Europarecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Kaufpreis, Fahrzeug, Verweisung, Bindungswirkung, Zahlung, Frist, Gerichtsstand, Verweisungsbeschluss, Verweisungsantrag, Wohnsitz, Erfolgsort, Bestimmungsverfahren, unerlaubte Handlung, unerlaubten Handlung, zwei Wochen

Aktenzeichen  34 AR 138/21

Datum:
24.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 781
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 32, § 281
BGB § 826

 

Leitsatz

Angesichts der einhelligen Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum, dass bei gegen den Hersteller gerichteten Individualklagen aus Anlass des sogenannten Abgasskandals grundsätzlich wahlweise die Zuständigkeit an jedem Begehungsort (Handlungs-, Erfolgs- oder Schadensort) und damit sowohl am Sitz des Händlers als auch am Wohnsitz des Käufers begründet sein kann, ist – unabhängig von der jeweiligen Begründung – ein Verweisungsbeschluss, der dies nicht beachtet, grob rechtsfehlerhaft und daher objektiv willkürlich.

Verfahrensgang

18 O 10520/21 — LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Örtlich zuständig ist das Landgericht München I.
2. Dessen Verweisungsbeschluss vom 14.9.2021 wird aufgehoben.

Gründe

I.
Mit seiner zum Landgericht München I (Az. zunächst: 18 O 10520) erhobenen Klage vom 4.8.2021 begehrt der im Bezirk des Landgerichts München II wohnhafte Kläger von der im Bezirk des Landgerichts Ingolstadt ansässigen Beklagten Zahlung von Schadensersatz wegen des Kaufs eines vom sogenannten Abgasskandal betroffenen Diesel-Fahrzeugs. Das Fahrzeug hatte er am 10.3.2014 bei einem Autohändler im Bezirk des Landgerichts München I erworben.
Der Kläger führt aus, die Beklagte habe durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs unter Verschweigen der gesetzwidrigen Softwareprogrammierung eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung begangen. Der Kläger hätte bei Aufklärung über die installierte unrechtmäßige Software das Fahrzeug nicht erworben. Der Schaden sei bereits mit dem Abschluss des streitgegenständlichen Kaufvertrags entstanden.
Mit Verfügung vom 27.8.2021 hat das Landgericht München I die Durchführung eines schriftlichen Vorverfahrens angeordnet und – unter Fristsetzung zur Stellungsnahme binnen zwei Wochen – darauf hingewiesen, dass gegen seine örtliche Zuständigkeit Bedenken bestünden. Der Handlungsort der behaupteten unerlaubten Handlung liege in Ingolstadt, der Erfolgsort bei Barzahlung dort, wo die Zahlung stattgefunden habe. Sollte der Kaufpreis per Überweisung bezahlt worden sein, komme es für den Erfolgsort der unerlaubten Handlung auf den Sitz des Bankinstituts an, von wo der Betrag vom Konto des Klägers abgehoben wurde. Der Wohnsitz sowie der Sitz des Unternehmens des Klägers liege im Bezirk des Landgerichts München II. Hierzu gebe es keinen Sachvortrag der Klagepartei.
Die Klage wurde der Beklagten am 2.9.2021 zugestellt.
Mit Schriftsatz vom 13.9.2021 beantragte der Kläger Verweisung an das Landgericht Ingolstadt.
Mit Beschluss vom 14.9.2021 hat sich das Landgericht München I ohne weitere Begründung unter Hinweis auf § 281 Abs. 1 ZPO für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Ingolstadt verwiesen.
Der Verweisungsantrag wurde gemäß Verfügung des Landgerichts München I der Beklagten mit dem Verweisungsbeschluss zugestellt. Die Verfügung wurde am 22.9.2021 ausgeführt.
Das Landgericht Ingolstadt (Az.: 61 O 2407/21) hat nach Anhörung der Parteien mit Beschluss vom 26.10.2021 die Übernahme des Verfahrens abgelehnt. Der Beschluss des Landgerichts München I entfalte keine Bindungswirkung, da er den Anspruch auf rechtliches Gehör verletze und sich als inhaltlich falsch und willkürlich erweise. Das Landgericht München I habe bereits am 14.9.2021 vor Ablauf der Stellungnahmefrist für die Beklagte am 16.9.2021 verwiesen. Das Gericht, bei dem die Sache anhängig sei, habe die zur Begründung der örtlichen Zuständigkeit vorgetragenen Umstände nicht nur von Amts wegen zu würdigen, sondern gegebenenfalls auch die für die rechtliche Beurteilung der Zuständigkeit maßgebenden tatsächlichen Verhältnisse weiter aufzuklären. Erst wenn danach eine Zuständigkeit bei ihm nicht eröffnet sei, könne es seine örtliche Unzuständigkeit feststellen und den Rechtsstreit auf Antrag verweisen. Erfolge die Verweisung ohne eine solche Prüfung, entbehre der Verweisungsbeschluss – wie vorliegend – jeder gesetzlichen Grundlage. In gegen den Hersteller gerichteten Individualklagen aus Anlass des sogenannten Abgasskandals werde eine Zuständigkeit nach § 32 ZPO sowohl bei dem Gericht am Sitz des Herstellers, des Händlers oder des Käufers bejaht. Das Landgericht München I sei somit als Gericht am Sitz des Händlers in jedem Fall auch zuständig und zuerst befasst.
Mit Beschluss vom 26.11.2021 hat das Landgericht München I (Az. nunmehr: 18 O 15415/21) das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Gerichts dem Oberlandesgericht München vorgelegt (Az.: 34 AR 138/21). Der Verweisungsbeschluss sei nicht willkürlich und entspreche der tatsächlichen, jedenfalls vertretbaren Rechtslage. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Beklagten liege nicht vor, da der Verweisungsbeschluss erst am 22.9.2021 ausgeführt worden sei. Es gehe aufgrund der auf der vorgelegten Rechnung angebrachten Anmerkung „ü/26.4.14“ davon aus, dass der Kaufpreis überwiesen worden sei. Eine Barzahlung sei nicht ersichtlich; weiterer Vortrag sei nicht erfolgt. Allein der Sitz des Händlers begründe gegenüber der Beklagten als Herstellerin nicht den Gerichtsstand der unerlaubten Handlung, da die Herstellerin in München keine unerlaubte Handlung begehe. Das ergebe sich aus einem Beschluss des OLG Hamm vom 27.5.2019.
Die Parteien hatten im Bestimmungsverfahren Gelegenheit zur Äußerung. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 27.12.2021 erklärt, auf die Rüge der örtlichen Zuständigkeit zu verzichten.
II.
Die Voraussetzungen einer Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO durch das Oberlandesgericht München, zu dessen Bezirk beide Landgerichte gehören, liegen vor. Das Landgericht München I und das Landgericht Ingolstadt haben sich im Sinne dieser Vorschrift bindend für unzuständig erklärt; das Landgericht München I durch unanfechtbaren Verweisungsbeschluss vom 14.9.2021 (§ 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO), das Landgericht Ingolstadt durch eine seine Zuständigkeit verneinende Entscheidung vom 26.10.2021. Eine solche Zuständigkeitsleugnung genügt den Anforderungen, die an das Tatbestandsmerkmal „rechtskräftig“ des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu stellen sind (vgl. BGH NJW-RR 2013, 764; OLG Hamm NJW 2016, 172; Hüßtege in Thomas/Putzo ZPO 42. Aufl. § 36 Rn. 23 m. w. N.).
1. Gemäß § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO sind Verweisungsbeschlüsse im Interesse der Prozessökonomie und zur Vermeidung von verfahrensverzögernden Zuständigkeitsstreitigkeiten unanfechtbar. Demnach entziehen sich auch ein sachlich zu Unrecht ergangener Verweisungsbeschluss und die diesem Beschluss zugrunde liegende Entscheidung über die Zuständigkeit grundsätzlich jeder Nachprüfung (st. Rechtspr.: BGHZ 102, 338/340; BGH NJW 2002, 3634/3635; Zöller/Greger ZPO 34. Aufl. § 281 Rn. 16). Die Bindungswirkung entfällt nicht schon dann, wenn der ergangene Beschluss inhaltlich unrichtig oder sonst fehlerhaft ist, sondern nur dann, wenn er schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann oder wenn er auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht (BGH NJW 2002, 3634/3635; NJW-RR 2013, 764/765; Zöller/Greger § 281 Rn. 17, 17a m. w. N.). Dies ist der Fall, wenn er jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich erachtet werden muss. Jedoch lässt bloßer Rechtsirrtum die Bindungswirkung nicht entfallen (BGH NJW-RR 1992, 902; NJW-RR 2011, 1364; Zöller/Greger § 281 Rn. 17). Nur bei groben Rechtsirrtümern (z.B. BGH NJW 2002, 3634/3635) fehlt es an der Bindung.
2. Örtlich zuständig ist das Landgericht München I. An die von diesem Gericht ausgesprochenen Verweisung ist das Landgericht Ingolstadt ausnahmsweise nicht gebunden und deshalb auch nicht gehindert, sich selbst für örtlich unzuständig zu erklären. Denn der Beschluss erweist sich als willkürlich.
a) Zur Begründung des besonderen Gerichtsstands nach § 32 ZPO ist erforderlich, dass der Kläger schlüssig Tatsachen behauptet, aus denen sich das Vorliegen einer im Gerichtsbezirk begangenen vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung bzw. unerlaubten Handlung ergibt (Zöller/Schultzky § 32 Rn. 22 m. w. N.). Ob die geltend gemachten Ansprüche tatsächlich bestehen, hat der Senat nicht zu prüfen. Der Ort, an dem im Sinne des § 32 ZPO eine unerlaubte Handlung begangen ist (Begehungsort), ist sowohl der Ort, an dem der Täter gehandelt hat (Handlungsort), als auch der Ort, an dem in das geschützte Rechtsgut eingegriffen wurde (Erfolgsort), sowie, wenn der Schadenseintritt selbst zum Tatbestandsmerkmal der Rechtsverletzung gehört, der Ort des Schadenseintritts (BGH NJW 2018, 2200; BayObLG BeckRS 2021, 31629; BeckRS 2020, 14356; BeckRS 2019, 15058; Senat vom 26.4.2021, 34 AR 26/21 = BeckRS 2021, 8715; vom 13.8.2019, 34 AR 111/19 = NJW-RR 2019, 1396; OLG Rostock BeckRS 2021, 28786; KG NJW-RR 2020, 1193; OLG Brandenburg BeckRS 2020, 34685; OLG Hamm NJW-RR 2019, 186; OLG Düsseldorf NJW-RR 2018, 573; OLG Stuttgart BeckRS 2018, 10638; Vossler NJW 2018, 2201 [Anmerkung zu BGH vom 6.6.2018, X ARZ 303/18]; Longree MDR 2018, 1348; Bünnigmann in Andres/Gehle ZPO 80. Aufl § 32 Rn. 7; Touissant in BeckOK ZPO 43. Edition § 32 Rn. 12.1; Rn. 13; Zöller/Schultzky § 32 Rn. 19; Smid/Hartmann in Wieczorek/Schütze ZPO 5. Aufl. § 32 Rn. 104).
aa) Bei der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826 BGB ist die Zufügung eines Schadens – einschließlich aller Arten von Vermögensschäden (Grüneberg/Sprau BGB 81. Aufl. § 826 Rn. 3 m. w. N.) – Tatbestandsmerkmal. Hier dient der Schadensersatzanspruch nicht nur dem Ausgleich jeder nachteiligen Einwirkung durch das sittenwidrige Verhalten auf die objektive Vermögenslage des Geschädigten. Vielmehr muss sich der Geschädigte auch von einer auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer „ungewollten“ Verpflichtung wieder befreien können. Schon eine solche stellt einen Vermögensschaden gemäß § 826 BGB dar (BayObLG BeckRS 2019, 15058; BGH NJW-RR 2015, 275; BGH NJW 2014, 383). In diesen Fällen ist der Ort, an dem in das Vermögen als geschütztes Rechtsgut eingegriffen wird, regelmäßig der Wohnsitz des Geschädigten, da sich der Eingriff unmittelbar gegen das Vermögen als Ganzes richtet (BGH NJW-RR 2019, 238; BayObLG BeckRS 2019, 15058).
bb) Daneben kommt der Sitz des Händlers als Erfolgsort in Betracht, wenn der Geschädigte diezum Abschluss des Kaufvertrages führende Erklärung dort abgegeben hat. Wird der Käufer aufgrund einer dem Hersteller zuzurechnenden sittenwidrigen Schädigung dazu verleitet, einen Kaufvertrag zu schließen, den er in Kenntnis des Vorhandenseins von unzulässigen Abschalteinrichtungen nicht geschlossen hätte, steht zum Schutz der wirtschaftlichen Dispositionsfreiheit auch die bloße Vermögensgefährdung durch Eingehung eines nachteiligen Geschäfts, etwa im Wege der Investition in ein riskantes Kapitalanlagemodell, dem Schadenseintritt gleich (BGH NJW 2004, 3706). Der Schaden wird in diesen Fällen bereits durch das Eingehen einer ungewollten Verbindlichkeit begründet. Vor diesem Hintergrund ist der eine Zuständigkeit aus § 32 ZPO begründende Erfolgsort dort belegen, wo ein solcher Vertrag geschlossen worden ist (LG Dortmund vom 15.1.2019, 12 O 262/17 – juris).
cc) Bei mehreren Begehungsorten hat der Kläger grundsätzlich die Möglichkeit der Wahl zwischen den einzelnen Gerichtsständen gemäß § 35 ZPO (Zöller/Schultzky § 32 Rn. 21), die durch Klageerhebung ausgeübt wird. Die einmal getroffene Wahl ist für den Prozess endgültig und unwiderruflich (Hüßtege in Thomas/Putzo § 35 Rn. 2).
b) Der Kläger hat die erforderlichen Tatsachen für einen Anspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung bzw. aus unerlaubter Handlung schlüssig behauptet. Aus der der Klageschrift beigefügten Auftragsbestätigung ist zu schließen, dass der Kaufvertrag im Bezirk des Landgerichts München I geschlossen wurde.
c) Da eine Verweisung die Unzuständigkeit des verweisenden Gerichts voraussetzt, kann die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses entfallen, wenn sich ein nach geltendem Recht unzweifelhaft zuständiges Gericht gleichwohl über seine Zuständigkeit hinwegsetzt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verweist. Zwar genügen bloße inhaltliche Unrichtigkeit oder sonstige Fehlerhaftigkeit grundsätzlich nicht, um Willkür zu bejahen (BGH NJW-RR 2002, 1498). Es bedarf zusätzlicher Umstände, die die getroffene Entscheidung als nicht mehr nachvollziehbar erscheinen lassen. Objektive Willkür ist aber durchaus anzunehmen, sofern weitere Anhaltspunkte vorliegen, die erkennen lassen, dass der Richter sich bewusst des Verfahrens entledigen wollte, wovon der Senat vorliegend ausgeht.
aa) Mittlerweile ist in einer Vielzahl veröffentlichter obergerichtlicher Entscheidungen sowie in der Literatur die Frage der örtlichen Zuständigkeit nach § 32 ZPO bei Klagen gegen den Hersteller in vom sogenannten Abgasskandal betroffenen Verfahren ausführlich erörtert worden. Dabei ist, wie oben ausgeführt, einhellige Meinung, dass grundsätzlich wahlweise die Zuständigkeit an jedem Begehungsort (Handlungs-, Erfolgs- oder Schadensort) und damit auch – wie vorliegend – am Sitz des Händlers begründet sein kann. Demzufolge hat auch der erkennende Senat bereits in seiner Entscheidung vom 13.8.2019 (Az.: 34 AR 111/19), veröffentlicht in NJW-RR 2019, 1396, darauf hingewiesen, dass ein Verweisungsbeschluss, der sich mit den maßgeblichen zuständigkeitsbegründenden Voraussetzungen nicht genügend auseinandersetzt, durchaus als willkürlich anzusehen sein könnte.
bb) Zwar enthält der Verweisungsbeschluss des Landgerichts München I nur eine formelhafte Begründung, was bereits Willkür begründen könnte. Es wäre jedoch grundsätzlich ausreichend, dass es sich in der Hinweisverfügung vom 27.8.2021 zur Zuständigkeitsfrage geäußert hat. Diese lässt aber erkennen, dass das Landgericht München I sich bei der Beurteilung der Zuständigkeit nicht ernsthaft mit den grundlegenden Voraussetzungen diesbezüglich auseinandersetzen wollte. Ansonsten hätte es bei sorgfältiger Prüfung im Hinblick auf die oben zitierten zahlreichen veröffentlichten Entscheidungen zu dem Ergebnis kommen müssen, dass seine Zuständigkeit vorliegend gegeben ist. Angesichts dieser einhelligen Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum ist es nicht nachvollziehbar, dass bei einer gegen den Hersteller gerichteten Individualklage aus Anlass des sogenannten Abgasskandals die Zuständigkeit am Sitz des Händlers in Abrede gestellt wird.
Daraus kann nur der Schluss gezogen werden, dass vorliegend eine ernsthafte Befassung mit der eigenen Zuständigkeit nicht gewollt war.
cc) Ergänzend ist anzumerken, dass der Beschluss des Landgerichts München I auch deshalb als willkürlich anzusehen wäre, weil es das Landgericht, folgt man seiner – unzutreffenden – Begründung unterlassen hat, den Ort, von dem aus die Überweisung getätigt wurde, zu ermitteln. Wie das Bayerisch Oberste Landesgericht in seiner Entscheidung vom 25.6.2021 (BeckRS 2020, 14356 Rn. 21) zutreffend ausführt, hat das Gericht, bei dem die Sache rechtshängig ist, die zur Begründung der örtlichen Zuständigkeit vorgetragenen Umstände nicht nur von Amts wegen zu würdigen, sondern – entgegen der vom Landgericht München I vertretenen Ansicht – gegebenenfalls auch die für die rechtliche Beurteilung der Zuständigkeit maßgebenden tatsächlichen Verhältnisse weiter aufzuklären (BGH NJW-RR 2015, 1016; NJW 2006, 847). Erst wenn danach ein Gerichtsstand bei ihm nicht eröffnet ist, kann es seine örtliche Unzuständigkeit aussprechen und auf Antrag den Rechtsstreit gemäß § 281 Abs. 1 ZPO an das für die Streitsache zuständige Gericht verweisen. Erfolgt die Verweisung ohne eine solche Prüfung, so entbehrt der Verweisungsbeschluss jeder gesetzlichen Grundlage und muss deshalb als willkürlich betrachtet werden dd) Zudem ist der Verweisungsbeschluss des Landgerichts München I vom 14.9.2021 unter Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs ergangen. Entsprechend den allgemeinen Grundsätzen ist zur Wahrung des rechtlichen Gehörs insbesondere erforderlich, dass vor der Verweisung auch der Beklagte gehört wird (BGH NJW 1995, 1224), dass ihm hierfür eine angemessene Frist eingeräumt wird (KG BeckRS 2016, 09320) und dass eine Verweisung nicht vor Ablauf der gesetzten Frist erfolgt (KG NJOZ 2016, 778). Dies hat das Landgericht München I nicht beachtet. Zwar erfolgte in der Verfügung vom 27.8.2021, die dem Beklagten am 2.9.2021 zuging, ein Hinweis auf die (angeblich) fehlende örtliche Zuständigkeit des Landgerichts. Das Landgericht hat jedoch die darin gesetzte Frist nicht abgewartet und umgehend nach Eingang der Verweisungsantrags der Klägerin vom 13.9.2021 bereits am 14.9.2021 den Rechtsstreit verwiesen. Dass der Verweisungsbeschluss erst am 22.9.2021 hinausgegeben wurde, ist insoweit unerheblich, da sich aus den Akten keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass sich die Richterin nach Beschlussfassung die Akten nochmals hat vorlegen lassen. Zudem hat das Landgericht vor der Verweisungsentscheidung dem Beklagten den Verweisungsantrag der Klägerin nicht zur Stellungnahme zugeleitet. Zwar begründet dies allein nicht in jedem Fall einen die Bindungswirkung beseitigenden Gehörsverstoß (BGH BeckRS 2014, 17303), zwingend erforderlich ist jedoch zur Wahrung rechtlichen Gehörs, dass der Beklagte, wie vorliegend nicht, die Möglichkeit hatte, sich zu der aufgeworfenen Zuständigkeitsfrage zu äußern. Eine Heilung des Verstoßes ist auch nicht deshalb anzunehmen, weil der Beklagte sich zunächst nicht zur örtlichen Zuständigkeit geäußert hat. Zwar wird in Rechtsprechung und Literatur erwogen, eine gegen das Gebot rechtlichen Gehörs verstoßende Verweisung dann als bindend anzusehen, wenn die Partei, deren Anspruch verletzt wurde, sich mit der Verweisung einverstanden erklärt (Thole in Stein/Jonas ZPO 23. Aufl. § 281 Rn. 58; Assmann in Wieczorek/Schütze § 281 Rn. 122). In dem bloßen Schweigen des Beklagten ist jedoch keine Zustimmung zu sehen (KG MDR 2008, 1120).
3. Dass die Beklagte im Bestimmungsverfahren erklärt hat, auf die Rüge der örtlichen Zuständigkeit zu verzichten, ist für die Entscheidung ohne Belang, da das angerufene Landgericht München I zuständig ist.
Örtlich zuständig ist daher das Landgericht München I. Dessen Verweisungsbeschluss hebt der Senat daher klarstellend auf.


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