Europarecht

Rechtswidrige Einstellung des Asylverfahrens wegen fehlenden Nachweises über die Belehrung hinsichtlich der Rücknahmefiktion

Aktenzeichen  M 21 K 16.34701

Datum:
29.6.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 33
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1 Macht das Bundesamt von der Möglichkeit der Verfahrenseinstellung nach § 33 AsylG Gebrauch, darf das Verwaltungsgericht mit der Aufhebung der getroffenen Entscheidung nicht zugleich über die Begründetheit des Asylbegehrens oder die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft entscheiden. Denn nach den Regelungen des Asylgesetzes ist diese Sachentscheidung zunächst dem Bundesamt vorbehalten. (Rn. 15) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Unabhängig davon, ob bei der nach § 33 Abs. 4 AsylG erforderlichen Belehrung des Asylbewerbers eine Wiedergabe der gesetzlichen Regelung genügt, ob eine Übersetzung in eine dem Asylbewerber geläufige Sprache geboten ist (vgl. VG München BeckRS 2017, 102455) oder ob die im Verfassungsrecht wurzelnden strengen Maßstäbe angesichts der Möglichkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 33 Abs. 5 AsylG hier nicht gelten (vgl. VG Augsburg BeckRS 2017, 105098), darf eine über die Wiedergabe des Gesetzeswortlauts hinausgehende Belehrung nicht unrichtig oder missverständlich sein. (Rn. 19) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Die Belehrung eines Asylbewerbers nach § 33 Abs. 4 AsylG ist gegen Empfangsbekenntnis nachzuweisen und wird durch eine anderweitige Zustellung ohne Nachweis der tatsächlichen Kenntnis nicht ersetzt. (Rn. 20) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Der Bescheid vom 24. November 2016 (Az. 5657111-251) wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Parteien tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über die Klage wird mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Soweit die Klage über die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung hinausgeht und auf eine Verpflichtung des Bundesamtes zu einer Sachentscheidung gerichtet ist, ist sie unzulässig. Macht das Bundesamt von der Möglichkeit der Verfahrenseinstellung nach § 33 AsylG Gebrauch, darf das Gericht mit der Aufhebung der getroffenen Entscheidung nicht zugleich über die Begründetheit des Begehrens auf Gewährung von Asyl und Zuerkennung der Flüchtlingsanerkennung entscheiden. Vielmehr ist die Sachentscheidung nach den Regelungen des Asylverfahrensgesetzes zunächst dem Bundesamt vorbehalten. Der Asylsuchende muss die Aufhebung dieses Bescheides erreichen, wenn er eine Entscheidung über seinen Asylantrag erhalten will (vgl. zu § 33 AsylVfG BVerwG, U.v. 5.9. 2013 – 10 C 1/13 – juris Rn. 14; BVerwG, U.v. 7.3.1995 – 9 C 264/94 – juris Rn. 12 ff.).
Die im Übrigen zulässige Klage (vgl. zum Rechtsschutzbedürfnis BVerfG, B.v. 20.7.2016 – 2 BvR 1385/16 – juris Rn. 8) ist begründet. Die Einstellung des Verfahrens durch das Bundesamt ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach § 33 Abs. 1 AsylG in der Fassung des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl I S. 390) gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG wird vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wenn er einer Aufforderung zur Vorlage von für den Antrag wesentlichen Informationen gemäß § 15 oder einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 nicht nachgekommen ist.
Gemäß § 33 Abs. 4 AsylG ist der Ausländer jedoch auf die nach den Absätzen 1 und 3 eintretenden Rechtsfolgen schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hinzuweisen.
Inhaltlich ist auf die nach den Absätzen 1 und 3 eintretenden Rechtsfolgen hinzuweisen. Unabhängig davon, ob insoweit eine Wiedergabe der gesetzlichen Regelungen genügt (so Heusch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 14. Edition, AsylG, § 33 AsylG Rn. 7; a.A. unter Hinweis auf die Rechtsprechung zu Belehrungspflichten zu § 10 Abs. 7 AsylVfG und § 33 AsylVfG z.B. VG Aachen, B.v. 13.3.2017 – 2 K 538/17.A – BeckRS 2017, 104831 Rn. 13; VG Augsburg, B.v. 17.11.2016 – Au 3 S. 16.32189 – juris Rn. 28) und ob eine Übersetzung in eine dem Asylbewerber geläufige Sprache geboten ist, (so der Eilbeschluss vom 2.1.2017 – M 21 K 16.35223; ebenso ganz überwiegend auch die bisherigen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen, z.B. VG München, B.v. 14.2.2017 – M 18 S. 17.31557 – juris; VG Stuttgart, B.v. 6.2.2017 – A 1 K 198/17 – juris; VG Gelsenkirchen, B.v. 21.11.2016 – 14a L 2519/16.A – juris; VG Augsburg, B.v. 17.11.2016 a.a.O. – juris Rn. 28; ähnlich die Kommentarmeinungen, z.B. Bergmann in Bergmann/Dienelt, AuslR, Nachtrag zur 11. Aufl., AsylG, § 33 AsylG Rn. N 7; Heusch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 14. Edition, AsylG, § 33 AsylG Rn. 7 m.w.N.; vgl. zu § 33 AsylVfG auch BVerwG, U.v. 5.9.2013 a.a.O. – juris Rn. 31 unter Hinweis auf BVerfG, B.v. 10.3.1994 – 2 BvR 2371/93 – DVBl 1994, 631), oder ob die verfassungsrechtlich hergeleiteten strengen Maßstäbe angesichts der in § 33 Abs. 5 AsylG geregelten Wiederaufnahmemöglichkeit hier nicht gelten (so VG Augsburg, U.v. 13.3.2017 – Au 3 K 16.32293 – juris), darf eine über die Wiedergabe des Gesetzeswortlauts hinausgehende Belehrung nicht unrichtig oder missverständlich sein.
Die Belehrung des Ausländers ist gegen Empfangsbestätigung nachzuweisen. Der erforderliche Nachweis der Kenntnis über die Belehrung durch Empfangsbestätigung wird durch eine anderweitige Zustellung ohne Nachweis der tatsächlichen Kenntnis nicht ersetzt. Insbesondere aus dem Erfordernis der Empfangsbestätigung und ihrer Funktion als Beweismittel wird damit auch deutlich, dass der Gesetzgeber die Belehrung mit dem Eintritt der Rücknahmefiktion verknüpfen wollte (OVG SH, B.v. 12.5.2017 – 4 LA 45/17 – juris Rn. 16).
Entsprechend diesen Vorgaben ist eine ordnungsgemäße Belehrung nicht erfolgt bzw. nachgewiesen.
Die Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten und Allgemeine Verfahrenshinweise enthielt keinen Hinweis auf die Möglichkeit einer Verfahrenseinstellung wegen Nichterscheinens zum Anhörungstermin, sondern beschränkte sich in diesem Zusammenhang auf den Hinweis einer Entscheidung nach Aktenlage. Auch der Auszug aus dem Gesetzestext zum Asylgesetz enthielt die Regelung in § 33 AsylG nicht.
Die Belehrung in der Ladung zur Anhörung war dem Kläger nicht gegen Empfangsbestätigung übermittelt worden. Der Kläger hat nicht widerlegbar geltend gemacht, er habe die Ladung nicht erhalten.
Die Einstellung des Verfahrens nach § 33 Abs. 2 AsylG ohne die zwingend vorgegebene Belehrung nach § 33 Abs. 4 AsylG führt zur Rechtswidrigkeit der Verfahrensentscheidung und verletzt den Asylbewerber in seinem Recht auf ein ordnungsgemäßes Verfahren. Die angefochtene Verfahrensentscheidung war daher aufzuheben. Entsprechendes gilt für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG und die erlassene Abschiebungsandrohung, die jedenfalls verfrüht ergangen sind (BVerwG, U.v. 7.3.1995 – 9 C 264/94 – juris Rn. 19; vgl. auch BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 21).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).


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