Aktenzeichen M 1 S 17.50748
Leitsatz
1. Italien verfügt grundsätzlich über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, völker- und unionsrechtskonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren, das trotz einzelner Mängel prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber im Normalfall nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen muss. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Kein qualifizierter ärztlicher Nachweis der Diagnose einer paranoiden Schizophrenie durch eine Fachärztin bei fehlender Bezugnahme auf den Umstand, dass die vorherige Diagnosestellung einer psychiatrischen Fachklinik lediglich eine Anpassungsstörung, den Abusus von Cannabinoiden und eine posttraumatischen Belastungsstörung beinhaltet. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist nach seinen Angaben nigerianischer Staatsangehöriger und am … 2016 nach … eingereist. Er stellte am … 2016 Asylantrag.
Nachdem eine EURODAC – Abfrage ergab, dass sich der Antragsteller zuvor in Italien aufgehalten hatte, richtete das Bundesamt für … (Bundesamt) gemäß der Dublin III-VO am 22.11.2016 ein Übernahmeersuchen an Italien, das unbeantwortet blieb.
Mit Bescheid vom 21. Februar 2017 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheids), stellte fest, dass Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2 des Bescheides) und ordnete die Abschiebung des Antragstellers nach Italien an (Nr. 3 des Bescheides). In Nr. 4 des Bescheides wurde das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Auf die Begründung des Bescheides wird Bezug genommen.
Der Antragsteller erhob am …3.2017 in der Rechtsantragsstelle des Verwaltungsgerichts München Klage gegen den vorgenannten Bescheid (Az. M 1 K 17.50747) und beantragte zugleich im vorliegenden Verfahren,
die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO.
Zur Begründung führte der Antragsteller aus, er leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung und sei akut selbstmordgefährdet. Er legte gerichtliche Beschlüsse vom 19.10.2016 und vom 2.3.2017 über eine vorläufige Unterbringung in die geschlossene Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses vor. Nach den gerichtlichen Feststellungen gefährde der Antragsteller in erheblichem Maße die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere sein eigenes Leben bzw. seine Gesundheit. Der Antragsteller sei psychotisch und habe massive Flashbacks, in denen er sich im Krieg wähne und auf andere Menschen schießen wolle. Auch Suizidalität könne nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden. Der Antragsteller legte weiter eine fachärztlich-psychiatrische Stellungnahme von Frau … H. vom … 2017 und vom … 2016 sowie Arztbriefe der psychiatrischen Fachklinik …-Klinikum … vor.
Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug verwiesen.
II.
Der nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Antrag ist unbegründet.
Die vom Antragsteller eingelegte Klage entfaltet von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 Abs. 1 AsylG. Das Gericht der Hauptsache kann nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Grundlage der Entscheidung ist eine eigene Interessenabwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers und dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin. Ein gewichtiges Indiz sind dabei die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens. Vorliegend überwiegt das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin das Aussetzungsinteresse des Antragstellers, da die Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylG rechtmäßig ist. Nach § 34a Abs. 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind gegeben.
Das Bundesamt hat zu Recht seine Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens abgelehnt (1.) und das Vorliegen von Abschiebungsverboten oder Abschiebungshindernissen verneint (2.).
1. Italien hat das fristgerecht gestellte Übernahmeersuchen der Antragsgegnerin bislang nicht beantwortet. Sonach ist gemäß Art. 22 Abs. 7 bzw. Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO davon auszugehen, dass von italienischer Seite dem Übernahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die betreffende Person (wieder) aufzunehmen. Italien ist damit der allein zuständige Mitgliedstaat nach der Dublin III-VO.
Besondere Umstände, die die ausnahmsweise Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 und 3 der Dublin III-VO begründen oder nach Art. 17 Abs. 1 der Dublin III-VO rechtfertigen bzw. bedingen würden, sind nicht ersichtlich. Insbesondere kann der Antragsteller seiner Überstellung nach Italien nicht mit dem Einwand entgegentreten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Italien systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i. S. d. Art. 4 der Grundrechtecharta (GRCh) mit sich bringen, sodass eine Überstellung nach Italien unmöglich wäre (Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 und 3 der Dublin III-VO).
Nach dem Konzept der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 ua – juris) und dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechtecharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) steht. Diese Vermutung ist jedoch nicht unwiderleglich. Den nationalen Gerichten obliegt im Einzelfall die Prüfung, ob ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesem Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber implizieren (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 a.a.O Rn. 86). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber aufgrund größerer Funktionsstörungen in dem zuständigen Mitgliedstaat regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Rn. 5 f. m. w. N.). Bei einer zusammenfassenden, qualifizierten – nicht rein quantitativen – Würdigung aller Umstände, die für das Vorliegen solcher Mängel sprechen, muss diesen ein größeres Gewicht als den dagegen sprechenden Tatsachen zukommen, d. h. es müssen hinreichend gesicherte Erkenntnisse dazu vorliegen, dass es immer wieder zu den genannten Grundrechtsverletzungen kommt (vgl. VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris).
Dies zugrunde gelegt, ist in Bezug auf Italien nach dem aktuellen Stand der Erkenntnisse nicht davon auszugehen, dass dem Antragsteller bei einer Überstellung dorthin eine menschenunwürdige Behandlung im vorgenannten Sinne droht. Es ist nicht hinreichend ersichtlich, dass in Italien systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber vorliegen. Das Gericht schließt sich insoweit der Bewertung des umfangreichen aktuellen Erkenntnismaterials durch verschiedene Obergerichte und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an (vgl. aktuell OVG NRW, U.v. 21.6.2016 – 13 A 1896/14.A – juris Rn 32 ff; Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte vom 13.01.2015 (Nr. 51428/10) und vom 30.06.2015 (Nr. 39350/13)). Es mag zwar immer wieder vorkommen, dass Asylsuchende während der Bearbeitung ihres Asylantrags in Italien auf sich alleine gestellt und zum Teil auch obdachlos sind. Dies und auch die zum Teil lange Dauer der Asylverfahren sind darauf zurückzuführen, dass das italienische Asylsystem aufgrund der momentan hohen Asylbewerberzahlen stark ausgelastet und an der Kapazitätsgrenze ist. Die im Bereich der Unterbringung und Versorgung der Asylbewerber weiterhin feststellbaren Mängel und Defizite sind aber weder für sich genommen noch insgesamt als so gravierend zu bewerten, dass ein grundlegendes systemisches Versagen des Mitgliedstaates vorläge, welches für einen „Dublin-Rückkehrer“ nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert (vgl. OVG NW, U.v. 21.6.2016 a.a.O). Es ist im Grundsatz davon auszugehen, dass Italien über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, völker- und unionsrechtskonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, das trotz einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der vor Ort tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber im Normalfall nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen muss. In Italien bestehen ausdifferenzierte Strukturen zur Aufnahme von Asylbewerbern, auch speziell für „Dublin-Rückkehrer“. Diese befinden sich in staatlicher, in kommunaler, kirchlicher oder privater Trägerschaft und werden zum Teil zentral koordiniert (vgl. VG Ansbach, U.v. 11.12.2015 – AN 14 K 15.50316 – juris Rn. 24 m. w. N.). Das italienische Recht gewährt den Asylsuchenden zudem ab dem Zeitpunkt des Asylantrags Zugang zu diesen Unterbringungsmöglichkeiten. In der Praxis wird zwar der Zugang zu den Aufnahmezentren häufig erst von der formellen Registrierung des Asylantrags abhängig gemacht, so dass hierdurch eine Zeitspanne ohne Unterbringung entstehen kann. Die Behörden sind jedoch darum bemüht, diese zu verringern (vgl. VG Ansbach, U.v. 11.12.2015 a.a.O.). Auch „Dublin-Rückkehrer“ haben bei ihrer Ankunft in Italien nach Kapazität sofort Zugang zu bestimmten Unterkünften; es ist auch gewährleistet, dass sie nach ihrer Rückkehr ihr ursprüngliches Asylverfahren weiterbetreiben bzw. einen Asylantrag stellen können, wenn sie das noch nicht getan haben.
Auch die Lage der Personen, die in Italien einen internationalen Schutzstatus zuerkannt bekommen haben, begründet noch keine systemischen Mängel. Dies gilt auch in Ansehung des Umstands, dass Italien kein mit dem in der … bestehenden Sozialleistungssystem vergleichbares landesweites Recht auf Fürsorgeleistungen kennt, sondern vielmehr nur im originären Kompetenzbereich der Regionen und Kommunen ein sehr unterschiedliches und in weiten Teilen von der jeweiligen Finanzkraft abhängiges Leistungsniveau besteht (VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris).
Ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen kann auch für die Personengruppe der „Dublin-Rückkehrer“, der der Antragsteller angehört, nach alledem nicht angenommen werden (vgl. aktuell VG München, U.v.10.5.2016 – M 12 K 15.50474 – juris Rn. 43).
2. Die Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Nr. 3 des Bescheids bleibt voraussichtlich auch insoweit ohne Erfolg, als im Rahmen der Anordnung zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote und inlandsbezogene Abschiebungshindernisse und Duldungsgründe zu prüfen sind (zu dieser Prüfungspflicht siehe BayVGH, B.v. 12.3.2014, Az. 10 CE 14.427 – juris).
Die vorgetragenen gesundheitlichen Beschwerden können der Abschiebungsanordnung nicht entgegengehalten werden.
Das Gesetz stellt hohe Anforderungen an die Berücksichtigungsfähigkeit gesundheitlicher Einwendungen, sowohl was die Schwere des Leidens, den Einwand nicht ausreichender Behandelbarkeit im Zielland als auch den qualifizierten ärztlichen Nachweis betrifft (siehe § 60 Abs. 7 Satz 2 bis 4, § 60a Abs. 2c und 2d AufenthG). Hier sind Zweifel an der von der Psychiaterin … H. in ihren Attesten vom …12.2016 (handschriftlich) und vom … 2017 getroffenen Diagnose einer paranoiden Schizophrenie angebracht. Die Fachärztin, die nach ihren Angaben den Antragsteller im Rahmen ihrer Tätigkeit für die ärztliche Versorgung für Flüchtlinge in der Erstaufnahmeeinrichtung … in … (Medizinischer Hilfskreis für Asylsuchende) behandelt, trifft diese schwerwiegende psychiatrische Diagnose ohne auf den gewichtigen Umstand einzugehen, dass die Diagnosestellung der psychiatrischen Fachklinik, in der der Antragsteller – wie sie wusste – mehrmals stationär untergebracht war, zu einer ganz anderen Diagnose gelangt. Die Fachklinik, in der sich der Antragsteller zuvor dreimal stationär aufgehalten hatte, diagnostiziert im Arztbrief vom …11.2016 lediglich eine Anpassungsstörung, den Abusus von Cannabinoiden und eine posttraumatischen Belastungsstörung. Von einer schweren Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis ist nicht die Rede, Wahn oder Halluzinationen werden sogar ausdrücklich ausgeschlossen (Arztbrief vom … 2016). Auch in den beiden ärztlichen Stellungnahmen weiterer Psychiater, auf die sich die gerichtlichen Unterbringungsbeschlüsse beziehen, findet sich nichts von einer Diagnose, wie sie Frau H. stellt.
Unabhängig davon ist nicht ersichtlich, warum die psychischen Leiden des Antragstellers nicht in Italien behandelt werden könnten. Italien verfügt über eine umfassende Gesundheitsfürsorge, die italienischen Staatsbürgern sowie Flüchtlingen, Asylbewerbern und unter humanitären Schutz stehenden Personen gleichermaßen zugänglich ist. Das gilt auch für die psychologische und psychiatrische Behandlung (siehe zum Gesundheitssystem und den Behandlungsmöglichkeiten in Italien VG Ansbach, U.v. 11.12.2015 – AN 14 K 15.50316 -, juris Rn. 26 m.w.N.); VG Düsseldorf, B.v. 3.7.2015 – 13 K 6850/14. -, juris; VG München, B.v. 30.6.2016 – M 26 S. 16.50292 -, juris Rn. 22; OVG Münster, U.v.7.7.2016 – 13 A 2132/15.A, juris). Ebenso schließen diese Leiden die Reisefähigkeit des Antragstellers nicht aus. Etwaiger Suizidialität des Antragstellers oder einer von ihm ausgehenden Fremdgefährdung kann im Rahmen der Gestaltung der Abschiebung Rechnung getragen werden.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).