Aktenzeichen M 8 S 16.50297
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2
GRCh GRCh Art. 4
Leitsatz
In Italien gibt es keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen, die zu einer Gefahr für Dublin-Rückkehrer führen, bei Rückführung einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden (ebenso OVG NRW BeckRS 2016, 49118). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtschutz gegen die im Bescheid vom 22. April 2016 angeordnete Abschiebung nach Italien im Rahmen des so genannten „Dublin-Verfahrens“.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben Staatsangehöriger Malis und wurde am … September 1994 in … geboren. Nach seinen Angaben im Fragebogen zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates in der Bundesamts-Akte verließ er Mali am 1. August 2012 und reiste über Niger, Libyen und Italien nach Deutschland, wo er am 24. Oktober 2015 einreiste, nachdem er sich 6 Monate in Italien aufgehalten hatte.
Nach den Angaben im Bescheid vom 22. April 2016 des Bundesamtes … (nachfolgend: Bundesamt) wurde der Antragsteller er am 24. Oktober 2015 in … angetroffen, ohne im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels zu sein.
Eine EURODAC-Recherche durch das Bundesamt ergab am 26. Oktober 2015 einen Treffer der ersten Kategorie für Italien, EURDAC-Nr. … vom 24. August 2014.
Am 23. Dezember 2015 wurde vom Bundesamt ein Wiederaufnahmegesuch an Italien gerichtet. Im Akt des Bundesamtes findet sich hierzu lediglich eine Eingangsbestätigung Italiens vom 23. Dezember 2015. Eine weitergehende Antwort ist in der vorgelegten Akte des Bundesamtes nicht enthalten.
Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 22. April 2016 wurde in Ziff. 1 die Abschiebung nach Italien angeordnet und in Ziff. 2 das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. In den Bescheidsgründen wird ausgeführt, nach den Erkenntnissen des Bundesamtes (Abgleich der Fingerabdrücke mit der EURODAC-Datenbank) lägen Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedsstaates der Europäischen Union gemäß der VO (EG) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin-III-VO) vor. Am 23. Dezember 2015 sei ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 18 Abs. 1b Dublin-III-VO an Italien gerichtet worden. Die italienischen Behörden hätten mit Wirkung vom 7. Januar 2016 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO erklärt, indem das Ersuchen innerhalb der vorgegebenen Frist unbeantwortet geblieben sei. Die Abschiebung nach Italien sei gemäß Art. 34a Abs. 1 Satz 2 AsylG anzuordnen, da dieser Staat gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO für die Bearbeitung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die gegen eine Überstellung nach Italien sprächen, seien nicht ersichtlich. Die Antragsgegnerin sei verpflichtet, die Überstellung nach Italien als zuständigen Mitgliedsstaat innerhalb einer Frist von 6 Monaten nach Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmeersuchens durch Italien oder der endgültigen negativen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder einer Überprüfung – wenn diese aufschiebende Wirkung habe – durchzuführen (Art. 29 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO). Eine Abschiebung habe gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zur Folge, dass der Drittstaatsangehörige nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich dort aufhalten dürfe. Das Bundesamt habe das Einreiseverbot gemäß § 75 Ziff. 12 AufenthG im Fall einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG zu befristen.
Entgegen der Inhaltsübersicht befindet sich im Akt des Bundesamtes keine Postzustellungsurkunde. Das Begleitschreiben zur Zustellung des Bescheides vom 22. April 2016 datiert vom 29. April 2016.
Am 12. Mai 2016 hat der Antragsteller zur Niederschrift des Urkundsbeamten beim Verwaltungsgericht München Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 22. April 2016 erhoben und zugleich beantragt:
Hinsichtlich der Abschiebungsanordnung nach Italien wird die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO angeordnet.
Zur Begründung der Klage und des Antrages hat der Antragsteller Bezug auf seine Angaben gegenüber dem Bundesamt Bezug genommen. Des Weiteren hat er ausgeführt, die Unterbringung von Asylbewerbern in Italien sei völlig unzumutbar. Ihm sei dort lediglich eine Baracke ohne fließendes Wasser als Unterkunft zugewiesen worden. Zudem habe dort keine mit Lebensmitteln stattgefunden. Außerdem habe er keine Perspektive über den Fortgang des Asylverfahrens erhalten. Vielmehr sei ihm nach der Registrierung anheimgestellt worden, doch einfach weiterzuziehen.
Das Bundesamt hat mit Schreiben vom 13. Mai 2016 die Asylakte vorgelegt. Eine weitergehende Äußerung oder Antragstellung erfolgten nicht.
Mit Schriftsatz vom 24. Mai 2016, am selben Tag beim Verwaltungsgericht München eingegangen, hat sich für den Antragsteller eine Bevollmächtigte bestellt und im Wesentlichen ausgeführt, es werde nicht abgestritten, dass Italien grundsätzlich als Staat der ersten Einreise in das Gebiet der Mitgliedsstaaten für die Prüfung des Asylantrages nach dem Dublin-III-Abkommen zuständig sei. Eine Überstellung des Antragstellers nach Italien sei wegen systematischer Schwachstellen des italienischen Asylsystems jedoch derzeit unmöglich (Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO). Eine Überstellung sei unmöglich, wenn das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für den Kläger in Italien Schwachstellen aufweise, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der EU-Grundrechte-Charta mit sich brächten. Der Regelung liege die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zugrunde, wonach das gemeinsame europäische Asylsystem auf dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens und der bestehenden Vermutung der Gleichbehandlung bzw. grundsätzlichen Gleichbehandlung des Asylbewerbers im Einklang mit den Erfordernissen der Europäischen Grundrechtscharta und der Genfer Flüchtlingskonvention fuße. Es sei davon auszugehen, dass diese Kriterien in Italien nicht erfüllt seien, da das italienische Asylsystem im Hinblick auf die Unterbringungsbedingungen von Asylsuchenden derzeit an systematischen Schwachstellen leide. Grundlage dafür seien die Feststellungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in seinem Urteil vom 4. November 2014. Danach sei die Lage von Flüchtlingen in Italien – insbesondere zur Langsamkeit des Identifikationsverfahrens, zur Kapazität der Aufnahmeeinrichtungen und zu den Unterbringungsbedingungen – nicht haltbar. Es gebe ein Miss-verhältnis zwischen der Zahl der gestellten Asylanträge einerseits und der Zahl der Aufnahmeplätze andererseits. Die Kapazität Italiens sei erschöpft; weitere Asyl-bewerber könnten nur unter Hinnahme menschenrechtswidriger Möglichkeiten untergebracht werden.
Mit Schreiben vom 20. Juli 2016 hat die Bevollmächtige ihr Mandat niedergelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichts- sowie die vorgelegte Behördenakte des Bundesamtes Bezug genommen.
II.
Der gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 Asylgesetz (AsylG) i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der in der Hauptsache erhobenen Klage ist unbegründet, da die Hauptsacheklage voraussichtlich keinen Erfolg haben wird.
Da in der Bundesamtsakte keine Postzustellungsurkunde über den genauen Termin der erfolgten Zustellung enthalten ist, ist zugunsten des Antragstellers davon auszugehen, dass ihm der streitgegenständliche Bescheid frühestens am Donnerstag, den 5. Mai 2016 zugestellt worden ist, so dass mit der Antragstellung am 12. Mai 2016 die Wochenfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG gewahrt wurde.
1. Entfaltet ein Rechtsbehelf – wie hier – von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Abs. 1 AsylG), kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem sich aus § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als rechtswidrig, so besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
2. Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 2 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, wenn der Ausländer einen Asylantrag in einem anderen, aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt hat.
Italien ist als Mitgliedsstaat, in dem der Antragsteller ausweislich des EURODAC-Treffers „IT1“ einen Asylantrag gestellt hat, für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens richtet sich vorliegend nach der VO (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin-III-VO). Die Zuständigkeitskriterien der Dublin-III-VO finden nach Art. 49 Abs. 2 dieser Verordnung auf Asylanträge oder – wie hier – Aufgriffsfälle nach dem 1. Januar 2014 Anwendung.
Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedsstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kap. III der Dublin-III-VO als zuständiger Mitgliedsstaat bestimmt wird. Bei Anwendung dieser Kriterien ist Italien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO ist derjenige Mitgliedsstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig, über dessen Grenze der Asylbewerber aus einem Drittstaat illegal eingereist ist. Ausgehend vom Vortrag des Antragstellers und nach dem EURODAC-Treffer hat er am 24. August 2014 in Italien einen Asylantrag gestellt. Der Umstand der Asylantragstellung in Italien wird belegt durch den für den Antragsteller erzielten EURODAC-Treffer mit der Kennzeichnung „IT1“. Die Ziff. „1“ steht für einen Antrag auf internationalen Schutz (Art. 24 Abs. 4 VO (EU) Nr. 603/2013 v. 26.6.2013 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26.6.2013 über die Einrichtung von EURODAC für den Abgleich von Fingerabdrücken zum Zwecke der effektiven Anwendung der VO (EU) Nr. 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staaten-losen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist und über der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung dienende Anträge der Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedsstaaten und Europols auf den Abgleich mit EURODAC-Daten sowie zur Änderung der VO (EU) Nr. 1077/2011 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Neufassung) (EURODAC-VO)).
Die Zuständigkeit Italiens ist auch nicht gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin-III-VO erloschen, da zum Zeitpunkt der erstmaligen Asylantragstellung in Italien im August 2014 der illegale Grenzübertritt noch nicht länger als 12 Monate zurücklag (vgl. Art. 7 Abs. 2 Dublin-III-VO).
Zwar endet nach dem Wortlaut des Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin-III-VO die Zuständigkeit eines Mitgliedstaats für die Durchführung des Verfahrens zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Damit ist aber lediglich gemeint, dass die Zuständigkeit dann endet, wenn vor Ablauf der genannten Frist in keinem Mitgliedstaat ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde. Diese Auslegung ergibt sich zwingend vor dem Hintergrund des Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO, der als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Zuständigkeit denjenigen vorgibt, zu dem der Antragsteller seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Deshalb ist es etwa unschädlich, wenn nicht (auch) in dem Einreisestaat innerhalb der in Rede stehenden Frist ein Antrag gestellt wurde. Ebenso wenig ist es von Bedeutung, ob die zwölfmonatige Frist im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgelaufen ist (vgl. VG München, B.v. 5.7.2016 – M 1 S 16.50364 – juris Rn. 11; OVG NRW, U.v. 7.3.2014 – 1 A 21/12.A, DVBl. 2014, 790 – juris Rn. 46 ff. noch zum im Wesentlichen gleichlautenden Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO; VG Minden, B.v. 18.2.2015 – 10 L 107/15.A – juris Rn. 22 ff.).
Damit ist vorliegend Italien der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige Mitgliedsstaat.
3. Das Übernahmeersuchen der Bundesrepublik Deutschland wurde am 23. Dezember 2015 gestellt. Da die italienischen Behörden auf das Wiederaufnahmeersuchen der Antragsgegnerin nicht reagiert haben, ist gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die betreffende Person wieder aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen (Art. 18 Abs. 1 Dublin-III-VO).
4. Die Abschiebung nach Italien kann gemäß § 34a Abs. 1 AsylG auch durchgeführt werden.
Die Zuständigkeit ist nicht gemäß Art. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin-III-VO auf die Antragsgegnerin übergegangen, weil eine Überstellung an Italien als den zuständigen Mitgliedsstaat an Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO scheitern würde. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Antragsteller im Falle einer Abschiebung nach Italien infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt wäre.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedsstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechte-Charta) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedsstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedsstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i. S.v. Art. 4 Grundrechte-Charta aus-gesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – a. a. O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedsstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller in Italien aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. BayVGH, U.v. 28.2.2014 – 13a B 13.30295 – juris; VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris; OVG Rh-Pf, U.v. 21.2.2014 – 10 A 10656/13.OVG – juris; OVG LSA, U.v. 2.10.2013 – 3 L 645/12 – juris; OVG Berlin-Bbg., B.v. 17.6.2013 – OVG 7 S 33.13 – juris; OVG NRW, U.v. 18.7.2016 – 13 A 1859/14.A – juris Rn. 54 ff.; U.v. 6.7.2016 – 13 A 1476/15.A – juris Rn. 43 ff.; U.v. 7.3.2014 – 1 A 21/12.A – juris; U.v. 24.4.2015 – 14 A 2356/12.A – juris; NdsOVG, B.v. 30.1.2014 – 4 LA 167/13 – juris; U.v. 25.6.2015 – 11 LB 248/14 – juris). Danach verfügt Italien unter Berücksichtigung der Verwaltungspraxis über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren, welches trotz einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der vor Ort tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber im Normalfall nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen muss. Obwohl sich in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen durchaus erhebliche Mängel und Defizite feststellen lassen, werden diese – weder für sich genommen noch insgesamt – als so gravierend bewertet, dass ein grundlegendes, systemisches Versagen des Mitgliedsstaates vorläge, welches für einen Dublin-Rückkehrer nach dem Prognosemaßstab der Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert (vgl. OVG NRW, U.v. 7.3.2014 – a. a. O., Rn. 132; OVG Rh-Pf, U.v. 21.2.2014 – a. a. O., Rn. 45 f.).
Das Gericht schließt sich damit dieser Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an (vgl. EGMR, B.v. 2.4.2013 – Hussein u. a../. Niederlande und Italien, Nr. 27725/10 – ZAR 2013, 336; B.v. 18.6.2013 – Halimi./.Österreich und Italien, Nr. 53852/11 – ZAR 2013, 338). Unter Berücksichtigung der Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsinstitutionen und -organisationen über die Aufnahmeprogramme für Asylbewerber in Italien kam der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die allgemeine Situation und die Lebensbedingungen in Italien für Asylbewerber, anerkannte Flüchtlinge und Ausländer, die aus Gründen des internationalen Schutzes oder zu humanitären Zwecken eine Aufenthaltserlaubnis erhalten hätten, zwar einige Mängel aufweisen mögen, dass die vorliegenden Materialien jedoch kein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen für Asylbewerber als Mitglieder einer besonders schutzbedürftigen Personengruppe aufzeigen würden. Berichte des UNHCR und des Menschenrechtskommissars wiesen auf jüngste Verbesserungen der Situation hin mit dem Ziel der Mängelbeseitigung; alle Berichte zeigten übereinstimmend und ausführlich die Existenz ausgearbeiteter Strukturen von Einrichtungen und Hilfsmaßnahmen, die auf die Bedürfnisse der Asylbewerber zugeschnitten seien. Diese Rechtsauffassung hat der EGMR – dessen Rechtsprechung für die Auslegung der EMRK auch über den jeweiligen entschiedenen Fall hinaus eine Orientierungs- und Leitfunktion hat (BVerfG, U.v. 4.5.2011 – 2 BvR 2333/08 – juris), durch seine Entscheidung vom 10. September 2013 (Nr. 2314/10 – HUDOC) ausdrücklich bestätigt.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des EGMR vom 4. November 2014 im Verfahren Tarakhel ./. Schweiz (29217/12, NVwZ 2015, 127 ff.). Der EGMR hat hier lediglich entschieden, dass die Schweizer Behörden die Abschiebung einer Familie nach Italien nicht vornehmen dürfen, ohne vorher individuelle Garantien von den italienischen Behörden erhalten zu haben, dass die Antragsteller in Italien in einer dem Alter der Kinder adäquaten Art und Weise behandelt werden und die Familie zusammen bleiben darf. Das Urteil beinhaltet damit keine Aussage zu eventuellen systemischen Mängeln in Italien, sondern lediglich eine Einschränkung für die Abschiebung von Familien nach Italien. Zudem hat der EGMR in seiner Entscheidung vom 5. Februar 2015 im Verfahren A.M.E. ./. Niederlande (51428/10) entschieden, dass die Struktur und die Gesamtsituation des italienischen Flüchtlings- und Asylbewerberaufnahmesystems kein genereller Grund sind, eine Überstellung im Zuge des sog. Dublin-Verfahrens zu verbieten.
Auch aus neueren Erkenntnismitteln können keine Hinweise auf systemische Mängel entnommen werden. In dem vom Europäischen Rat für Flüchtlinge und im Exil lebende Personen (ECRE) für das Projekt AIDA – Asylum Information Database erstellten Länderbericht zu Italien vom Dezember 2015 (abrufbar unter http://www.a…) wird zwar ausgeführt (vgl. S. 62 ff. des Berichts), dass dort zumindest in der Vergangenheit nicht für alle Asylbewerber adäquate Aufnahmeeinrichtungen zur Verfügung gestanden haben und die Zahl von Unterbringungsplätzen nur unzureichend war. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der italienische Staat hiergegen erfolgs-versprechende Gegenmaßnahmen ergreift. Zum einen werden die Kapazitäten der Aufnahmeeinrichtungen dem vorgenannten Bericht zufolge seit 2013 deutlich erhöht. UNHCR und Nichtregierungsorganisationen beraten die staatlichen Stellen bei der Verbesserung der Aufnahmebedingungen. Speziell für Dublin-Rückkehrer wurden zum anderen Zentren zur übergangsweisen Unterbringung eingerichtet (vgl. S. 63 f. des Berichts). Ein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen lässt sich dem AIDA-Bericht nicht entnehmen. Ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen kann daher auch für die Personengruppe, der der Antragsteller angehört, nicht angenommen werden. Nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18. Juli 2016 (13 A 1859/14.A – juris Rn. 71 ff.) rechtfertigen die vorliegenden Erkenntnisse nicht den Schluss, dass Asylbewerber während der Dauer des Asylverfahrens in Italien die elementaren Grundbedürfnisse des Menschen (wie z. B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme, Hygienebedürfnisse, medizinische Grundversorgung) nicht in einer noch zumutbarer Weise werden befriedigen können. Soweit Mängel der Aufnahmebedingungen bestehen, sind diese nicht derart gravierend, dass bei jedem Rückkehrer die Gefahr einer Verletzung des Art. 4 GR-Charta zu bejahen wäre.
Die gegenwärtig hohe Zahl von Einwanderern nach Italien stellt keinen Umstand dar, der eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte. Die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch Italien würde erst dann überschritten, wenn auf die erhöhte Zahl von Einwanderern hin keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung der damit verbundenen Probleme ergriffen würden. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden (vgl. OVG NRW, U.v. 24.4.2015 a. a. O.).
Auch der Umstand, dass sich die Situation des Antragstellers in Italien u.U. deutlich schlechter als im Bundesgebiet darstellt, begründet keinen systemischen Mangel des Asylverfahrens (vgl. EGMR, B.v. 02.04.2013 – a. a. O.).
Auch im Hinblick auf medizinische Betreuung und Versorgung ergibt sich keine Verpflichtung der Antragsgegnerin, das Asylverfahren durchzuführen (vgl. EGMR, U.v. 30.6.2015 – 39350/13 – A.S. gegen Schweiz), da Italien über eine umfassende Gesundheitsfürsorge verfügt, die italienischen Staatsbürgern sowie Flüchtlingen, Asylbewerbern und unter humanitären Schutz stehenden Personen gleichermaßen zugänglich ist. Nach der bestehenden Auskunftslage funktioniert die notfallmedizinische Versorgung und der Zugang zu Hausärzten grundsätzlich ebenso wie das Angebot von psychologischer und psychiatrischer Behandlung (vgl. VG Ansbach, U.v. 11.12.2015 – AN 14 K 15.50316 – juris Rn. 26 m. w. N.). Auch der bereits erwähnte Bericht von AIDA bestätigt die Gleichstellung von Asylsuchenden und international Schutzberechtigten mit italienischen Staats-angehörigen hinsichtlich der gesundheitlichen Versorgung (vgl. dort S. 84). Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21. Januar 2013 an das OVG Sachsen-Anhalt steht eine kostenfreie medizinische Versorgung auch Personen zu, die nicht in einer staatlichen Unterkunft untergebracht sind. Eine aktuelle Vereinbarung zwischen der italienischen Zentralregierung und den Regionen garantiert dabei die Not- und Grundversorgung auch von Personen, die sich illegal im Land aufhalten (VG Augsburg, B.v. 19.9.2015 – Au 7 S 15.50412 – juris). Die Not-ambulanz ist für alle Personen in Italien kostenfrei (VG München, B.v. 5.11. 2014 – M 18 S 14.50356 – juris). Auch bei Überstellung von kranken Personen, deren Asylverfahren in Italien negativ abgeschlossen ist, besteht damit die Möglichkeit der Behandlung. Es ist daher davon auszugehen, dass der Antragsteller in Italien Zugang zu einer angemessenen medizinischen Versorgung hat.
Schließlich begründet auch die Lage der Personen, die in Italien einen internationalen Schutzstatus zuerkannt bekommen haben, keine systemischen Mängel. Dies gilt auch in Ansehung des Umstands, dass Italien kein mit dem in der Bundesrepublik bestehenden Sozialleistungssystem vergleichbares, landesweites Recht auf Fürsorgeleistungen kennt und hier nur im originären Kompetenzbereich der Regionen und Kommunen ein sehr unterschiedliches und in weiten Teilen von der jeweiligen Finanzkraft abhängiges Leistungsniveau besteht (VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris).
Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO notwendig machen, sind ebenso wenig ersichtlich wie inlands- oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse.
5. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).