Aktenzeichen M 1 S 16.50999
AsylG AsylG § 34a Abs. 1
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2, UAbs. 3, Art. 17 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1, Art. 25 Abs. 2
Leitsatz
Es ist nach dem aktuellen Stand der Erkenntnisse nicht hinreichend ersichtlich, dass in Italien systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber vorliegen. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der am … geborene Antragsteller ist äthiopischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben am 13. Januar 2016 in das Bundesgebiet ein und stellte dort am 3. Juni 2016 einen Asylantrag. Ebenfalls am 3. Juni 2016 wurde ihm in der von ihm als Muttersprache angegebenen Sprache … eine schriftliche Belehrung gegen Unterschrift übergeben (Bl. 10 ff. d. Behördenakte – BA). Darin wird u. a. ausgeführt, bei Entscheidungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) dürfe er die Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels nicht versäumen. Diese Frist sei so bemessen, dass er gegebenenfalls sofort etwas unternehmen müsse.
In einer Befragung durch Mitarbeiter des Bundesamts am 21. Juli 2016 gab er u. a. an, er sei auf seinem Weg nach Deutschland über Italien gereist, wo er sich 25 Tage aufgehalten habe. Man habe man ihm dort auch Fingerabdrücke abgenommen. Nachdem eine EURODAC-Abfrage vom 3. Juni 2016 bestätigt hatte, dass der Antragsteller bereits in Italien ein Asylverfahren angestrengt hatte (EURODAC-Treffer Kategorie 1), richtete das Bundesamt am 17. Juni 2016 ein Übernahmeersuchen an Italien, das unbeantwortet blieb.
Mit Bescheid vom 13. Oktober 2016, zugestellt am 20. Oktober 2016, lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2) und ordnete die Abschiebung des Antragstellers nach Italien an (Nr. 3). In Nr. 4 des Bescheids wurde das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Auf die Bescheidsbegründung wird Bezug genommen.
Der Antragsteller erhob am … November 2016 Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München gegen den vorgenannten Bescheid (M 1 K 16.50998). Ebenfalls an diesem Tag beantragt er,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung trägt er vor, hinsichtlich seines verspäten gerichtlichen Klage- und Eilantrags beantrage er die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er habe die Rechtsbehelfsbelehrung, die in englischer Sprache dem Bescheid beigefügt worden sei, nicht verstanden. Seine Muttersprache sei … Erst am 4. November 2016 habe er jemanden gefunden, der ihm den Bescheid und die Rechtsbehelfsbelehrung übersetzt habe. In Italien sei er nur erkennungsdienstlich behandelt worden und dann ohne Hilfe oder Zuweisung einer Unterkunft mehr oder weniger aufgefordert worden, einfach weiterzureisen.
Die Antragsgegnerin legte die Akten vor und beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zum weiteren Vorbringen und zu den übrigen Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i. V. m. § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gestellte Antrag ist unzulässig und im Übrigen auch unbegründet.
1. Der Antrag ist unzulässig, da es der Antragsteller versäumt hat, ihn innerhalb der Wochenfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG zu stellen, obwohl er in der dem Bescheid vom 13. Oktober 2016 beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung u. a. auch auf diese Frist hingewiesen worden war, jedenfalls in englischer Sprache. Zudem war er bereits am 3. Juni 2016 über die Notwendigkeit der Einhaltung auch kurzer Rechtsmittelfristen in seiner Muttersprache belehrt worden.
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 Abs. 1 VwGO ist nicht zu gewähren, da der Antragsteller nicht nachgewiesen hat, dass er ohne eigenes Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist gehindert war. Seine Behauptung, er habe den in englischer Sprache gehaltenen Bescheid und auch die Rechtsbehelfsbelehrung nicht verstanden, ist ebenso unglaubwürdig wie sein Vortrag, erst am 4. November 2016 habe er eine Person gefunden, die ihm den – ihm bereits am 20. Oktober 2016 bekannt gegebenen – Bescheid übersetzt habe. Da der Bescheid dem Antragsteller am 20. Oktober 2016 nachweislich gegen Postzustellungsurkunde zugestellt worden war, ist sein am 4. November 2016 gestellter Eilantrag verspätet.
2. Im Übrigen ist der Antrag auch unbegründet.
Die vom Antragsteller erhobene Klage entfaltet von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 Abs. 1 AsylG. Das Gericht der Hauptsache kann nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Grundlage der Entscheidung ist eine eigene Interessenabwägung des Gerichts zwischen dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers und dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin. Ein gewichtiges Indiz sind dabei die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens. Vorliegend überwiegt das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin das Aussetzungsinteresse des Antragstellers, da die Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylG rechtmäßig ist. Nach § 34a Abs. 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind gegeben.
Das Bundesamt hat zu Recht seine Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens abgelehnt (2.1.) und das Vorliegen von Abschiebungshindernissen verneint (2.2.).
2.1. Aufgrund des EURODAC-Treffers ist davon auszugehen, dass der Antragsteller in Italien nicht nnur, wie er vorträgt, erkennungsdienstlich behandelt worden ist, sondern dort auch einen Asylantrag gestellt hat. Italien hat zwar das auf Art. 18 Abs. 1 lit. b der Dublin III-VO gestützte Ersuchen der Antragsgegnerin vom 23. August 2016, den Antragsteller wieder aufzunehmen, bislang nicht beantwortet. Dennoch ist gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO davon auszugehen, dass von italienischer Seite dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die betreffende Person wieder aufzunehmen.
Besondere Umstände, die die ausnahmsweise Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 und 3 Dublin III-VO begründen oder nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO rechtfertigen bzw. bedingen würden, sind nicht ersichtlich. Insbesondere kann der Antragsteller seiner Überstellung nach Italien nicht mit dem Einwand entgegentreten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Italien systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i. S. d. Art. 4 Grundrechtecharta (GRCh) mit sich bringen, so dass eine Überstellung nach Italien unmöglich wäre (Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 und 3 Dublin III-VO).
Nach dem Konzept der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 u. a. – juris) und dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 – C-411/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechtecharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) steht. Diese Vermutung ist jedoch nicht unwiderleglich. Den nationalen Gerichten obliegt im Einzelfall die Prüfung, ob ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesem Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber implizieren (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 a.a.O Rn. 86). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber aufgrund größerer Funktionsstörungen in dem zuständigen Mitgliedstaat regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B. v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Rn. 5 f. m. w. N.). Bei einer zusammenfassenden, qualifizierten – nicht rein quantitativen – Würdigung aller Umstände, die für das Vorliegen solcher Mängel sprechen, muss diesen ein größeres Gewicht als den dagegen sprechenden Tatsachen zukommen, d. h. es müssen hinreichend gesicherte Erkenntnisse dazu vorliegen, dass es immer wieder zu den genannten Grundrechtsverletzungen kommt (vgl. VGH BW, U. v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris).
Dies zugrunde gelegt, ist in Bezug auf Italien nach dem aktuellen Stand der Erkenntnisse nicht davon auszugehen, dass dem Antragsteller bei einer Überstellung dorthin eine menschenunwürdige Behandlung im vorgenannten Sinne droht. Es ist nicht hinreichend ersichtlich, dass in Italien systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber vorliegen. Das Gericht schließt sich insoweit der Bewertung des umfangreichen aktuellen Erkenntnismaterials durch verschiedene Obergerichte und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an (vgl. aktuell OVG NRW, U. v. 21.6.2016 – 13 A 1896/14.A – juris Rn. 32 ff; Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte vom 13.1.2015 (Nr. 51428/10) und vom 30.06.2015 (Nr. 39350/13)). Es mag zwar immer wieder vorkommen, dass Asylsuchende während der Bearbeitung ihres Asylantrags in Italien auf sich alleine gestellt und zum Teil auch obdachlos sind. Dies und auch die zum Teil lange Dauer der Asylverfahren sind darauf zurückzuführen, dass das italienische Asylsystem aufgrund der momentan hohen Asylbewerberzahlen stark ausgelastet und an der Kapazitätsgrenze ist. Die im Bereich der Unterbringung und Versorgung der Asylbewerber weiterhin feststellbaren Mängel und Defizite sind aber weder für sich genommen noch insgesamt als so gravierend zu bewerten, dass ein grundlegendes systemisches Versagen des Mitgliedstaates vorläge, welches für einen „Dublin-Rückkehrer“ nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert (vgl. OVG NW, U. v. 21.6.2016 a.a.O.). Es ist im Grundsatz davon auszugehen, dass Italien über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, völker- und unionsrechtskonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, das trotz einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der vor Ort tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber im Normalfall nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen muss. In Italien bestehen ausdifferenzierte Strukturen zur Aufnahme von Asylbewerbern, auch speziell für „Dublin-Rückkehrer“. Diese befinden sich in staatlicher, in kommunaler, kirchlicher oder privater Trägerschaft und werden zum Teil zentral koordiniert (vgl. VG Ansbach, U. v. 11.12.2015 – AN 14 K 15.50316 – juris Rn. 24 m. w. N.). Das italienische Recht gewährt den Asylsuchenden zudem ab dem Zeitpunkt des Asylantrags Zugang zu diesen Unterbringungsmöglichkeiten. In der Praxis wird zwar der Zugang zu den Aufnahmezentren häufig erst von der formellen Registrierung des Asylantrags abhängig gemacht, so dass hierdurch eine Zeitspanne ohne Unterbringung entstehen kann. Die Behörden sind jedoch darum bemüht, diese zu verringern (vgl. VG Ansbach, U. v. 11.12.2015 a. a. O.). Auch „Dublin-Rückkehrer“ haben bei ihrer Ankunft in Italien nach Kapazität sofort Zugang zu bestimmten Unterkünften; es ist auch gewährleistet, dass sie nach ihrer Rückkehr ihr ursprüngliches Asylverfahren weiterbetreiben bzw. einen Asylantrag stellen können, wenn sie das noch nicht getan haben.
Auch die Lage der Personen, die in Italien einen internationalen Schutzstatus zuerkannt bekommen haben, begründet noch keine systemischen Mängel. Dies gilt auch in Ansehung des Umstands, dass Italien kein mit dem in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden Sozialleistungssystem vergleichbares landesweites Recht auf Fürsorgeleistungen kennt, sondern vielmehr nur im originären Kompetenzbereich der Regionen und Kommunen ein sehr unterschiedliches und in weiten Teilen von der jeweiligen Finanzkraft abhängiges Leistungsniveau besteht (VGH BW, U. v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris).
Ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen kann auch für die Personengruppe der „Dublin-Rückkehrer“, der der Antragsteller angehört, nach alledem nicht angenommen werden (vgl. aktuell VG München, U. v.10.5.2016 – M 12 K 15.50474 – juris Rn. 43).
2.2. Die Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Nr. 3 des Bescheids bleibt voraussichtlich auch ohne Erfolg, soweit Abschiebungshindernisse zu prüfen sind. Persönliche Vollstreckungshindernisse, die über die allgemeinen Verhältnisse für Asylbewerber in Italien hinausgehen, hat der Antragsteller nicht geltend gemacht. Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung bestehen insoweit somit nicht.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen; Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG)