Europarecht

Rücküberstellung nach Italien ist zulässig

Aktenzeichen  M 3 S 16.50602

Datum:
16.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 26a, § 29 Abs. 1, § 34a Abs. 1
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 18 Abs. 1 b, Art. 25 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Im gegenwärtigen Zeitpunkt ist nicht davon auszugehen, dass Asylbewerber in Italien aufgrund systemischer Mängel des Aufnahme- und Asylverfahrens tatsächlich Gefahr laufen, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung ausgesetzt zu sein. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2 Italien verfügt über eine umfassende Gesundheitsfürsorge, die Flüchtlingen und Asylbewerbern gleichermaßen wie italienischen Staatsbürgern zugänglich ist. Die kostenfreie medizinische Versorgung steht auch Personen zu, die nicht in einer staatlichen Unterkunft untergebracht sind. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3 Eine Not- und Grundversorgung ist auch für Personen garantiert, die sich illegal im Land aufhalten oder deren Asylverfahren negativ abgeschlossen wurde. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der nach seinen Angaben am … 1989 in … geborene Antragsteller ist eritreischer Staatsangehöriger und reiste nach eigenen Angaben am 18. November 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er am 21. März 2016 Asylantrag stellte.
Bei seiner ersten Befragung durch das Bundesamt zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens mittels Fragebogen am 21. März 2016 gab der Antragsteller an, dass er sein Heimatland am 30. Mai 2015 verlassen habe und dann über den Sudan (1 Monat), Libyen (4 Monate) nach Italien gereist sei. Er sei dort am 3. November 2015 angekommen, habe sich dort 2 Wochen aufgehalten und sei von dort aus auf dem Landweg in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eingereist.
Die eingeleitete Eurodac-Recherche des Bundesamts hatte am 21. März 2016 einen Treffer der Kategorie I (…) für Italien ergeben.
Aufgrund des Eurodac-Treffers der Kategorie I richtete das Bundesamt am 12. Mai 2016 ein Wiederaufnahmeersuchen an Italien. Eine Reaktion von Italien erfolgte hierauf nach Aktenlage nicht.
Mit Bescheid vom 18. Juli 2016 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Italien an. Weiter wurde eine Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots ausgesprochen. Auf die Bescheidsbegründung wird Bezug genommen. Nachdem der Bescheid zunächst nicht zugestellt werden konnte, wurde die Zustelladresse geändert. Der vom Antragsteller vorgelegte Bescheid trägt insoweit den Vermerk „Amtlich geändert 03. Aug. 2016“.
Der Antragsteller erhob am 8. August 2016 zur Niederschrift Klage gegen den Bescheid Klage erheben (M 3 K 16.50601) und beantragte weiter,
die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers gegen den Bescheid vom 18. Juli 2016 anzuordnen.
Er legte ein Arztschreiben der Praxis Dr. med. R. B., M., vom 2. August 2016 vor mit der Diagnose z.A. Ileokolitis (A09.0), Obstipation (K59.0). Unter „Epikrise“ führt das Schreiben u.a. aus:“Koloskopisch unauffälliger Befund und keine Erklärung für die geschilderten Beschwerden.“
Das Bundesamt legte mit Schriftsatz vom 10. August 2016 die Behördenakten vor und äußert sich nicht weiter.
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 17. August 2016 lässt der Antragsteller vortragen, er sei krank, insoweit werde auf die bereits vorgelegten Atteste Bezug genommen. Unter Berücksichtigung der Tarakhel-Entscheidung des EGMR verbiete sich eine Rücküberstellung nach Italien, denn es liege keine spezielle Zusage Italiens vor, sich um den Antragsteller medizinisch zu kümmern.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Nach dem gemäß § 77 AsylG zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblichen § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) AsylG der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008, zuletzt geändert durch Art. 6 G v. 31.7.2016 (BGBl I S. 1939) ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31). Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt, wenn ein Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Die Voraussetzungen für den Erlass einer Abschiebungsanordnung sind nach der im Eilverfahren vorzunehmenden summarischen Überprüfung gegeben. Danach ist Italien aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Die italienischen Behörden haben auf das Wiederaufnahmegesuch vom 12. Mai 2016 nicht innerhalb der Frist des Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO reagiert, so dass davon auszugehen ist, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wurde. Da für den Antragsteller ein EURODAC-Treffer der Kategorie 1 ermittelt wurde, ist Italien nach Art. 18 Abs. 1 lit.b Dublin-III-VO zuständiger Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers. Somit steht grundsätzlich fest, dass die Abschiebung nach Italien durchgeführt werden darf.
Die Überstellung an Italien ist auch nicht rechtlich unmöglich im Sinn des Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der EU den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte i.S.v. Art. 6 Abs. 1 EUV entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für die Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH v. 21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller in Italien aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. BayVGH v. 28.2.2014 – 13a B 13.30295 – juris m.w.N.; OVG NRW v. 21.6.2016 – 13 A 1896/14.A – juris; NdsOVG v. 25.6.2015 – 11 LB 248/14 – juris). Dabei begründet auch die Lage der Personen, die in Italien einen internationalen Schutzstatus zuerkannt bekommen haben, noch keine systemischen Mängel. Dies gilt auch in Ansehung des Umstands, dass Italien kein mit dem in der Bundesrepublik bestehenden Sozialleistungssystem vergleichbar landesweites Recht auf Fürsorgeleistungen kennt und hier nur im originären Kompetenzbereich der Regionen und Kommunen ein sehr unterschiedliches und in weiten Teilen von der jeweiligen Finanzkraft abhängiges Leistungsniveau besteht (VGH BW v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris).
Aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 4. November 2014 (NVwZ 2015, 127 ff.) („Tarakhel-Entscheidung“) ergibt sich nichts anderes. Der EGMR hat hier keine systemischen Mängel in Italien gesehen, sondern lediglich entschieden, dass die Schweizer Behörden die Abschiebung einer Familie nach Italien nicht vornehmen dürfen, ohne vorher individuelle Garantien von den italienischen Behörden erhalten zu haben, dass die Antragsteller des dortigen Verfahrens in Italien in einer dem Alter der Kinder adäquaten Art und Weise behandelt werden und die Familie zusammen bleiben darf. Das Urteil beinhaltet damit keine Aussage zu eventuellen systemischen Mängeln in Italien, sondern lediglich eine Einschränkung für die Abschiebung von Familien nach Italien, wohingegen der Antragsteller eine volljährige Einzelperson ohne vorgetragene körperliche oder geistige Einschränkungen ist. Ein alleinstehender junger Mann gehört grundsätzlich nicht zu den besonders schutzwürdigen Personen im Sinn der genannten Entscheidung des EGMR (vgl. EGMR v. 5.2.2015 – 51428/10; NdsOVG v. 25.6.2015 a.a.O.).
Auch im Hinblick auf medizinische Betreuung und Versorgung ergibt sich keine Verpflichtung der Antragsgegnerin, das Asylverfahren durchzuführen (vgl. EGMR, U.v. 30.6.2015 – 39350/13 – A.S. gegen Schweiz), da Italien über eine umfassende Gesundheitsfürsorge verfügt, die italienischen Staatsbürgern sowie Flüchtlingen, Asylbewerbern und unter humanitären Schutz stehenden Personen gleichermaßen zugänglich ist. Nach der bestehenden Auskunftslage funktioniert die notfallmedizinische Versorgung und der Zugang zu Hausärzten grundsätzlich ebenso wie das Angebot von psychologischer und psychiatrischer Behandlung (vgl. VG Ansbach, U.v. 11.12.2015 – AN 14 K 15.50316 – juris Rn. 26 m.w.N.). Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21. Januar 2013 an das OVG Sachsen-Anhalt steht eine kostenfreie medizinische Versorgung auch Personen zu, die nicht in einer staatlichen Unterkunft untergebracht sind. Eine aktuelle Vereinbarung zwischen der italienischen Zentralregierung und den Regionen garantiert dabei die Not- und Grundversorgung auch von Personen, die sich illegal im Land aufhalten (VG Augsburg, B.v. 19.09.2015 – Au 7 S. 15.50412 – juris). Die Notambulanz ist für alle Personen in Italien kostenfrei (VG München, B.v. 05.11. 2014 – M 18 S. 14.50356 – juris). Auch bei Überstellung von kranken Personen, deren Asylverfahren in Italien negativ abgeschlossen ist, besteht damit die Möglichkeit der Behandlung. Es ist daher davon auszugehen, dass der Antragsteller in Italien Zugang zu einer angemessenen medizinischen Versorgung hat.
Ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis in Form einer Reiseunfähigkeit im engeren Sinne – Transportunfähigkeit – oder in Form einer Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne – erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustands als unmittelbare Folge der Abschiebung – (BVerfG, B.v. 17.09.2014 – 2 BvR 1795/14 – BeckRS 2014, 56447) wurde nicht belegt. Zu den Akten gegeben wurde lediglich ein ein Arztschreiben der Praxis Dr. med. R. B., M., vom 2. August 2016 vor mit der Diagnose z.A. Ileokolitis (A09.0), Obstipation (K59.0), das unter „Epikrise“ u.a. ausführt: “Koloskopisch unauffälliger Befund und keine Erklärung für die geschilderten Beschwerden.“, aber keine Hinweise auf eine deswegen bestehende Reiseunfähigkeit enthält. Die Behandlung dieser Erkrankung kann auch in Italien erfolgen Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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