Europarecht

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens in Tschechien

Aktenzeichen  W 8 S 17.50305

Datum:
31.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, § 34a
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7 S. 3, § 60a Abs. 2c
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 12 Abs. 4, Art. 17 Abs. 1, Art. 22 Abs. 7, Art. 29 Abs. 1, Art. 32 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Das tschechische Asylsystem leidet nicht unter systemischen Mängeln. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2 Asylsuchende und Dublin-Rückkehrer haben Zugang zu kostenloser Gesundheitsversorgung und Unterbringung. Die wesentlichen Medikamente sind erhältlich. (Rn. 13 – 14) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die nahtlose Fortführung einer Dialyse in Tschechien kann und muss durch geeignete Vorkehrungen, durch entsprechende Gestaltung der Abschiebung und Kontakt sowie Informationsaustausch mit den im Zielstaat zuständigen Behörden sichergestellt werden. (Rn. 15 – 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist armenischer Staatsangehöriger. Er reiste am 10. Dezember 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 23. Januar 2017 einen Asylantrag.
Nach den Erkenntnissen der Antragsgegnerin lagen Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO) vor. Auf ein Übernahmeersuchen vom 16. März 2017 reagierten die tschechischen Behörden bislang nicht.
Mit Bescheid vom 19. Mai 2017 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Die Abschiebung nach Tschechien wurde angeordnet (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Am 30. Mai 2017 ließ der Antragsteller im Verfahren W 8 K 17.50304 Klage erheben und im vorliegenden Verfahren beantragen,
1.die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage vom heutigen Tage gegen die Abschiebungsanordnung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Außenstelle Schweinfurt, vom 19. Mai 2017 gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen,
2.der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung nach Tschechien vorläufig auszusetzen.
Zur Begründung ließ der Antragsteller unter Vorlage zweier ärztlicher Attestes vorbringen: Er sei schwer erkrankt. Er leide an Nierenversagen. Er unterziehe sich dreimal wöchentlich einer jeweils sechsstündigen Dialysebehandlung im Krankenhaus in Marktheidenfeld. Eine lückenlose, schnelle und vor allem adäquate Weiterbehandlung des Antragstellers in Tschechien sei nicht gewährleistet.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Klageverfahrens W 8 K 17.50304) und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO – betreffend die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung unter Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids – ist zulässig (einer weitergehenden einstweiligen Anordnung bedarf es nicht, vgl. § 123 Abs. 5 VwGO), aber unbegründet.
Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 19. Mai 2017 ist bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung in Nr. 3 rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten, so dass das öffentliche Vollzugsinteresse das private Interesse des Antragstellers, vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache noch im Bundesgebiet verbleiben zu dürfen, überwiegt.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Gründe des streitgegenständlichen Bescheides verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Das Vorbringen in der Antragsbegründung führt zu keiner anderen Beurteilung.
Tschechien ist für die Durchführung des Asylverfahrens gemäß den Vorschriften der Dublin III-VO zuständig (§§ 34a, 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG i.V.m. der Dublin III-VO). Die Zuständigkeit Tschechiens ergibt sich vorliegend aus Art. 12 Abs. 4 und Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO.
Außergewöhnliche Umstände, die möglicherweise für ein Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO bzw. für eine entsprechende Pflicht der Antragsgegnerin nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO sprechen könnten, sind vorliegend nicht glaubhaft gemacht. Insbesondere ist nach derzeitigem Erkenntnisstand und unter Berücksichtigung der hierzu einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 u.a. – NVwZ 2012, 417) nicht davon auszugehen, dass das tschechische Asylsystem an systemischen Mängeln leidet, aufgrund derer die dorthin rücküberstellten Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Grundrechtscharta (GRCharta) ausgesetzt wären. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen bestehen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen solcher Mängel im tschechischen Asylsystem (vgl. BayVGH, B.v. 17.8.2015 – 11 B 15.50111 – juris), zumal der Antragsteller nichts Dahingehendes vorgebracht hat.
Ferner ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin ermessensfehlerhaft keinen Gebrauch von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO gemacht hat.
Konkret sind keine gewichtigen Erkrankungen ersichtlich – vorgebracht wurde insbesondere: chronische Hämodialysebehandlung bei terminaler Niereninsuffizienz durch Schrumpfnieren; „Blutwäsche“ dreimal wöchentlich, lebenslänglich erforderlich -, die in der Tschechischen Republik nicht behandelt bzw. weiterbehandelt werden könnten. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG).
Aufgrund der aktuellen Erkenntnislage ist davon auszugehen, dass Asylsuchenden die notwendige medizinische Versorgung zugänglich gemacht wird und die wesentlichen Medikamente erhältlich sind (vgl. insbesondere BayVGH, B.v. 17.8.2015 – 11 B 15.50111 – juris Rn. 25: „In den Unterbringungseinrichtungen sind die medizinische Versorgung, Freizeitmöglichkeiten, Schulbildung und Kontakt mit Rechtsanwälten gewährleistet (Synthesis Report -Detention: Annex 3 Detention conditions and other quality criteria, Table A3.B)“). Nach Auskunft des tschechischen Innenministeriums haben Dublin-Rückkehrer denselben Zugang zu kostenloser Gesundheitsversorgung und Unterbringung wie andere Antragsteller. In Tschechien erfolgt nach Einreise/Überstellung eine medizinische Untersuchung (vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Tschechische Republik vom 16.8.2016, S. 7, 8 und 9).
Das Gericht geht weiter davon aus, dass die mit der Rückführung befassten deutschen Behörden im vorliegenden Einzelfall geeignete Vorkehrungen zum Schutz des Antragstellers treffen werden. Auf die Verpflichtung aus Art. 29 Abs. 1 UA 2 Dublin III-VO wird hingewiesen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann es in Einzelfällen geboten sein, vor einer Rückverbringung mit den im Zielstaat zuständigen Behörden Kontakt aufzunehmen, den Sachverhalt zu klären und gegebenenfalls zum Schutz des Ausländers Vorkehrungen zu treffen (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 1795/14 – Asylmagazin 2014, 341m.w.N.). Die der zuständigen Behörde obliegende Pflicht, gegebenenfalls durch eine entsprechende Gestaltung der Abschiebung die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, damit eine Abschiebung verantwortet werden kann, kann es in Einzelfällen gebieten, sicherzustellen, dass erforderliche Hilfen rechtzeitig nach der Ankunft im Zielstaat zur Verfügung stehen, wobei der Ausländer regelmäßig auf den dort allgemein üblichen Standard zu verweisen ist (vgl. dazu OVG LSA, B.v. 20.6.2011 – 2 M 38/11 – InfAuslR 2011, 390, 392).
So liegt es auch im vorliegenden Fall. Das zuständige Bundesamt hat in Abstimmung mit den Behörden des Zielstaats sicherzustellen, dass der Antragsteller bei der Übergabe an diese eine nahtlose Fortführung der Dialyse sowie ärztliche Versorgung erhält, um erhebliche konkrete Gesundheitsgefahren auszuschließen.
Des Weiteren ist die Antragsgegnerin nach Art. 32 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO bei der Überstellung gehalten, dem zuständigen Mitgliedsstaat Informationen über die besonderen Bedürfnisse bezüglich der Gesundheit der zu überstellenden Person zu übermitteln, um es den zuständigen Behörden im zuständigen Mitgliedsstaat gemäß den innerstaatlichen Recht zu ermöglichen, diese Person in geeigneter Weise zu unterstützen – unter anderem die unmittelbar notwendige medizinische Versorgung zu leisten – und um die Kontinuität des Schutzes und der Rechte sicherzustellen, die die Dublin III-VO und andere einschlägige Bestimmungen des Asylrechts gebieten. Dem Zielstaat wird daher im Vorfeld der Rückführung bei Vereinbarung eines Überstellungstermins mitgeteilt, wenn eine Person unmittelbar nach der Ankunft in ärztliche Hände übergeben werden soll. Soweit dieser Informationsaustausch erfolgt, genügt der überstellende Staat grundsätzlich den Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention, so dass selbst bei Überstellung von besonders schutzbedürftigen Personen, wie etwa psychisch Kranken, keine grundlegenden Einwände bestehen (vgl. Thym, ZAR 2013, 331 mit Verweis auf die Rechtsprechung des EGMR sowie etwa VG München, U.v. 6.5.2016 – M 12 K 15.50793 – juris; VG Würzburg, B.v. 5.3.2014 – W 6 S. 14.30235 – juris).
Schließlich sind auch inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, die die Antragsgegnerin selbst zu berücksichtigen hätte, nicht ersichtlich. Eine Reise- oder Transportunfähigkeit wurde vom Antragsteller nicht substanziiert geltend gemacht und ist auch sonst nicht ersichtlich, insbesondere liegen dazu keine ärztlichen Belege vor. Soweit der Antragstellerbevollmächtigte vorbringt, es müsse eine nahtlose Fortführung der Dialyse auf Dauer sichergestellt werden, da sonst gesundheitliche Schäden zu befürchten seien bzw. bei längerem Ausfall der Dialyse Lebensgefahr bestehe, kann und muss dem – wie schon ausgeführt – gegebenenfalls durch geeignete Maßnahmen sowohl bei der Überstellung als auch bei der Ankunft in Tschechien Rechnung getragen werden (vgl. auch VG München, U.v. 6.5.2016 – M 12 K 15.50793 – juris). Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass eine ärztliche Bescheinigung ohne Aussagen zur Reisefähigkeit bzw. zur Reiseunfähigkeit des Betreffenden nicht die Anforderungen an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung nach § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG erfüllt (BayVGH, B.v. 9.5.2017 – 10 CE 17.750).
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage war daher abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.


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