unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er wurde durch die Bundespolizei in Rosenheim angetroffen, ohne im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels zu sein.
Bei seiner zweiten Befragung durch das Bundesamt zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens gab der Antragsteller an, er wolle in Deutschland bleiben, da Verwandte hier lebten.
Da Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedsstaats der Europäischen Union vorlagen richtete das Bundesamt am 26. Oktober 2016 ein Wiederaufnahmeersuchen an Kroatien. Mit Schreiben vom 9. November 2016 erklärten die dortigen Behörden ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrages gem. Dublin III-VO.
Mit Bescheid vom 10. November 2016, zugestellt am 15. November 2016, ordnete das Bundesamt die Abschiebung nach Kroatien an. Weiter wurde eine Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots ausgesprochen. Auf die Bescheidsbegründung wird Bezug genommen.
Der Antragsteller erhob mit Schreiben vom 18. November 2016, eingegangen am 23. November 2016, Klage gegen den Bescheid (M 3 K 16.51109) und beantragte weiter,
die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers gegen den Bescheid vom 10. November 2016 anzuordnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Antragsteller habe in Kroatien kein Asyl beantragt. Die kroatische Polizei habe ihn mit Schlägen gezwungen, seine Fingerabdrücke abzugeben.
Das Bundesamt legte mit Fax vom 29. November 2016 die Behördenakten vor und äußerte sich nicht weiter.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag ist bereits unzulässig.
Der Bescheid vom 10. November 2016 wurde ausweislich der PZU zugestellt am 15. November 2016. Damit endete die Antragsfrist mit Ablauf des 22. November 2016. Antrag und Klage gingen aber erst am 23. November bei Gericht ein.
Der Antrag bleibt aber auch in der Sache ohne Erfolg.
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) AsylG der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008, zuletzt geändert durch Art. 6 G v. 31.7.2016 (BGBl I S. 1939) ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31). Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt, wenn ein Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Die Voraussetzungen für den Erlass einer Abschiebungsanordnung sind nach der im Eilverfahren vorzunehmenden summarischen Überprüfung gegeben. Danach ist Kroatien aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Kroatien hat das Übernahmeersuchen vom 26. Oktober 2016 mit Schreiben vom 9. November 2016 akzeptiert. Damit ist Kroatien nach Art. 18 Abs. 1 lit.b Dublin-III-VO zuständiger Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers. Somit steht grundsätzlich fest, dass die Abschiebung nach Kroatien durchgeführt werden darf.
Die Überstellung an Kroatien ist auch nicht rechtlich unmöglich im Sinn des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der EU den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EUV entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für die Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH v. 21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris).
Ausgehend hiervon stehen der Rückführung des Antragstellers nach Kroatien systemische Mängel des kroatischen Asylverfahrens und des dortigen Flüchtlingsaufnahmesystems i.S.d. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO nicht entgegen. Hierzu wird weder konkret vorgetragen noch sind der erkennenden Kammer Erkenntnismittel ersichtlich, aus denen sich systemische Mängel ableiten ließen.
Soweit der Antragsteller vorträgt, er sei von der kroatischen Polizei mit Schlägen gezwungen worden, Fingerabdrücke abzugeben, ergibt sich daraus, dass der Antragsteller die Abgabe der Fingerabdrücke verweigert hat, und sich dieser Verpflichtung erst unter Anwendung unmittelbaren Zwangs gebeugt hat. Systemische Mängel des Asylverfahrens sind darin nicht zu erkennen.
Damit ist die in Nummer 1 des verfahrensgegenständlichen Bescheids auf Grundlage von § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG angeordnete Abschiebung nach Kroatien ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Ein der Abschiebung nach Kroatien entgegenstehendes inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, das im Rahmen einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34 Abs. 1 AsylG ausnahmsweise von der Antragsgegnerin auch noch nach Erlass der Abschiebungsanordnung zu berücksichtigen wäre (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 – AuAS 2014, S. 244 ff. – juris Rn. 11 f.; OVG NRW, B.v. 30.8.2011 – 18 B 1060/11 – juris Rn. 4), ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Die im streitgegenständlichen Bescheid unter Nummer 4 gemäß § 11 AufenthG ausgesprochene Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 6 Monate ist nach Maßgabe des § 114 VwGO ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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