Europarecht

Sondernutzungsgebühr für Absperrvorrichtungen; Zuständigkeit; Ausnahmegenehmigung

Aktenzeichen  3 C 6/13

Datum:
11.12.2014
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2014:111214U3C6.13.0
Normen:
§ 32 Abs 1 StVO
§ 46 Abs 1 S 1 Nr 8 StVO
§ 8 Abs 6 FStrG
§ 19 S 1 StrG ND
§ 19 S 2 StrG ND
§ 19 S 3 StrG ND
Spruchkörper:
3. Senat

Leitsatz

Das Verbot des § 32 Abs. 1 Satz 1 StVO, Gegenstände auf Straßen zu bringen oder dort liegen zu lassen, wenn dadurch der Verkehr gefährdet oder erschwert werden kann, richtet sich auch an Nichtverkehrsteilnehmer.

Verfahrensgang

vorgehend OVG Lüneburg, 17. Januar 2013, Az: 7 LB 193/11, Urteilvorgehend VG Lüneburg, 20. Mai 2011, Az: 4 A 196/10

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen die Erhebung von Sondernutzungsgebühren.
2
Im Januar 2007 wurde das Gebäude „…“ in D., dessen Eigentümer und Besitzer der Kläger war, bei einem Brand schwer beschädigt. Der Kläger sicherte das Gebäude mit Betonsockeln und einem Bauzaun ab; dadurch wurden die umliegenden Gehwege und darüber hinaus Teile der Fahrbahn auf einer Fläche von 196 m² dem Verkehr entzogen.
3
Im März 2007 gab der Landkreis … dem Kläger gestützt auf § 45 StVO auf, zur Sicherung Verkehrszeichen und -einrichtungen nach den beigefügten Verkehrszeichenplänen anzubringen. Der Bescheid enthielt die Anordnung, ausreichende Schutzmaßnahmen für den Fußgängerverkehr zu treffen, wenn sich die Arbeiten auch auf Gehwege oder Gehstreifen erstrecken sollten. Außerdem wurde darauf hingewiesen, dass für alle Baumaßnahmen, die nicht Herstellungs- oder Unterhaltungsmaßnahmen an der Straße selbst seien, vor Einrichtung der Arbeitsstelle zusätzlich noch eine Sondernutzungserlaubnis des Straßenbaulastträgers erforderlich sei.
4
Die Beklagte erteilte dem Kläger gestützt auf § 3 ihrer Sondernutzungssatzung mit Bescheid vom 20. Oktober 2009, der Gegenstand des (Parallel-)Verfahrens – 3 C 7.13 – ist, die Erlaubnis, in der Zeit vom 1. Oktober 2009 bis zum 31. Dezember 2009 den Straßenraum (Verkehrsfläche, Gehweg) vor dem Gebäude für die Aufstellung von Betonsockeln und Absperreinrichtungen zu nutzen. Für die Nutzung der Fläche von 196 m² setzte die Beklagte gestützt auf ihre Sondernutzungsgebührensatzung eine Sondernutzungsgebühr in Höhe von 1 505,28 € fest.
5
Die Samtgemeinde E. gab dem Kläger mit straßenverkehrsbehördlicher Anordnung vom 19. November 2009 nochmals auf, zur Absicherung Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen, darunter Warnleuchten anzubringen. Diese Verfügung enthielt wieder den Hinweis auf das Erfordernis einer zusätzlichen Sondernutzungserlaubnis.
6
Mit dem hier betroffenen Bescheid vom 7. Juni 2010 erteilte die Beklagte dem Kläger gemäß § 3 ihrer Sondernutzungssatzung eine weitere Erlaubnis, den Straßenraum (Verkehrsfläche und Gehweg) vor dem Gebäude für das Aufstellen von Betonsockeln und Absperrvorrichtungen zu nutzen; diesmal für die Zeit vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2010. Für die Nutzung setzte die Beklagte eine Sondernutzungsgebühr in Höhe von 6 021,12 € fest.
7
Auf die allein gegen die Gebührenerhebung erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht die Festsetzung der Sondernutzungsgebühr aufgehoben. Zur Begründung heißt es: Die Erhebung durch die Beklagte sei wegen deren fehlender sachlicher Zuständigkeit rechtswidrig. Für die Nutzung der öffentlichen Verkehrsflächen durch Betonsockel und Bauzaun, die Verkehrshindernisse im Sinne von § 32 Abs. 1 Satz 1 StVO seien, wäre eine Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 StVO erforderlich gewesen. Deshalb habe nach § 19 Satz 1 des Niedersächsischen Straßengesetzes (NStrG) die Zuständigkeit für die Erhebung der Sondernutzungsgebühren nicht bei der Beklagten, sondern bei der Straßenverkehrsbehörde gelegen. Für die Anwendung dieser Bestimmung sei unerheblich, dass keine straßenverkehrsrechtliche Ausnahmegenehmigung erteilt worden sei; nach dem Wortlaut von § 19 Satz 1 NStrG komme es allein darauf an, ob eine solche Genehmigung objektiv erforderlich sei.
8
Die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen. Es verweist auf die Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung und führt ergänzend aus: Dem Kläger sei der Einwand der sachlichen Unzuständigkeit der Beklagten nicht deshalb abgeschnitten, weil er nur die Festsetzung der Sondernutzungsgebühr, nicht aber auch die Erteilung der Sondernutzungserlaubnis angefochten habe. Gemäß § 21 NStrG werde die Sondernutzungsgebühr nicht für den Vorgang der Erlaubniserteilung, sondern für die Tatsache der Sondernutzung erhoben. Die Erteilung der Sondernutzungserlaubnis schließe nicht eine in Bestandskraft erwachsene Feststellung ein, dass für das Aufstellen von Betonsockeln und Absperrvorrichtungen keine Ausnahmegenehmigung nach dem Straßenverkehrsrecht erforderlich sei. Im Bescheid werde die Frage eines solchen Erfordernisses nicht geprüft und erst recht nicht entschieden. Das Verwaltungsgericht habe zutreffend angenommen, dass für die Aufstellung der Betonsockel und Absperreinrichtungen eine Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 i.V.m. § 32 Abs. 1 StVO erforderlich gewesen wäre. Der Senat teile nicht die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs München, Hindernisse, die nicht ein Verkehrsteilnehmer, sondern ein Anlieger im Rahmen einer straßenrechtlichen Sondernutzung auf die Straße gebracht habe, würden nicht von § 32 Abs. 1 StVO erfasst. Die Anwendungsbereiche für eine straßenverkehrsrechtliche Ausnahmegenehmigung und eine straßenrechtliche Sondernutzungserlaubnis seien auch nicht – wie der Verwaltungsgerichtshof Mannheim meine – danach abzugrenzen, ob die freizugebende Handlung dem Schwerpunkt nach unter dem Blickwinkel der Abwehr von Gefahren für den Straßenverkehr oder wegen einer Überschreitung des Gemeingebrauchs (Sondernutzung) bedenklich sei. Dem Problem, praktisch in allen Fällen einer Sondernutzung zu verkehrsfremden Zwecken eine Ausnahmegenehmigung der Straßenverkehrsbehörde einholen zu müssen, könne durch eine verständige Subsumtion des Einzelfalls begegnet werden. Unter Berücksichtigung der Widmung der Straße, der konkreten Funktion der betroffenen öffentlichen Verkehrsflächen, der Zweckbestimmung des dorthin verbrachten Gegenstandes und der voraussichtlichen Verbleibdauer sei für jeden Einzelfall zu beurteilen, ob dieser Gegenstand ein Verkehrshindernis im Sinne von § 32 Abs. 1 StVO darstelle. Es liege auf der Hand, dass das bei einem Bauzaun anzunehmen sei, zumal wenn er teilweise den Bürgersteig in voller Breite in Anspruch nehme. Danach habe der Beklagten gemäß § 19 Satz 2 und 3 NStrG die sachliche Zuständigkeit für die Erhebung der Sondernutzungsgebühr gefehlt. Damit scheide zugleich eine Anwendung von § 46 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 NVwVfG aus.
9
Zur Begründung ihrer – vom Berufungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen – Revision macht die Beklagte geltend: Das Verbot des § 32 Abs. 1 StVO gelte entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nur für Verkehrsteilnehmer. Außerdem bestünden Zweifel an der Annahme des Berufungsgerichts, die Betonsockel und Absperreinrichtungen seien Verkehrshindernisse im Sinne von § 32 Abs. 1 StVO. Sie seien zum Schutz von Verkehrsteilnehmern aufzustellen gewesen und hätten nicht beseitigt werden können, ohne damit zugleich eine neue und größere Gefahr zu schaffen. Danach gehe es nur um eine genehmigungspflichtige Sondernutzung, für die nach § 18 NStrG eine Sondernutzungsgebühr anfalle. Für deren Erhebung sei sie – die Beklagte – sachlich zuständig gewesen. Die vorinstanzlichen Urteile führten dazu, dass praktisch für alle Sondernutzungen zu verkehrsfremden Zwecken, also etwa für das Aufstellen von Tischen, Stühlen und Sonnenschirmen einer Außenrestauration, eine straßenverkehrsrechtliche Ausnahmegenehmigung erforderlich werde. Für Sondernutzungserlaubnisse verbliebe damit kein Anwendungsbereich, was nicht gewollt sei. Rechtsunsicherheiten seien vermeidbar, wenn man der einschränkenden Auslegung des Verwaltungsgerichtshofs München folge. Jedenfalls ergebe sich ihre sachliche Zuständigkeit für die Gebührenerhebung aus der Bestandskraft der erteilten Sondernutzungserlaubnis. Insofern verletze das Berufungsurteil § 43 Abs. 1 Satz 2 VwVfG i.V.m. § 1 NVwVfG.
10
Der Kläger tritt der Revision entgegen und verteidigt das angegriffene Urteil.
11
Der Vertreter des Bundesinteresses trägt vor, der Anwendungsbereich von § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 und § 32 Abs. 1 StVO beschränke sich nicht auf Verkehrsteilnehmer, sondern erfasse auch Anlieger, die im Rahmen einer Sondernutzung Hindernisse zu verkehrsfremden Zwecken auf die Straße brächten. Mit dem Bundesministerium für Verkehr und Infrastruktur sei er außerdem der Auffassung, dass in den Fällen, in denen der Anlieger durch eine Sondernutzungserlaubnis vom Verbot der Hindernisbereitung auf der Straße befreit sei, eine zusätzliche straßenverkehrsrechtliche Ausnahmegenehmigung nur dann erforderlich sei, wenn der Regelungsgehalt einer solchen fiktiven Ausnahmegenehmigung über die Reichweite der Sondernutzungserlaubnis hinausgehe.


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