Europarecht

Örtliche Zuständigkeit einer Klage wegen Fluggastrechteverletzung

Aktenzeichen  1 AR 21/19

Datum:
30.4.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
MDR – 2019, 888
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
MÜ Art. 33 Abs. 1, Art. 46

 

Leitsatz

1 Gemäß Art. 46 MÜ kann die sowohl gegen den vertraglichen, als auch den ausführenden Luftfrachtführer gerichtete Klage auf Schadensersatz in Deutschland als Vertragsstaat des Montrealer Übereinkommens nach Wahl der Antragstellerin als Klägerin bei dem Gericht erhoben werden, bei dem eine Klage gegen die Antragsgegnerin zu 1) als vertragliche Luftfrachtführerin nach Art. 33 MÜ erhoben werden kann. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2 Art. 33 Abs. 1 MÜ regelt – anders als Art. 31 CMR – nicht nur die internationale, sondern auch die örtliche Zuständigkeit. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Die Voraussetzungen einer Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 ZPO liegen nicht vor.

Gründe

I.
Gegenstand der von der Antragstellerin aus eigenem sowie aus abgetretenem Recht ihres Ehemanns zum Amtsgericht München erhobenen Klage sind Schadensersatzansprüche für ein auf einer Flugreise von München nach Hurghada verlorenes Gepäckstück, einen Koffer mit Kleidungsstücken, Schmuck und Hygieneartikeln.
Die Klägerin und ihr Ehemann buchten am 16. November 2017 bei der Antragsgegnerin zu 1) eine Pauschalreise nach Ägypten. Die Flüge wurden von der Antragsgegnerin zu 2) durchgeführt. Einer der beiden beim Hinflug in München aufgegebenen Koffer kam nicht in Hurghada an. Die Antragstellerin bringt vor, die Antragsgegnerin zu 1) hafte als Vertragspartnerin der Pauschalreise gemäß § 651n BGB auf Schadensersatz. Die Antragsgegnerin zu 2) hafte als Luftfrachtführerin nach dem Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (Montrealer Übereinkommen; im Folgenden: MÜ). Für verlorenes Gepäck richte sich die Haftung nach Art. 18 Abs. 1 MÜ.
Die Antragsgegnerin zu 1) hat ihren Sitz in München, die Antragsgegnerin zu 2) im Amtsgerichtsbezirk Bad Homburg v. d. Höhe.
Die Antragsgegnerin zu 2) hat die Zuständigkeit des Amtsgerichts München gerügt.
Das Amtsgericht München hat mit Verfügung vom 18. Januar 2019, ohne dies näher zu begründen, auf seine Unzuständigkeit hingewiesen.
Die Antragstellerin meint, ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand sei nicht begründet.
Nach Ansicht der Antragsgegnerin zu 1) ist München auszuwählen, da der Schwerpunkt der Auseinandersetzung auf dem mit ihr geschlossenen Reisevertrag beruhe. Bei der Antragsgegnerin zu 2) habe es sich ausschließlich um ihre Erfüllungsgehilfin zur Erfüllung ihrer reisevertraglichen Verpflichtungen gehandelt.
Die Antragsgegnerin zu 2) bringt vor, es sei das Amtsgericht Erding als Bestimmungsort gemäß Art. 33 MÜ zuständig. Die Vorschrift gebe ausschließliche Gerichtsstände vor. Mit dem Flugschein sei der Flughafen München als Endpunkt des Flugs vereinbart worden.
II.
1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist das nach § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO für das Bestimmungsverfahren zuständige Gericht, weil die Antragsgegnerinnen ihren jeweiligen allgemeinen Gerichtsstand (§§ 12, 17 ZPO) in verschiedenen Oberlandesgerichtsbezirken (München und Frankfurt am Main) haben und das zuerst mit der Sache befasste Gericht in Bayern liegt.
2. Die Voraussetzungen für die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen nicht vor.
a) Eine Bestimmungsentscheidung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO kommt über den Wortlaut der Norm hinaus zwar auch dann noch in Betracht, wenn die Antragsgegner bereits vor einem Gericht verklagt wurden und – wie hier – einzelne von ihnen die Unzuständigkeit dieses Gerichts geltend gemacht haben (st. Rspr.; z. B. BGH, Beschluss vom 27. November 2011, X ARZ 321/18, juris Rn. 10; Beschluss vom 23. Februar 2011, X ARZ 388/10, NJW-RR 2011, 929 Rn. 6 f.; Toussaint in BeckOK, ZPO, 31. Edition Stand 1. Dezember 2018, § 36 Rn. 19).
b) Die Antragsgegnerinnen, die ihren jeweiligen allgemeinen Gerichtsstand bei verschiedenen Gerichten haben, sind nach dem im Bestimmungsverfahren maßgeblichen (Schultzky in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 36 Rn. 28), insoweit auch schlüssigen Vortrag der Antragstellerin hinsichtlich der geltend gemachten Ansprüche auch Streitgenossen (§§ 59, 60 ZPO). Auf die Schlüssigkeit des behaupteten Anspruchs selbst kommt es nicht an (BayObLG, Beschluss vom 28. Oktober 1997, 1Z AR 74/97, NJW-RR 1998, 1291; Schultzky in Zöller, ZPO, § 36 Rn. 28).
Streitgenossenschaft nach § 60 ZPO setzt voraus, dass gleichartige und auf einem im Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Grund beruhende Ansprüche oder Verpflichtungen den Gegenstand des Rechtsstreits bilden. Die Vorschrift ist grundsätzlich weit auszulegen. Es genügt, dass die Ansprüche in einem inneren sachlichen Zusammenhang stehen, der sie ihrem Wesen nach als gleichartig erscheinen lässt (auch BGH, Beschluss vom 6. Juni 2018, X ARZ 303/18, MDR 2018, 951 Rn. 12). Der innere Zusammenhang wird vorliegend dadurch begründet, dass die von der Antragsgegnerin zu 2) durchgeführte Luftbeförderung Teil der von der Antragstellerin und ihrem Ehemann bei der Antragsgegnerin zu 1) gebuchten Pauschalreise war.
c) Die Gerichtsstandsbestimmung ist gleichwohl abzulehnen, da hinsichtlich beider Antragsgegnerinnen ein besonderer Gerichtsstand in München eröffnet ist.
Für die Klage ist ein gemeinsamer Gerichtsstand nach Art. 46, 45, 33 Abs. 1 MÜ am Sitz der Antragsgegnerin zu 1) in München begründet. Dort hat die Antragstellerin bereits Klage erhoben, § 35 ZPO.
Das Montrealer Übereinkommen ist vorliegend anwendbar. Ägypten und Deutschland sind Vertragsstaaten (vgl. Koller, Transportrecht, 9. Aufl. 2016, Art. 1 MÜ Rn. 15). Es liegt eine „internationale Beförderung“ im Sinne des Übereinkommens vor, Art. 1 Abs. 2 Satz 1 MÜ.
Die Antragsgegnerin zu 1) wird, selbst wenn die Antragstellerin dies nicht ausdrücklich ausführt, auch als vertragliche Luftfrachtführerin im Sinne des Übereinkommens in Anspruch genommen, Art. 39 Satz 1 MÜ. Es wurde eine Pauschalreise vereinbart. Die Antragsgegnerin zu 1) hat sich damit nach dem Vorbringen der Antragstellerin im eigenen Namen u.a. zur Erbringung der vertraglich vereinbarten Transportleistung verpflichtet (vgl. A. Staudinger in Staudinger, BGB, 2016, Vorbem zu §§ 651c-g Rn. 38; Prokant in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 3. Aufl. 2015, MontrealÜb Art. 39 Rn. 3 f.; Degott in DAR 2011, 510). Die Antragsgegnerin zu 2) soll dagegen als ausführende Luftfrachtführerin haften, Art. 39 Satz 1, Art. 40 MÜ.
Gemäß Art. 46 MÜ kann die sowohl gegen den vertraglichen, als auch den ausführenden Luftfrachtführer gerichtete Klage auf Schadensersatz in Deutschland als Vertragsstaat des Montrealer Übereinkommens nach Wahl der Antragstellerin als Klägerin bei dem Gericht erhoben werden, bei dem eine Klage gegen die Antragsgegnerin zu 1) als vertragliche Luftfrachtführerin nach Art. 33 MÜ erhoben werden kann, also u.a. in München, da die Antragsgegnerin zu 1) dort ihren Sitz hat. Art. 33 Abs. 1 MÜ regelt – anders als Art. 31 CMR (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 6. Februar 1981, I ZR 148/78, BGHZ 79, 332, VersR 1981, 633; BGH, Urt. v. 9. Dezember 1982, I ZR 25/81, VersR 1983, 282; Ramming in VersR 2005, 607/608) – nicht nur die internationale, sondern auch die örtliche Zuständigkeit (Giemulla,Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht 1.2, Dezember 2004, § 56 LuftVG Rn. 2; Wenzler in TranspR 1990, 414/416 zu Art. 28 Abs. 1 WA; Ruhwedel in Münchener Kommentar zum HGB, 3. Aufl. 2014, Art. 33 MÜ Rn. 1; Dettling-Ott in Giemulla/Schmid, Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht 3, Montrealer Übereinkommen, August 2016 Rn. 24; so wohl auch Degott a. a. O.; offenlassend: Magnus in Staudinger, 2016, Art. 5 Rom-I-VO, Ziffer 5. Internationaler Lufttransport Rn. 174; a. A. Prokant in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, MontrealÜb Art. 33 Rn. 6 m. w. N.; Ramming a. a. O.). Da auf die vorliegende Luftbeförderung das Montrealer Übereinkommen Anwendung findet, ergibt sich aus dem Luftverkehrsgesetz keine andere Bewertung, § 56 Abs. 3 Satz 1, § 44 Nr. 4 LuftVG. Auch der Gesetzgeber ist anlässlich der Änderung des § 56 LuftVG durch das Gesetz zur Harmonisierung des Haftungsrechts im Luftverkehr vom 6. April 2004 (BGBl. I, S. 550) davon ausgegangen, dass Art. 33 Abs. 1 MÜ und seine Vorgängerregelung Art. 28 WA sowohl die internationale als auch die örtliche Zuständigkeit bestimmen (vgl. BT-Drs. 15/2359 S. 35; vgl. Giemulla,Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht 1.2, a. a. O.).
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Das Bestimmungsverfahren ist Teil der Hauptsache.
Sollte das angerufene Gericht weiterhin Zweifel an seiner Zuständigkeit haben, wird sich der Senat auf erneuten Antrag einer – wenn auch nur deklaratorischen – Gerichtsstandsbestimmung nicht verschließen.


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