Aktenzeichen M 8 S 16.50693
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 34a Abs. 2 S. 1
Leitsatz
Asylbewerber laufen in Italien nicht Gefahr, aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (ebenso BayVGH BeckRS 2014, 52068; OVG BW BeckRS 2014, 51025; OVG RhPf BeckRS 2014, 48239; OVG Bln-Bbg BeckRS 2013, 53383; OVG NRW BeckRS 2014, 48497 u. BeckRS 2015, 45053; BeckRS 2016, 47662; NdsOVG BeckRS 2015, 47840). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die im Bescheid vom 5. September 2016 angeordnete Abschiebung nach Italien im Rahmen des sogenannten „Dublin-Verfahrens“.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben Staatsangehöriger Senegals und wurde am … Mai 1997 in … geboren. Er wurde am 6. Mai 2016 durch die Bundespolizei im Bundesgebiet angetroffen, ohne im Besitz eines Aufenthaltstitels oder von Ausweispapieren zu sein. Dabei gab er an, am selben Tag mit dem letzten Zug aus … nach … eingereist zu sein.
Eine Eurodac-Recherche durch die Bundespolizei ergab am selben Tag einen Treffer der ersten Kategorie für Italien, Eurodac-Nr. IT1… vom 13. April 2015 in …
In der Akte des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) findet sich auf Seite 12 ein Schreiben vom 21. Juni 2016 an den Antragsteller sowie ein Fragebogen zur Bestimmung des für die Prüfung des Antrags zuständigen Mitgliedstaats (Erstbefragung) sowie ein Fragebogen zur Prüfung von Abschiebungshindernissen im Dublin-Verfahren (ergänzende Befragung) in Deutsch und Französisch. Beide wurden mit Postzustellungsurkunde am 19. Juli 2016 dem Antragsteller mittels Übergabe an eine Beschäftigte der Aufnahmeeinrichtung …, … zugestellt.
Am 27. Juni 2016 wurde vom Bundesamt ein Wiederaufnahmegesuch an Italien gerichtet. Im Akt des Bundesamts findet sich neben dem Wiederaufnahmegesuch eine automatisch generierte Eingangsbestätigung Italiens vom 27. Juni 2016. Eine weitergehende Antwort Italiens ist in der vorgelegten Akte des Bundesamts nicht enthalten.
Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 5. September 2016 wurde in Ziffer 1 die Abschiebung nach Italien angeordnet und in Ziffer 2 das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. In den Bescheidsgründen wird ausgeführt, nach den Erkenntnissen des Bundesamts hätten Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union vorgelegen. Am 27. Juni 2016 sei ein Wiederaufnahmeersuchen an Italien gerichtet worden. Der Zuständigkeitsübergang an Italien für die Bearbeitung des Antrages auf internationalen Schutz sei mit Ablauf des 11. Juli 2016 erfolgt. Die Abschiebung nach Italien sei gemäß Art. 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylG anzuordnen, da dieser Staat gemäß Art. 3 Dublin-III-VO für die Bearbeitung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die gegen eine Überstellung nach Italien sprächen, seien nicht ersichtlich und nicht vorgetragen. Nach den dem Bundesamt vorliegenden Erkenntnissen lägen in Italien keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Sinne der Rechtsprechung des EGMR und des EuGH vor. Eine Abschiebung habe gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zur Folge, dass der Drittstaatsangehörige nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich dort aufhalten dürfe. Im Übrigen wird auf die Begründung des angefochtenen Bescheids verwiesen.
In der Akte des Bundesamts findet sich keine Postzustellungsurkunde.
Mit Schreiben vom 12. September 2016, am selben Tag per Fax bei Gericht eingegangen, hat die Bevollmächtigte des Antragstellers Klage und Eilantrag gegen den Bescheid des Bundesamts vom 5. September 2016 erhoben und beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 5. September 2016, Az: …, zugestellt am 7. September 2016, wird angeordnet bzw. wiederhergestellt (Antrag gem. § 80 Abs. 5 VwGO).
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Überstellung des Antragstellers nach Italien sei wegen systematischer Schwachstellen des italienischen Asylsystems derzeit unmöglich, Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO. Es sei davon auszugehen, dass dem Antragsteller die Gefahr einer unmenschlichen und entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Charte drohe. Grundlage seien die Feststellungen des EGMR im Urteil vom 4. November 2014 (29217/12). Die Kapazität Italiens sei erschöpft, weitere Asylbewerber könnten nur unter Hinnahme menschenrechtswidriger Bedingungen untergebracht werden.
Das Bundesamt hat mit Schreiben vom 13. September 2016 die Asylakte vorgelegt. Eine weitergehende Äußerung oder Antragstellung erfolgte nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichts- sowie die vorgelegte Behördenakte des Bundesamts Bezug genommen.
II.
1. Der gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 Asylgesetz (AsylG) i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der in der Hauptsache erhobenen Klage ist unbegründet, da die Hauptsacheklage voraussichtlich keinen Erfolg haben wird.
2. Entfaltet ein Rechtsbehelf – wie hier – von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Abs. 1 AsylG), kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem sich aus § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück.
3. Gemäß § 34 a Abs. 1 Satz 2 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, wenn der Ausländer einen Asylantrag in einem anderen, aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt hat.
Italien ist als Mitgliedsstaat, in dem der Antragsteller ausweislich des Eurodac-Treffers „IT1“ einen Asylantrag gestellt hat, für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens richtet sich vorliegend nach der VO (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin-III-VO). Die Zuständigkeitskriterien der Dublin-III-VO finden nach Art. 49 Abs. 2 dieser Verordnung auf Asylanträge oder – wie hier – Aufgriffsfälle nach dem 1. Januar 2014 Anwendung.
Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedsstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kap. III der Dublin-III-VO als zuständiger Mitgliedsstaat bestimmt wird. Bei Anwendung dieser Kriterien ist Italien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO ist derjenige Mitgliedsstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig, über dessen Grenze der Asylbewerber aus einem Drittstaat illegal eingereist ist. Ausgehend von dem Eurodac-Treffer hat er am 13. April 2015 in Italien einen Asylantrag gestellt. Der Umstand der Asylantragstellung in Italien wird belegt durch den für den Antragsteller erzielten Eurodac-Treffer mit der Kennzeichnung „IT1“. Die Ziff. „1“ steht für einen Antrag auf internationalen Schutz (Art. 24 Abs. 4 VO (EU) Nr. 603/2013 v. 26.6.2013 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26.6.2013).
Die Zuständigkeit Italiens ist auch nicht gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin-III-VO erloschen, da es keinen Anhaltspunkt dafür gibt, dass zum Zeitpunkt der erstmaligen Asylantragstellung in Italien im April 2015 der illegale Grenzübertritt länger als 12 Monate zurücklag (vgl. Art. 7 Abs. 2 Dublin-III-VO).
Zwar endet nach dem Wortlaut des Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin-III-VO die Zuständigkeit eines Mitgliedstaats für die Durchführung des Verfahrens zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts. Damit ist aber lediglich gemeint, dass die Zuständigkeit dann endet, wenn vor Ablauf der genannten Frist in keinem Mitgliedstaat ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde. Diese Auslegung ergibt sich zwingend vor dem Hintergrund des Art. 7 Abs. 2 Dublin-III-VO, der als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Zuständigkeit denjenigen vorgibt, zu dem der Antragsteller seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Deshalb ist es etwa unschädlich, wenn nicht (auch) in dem Einreisestaat innerhalb der in Rede stehenden Frist ein Antrag gestellt wurde. Ebenso wenig ist es von Bedeutung, ob die zwölfmonatige Frist im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgelaufen ist (vgl. VG München, B. v. 5.7.2016 – M 1 S 16.50364 – juris Rn. 11; OVG NRW, U. v. 7.3.2014 – 1 A 21/12.A, DVBl. 2014, 790 – juris Rn. 46 ff. noch zum im Wesentlichen gleichlautenden Art. 10 Abs. 1 Dublin-II-VO; VG Minden, B. v. 18.2.2015 – 10 L 107/15.A – juris Rn. 22 ff.).
Damit ist vorliegend Italien der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige Mitgliedsstaat.
4. Das Übernahmeersuchen der Bundesrepublik Deutschland wurde am 27. Juni 2016 gestellt. Da die italienischen Behörden auf das Wiederaufnahmeersuchen der Antragsgegnerin nicht reagiert haben, ist gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die betreffende Person wieder aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen (Art. 18 Abs. 1 Dublin-III-VO).
5. Die Abschiebung nach Italien kann gemäß § 34a Abs. 1 AsylG auch durchgeführt werden.
Die Zuständigkeit ist nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin-III-VO auf die Antragsgegnerin übergegangen, weil eine Überstellung an Italien als den zuständigen Mitgliedsstaat an Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO scheitern würde. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Antragsteller im Falle einer Abschiebung nach Italien infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt wäre.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedsstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechte-Charta) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedsstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedsstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 Grundrechte-Charta aus-gesetzt zu werden (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 – a. a. O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedsstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B. v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller in Italien aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. BayVGH, U. v. 28.2.2014 – 13a B 13.30295 – juris; VGH BW, U. v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris; OVG Rh-Pf, U. v. 21.2.2014 – 10 A 10656/13.OVG – juris; OVG LSA, U. v. 2.10.2013 – 3 L 645/12 – juris; OVG Berlin-Bbg., B. v. 17.6.2013 – OVG 7 S 33.13 – juris; OVG NRW, U. v. 18.7.2016 – 13 A 1859/14.A – juris Rn. 54 ff.; U. v. 6.7.2016 – 13 A 1476/15.A – juris Rn. 43 ff.; U. v. 7.3.2014 – 1 A 21/12.A – juris; U. v. 24.4.2015 – 14 A 2356/12.A – juris; NdsOVG, B. v. 30.1.2014 – 4 LA 167/13 – juris; U. v. 25.6.2015 – 11 LB 248/14 – juris). Danach verfügt Italien unter Berücksichtigung der Verwaltungspraxis über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren, welches trotz einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der vor Ort tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber im Normalfall nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen muss. Obwohl sich in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen durchaus erhebliche Mängel und Defizite feststellen lassen, werden diese – weder für sich genommen noch insgesamt – als so gravierend bewertet, dass ein grundlegendes, systemisches Versagen des Mitgliedsstaates vorläge, welches für einen Dublin-Rückkehrer nach dem Prognosemaßstab der Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert (vgl. OVG NRW, U. v. 7.3.2014 – a. a. O., Rn. 132; OVG Rheinland-Pfalz, U. v. 21.2.2014 – 10 A 10656/13.OVG – juris Rn. 45 f.).
Das Gericht schließt sich damit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an (vgl. EGMR, B. v. 2.4.2013 – Hussein u. a. ./. Niederlande und Italien, Nr. 27725/10 – ZAR 2013, 336; B. v. 18.6.2013 – Halimi ./. Österreich und Italien, Nr. 53852/11 – ZAR 2013, 338). Unter Berücksichtigung der Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsinstitutionen und -organisationen über die Aufnahmeprogramme für Asylbewerber in Italien kam der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die allgemeine Situation und die Lebensbedingungen in Italien für Asylbewerber, anerkannte Flüchtlinge und Ausländer, die aus Gründen des internationalen Schutzes oder zu humanitären Zwecken eine Aufenthaltserlaubnis erhalten hätten, zwar einige Mängel aufweisen mögen, dass die vorliegenden Materialien jedoch kein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen für Asylbewerber als Mitglieder einer besonders schutzbedürftigen Personengruppe aufzeigen würden. Berichte des UNHCR und des Menschenrechtskommissars wiesen auf jüngste Verbesserungen der Situation hin mit dem Ziel der Mängelbeseitigung; alle Berichte zeigten übereinstimmend und ausführlich die Existenz ausgearbeiteter Strukturen von Einrichtungen und Hilfsmaßnahmen, die auf die Bedürfnisse der Asylbewerber zugeschnitten seien. Diese Rechtsauffassung hat der EGMR – dessen Rechtsprechung für die Auslegung der EMRK auch über den jeweiligen entschiedenen Fall hinaus eine Orientierungs- und Leitfunktion hat (BVerfG, U. v. 4.5.2011 – 2 BvR 2333/08 – juris), durch seine Entscheidung vom 10. September 2013 (Nr. 2314/10 – HUDOC) ausdrücklich bestätigt.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des EGMR vom 4. November 2014 im Verfahren Tarakhel ./. Schweiz (29217/12, NVwZ 2015, 127 ff.). Der EGMR hat hier lediglich entschieden, dass die Schweizer Behörden die Abschiebung einer Familie nach Italien nicht vornehmen dürfen, ohne vorher individuelle Garantien von den italienischen Behörden erhalten zu haben, dass die Antragsteller in Italien in einer dem Alter der Kinder adäquaten Art und Weise behandelt werden und die Familie zusammen bleiben darf. Das Urteil beinhaltet damit keine Aussage zu eventuellen systemischen Mängeln in Italien, sondern lediglich eine Einschränkung für die Abschiebung von Familien nach Italien. Zudem hat der EGMR in seiner Entscheidung vom 5. Februar 2015 im Verfahren A.M.E. ./. Niederlande (51428/10) entschieden, dass die Struktur und die Gesamtsituation des italienischen Flüchtlings- und Asylbewerberaufnahmesystems kein genereller Grund sind, eine Überstellung im Zuge des sog. Dublin-Verfahrens zu verbieten.
Auch aus neueren Erkenntnismitteln können keine Hinweise auf systemische Mängel entnommen werden. In dem vom Europäischen Rat für Flüchtlinge und im Exil lebende Personen (ECRE) für das Projekt AIDA – Asylum Information Database erstellten Länderbericht zu Italien vom Dezember 2015 (abrufbar unter http://www.asylumineurope.org/reports/country/italy) wird zwar ausgeführt (vgl. S. 62 ff. des Berichts), dass dort zumindest in der Vergangenheit nicht für alle Asylbewerber adäquate Aufnahmeeinrichtungen zur Verfügung gestanden haben und die Zahl von Unterbringungsplätzen nur unzureichend war. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der italienische Staat hiergegen erfolgs-versprechende Gegenmaßnahmen ergreift. Zum einen werden die Kapazitäten der Aufnahmeeinrichtungen dem vorgenannten Bericht zufolge seit 2013 deutlich erhöht. UNHCR und Nichtregierungsorganisationen beraten die staatlichen Stellen bei der Verbesserung der Aufnahmebedingungen. Speziell für Dublin-Rückkehrer wurden zum anderen Zentren zur übergangsweisen Unterbringung eingerichtet (vgl. S. 63 f. des Berichts). Ein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen lässt sich dem AIDA-Bericht nicht entnehmen. Ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen kann daher auch für die Personengruppe, der der Antragsteller angehört, nicht angenommen werden. Nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18. Juli 2016 (13 A 1859/14.A – juris Rn. 71 ff.) rechtfertigen die vorliegenden Erkenntnisse nicht den Schluss, dass Asylbewerber während der Dauer des Asylverfahrens in Italien die elementaren Grundbedürfnisse des Menschen (wie z. B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme, Hygienebedürfnisse, medizinische Grundversorgung) nicht in einer noch zumutbarer Weise werden befriedigen können. Soweit Mängel der Aufnahmebedingungen bestehen, sind diese nicht derart gravierend, dass bei jedem Rückkehrer die Gefahr einer Verletzung des Art. 4 GR-Charta zu bejahen wäre.
Die gegenwärtig hohe Zahl von Einwanderern nach Italien stellt keinen Umstand dar, der eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte. Die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch Italien würde erst dann überschritten, wenn auf die erhöhte Zahl von Einwanderern hin keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung der damit verbundenen Probleme ergriffen würden. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden (vgl. OVG NRW, U. v. 24.4.2015 a. a. O.).
Auch der Umstand, dass sich die Situation des Antragstellers in Italien u.U. deutlich schlechter als im Bundesgebiet darstellt, begründet keinen systemischen Mangel des Asylverfahrens (vgl. EGMR, B. v. 02.04.2013 – a. a. O.).
Auch im Hinblick auf medizinische Betreuung und Versorgung ergibt sich keine Verpflichtung der Antragsgegnerin, das Asylverfahren durchzuführen (vgl. EGMR, U. v. 30.6.2015 – 39350/13 – A.S. gegen Schweiz), da Italien über eine umfassende Gesundheitsfürsorge verfügt, die italienischen Staatsbürgern sowie Flüchtlingen, Asylbewerbern und unter humanitären Schutz stehenden Personen gleichermaßen zugänglich ist. Nach der bestehenden Auskunftslage funktioniert die notfallmedizinische Versorgung und der Zugang zu Hausärzten grundsätzlich ebenso wie das Angebot von psychologischer und psychiatrischer Behandlung (vgl. VG Ansbach, U. v. 11.12.2015 – AN 14 K 15.50316 – juris Rn. 26 m. w. N.). Auch der bereits erwähnte Bericht von AIDA bestätigt die Gleichstellung von Asylsuchenden und international Schutzberechtigten mit italienischen Staatsangehörigen hinsichtlich der gesundheitlichen Versorgung (vgl. dort S. 84). Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21. Januar 2013 an das OVG Sachsen-Anhalt steht eine kostenfreie medizinische Versorgung auch Personen zu, die nicht in einer staatlichen Unterkunft untergebracht sind. Eine aktuelle Vereinbarung zwischen der italienischen Zentralregierung und den Regionen garantiert dabei die Not- und Grundversorgung auch von Personen, die sich illegal im Land aufhalten (VG Augsburg, B. v. 19.9.2015 – Au 7 S 15.50412 – juris). Die Notambulanz ist für alle Personen in Italien kostenfrei (VG München, B. v. 5.11. 2014 – M 18 S 14.50356 – juris). Auch bei Überstellung von kranken Personen, deren Asylverfahren in Italien negativ abgeschlossen ist, besteht damit die Möglichkeit der Behandlung. Es ist daher davon auszugehen, dass der Antragsteller in Italien Zugang zu einer angemessenen medizinischen Versorgung hat.
Schließlich begründet auch die Lage der Personen, die in Italien einen internationalen Schutzstatus zuerkannt bekommen haben, keine systemischen Mängel. Dies gilt auch in Ansehung des Umstands, dass Italien kein mit dem in der Bundesrepublik bestehenden Sozialleistungssystem vergleichbares, landesweites Recht auf Fürsorgeleistungen kennt und hier nur im originären Kompetenzbereich der Regionen und Kommunen ein sehr unterschiedliches und in weiten Teilen von der jeweiligen Finanzkraft abhängiges Leistungsniveau besteht (VGH BW, U. v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris).
Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO notwendig machen, sind ebenso wenig ersichtlich wie inlands- oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse.
6. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).