Europarecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Schmerzensgeld, Verletzung, Haftung, Bemessung, Minderung, Zahlung, Anerkennung, Anspruch, Gesellschaft, Verfahren, Schmerzen, Ordnungsgeld, allgemeines Interesse, nationales Recht, faires Verfahren

Aktenzeichen  132 C 1263/21

Datum:
3.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 17050
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

Der Europäische Gerichtshof wird hiermit um Vorabentscheidung ersucht. Die Vorlage erfolgt zusammen und bis auf das Rubrum wortgleich mit einem weiteren Verfahren des vorlegenden Gerichts Aktenzeichen 132 C 737/22. Mit der Vorlage ist das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs ausgesetzt. Es erfolgt unter dem 03.03.2022
Vorabentscheidungsersuchen
Dem Europäischen Gerichtshof werden bezüglich der Auslegung der Datenschutzgrundverordnung (Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates) folgende Fragen zur Vorabentscheidung unterbreitet:
1. Ist Art. 82 der Datenschutz-Grundverordnung dahin auszulegen, dass dem Schadensersatzanspruch auch im Rahmen der Bemessung seiner Höhe kein Sanktionscharakter, insbesondere keine generelle oder spezielle Abschreckungsfunktion zukommt, sondern der Anspruch auf Schadensersatz nur eine Ausgleichs- und u.U. Genugtuungsfunktion hat?
2.a Ist für die Bemessung des. immateriellen Schadensersatzanspruchs als Verständnis davon auszugehen, dass der Schadensersatzanspruch auch eine individuelle Genugtuungsfunktion hat – hier verstanden als das im Privaten des Verletzten bleibende Interesse, das verursachende Verhalten geahndet zu sehen, oder kommt dem Schadensersatzanspruch nur eine Ausgleichsfunktion zu – hier verstanden als die Funktion, erlittene Beeinträchtigungen zu kompensieren?
2.b.1. Wenn davon auszugehen ist, dass dem immateriellen Schadenersatzanspruch sowohl Ausgleichs- als auch Genugtuungsfunktion zukommt: Ist bei seiner Bemessung davon auszugehen, dass die Ausgleichsfunktion einen strukturellen oder zumindest als Regel-Ausnahmeverhältnis zu sehenden Vorrang vor der Genugtuungsfunktion hat? Führt dies dazu, dass eine Genugtuungsfunktion nur bei vorsätzlichen ober grob fahrlässigen Verletzungen in Betracht kommt?
2.b.2. Wenn dem immateriellen Schadensersatzanspruch keine Genugtuungsfunktion zukommt: Führen bei seiner Bemessung nur vorsätzliche oder grob fahrlässige Datenschutzverletzungen als Beurteilung von Verursachungsbeiträgen zu zusätzlichem Gewicht?
3. Ist für das Verständnis des immateriellen Schadensersatzes in seiner Bemessung von einem strukturellen Rangverhältnis oder zumindest Regel-Ausnahme-Rangverhältnis auszugehen, bei dem das von einer Datenverletzung ausgehende Beeinträchtigungserleben weniger Gewicht hat als das mit einer Körperverletzung verknüpfte Beeinträchtigungs- und Schmerzerleben?
4. Steht einem nationalen Gericht offen, wenn von einem Schaden auszugehen ist, angesichts fehlender Schwere einen materiell nur im Geringfügigen bleibenden und damit u.U. von Verletztenseite oder allgemein nur als symbolisch empfundenen Schadensersatz zuzusprechen?
5. Ist für das Verständnis des immateriellen Schadensersatzes in der Beurteilung seiner Folgen davon auszugehen, dass ein Identitätsdiebstahl im Sinne des 75. Erwägungsgrundes der Datenschutz-Grundverordnung erst dann vorliegt, wenn tatsächlich ein Straftäter die Identität des Betroffenen angenommen hat, sich also in irgendeiner Form als der Betroffene ausgegeben hat, oder liegt schon im Umstand, dass inzwischen Straftäter über Daten verfügen, die den Betroffenen identifizierbar machen, ein solcher Identitätsdiebstahl?

Gründe

A. Vorgelegt werden die Fragen aufgrund von zwei weitgehend gleichgelagerten Fällen, die durch das vorlegende Gericht zu entscheiden sind.
Zum ersten Fall (Az. 132 C 1263/21): Der Kläger hatte einen Account bei einer von der Beklagten verantworteten Trading-App eröffnet und den notwendigen Mindestbetrag von mehreren Tausend Euro einbezahlt. Das Wertpapier-Depot wurde von einem Robo-Adviser geführt, so dass aus dem erfolgten Trading kein Profil der Risikobereitschaft des Klägers zu ersehen war. Allerdings waren einige persönliche Daten hinterlegt, die für die Authentifizierung des Klägers notwendig waren, insbesondere Name, Geburtsdatum, Adresse und eine nur für besonders geschützte Interessen verwendete Email-Adresse. Hinterlegt war auch eine digital gespeicherte Kopie des Personalausweises. Diese Daten und die Daten zum Depot selbst wurden unbestritten durch unbekannte Straftäter abgegriffen. Der Kläger wurde persönlich angehört und zu seinem Erleben angehört. Das Gericht geht jedenfalls von einer über Belanglosigkeit hinausgehende Sensitivität der „verlorenen“ Daten aus und nimmt an, dass dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch nach Art. 82 Datenschutz-Grundverordnung in Betracht kommt.
Zum zweiten der zu entscheidenden Fälle (Az. 132 C 737/22): Es handelt sich um denselben Datenvorfall, bei dem auch hier die persönlichen Daten des Klägers, insbesondere Name, Geburtsdatum, Adresse, Email-Adresse, Kopie des Personalausweises und Daten zum Depot, illegal abgerufen wurden. Der Kläger wurde noch nicht angehört, so dass Feststellungen zum persönlichen Erleben nicht getroffen sind. Das Gericht geht auch hier von einer über Belanglosigkeit hinausgehende Sensitivität der „verlorenen“ Daten aus und nimmt an, dass dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch nach Art. 82 Datenschutz-Grundverordnung in Betracht kommt.
B. Zur Begründung der Entscheidungserheblichkeit: Auslegungsfragen stellen sich für das vorlegende Gericht bei der Höhe eines zuzusprechenden Schadensersatzanspruches und hängt die Bemessung dessen von der Beantwortung der vorgelegten Fragen ab. Dabei ist dem vorlegenden Gericht bewusst, dass die Bemessung eine Abwägungsentscheidung ist, die sich aus den Elementen des Einzelfalles ergibt und eine Gesamtabwägung und damit Einzelfallentscheidung zwingend notwendig macht. Nachgesucht wird nicht darum, dass der Europäische Gerichtshof diese Abwägung vornimmt. Stattdessen wird für ein europaweit einheitlich zu bestimmendes Verständnis der Norm die grundsätzliche Relevanz von Abwägungsgesichtspunkten und deren Verhältnis zueinander erfragt, unter folgenden Gesichtspunkten:
1. Im Ausgangspunkt geht das vorlegende Gericht davon aus, dass dem Schädensersatzregime des Art. 82 Datenschutz-Grundverordnung ein Sanktionscharakter fremd ist, so dass die Frage, ob es ein allgemeines Interesse gibt, durch Abschreckung effektiv einer Wiederholung solcher Vorfälle für die Zukunft zu unterbinden, sei es generell durch ähnlich Verantwortliche, sei es speziell durch die Beklagte, bei der Bemessung des Schadensersatzes keine. Rolle spielt. Hierfür dient allein das Sanktionsregime, das in der Datenschutzgrundverordnung vorgesehen ist und ein Sanktionsinteresse ausreichend realisiert. In der Folge muss und darf sich das Zivilgericht mit Fragen systemischen Datenschutzes durch effektive Abschreckung nicht befassen, so dass Gesichtspunkte einer Abschreckung für die Bemessung des Schadensersatzes keine Rolle spielen.
Hintergrund dessen ist, dass es im nationalen Rechtsraum deutliche Rechtsprechungstendenzen gibt, bei der Bemessung von immateriellem Schadensersatz vorrangig Gesichtspunkte „effektiver Abschreckung“ zum Einsatz zu bringen und so den tatsächlichen persönlichen Folgen und der Qualität der verlorenen Daten zumindest keine vorrangige Bedeutung zuzumessen. So hat das dem vorlegenden Gericht übergeordnete Landgericht München I, das auch Berufungsinstanz ist, in erster Instanz bei einem ähnlich gelagerten Sachverhalt (Urteil vom 09.12.2021, Az. 31 O 16606/20, derzeit nicht rechtskräftig) ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.500 Euro zugesprochen, unter Berücksichtigung einer „gesetzgeberisch beabsichtigten abschreckenden Wirkung des Schadensersatzes“. Demgegenüber hatte bei demselben Datenschutzvorfall im Verfahren 132 C 1263/21 das vorlegende Gericht in Hinblick auf die dargestellten subjektiven Beeinträchtigungen eine vergleichsweise Regulierung mit 250 Euro vorgeschlagen, beruhend auf einer plausibel erwartbaren Endentscheidung in solcher Höhe. Schon die Annahmen dessen, was angemessener immaterieller Schadensersatz ist, gehen also bei praktisch gleichem Sachverhalt um eine 10er Potenz auseinander. Von Klägerseite im Verfahren 132 C 1263/21 ist das verfolgte Interesse mit 5.000 Euro beziffert, also mit dem 20fachen dessen, was das vorlegende Gericht bisher als Zuspruch erwogen hat. Betroffen sind von dem Datenverlust mehrere zehntausend Personen, was die Maßgeblichkeit der anzusetzenden Größenordnung für die Beklagte auf die Hand legt.
Gemessen an Art. 82 der Datenschutz-Grundverordnung hält das vorlegende Gericht eine Bemessung von immateriellem Schadensersatz unter Gesichtspunkten effektiver Abschreckung für grundlegend falsch, auch unter Berücksichtigung der übertragbaren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs im Verfahren EuGH C-407/14 (Arjona Camacho/Securitas Seguridad España), Urteil vom 17.12.2015. Dort war für die Frage der Umsetzung einer Richtlinie, deren effektive Geltung durch nationales Recht sicherzustellen war, entschieden worden, dass ein Sanktionsschadensersatz nicht anzunehmen ist, wenn dem nationalen Recht ein Strafschadensersatz fremd ist. Das Gericht versteht dann die Datenschutz-Grundverordnung so, dass auch diese grundlegend zwischen einem Sanktionsregime und einem Schadensersatzregime trennt, so dass auch dem Art. 82 der Datenschutz-Grundverordnung nach der Systematik der Verordnung kein Sanktionscharakter eigen ist. Stattdessen sieht das europäische Recht gerade keine Zahlung von Strafschadensersatz vor, sondern eröffnet als Bestrafung nur strafrechtliche Sanktion. Die Einführung eines Strafschadensersatzes ist dem europäischen Gesetzgeber vorbehalten und nicht erfolgt.
Ohne gesetzliche Bestimmung darf dann nach Auffassung des vorlegenden Gerichts auch kein Bestrafungscharakter von Schadensersatz angenommen werden, auch nicht als ein Abwägungsgesichtspunkt. Schon die Annahme eines Sanktionscharakters bei Bemessung des immateriellen Schadensersatzes ist mit dem auch im europäischen Recht geltenden Gesetzesvorbehalt nicht vereinbar. Maßgebliche Kriterien für gerichtliche Entscheidungen müssen durch Gesetz bestimmt sein, auch wenn die Abwägung dessen dann eine Frage des Einzelfalls sein kann. Zwar darf die Rechtsprechung Kriterien aus dem normierten Recht heraus entwickelt, aber Kriterien dürfen nicht ohne Gesetzesbezug erfunden werden. Abschreckung, also auf die Zukunft gerichtete Unterbindung durch bereits anfängliche Sanktion, hat aber keinen Kompensations-, sondern nur bestrafenden Charakter. Ein Schadensersatz, der auch mit Abschreckung begründet wird, ist auch Strafschadensersatz. Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts handelt es sich gemessen am geltenden europäischen Recht bei der Annahme eines Abschreckungscharakters des Schadensersatzes um eine Erfindung der Gerichte, die sich hierauf berufen.
Stattdessen führt die Annahme eines Strafschadensersatzes – auch wenn dies nur als ein Element der Abwägung berücksichtigt wird – zu nicht bemessbaren und deswegen nicht angemessenen Sanktionen, zumindest in einem solchen Fall wie dem vorliegenden. Durch die Vielzahl der von dem Datenvorfall Betroffenen ergibt sich eine Potenzierung solchen Schadensersatzes gerade in dem angenommenen Sanktionscharakter, der dann aber für das einzelne Gericht notwendig nicht überschaubar ist. Schon strukturell kann das einzelne Gericht die Sanktion nicht in Verhältnis zum Vorwurf setzen, wenn ein Datenvorfall vorzuwerfen ist, dieser eine Vielzahl von einzelnen Geschädigten betrifft, aber das Gericht nur über den Schaden eines Einzelnen zu befinden hat. Ein Vorfall, der 10.000 Personen betrifft, hat in der Sanktionierungswürdigkeit offensichtlich nicht das 10.000fache Gewicht zu einem Vorfall, der nur 1 Person betrifft. Die der Annahme eines solchen Zumessungsgesichtspunkts zugrunde liegende Vorstellung einer Skalierbarkeit der Gesamtsanktion herunter auf den einzelnen Fall ist stattdessen notwendig ohne Verhältnis zum Gesamtvorfall und damit unverhältnismäßig und willkürlich.
Teil der Auslegung ist nach Auffassung des vorlegenden Gerichts auch, dass der Zuspruch von Geldbeträgen, die kein Verhältnis mehr zu individuellem Erleben des Betroffenen haben, eine Kommerzialisierung erwarten lässt, wohl in Form einer durch Legal-Tech gekennzeichneten Vervielfältigung von Klagen, der auf staatlicher Seite schon systemisch nicht durch eine Vervielfältigung der Entscheidungsträger begegnet werden kann. Staatliches Entscheiden von zivilrechtlichen Streitigkeiten und damit auch das zutreffende Verständnis von Schadensersatznormen ist auf individuell gehaltenen Streit ausgerichtet, so dass unindividuelle Gesichtspunkte systemfremd sind und unbeachtlich bleiben müssen, wenn die Funktion individuell ausgerichteter Rechtspflege gesichert bleiben soll. So besteht bei Auslegung des Art. 82 Datenschutz-Grundverordnung auch ein überindividuelles Interesse des nationalen und europäischen Gemeinwesens, keine falschen Anreize für Klagewellen zu schaffen. Stattdessen liegt nahe, die Vertretung kollektiver Interessen einem vom Staat als Repräsentant des Gemeinwesens geführten Verfahren vorzubehalten, hier also dem staatlich geführten Sanktionsverfahren, in dem der Staat als Ankläger auftritt.
Dass Abschreckung durch Geldsanktion nur ein kollektives Interesse realisiert, zeigt sich zumindest im nationalen Recht dann auch an Folgendem: Auch ein Einzelner kann bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzung zukünftiges Unterlassen fordern und zu dessen Vollstreckung staatliche Sanktionsdrohung in Anspruch nehmen, kann also individuell Abschreckung bewirken. Aber auch hier fließt ein Ordnungsgeld bei Verstoß gegen das Unterlassungsgebot nicht dem Inhaber des Unterlassungsanspruchs zu, sondern dem Staat. Die Sanktion als solche, mit der abgeschreckt wird, also die Zahlung selbst, hat keinen den Berechtigten begünstigenden Charakter. Dies nimmt das vorlegende Gericht auch für das europäische Recht an.
2. Im Ausgangspunkt geht das Gericht in Anlehnung an nationales Recht davon aus, dass für immateriellen Schadensersatz zwei Komponenten in Betracht gezogen werden können, jeweils auf die individuell betroffene Partei bezogen, nämlich eine Funktion von Ausgleich und eine Funktion von Genugtuung.
Für Schmerzensgeld als typischem Fall eines immateriellen Schadens lassen sich diese Funktionen im nationalen Recht so skizzieren, dass „Ausgleich“ dazu dient, die erlittenen und absehbar zu erwartenden Folgen zu kompensieren, und „Genugtuung“ dazu dient, individuell das erlittene „Unrecht“ als revidiert zu erleben, also nicht nur die Folgen kompensiert zu sehen, sondern auch die aus betroffener Sicht der Verantwortung nicht gerecht werdende Verursachung. Insofern kann immaterieller Schadensersatz auch im Individuellen ein Moment besitzen, das einer Sanktionierung zu eigen ist. Auch „Genugtuung“ dient dann so verstanden dazu, ein persönliches Bedürfnis des Verletzten auszugleichen, das Erlittene „heimzuzahlen“, in weniger archaischen Begriffen dazu, verständliche Wut über eine erlittene Verletzung und das Empfinden notwendiger Vergeltung zu mindern, mittels Vermögenseinbuße und damit Vermögensbuße auf Seite des Verantwortlichen. Im deutschen Recht spielt dann eine solche Genugtuungsfunktion für die Bemessung eines Schmerzensgeldes eine weitgehend untergeordnete Rolle, weil aus unbeteiligter Sicht erlittene Folgen und Folgen für die Zukunft weit gewichtiger sind als Ursachen in der Vergangenheit. Bei Schmerzensgeldern hat Genugtuung eine nur modulierende und damit untergeordnete Funktion.
Anders ist dies bei Schadensersatz für Persönlichkeitsrechtsverletzungen, bei der Folgen für das unverkörperte Rechtsgut genauso unverkörpert bleiben, also nur subjektiv und nicht subjektiv-körperlich erlebt werden. Auch in solchen Fällen bemüht sich die Rechtsprechung, Formen der Objektivierbarkeit zu finden, also Formen, in denen sich die subjektiven Folgen verkörpert haben oder verkörpern lassen. So werden im nationalen Recht zur Herstellung einer zumindest grundlegenden Vergleichbarkeit Lizenzmodelle herangezogen, bei denen eine verletzende Rechtsverwendung – meist Rechte am eigenen Bild oder eigenen Wort – so bemessen wird, als ob die Verwendung lizensiert worden wäre und dann für den Umstand, dass dies nicht der Fall ist, die Lizenz beispielsweise verdoppelt wird. Sonst erfolgt bei fehlender Kommerzialisierbarkeit die Bemessung insbesondere nach Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und damit nach Ausmaß der Verbreitung, der Veröffentlichung, die Nachhaltigkeit und Fortdauer der Interessen- oder Rufschädigung des Verletzten, ferner nach Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie dem Grad seines Verschuldens. Auf abstrakter Ebene dessen wird versucht, subjektive Betroffenheit zu bemessen danach, was sich als Gegebenheit zumindest im Grunde beobachten und damit „objektivieren“ lässt: Bemessbare Verbreitung als Folgen, festgestelltes Verletzerverhalten als beobachtbare Ursache und als dessen Bewertung die Bemessung an üblichen und damit beobachtbaren Erwartungen u.ä. mehr. Allerdings werden dann im nationalen Recht auch hier Gesichtspunkte einer Genugtuung des Verletzten für den erlittenen Eingriff und Zwecke einer General- und Spezialpräventionen im Rahmen der Gesamtwürdigung als Gesichtspunkte berücksichtigt. Auch geht eine neuere Rechtsprechungsentwicklung dahin, nicht Ausgleich, sondern Genugtuung als zentralen Zumessungsgesichtspunkt einer Persönlichkeitsverletzung zu sehen, so dass ein Versterben des Anspruchinhabers mangels Erlebens einer staatlichen Entscheidung die Genugtuungsfunktion unerfüllbar mache, was zum Hinfälligwerden des Anspruchs führe.
Das Gericht hält für sinnvoll, einer Genugtuungsfunktion keine rechtliche Bedeutung zuzusprechen. Letztlich ist schon die Vorstellung, individuell empfundene Genugtuung sei mit staatlicher Entscheidung gewährleistet, eine grundsätzliche Verkennung dessen, was zivilrechtliche Kompensation bedeutet. Das Zusprechen von Schadensersatz dient nicht der Genugtuung des Geschädigten, also dem Erleben einer Ahndung. Der Staat verkörpert im Zivilrecht nicht die Interessen einer Seite, die erst er als Staat realisiert. Der Staat verkörpert das gemeinsam und von vorneherein geltende Recht und bringt so Streit zum Ausgleich. Schadensersatz dient dann im Immateriellen auch der Anerkennung einer „Berechtigung“ feindlichen und aggressiven Empfindens eines Geschädigten, das auch in einer gewaltarmen Gesellschaft als Empfinden berechtigt ist, wenn es eine verständliche Reaktion auf gefährdendes und dann verletzendes Verhalten darstellt. Nicht die staatliche Entscheidung macht solches Empfinden berechtigt. Das Empfinden ist von Anfang an berechtigt und ist damit als Beschwernis von Anfang an kompensationswürdig. Der Schadensersatz dient nicht der Erfüllung eines Vergeltungsbedürfnisses, sondern einer Kompensation solcher schon für sich genommen als Belastung empfundenen und als Belastung zu verstehenden Emotionen. So ist „Genugtuung“ durch staatliches Entscheiden nur ein Effekt der Ausgleichsfunktion, die dem Anspruch und nicht der Entscheidung innewohnt. Genugtuung ist kein Eigenwert, sondern Konsequenz von erfolgendem Ausgleich. Genugtuung ist Verfahrenseffekt und Ausgleich ist das materiell-rechtliche. Das einzige, was die staatliche Streitentscheidung verändert, ist die Erwartung an die Zukunft und zwar auch an den Berechtigten, nämlich dass mit dem Zusprechen eines angemessenen finanziellen Vorteils soweit Ausgleich hergestellt ist, dass zukünftiges Vergeltungsbedürfnis ab dann nicht mehr berechtigt ist.
Bei solchem Verständnis dient der zivilrechtliche Zuspruch von immateriellem Schadensersatz nicht dazu, ein Verschulden zu ahnen, sondern kompensiert ein etwa durch vorsätzlich begangene Taten erhöhtes Verletzungsempfinden, weil es subjektiv einen Unterschied macht – und zwar für Außenstehende nachvollzieh- und damit objektivierbar -, ob man sich verletzendes Verhalten etwa als absichtlich erklären muss oder als unabsichtlich erklären kann. Eine solche Berechtigung eines Empfindens lässt sich anders als das Empfinden selbst nach objektiven Kriterien bemessen, so dass Empfinden in einem „vernünftigen“ Bezug zum beobachtbaren Anlass stehen muss. Darin spiegelt sich, dass das gesamte Rechtssystem darauf zielt, das Rechtsempfinden der Streitenden als berechtigt oder unberechtigt zu objektivieren. Für sich genommen ist „Genugtuung“ nicht objektivierbar und sollte als Kriterium nicht zu berücksichtigen sein. Die Unbeachtlichkeit einer „Genugtuungsfunktion“ führt zum Vorrang objektivierbarer Umstände, wie Sensitivität der Daten, Umfang des Datenverlusts, beobachtbare Folgen, drohende Risiken weiteren Datenmissbrauchs der bereits kompromittierten Daten u.ä.
Allerdings bleibt auch dann die Frage der Bemessbarkeit und Gewichtigkeit von „berechtigter“ Wut. Das vorlegende Gericht geht davon aus, dass ohne vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten des Datenschutzverpflichteten ein Empfinden dessen als besonders vorwerfbare Verletzung nicht „berechtigt“ ist, so dass nur die ohnehin festzustellenden, mit anderen Fällen als solches vergleichbaren Folgen bei der Bemessung beachtlich sind.
3. Hintergrund der dritten Frage ist, dass es im deutschen Recht keine festen Schadensersatzkataloge gibt, sondern sich die jeweilige Höhe nach Gesichtspunkten des Einzelfalls bestimmt. Dabei ergeben sich aber durch eine Vielzahl von Einzelentscheidungen und dem jeweiligen gerichtlichen Bemühen, Vergleichbarkeit zu wahren, Bereiche dessen, was unter Gesichtspunkten einer Vergleichbarkeit in den Kompensationsbeträgen nach oben und unten noch oder nicht mehr vertretbar ist, gemessen an Maßgeblichkeit und Schwere einzelner Gesichtspunkte. Insofern gibt es mit der Vielzahl von Einzelentscheidungen zumindest einen Bezugsrahmen, der die ungefähre Verortung in einer Form von Skala erlaubt. So ist für den Bereich von Schmerzensgeldansprüchen in seinen Grundzügen eine Entschädigung in ihrer Höhe in etwa ablesbar. Beispielsweise wäre das von Klägerseite als Entschädigung beanspruchte Interesse von 5.000 Euro als Schmerzensgeld gerechtfertigt bei einem aufgrund Verkehrsunfall erlittenen Schädel-Hirn-Trauma, Nasenbeinfraktur, Oberarmfraktur mit notwendiger Operation und Dauer einer Krankschreibung von nahezu fünf Monaten, und anderen Fällen mit ähnlichen Verletzungsfolgen. Die Vielzahl der Entscheidungen hat zu einer Form von Systematisierbarkeit geführt. Für Persönlichkeitsrechtsverletzungen im nationalen Recht fehlen dann für den gegebenen Sachverhalt anknüpfbare Sachentscheidungen, weil solche Persönlichkeitsverletzungen im deutschen Recht nur bei besonderer Schwere zu Ausgleichsansprüchen führen. Auch für Datenschutzverstöße fehlen solche Bezugsentscheidungen, weil die meisten Entscheidungen aufgrund des nach Auffassung des vorlegenden Gerichts verfehlten Zusprechens unter Abschreckungsgesichtspunkten ungeeignet sind.
Entscheidungserheblich erscheint Folgendes: Für eine Verortung und darin Wahrung von unähnlichem Gewicht hält das vorlegende Gericht für angezeigt, im Zusprechen von immateriellem Schadensersatz für eine Datenschutzverletzung Abstand zu wahren zu den im Bereich von Körperverletzungen zugesprochenen Schmerzensgeldern.
a. Dies ergibt sich zum einen schon durch Anwendung von grundlegenden gemeinsamen Kriterien wie Dauer eines Beeinträchtigungserlebens und Maß persönlicher Beeinträchtigung im Alltag, die dann regelmäßig schon im Tatsächlichen bei einer Datenrechtsverletzung ein geringeres Beeinträchtigungserleben darstellen. Als Regel ist zu erwarten und damit „berechtigte“ Annahme ist, dass Datenverlust im Grundsatz subjektiv weniger betroffen macht als eine Körperverletzung.
b. Zudem geht das vorlegende Gericht von einem beachtlichen strukturellen Unterschied aus. Dies beruht auf der Annahme, dass bei Körperverletzungen das Schmerzempfinden und die erlittene subjektive Selbstbildverletzung strukturell oder zumindest regelmäßig deutlich unmittelbarer erlebt werden, weil sich im Vergleich dazu unverkörperte, nur subjektive Befürchtungen durch emotionale Selbstkontrolle (bei gesunder. Emotionalität) deutlich leichter regulieren lassen als ein Schmerzempfinden und deswegen regelmäßig weniger belastend zu bewerten sind. Zudem sind Schmerzen mit einer körperlichen Beeinträchtigung und der Notwendigkeit eines Heilungsprozesses verbunden, und stellen so auch eine objektivierbare, nicht im rein Subjektiven verbleibende Beeinträchtigung dar. Gleichzeitig sind Körperverletzungen unter genau solchen Gesichtspunkten deutlich unterschiedlich zu der rein im Subjektiven und damit Immateriellen bleibenden Verletzung eines körperlosen Rechtsguts, so dass sich fragt, ob eine solche bezugnehmende Verortung mangels prinzipieller Vergleichbarkeit der Rechtsgüter verfehlt erscheint. Auf der Hand liegt, dass ein Recht auf Wahrung der Integrität der eigenen Daten und ein Recht auf Wahrung körperlicher Integrität nicht völlig gleich ist.
Das vorlegende Gericht sieht aber dennoch Vergleichbarkeit, schon deswegen, weil jede immaterielle Beeinträchtigung, die nicht kommerzialisiert ist, nur über die Nachvollziehbarkeit subjektiven Empfindens bemessbar ist. Zwar unterscheiden sich Datenverletzungen und Körperverletzungen darin, dass Datenverletzungen nicht wieder „heilen“. Aber sowohl Datenschutzverletzungen als auch körperliche Verletzungen werden als Belastungen empfunden. Dann werden im Vergleich Schmerzen und körperliche Beeinträchtigungen regelmäßig existentieller und damit intensiver erlebt, und sind damit „objektiv“ – im Sinne eines unbeteiligten Nachvollziehens – gewichtiger. Zwar kann bei entsprechender Sensitivität der Daten und Traumatisierung des sozialen Netzes des Betroffenen im Fall eines Datenmissbrauchs solches Erleben intensiver belastend sein als eine einfache Körperverletzung. Aber bei ähnlicher Erlebensintensität hätte ein Datenverlust nach Auffassung des vorlegenden Gerichts geringeres Gewicht, weil es sich nur um ein Beeinträchtigungs-, aber nicht um ein Schmerzerleben handelt.
4. Hintergrund der vierten Frage ist, dass nach nationalem deutschen Recht unterschieden wird zwischen Normen, die Haftung begründen, und Normen, die eine begründete Haftung ausfüllen. Dann kann zwar Haftung begründet sein, aber Haftungsausfüllung theoretisch zu einem mit 0 Euro zu bemessenden Schadensersatz führen. Dies spielt im zu entscheidenden Fall eine Rolle, weil die dargestellten subjektiven Beeinträchtigungen nach dem Eindruck der persönlichen Anhörung des Klägers im Verfahren 132 C 1263/21 wenig persönliches Gewicht besaßen, und sich schon deswegen Fragen nur geringfügiger Entschädigung und damit „bloßer Symbolhaftigkeit“ stellen. Gleichzeitig erscheint ein Betrag von 250 Euro nur aus privilegierter Sicht als bloß symbolhafter Betrag, so dass sich fragt, ob die Vermeidung „bloßer Symbolhaftigkeit“ überhaupt ein rechtlich relevantes Argument darstellt.
Das vorlegende Gericht geht davon aus, dass es nicht Aufgabe eines Zivilgerichts ist, immaterielle Werte nach einem zu abstrakten und damit inoperablen und willkürlichen „Symbolwert“ zu monetarisieren. Das Gericht hält stattdessen für naheliegend, bei geringfügigen Verletzungen keine Mindestsumme als symbolische Untergrenze anzunehmen, so dass auch Entschädigungszumessungen offenstehen, die gemessen an den Entgeltungsvorstellungen der Klägerseite als vollständiges oder praktisch vollständiges Unterliegen anzusehen sind.
5. Hintergrund der fünften Frage ist, dass im Vortrag der Parteien unterschiedliches Verständnis anklingt, was einen Identitätsdiebstahl darstellt, wovon ein Teil der Folgenbemessung abhängt.
Nach Auffassung des Gerichts liegt ein Identitätsdiebstahl erst vor, wenn jemand die illegal gewonnenen Daten verwendet, um die Identität des Betroffenen vorzutäuschen.
C. Anmerkungen:
1.Das vorlegende Gericht geht davon aus, dass eine „Äquivalenzfunktion“, die in Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zum Ausdruck kommt, und eine „Ausgleichsfunktion“ wie hier angenommen identische Bedeutung haben, da der „Ausgleich“ einen Zustand herbeiführen soll, der „äquivalent“ ist zu einem gedachten Zustand ohne Verletzung.
2.Das vorlegende Gericht sieht die vorgelegten Fragen thematisch verwandt, aber nicht identisch mit den Vorlagefragen des Obersten Gerichtshofs der Österreichischen Republik (ÖOGH) im Beschluss vom 15.4.2021 – österreichisches Aktenzeichen 6 Ob 35/21x.s


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