Europarecht

Keine Haftung der Porsche AG für eventuelle unzulässige Abschalteinrichtungen in von Audi geliefertem Dieselmotor (hier: Porsche Macan 3.0 TDI)

Aktenzeichen  82 O 4181/20 Die

Datum:
11.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 43617
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Ingolstadt
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 166, § 826
ZPO § 138
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Nr. 10, Art. 5

 

Leitsatz

1. Zu – jeweils verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Porsche-Fahrzeugs, in das ein von Audi entwickelter Diesel-Motor eingebaut ist, vgl. auch BGH BeckRS 2021, 37683; OLG Köln BeckRS 2020, 25732; OLG München BeckRS 2020, 41015; BeckRS 2020, 44392; BeckRS 2021, 7739; OLG Dresden BeckRS 2020, 32522; BeckRS 2021, 6203; OLG Bamberg BeckRS 2021, 2533; BeckRS 2021, 31199; LG Augsburg BeckRS 2021, 8686; BeckRS 2021, 43620; LG München I BeckRS 2020, 42410; BeckRS 2021, 37992; LG München II BeckRS 2020, 43746; LG Nürnberg-Fürth BeckRS 2020, 43093; BeckRS 2021, 37945; BeckRS 2021, 37979; LG Passau BeckRS 2021, 37975; LG Würzburg BeckRS 2020, 44850. (redaktioneller Leitsatz)
2. Überkreuzregelungen innerhalb des Vorstandes der VW AG bzw. ihrer Töchterunternehmen genügen nicht, um hinsichtlich der Audi AG als Entwicklerin des Motors und der Porsche AG als Fahrzeugherstellerin ein jeweils eigenes moralisches Unwerturteil zu treffen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Selbst der Audi AG als Motorenherstellerin kann nicht nachgewiesen werden, dass diese im Hinblick auf das verbaute Thermofenster mit Schädigungsabsicht zum Nachteil der Fahrzeugkäufer handelte. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes kann nicht als besonders verwerfliches Verhalten angesehen werden. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist für die Beklagte im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe von des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar. Beschluss.
Der Streitwert wird bis 30.09.2021 auf € und ab 01.10.2021 auf € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet, da es der Klagepartei nicht gelungen ist, eine Organkenntnis der Beklagten bzw. die Verwirklichung aller Tatbestandsmerkmale des § 826 BGB in der Person der Beklagten darzulegen und zu beweisen.
1. Unstreitig liegt für das Fahrzeug ein amtlicher und bestandskräftiger Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes vor.

2. Da die Parteien nicht Vertragspartner sind und auch der Anwendungsbereich des § 311 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 BGB nicht eröffnet ist, kämen Ansprüche der Klagepartei nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 826 BGB aufgrund vorsätzlicher, sittenwidriger Schädigung durch die Beklagte in Betracht.
a) Eine Haftung der Beklagten ist dabei noch nicht deshalb ausgeschlossen, weil vor Klageerhebung bereits sowohl das freiwillige als auch das verpflichtende Softwereupdate aufgespielt waren (s. Klageerwiderung Seite 3). Die Beklagte hat insoweit ausgeführt, dass bei Erlass des Rückrufbescheids durch das Kraftfahrtbundesamt am zu einem Zeitpunkt erfolgte, als bereits 95% aller im Feld befindlichen und betroffenen Fahrzeuge mit der entsprechenden Softwareupdate ausgerüstet waren und der beanstandete Mangel bei diesen Fahrzeugen dementsprechend bereits behoben war. Dies ist jedoch vorliegend insofern ohne Belang, als nach dem eigenen Vortrag der Beklagten die entsprechenden updates erst ab 2016 erfolgten, die Klagepartei jedoch bereits im Jahr 2014 den streitgegenständlichen PKW erwarb. Insofern ist ein evtl. Schadensentfall durch Aufspielen des updates vor dem (allein maßgeblichen) Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs hier nicht zu diskutieren, da die Manipulationssoftware bei Kauf des Fahrzeugs noch installiert war.
b) Eine Haftung der Beklagten kommt dennoch nicht in Betracht, da es der Klagepartei nicht gelungen ist, ausreichend darzulegen, dass einer der verfassungsmäßig berufenen Vertreter der Beklagten den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB persönlich verwirklicht hat.
(1) Die Beklagte hat, worauf sie bereits in der Klageerwiderung hingewiesen hat, den streitgegenständlichen Motor nicht entwickelt, sondern von der AG bezogen.
(2) Das Gericht hat bereits mit Verfügung vom 14.09.2021 auf die Entscheidung BGH VI ZR 505/19 vom 08.03.2021 hingewiesen. Nach dieser Entscheidung wurde höchstrichterlich festgestellt, dass das sittenwidrige Verhalten eines verfassungsmäßig berufenen Vertreters nicht mittels einer Zurechnung fremden Wissens entsprechend § 166 BGB begründet werden kann. Vielmehr müsste ein verfassungsmäßig berufener Vertreter i.S.v. § 31 BGB der Beklagten den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB persönlich verwirklicht haben. Insofern helfen der Klagepartei vorliegend auch nicht die Grundsätze über die sekundäre Darlegungslast. Es trägt im Grundsatz derjenige, der einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, die volle Darlegungsund Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen. Bei der Inanspruchnahme einer juristischen Person hat der Anspruchsteller dementsprechend auch darzulegen und zu beweisen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter (§ 31 BGB) die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat. In bestimmten Fällen ist es zwar Sache der Gegenpartei, sich im Rahmen der ihr nach § 138 II ZPO obliegenden Erklärungspflicht zu den Behauptungen der beweispflichtigen Partei substanziiert zu äußern. Dabei hängen die Anforderungen an die Substanziierungslast des Bestreitenden zunächst davon ab, wie substanziiert der darlegungspflichtige Gegner – hier der Kläger – vorgetragen hat. In der Regel genügt gegenüber einer Tatsachenbehauptung des darlegungspflichtigen Klägers das einfache Bestreiten des Beklagten. Ob und inwieweit die nicht darlegungsbelastete Partei ihren Sachvortrag substanziieren muss, lässt sich nur aus dem Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag bestimmen, wobei die Ergänzung und Aufgliederung des Sachvortrags bei hinreichendem Gegenvortrag immer zunächst Sache der darlegungs- und beweispflichtigen Partei ist (vgl. BGH a.a.O. Rn. 26). Die sekundäre Darlegungslast führt jedoch weder zu einer Umkehr der Beweislast noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast (§ 138 I und II ZPO) hinausgehenden Verpflichtung des in Anspruch Genommenen, dem Anspruchsteller alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen. Nach diesen Grundsätzen setzt eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten zu Vorgängen innerhalb ihres Unternehmens, die auf eine Kenntnis ihrer verfassungsmäßigen Vertreter von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung schließen lassen sollen, jedenfalls voraus, dass das (unstreitige oder nachgewiesene) Parteivorbringen hinreichende Anhaltspunkte enthält, die einen solchen Schluss nahelegen, vgl. BGH a.a.O.
(3) Solche hinreichenden Anhaltspunkte liegen nach dem klägerischen Vortrag nicht vor. Zwar hat die AG, woran das Gericht aufgrund des bestandskräftigen Rückrufbescheids des Kraftfahrtbundesamtes, welcher auf das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung gestützt ist, keinen Zweifel hat, die strategische Entscheidung getroffen, einen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Motor in Verkehr zu bringen. Dass eine entsprechende strategische und sittenwidrige Entscheidung auch von der Beklagten getroffen worden wäre, ist nach dem Dafürhalten des Gerichts jedoch nicht ausreichend vorgetragen worden. Insbesondere genügt es hierfür nicht, wenn die Klagepartei darauf verweist, dass die Beklagte in der EG-Übereinstimmungsbescheinigung als Herstellerin ausgewiesen sei und nicht die AG als Herstellerin der Antriebsmaschine. Denn es ist unerheblich, wer „Hersteller“ ist, d.h. wer den Motor zusammengebaut hat, zwischen Herstellung und Entwicklung eines Motors ist scharf zu unterscheiden (vgl. OLG München, Urteil vom 08.07.2021 – 8 U 776/20. Hersteller ist derjenige, der etwas produziert. Entwickelt haben muss er das Produkt hierbei jedoch nicht.
Entsprechend verweist die Beklagte auch darauf, dass sie den streitgegenständlichen Motortyp nicht entwickelt und produziert, sondern ihn als Zulieferprodukt von bezogen hat. Die Beklagte habe jahrzehntelang keine Diesel-Fahrzeuge auf den Markt gebracht und verfüge dementsprechend nicht über eigene Erfahrung mit Dieselmotoren. Nachdem bereits im Jahr 1998 die Grundsatzvereinbarung mit getroffen worden war, dass die teilmontierten Porsche Cayenne-Fahrzeuge inklusive Motorsteuerungs-Software liefern solle, wurde dies auch mit der AG fortgeführt, nachdem man sich entschieden habe, auch Porsche-Fahrzeuge mit Diesel-Motoren auf den Markt zu bringen. Die Dieselmotoren seien seit 2008 von an die Beklagte geliefert worden. Dabei sei die jeweilige Motorsteuerungssoftware bereits installiert gewesen.
Des Motors in die Porsche-Fahrzeuge vorgenommenen Tests, welche die Beklagte durchgeführt habe, hätten sich nicht auf die Software bezogen. Die finale Freigabeerklärung für das Motorsteuergerät sei durch erfolgt, nicht durch die Beklagte.
Zulieferverträge unter den verschiedenen Herstellern sind allgemeinbekanntermaßen keine Seltenheit. Ebenfalls allgemeinbekannt ist die Tatsache, dass Porsche zunächst keine Diesel-Fahrzeuge auf den Markt gebracht hat. Das Vorbringen der Beklagten zur mangelnden Erfahrung mit Dieselmotoren erscheint nicht zuletzt deshalb glaubhaft, da die Beklagte zwischenzeitlich – ebenfalls allgemeinbekannt – über die Presse mitgeteilt hat, dass sie zukünftig keine Dieselmotoren mehr verbauen will.
Auch die von der Klägerin vorgetragenen Überkreuzregelungen innerhalb des Vorstandes der AG bzw. ihrer Töchterunternehmen genügt zur Überzeugung des Gerichts nicht, um hinsichtlich und der Beklagten ein eigenes moralisches Unwerturteil zu treffen. Die Beklagte hat bezüglich der verschiedenen Vorstände,,,, satz vom 23.09.2021 noch einmal explizit den Vorstand vorgetragen. Soweit die Klagepartei in ihrem Schriftzur Begründung einer Organkenntnis mit besonderer Verwerflichkeit auf Seiten der Beklagten anführt, schließt sich dem das Gericht nicht an.
Dabei stellt die Klagepartei jedoch ohne jegliche Anhaltspunkte oder Untermauerungen die Behauptung auf, während der Tätigkeit des Herrn bei der AG ab 2001 sei es unter seiner Federführung zu der Entwicklung der hier maßgeblichen Betrugssoftware gekommen. Dies ist für das Gericht nicht nachvollziehbar. Vorliegend handelt es sich um ein Fahrzeug mit 3-Liter-Motor der Schadstoffnorm Euro 6. Letztere gilt erst seit September 2014. Auch die strategische Entscheidung bei Porsche, Fahrzeuge mit Dieselmotoren zu vertreiben, fiel erst Jahre später. Inwiefern also eine Kenntnis des Herrn als Vorstand der AG aus dem Zeitraum ab 2001 als Beleg dafür dienen kann, dass dieser für Fahrzeuge der Euro-6-Norm Kenntnis vom Verbau unzulässiger Abschalteinrichtungen in der Motorsteuerungssoftware gehabt haben soll, erschließt sich nicht.
Die von der Klagepartei zur Untermauerung ihrer Rechtsansicht im Schriftsatz vom 23.09.2021 zusammengetragenen Urteile verschiedener Instanzgerichte stammen, soweit ersichtlich, sämtlich aus Zeitpunkten vor der maßgeblichen Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 08.03.2021 BGH VI ZR 505/19.
An der Unsubstantiiertheit des klägerischen Vortrags ändert schließlich auch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs BGH VI ZR 57/19 nichts: In Abweichung von der zitierten BGH-Entscheidung kommen vorliegend nur deliktische Ansprüche gegen die Beklagte in Betracht, andere macht die Klagepartei auch nicht geltend. Die zitierte BGH-Entscheidung befasst sich indes lediglich mit einer übermäßigen Überspannung der Substantiierungsanforderungen an die Darlegung des Vorhandenseins eines Sachmangels. Die Anforderungen an einen substantiierten Vortrag der Klagepartei sind daher vorliegend anders gelagert als in dem vom BGH entschiedenen Fall. So genügt es nicht, Anhaltspunkte für einen evtl. vorhandenen Mangel der (Kauf-)Sache zu liefern (wie in dem vom BGH entschiedenen Fall); vielmehr muss eine rechtswidrige Schädigungshandlung schlüssig dargetan werden, welche von der Beklagten in zurechenbarer Weise mit entsprechendem Schädigungsvorsatz ausgeübt worden sein muss. Daneben muss in Fällen wie dem Vorliegenden auch zu einer möglichen Sittenwidrigkeit/besonderen Verwerflichkeit des Handelns der Beklagten ausreichend vorgetragen werden. Nach alledem erscheint der Vortrag der Klagepartei auch unter Berücksichtigung der vom BGH in dem genannten Urteil aufgestellten Maßstäbe vorliegend nicht als nicht hinreichend konkret.
3. Die Klagepartei kann schließlich auch keine deliktischen Ansprüche gegen die Beklagte wegen dem Verbau des unstreitig im klägerischen PKW befindlichen Thermofensters geltend machen.
Unabhängig von der Frage, ob die Beklagte, welche den im klägerischen Fahrzeug verbauten Motor nicht entwickelt und hergestellt hat, vom Verbau des Thermofensters Kenntnis hatte, kommt zur Überzeugung des Gerichts mit BGH VI ZR 433/19 eine Haftung bereits deshalb nicht in Frage, weil selbst dem Motorenhersteller selbst nicht nachgewiesen werden kann, dass diese im Hinblick auf das verbaute Thermofenster mit Schädigungsabsicht zum Nachteil der Fahrzeugkäufer handelte. Entsprechendes muss dann in einem erstrecht-Schluss für die Beklagte gelten, die den streitgegenständlichen Motor „lediglich“ in ihr Fahrzeug verbaut hat.
Während die Klagepartei ohne weiteres von der Eigenschaft des Thermofensters als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Nr. 10 EG VO 715/2007 ausgeht, hat die Beklagte dies bestritten und sich auf die Ausnahmeregelungen nach Art. 5 Abs. 2 lit. a) EG VO 715/2007 berufen. Die Abgasrückführung sei bei bestimmten Temperaturen deshalb (signifikant) reduziert worden, weil dies aus Gründen des Motorenschutzes erforderlich sei.
Es war und ist bereits nicht klar, ob es sich bei dem Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt. Die Gesetzeslage hierzu ist aufgrund der o.g. Ausnahmevorschrift, auf welche sich die Beklagte beruft, keinesfalls eindeutig; der Einsatz von Thermofenstern kann nicht per se als rechtswidrig beurteilt werden, worauf das KBA auch hingewiesen hat (vgl. Auch OLG München, Urteil vom 03.04.2020; Az. 5 U 941/20). Gegen das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung spricht auch bereits die Tatsache, dass das hier in Rede stehende Thermofenster vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeitet wie auf dem Prüfstand, während zum Beispiel bei der in den EA189-Motoraggregaten verbaute Software auf einer Umschaltlogik basierte, so dass der Schadstoffausstoß nur auf dem Rollenprüfstand vermindert wurde. Das Problem der Versottung von Bauteilen bei Kondensierung von unverbrannten Rückständen in den kalten Rohrleitungen haben verschieden Motorenhersteller erkannt und sind dem mittels einer von der Außentemperatur abhängigen Abgasrückführung begegnet.
Letztlich kann es jedoch dahin stehen, ob es sich objektiv gesehen bei dem verbauten Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt. Denn die Kammer ist der Überzeugung, dass sich das Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs wegen dem verbauten Thermofenster jedenfalls nicht als sittenwidrige Handlung der Motorenentwicklerin und damit erst recht nicht als solche der Beklagten qualifizieren lässt.
Es ist höchst umstritten, ob es sich bei der Verwendung des sogenannten Thermofensters um eine zulässige Motorenschutzmaßnahme handelt. Die Gesetzeslage hierzu ist auch keinesfalls eindeutig, was die – auslegungsfähigen – Ausnahmevorschriften (s.o.) belegen. Auch nach Einschätzung der vom Bundesverkehrsministerium (BMVI) eingesetzten Untersuchungskommission liegt ein Gesetzesverstoß durch die von allen Autoherstellern eingesetzten Thermofenster jedenfalls nicht eindeutig vor. So heißt es im Bericht der Kommission zur Auslegung der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 a) VO (EG) 715/2007 ausdrücklich (BMVI, Bericht der Untersuchungskommission, Stand April 2016, S. 123):
„Zudem verstößt eine weite Interpretation durch die Fahrzeughersteller und die Verwendung von Abschalteinrichtungen mit der Begründung, dass eine Abschaltung erforderlich ist, um den Motor vor Beschädigung zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten, angesichts der Unschärfe der Bestimmung, die auch weite Interpretationen zulässt, möglicherweise nicht gegen die Verordnung (EG) Nr. 715/2007. Konsequenz dieser Unschärfe der europäischen Regelung könnte sein, dass unter Berufung auf den Motorschutz die Verwendung von Abschalteinrichtungen letztlich stets dann gerechtfertigt werden könnte, wenn von Seiten des Fahrzeugherstellers nachvollziehbar dargestellt wird, dass ohne die Verwendung einer solchen Einrichtung dem Motor Schaden droht, sei dieser auch noch so klein.“
Schließlich zeigt auch der in der Literatur (vgl. Führ, NVwZ 2017, 265) betriebene erhebliche Begründungsaufwand, um das „Thermofenster“ als unzulässige Abschalteinrichtung einzustufen, dass keine klare und eindeutige Rechtslage gegeben ist, gegen welche die Beklagte bewusst verstoßen hätte (vgl. OLG Koblenz, Urt. v. 21.10.2019 – 12 U 246/19, BeckRS 2019, 25135, beckonline, mwN).
Eine Auslegung, wonach ein Thermofenster eine zulässige Abschalteinrichtung darstellt, ist daher jedenfalls nicht unvertretbar. Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes kann jedoch nicht als besonders verwerfliches Verhalten angesehen werden (vgl. OLG Stuttgart, Urteil v. 30.07.2019, 10 U 134/19, Rn. 90).
4. Da Ansprüche bereits dem Grunde nach gegen die Beklagte nicht bestehen, kann die Klagepartei auch keine Feststellung des Annahmeverzugs oder vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten beanspruchen.
5. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO, diejenige zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 S. 2 ZPO.


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