Europarecht

Sprengstofferlaubnisschein, Widerruf, Waffenbesitzkarte, Persönliche Unzuverlässigkeit, Unverschlossenes Aufbewahren von Sprengstoff, verneint, Unsachgemäßer Umgang mit Sprengstoff, verneint („situative Nachlässigkeit“ aufgrund der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls), Waffenrechtliche Unzuverlässigkeit aufgrund gröblicher Verstöße gegen die Vorschriften des SprengG

Aktenzeichen  Au 8 K 20.555 ; Au 8 K 20.556

Datum:
23.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 12289
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SprengG § 34 Abs. 2 S. 1
SprengG § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 lit. b, § 8a Abs. 1 Nr. 2 lit. b
SprengG § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Verfahren Au 8 K 20.555 und Au 8 K 20.556 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Der Bescheid des Beklagten vom 20. Februar 2020, Az. …, wird aufgehoben.
III. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zutragen.
IV. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über die beiden Klagen konnte nach Verbindung der Klagen nach § 93 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gemeinsam entschieden werden.
Der Bescheid des Beklagten vom 20. Februar 2020, mit dem die Erteilung einer Waffenbesitzkarte und die Erteilung eines Sprengstofferlaubnisscheins widerrufen worden sind sowie die Klägerin zur Abgabe der Waffenbesitzkarte bzw. des Erlaubnisscheins verpflichtet worden ist, ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die vom Beklagten bejahte persönliche Unzuverlässigkeit der Klägerin zum Umgang mit explosionsgefährlichen Stoffen liegt nicht vor, ebenso wenig ein gröblicher Verstoß gegen die sprengstoffrechtlichen Vorschriften. Der angefochtene Bescheid war deshalb aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Der Beklagte hat den Widerruf des erteilten Sprengstofferlaubnisscheins auf die fehlende Zuverlässigkeit der Klägerin gestützt. Der Beklagte geht insoweit davon aus, dass die Klägerin das in ihrem Wohnhaus am 30. November 2019 von der Polizei vorgefundene Gebinde mit 593 g Schwarzpulver, das auf einem Waffenschrank in einem frei zugänglichen Nebenraum des Wohngebäudes der Klägerin abgestellt war, dort unversperrt aufbewahrt hat. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in den mündlichen Verhandlungen vom 13. Oktober 2020 und vom 23. März 2021 ist das Gericht entgegen der Auffassung des Beklagten davon überzeugt, dass ein unversperrtes Aufbewahren des Sprengstoffs nicht vorgelegen hat, da die Klägerin in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Auffinden des Sprengstoffs mit diesem beschäftigt und der Sprengstoff somit nur kurzfristig unversperrt abgestellt gewesen ist.
a) Der erteilte Sprengstofferlaubnisschein ist nach § 34 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über explosionsgefährliche Stoffe (Sprengstoffgesetz – SprengG) zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Durch diese Rechtsgrundverweisung auf § 8 SprengG setzt der Widerruf voraus, dass der Inhaber des erteilten Sprengstofferlaubnisscheins nicht mehr die erforderliche Zuverlässigkeit i.S.d. § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 lit. b i.V.m. § 8a Abs. 2 Nr. 2 lit b SprengG besitzt. Vorliegend sieht der Beklagte diese tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt, da die im Zusammenhang mit den polizeilichen Ermittlungen am 30. November 2019 festgestellten Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Klägerin mit explosionsgefährlichen Stoffen nicht vorsichtig oder sachgemäß umgeht oder diese nicht sorgfältig aufbewahrt.
b) Das vom Beklagten bejahte unsorgfältige Aufbewahren des Sprengstoffs durch die Klägerin liegt nicht vor.
aa) Unstreitig stand zum Zeitpunkt der polizeilichen Ermittlungen am 30. November 2019 auf dem Waffenschrank im unbewohnten Nebenzimmer des Wohnhauses der Klägerin ein Gebinde mit Schwarzpulver, das somit frei zugänglich gewesen ist. Dieses Abstellen des Gebindes auf dem Waffenschrank stellt jedoch kein (unsorgfältiges) Aufbewahren dar, da die Klägerin nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zum damaligen Zeitpunkt mit dem Abfüllen des Sprengstoffes beschäftigt gewesen ist.
bb) Das Aufbewahren des Sprengstoffs setzt nach dem Wortsinn voraus, dass der Sprengstoff nicht nur kurz abgestellt wird, sondern über einen nicht unerheblichen Zeitraum an einem Ort verwahrt wird und dort auch für einen gewissen Zeitraum verbleiben soll.
Dies ist nach der Einlassung der Klägerin gerade nicht der Fall gewesen. Die Klägerin hat nachvollziehbar dargelegt, dass sie an dem fraglichen Tag mit dem Reinigen des Böllergeräts und dem Verarbeiten von Sprengstoff im Rahmen der Vorbereitung für eine spätere Nutzung des Böllergeräts beschäftigt gewesen ist. Aufgrund des Eintreffens der Polizei an ihrem Wohnhaus hat sie das Abfüllen des Sprengstoffs unterbrochen und ist zur Haustür des Wohnhauses gegangen. Dabei ist für die Beurteilung in diesem Zusammenhang unerheblich, ob die Klägerin selbst die Haustüre geöffnet hat, oder ob dies ihr Sohn war und sie selbst etwas später dazu gekommen ist. Denn in beiden Fällen sollte der Sprengstoff gerade nicht in dem Nebenraum (unverschlossen) verwahrt werden, sondern sollte nach dem Ende der Abfülltätigkeit wieder in den dafür vorgesehenen Aufbewahrungsort, einem Nebengebäude auf dem klägerischen Grundstück, verbracht und dort dann verwahrt werden.
Die Feststellungen der beiden vor Ort am 30. November 2019 tätigen Polizisten widerlegen diese Einlassung der Klägerin nicht. Die im Rahmen eines Körperverletzungsdelikts ermittelnden Beamten haben zwar das Gebinde mit Sprengstoff unverschlossen auf dem Waffentresor stehend vorgefunden. Aus dieser Feststellung lässt sich aber kein zwingender Rückschluss auf eine (unterbrochene) Nutzung oder eine (unverschlossene) Aufbewahrung des Sprengstoffs ziehen. Denn die Frage, was die Klägerin mit dem Sprengstoff im Zeitpunkt des Eintreffens der Polizei am Wohnhaus der Klägerin getan hat, war nach den Aussagen der ermittelnden Polizisten gerade nicht Gegenstand ihrer Feststellungen bzw. wurde von der Klägerin im Rahmen ihrer Anhörung vor Ort auch bereits im erstgenannten Sinn beantwortet. Soweit sich die beiden als Zeugen in der mündlichen Verhandlung vernommenen Polizisten überhaupt im Detail an den Vorgang noch erinnern konnten, wurde von ihnen vor Ort keine Ermittlungen hinsichtlich des Umgangs mit dem Sprengstoff vorgenommen. Ob die Klägerin den Polizisten eventuell bereits vor Ort mitgeteilt hatte, dass sie mit dem Abfüllen des Sprengstoffs beschäftigt gewesen ist, konnte von den Zeugen nicht mehr erinnert werden.
cc) Da die nachvollziehbare Einlassung der Klägerin von ihrem Sohn, der als Zeuge zum Geschehensablauf vernommen worden ist, bestätigt wurde und an der Glaubwürdigkeit dieser Zeugenaussage keine Zweifel aufgekommen sind, ist zur Überzeugung der Kammer gerade kein unzulässiges Aufbewahren des Sprengstoffs durch die Klägerin gegeben. Die Klägerin hat den Sprengstoff an dem fraglichen Tag nicht in dem unbewohnten Nebenraum des Wohnhauses unverschlossen aufbewahrt, der Sprengstoff war dort nur kurzzeitig unverschlossen abgestellt.
c) Dieses unverschlossene Abstellen führt entgegen der Ansicht des Beklagten auch nicht dazu, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 lit. b i.V.m. § 8a Abs. 2 Nr. 2 lit. b SprengG zu bejahen, weil damit nicht die Annahme gerechtfertigt ist, dass die Klägerin mit dem Sprengstoff unvorsichtig oder nicht sachgemäß umgeht.
aa) Da die Klägerin das Gebinde mit dem Sprengstoff unverschlossen auf dem Waffenschrank abgestellt, den Nebenraum zum Öffnen der Haustüre und während der polizeilichen Ermittlungen verlassen hatte, ist der Beklagte insoweit der Auffassung, dass in diesem Zeitraum der Sohn oder die Mutter der Klägerin als Mitbewohner Zugang zu dem unverschlossen abgestellten Sprengstoff gehabt hätten und dies bereits für die Bejahung der Unzuverlässigkeit der Klägerin zum Umgang mit Sprengstoff ausreichend ist.
bb) Diese Auffassung verkennt zum einen, dass die Klägerin während der polizeilichen Ermittlungen durchgehend im Wohnhaus anwesend gewesen ist. Nach den Aussagen der beiden als Zeugen vernommenen Polizisten hat sich die Klägerin entweder im Hausflur oder in dem unmittelbar anschließenden Wohnraum aufgehalten, ein Zugriff durch die Mitbewohner, ohne dass dies von der Klägerin oder auch den anwesenden Polizisten bemerkt worden wäre, ist bereits deshalb tatsächlich auszuschließen.
Unabhängig davon aber wäre – ein von allen Anwesenden unbemerkter Zutritt des Sohns oder Mutter der Klägerin zum Nebenraum vorausgesetzt – dieses Verhalten nur als einmalige „situative Nachlässigkeit minderen Gewichts“ (VG Trier, U.v. 20.5.2020 – 2 K 124/20.TR – juris Rn. 25) zu bewerten, die die Annahme des nicht vorsichtigen oder nicht sachgemäßen Umgangs mit Sprengstoff nicht trägt.
Zwar ist auch eine nur kurzfristige Nachlässigkeit im Hinblick auf die Gefährlichkeit von Sprengstoff geeignet, die persönliche Unzuverlässigkeit des Betroffenen zu begründen. Aufgrund der vom Sprengstoff ausgehenden erheblichen Gefahren für hochrangige Rechtsgüter ist insoweit die Hinnahme eines Restrisikos grundsätzlich nicht gerechtfertigt (vgl. zu der vergleichbaren Wertung zur fehlenden Zuverlässigkeit im Waffenrecht: BayVGH, B.v. 31.7.2015 – 21 B 15.1156 – juris Rn. 12).
Allerdings ist vorliegend bereits zum einen zu berücksichtigen, dass zum Verhalten der Klägerin beim Beklagten keine irgendwie gearteten anderweitigen Erkenntnisse vorliegen, die auf einen unvorsichtigen Umgang mit Sprengstoff (oder Waffen) hindeuten. Vielmehr sind die Aufbewahrung der Waffen im geschlossenen Waffenschrank, die Verwahrung des beim Abfüllen des Sprengstoffs übrig gebliebenen Reste im verschlossenen Waffenschrank und die Aufbewahrung des genutzten Sprengstoffs in einem unbewohnten Nebengebäude im Gegenteil als Tatsachen geeignet, von der Annahme einem sorgsamen Umgang mit (der Waffe und) dem Sprengstoff durch die Klägerin auszugehen.
Hinzu kommt, dass das unverschlossene Abstellen des Gebindes mit dem Sprengstoff auf dem Waffenschrank der tatsächlichen Situation durch die polizeilichen Ermittlungen geschuldet war. Die Klägerin war mit dem Abfüllen des Sprengstoffs beschäftigt, das Gebinde mit dem Sprengstoff hatte sie deshalb aus dem Nebengebäude geholt und in den unbewohnten Nebenraum des Wohnhauses gebracht, um den Sprengstoff für das Böllergerät abzufüllen. In dieser Zeit haben die gegen die Klägerin wegen des Körperverletzungsdelikts ermittelnden Polizeibeamten an der Haustür geläutet. Dass die Klägerin in dieser Situation – unabhängig davon, ob dies tatsächlich aufgrund des Erscheinens der Polizeibeamten überhaupt möglich gewesen wäre – nicht zuerst das Gebinde mit dem Sprengstoff wieder in das Nebengebäude verbringt, sondern sich zur Haustür begibt und dabei den Sprengstoff unverschlossen zurücklässt, ist subjektiv in der Lage der Klägerin nachvollziehbar. Die Klägerin konnte dabei das Gebinde mit dem Sprengstoff auch nicht in die in dem unbewohnten Nebenraum befindlichen Waffenschränke einstellen, da diese jeweils ordnungsgemäß verschlossen waren und der Schlüssel zu den Waffenschränken aus Sicherheitsgründen gerade nicht in dem gleichen Raum aufbewahrt wurde.
Aufgrund der tatsächlichen Situation war somit in dem unverschlossenen Abstellen des Gebindes mit dem Sprengstoff auf dem Waffenschrank nur eine situative Nachlässigkeit gegeben. Ein unvorsichtiger oder unsachgemäßer Umgang mit dem Sprengstoff liegt damit nicht vor.
2. Aufgrund der vorstehenden Ausführungen liegen auch die vom Beklagten bejahten tatbestandlichen Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Nr. 5 Waffengesetz (WaffG) nicht vor. Der Beklagte ist insoweit aufgrund des unverschlossenen Aufbewahrens des Sprengstoffs von einem gröblichen Verstoß gegen die Vorschriften des Sprengstoffgesetzes (§ 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG i.V.m. dem SprengG) ausgegangen und hat darauf gestützt die (weitere) waffenrechtliche Zuverlässigkeit der Klägerin verneint (§ 45 Abs. 2 i.V.m. § 5 WaffG).
Wie im Einzelnen oben zu 1. bereits ausgeführt – worauf zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird – liegt ein gröblicher Verstoß der Klägerin gegen die Vorschriften des Sprengstoffgesetzes jedoch nicht vor. Damit fehlt es auch an den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG i.V.m. dem SprengG, so dass der Widerruf der der Klägerin erteilten Waffenbesitzkarte rechtsfehlerhaft erfolgt ist.
3. Mit der Aufhebung der beiden Widerrufentscheidungen waren auch die Folgeentscheidungen (Abgabeverpflichtungen für die Waffenbesitzkarte und den Sprengstofferlaubnisschein; Überlassungsverpflichtung für die Schusswaffe) aufzuheben.
4. Der Klage war somit aufgrund des Vorstehenden mit der Kostenfolge in Anwendung von § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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