Europarecht

Untersagung des Betriebs eines ausländischen Fahrzeugs, Aufforderung zur Beantragung einer inländischen Zulassung, regelmäßiger Standort im Inland, vorschriftwidriges Fahrzeug, Ermessensausfall

Aktenzeichen  Au 3 K 19.2226

Datum:
2.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 35006
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FZV § 5 Abs. 1
FZV § 20 Abs. 1 S. 1
FZV § 22 S. 1 Halbs. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Nr. 1 des Bescheids des Landratsamts * vom 21. November 2019 wird aufgehoben.
II. Nr. 2 Satz 2 des Bescheids des Landratsamts * vom 21. November 2019 wird insoweit aufgehoben, als der Kläger aufgefordert wird, eine Einzugsermächtigung und eine Einverständniserklärung für die Kraftfahrzeugsteuer sowie einen Nachweis über die Rechtsform der Firma (nicht älter als ein Jahr) vorzulegen.
III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
IV. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
V. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang teilweise begründet. Im Übrigen ist sie unbegründet.
1. Die Klage hat Erfolg, soweit sie sich gegen die in Nr. 1 des angefochtenen Bescheids angeordnete Betriebsuntersagung für das Fahrzeug des Klägers richtet. Insoweit ist der Bescheid rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
§ 13 Abs. 3 und 4 FZV scheiden als Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Betriebsuntersagung von vornherein aus. § 13 FZV, der die Mitwirkungspflichten bei Änderungen von Fahrzeug- oder Halterdaten regelt, setzt eine inländische Zulassung des Fahrzeugs voraus (vgl. BayVGH, U.v. 22.12.2015 – 11 B 15.1350 – juris Rn. 39; a.A. ohne nähere Begründung BayVGH, B.v. 12.7.2019 – 11 ZB 19.780 – juris Rn. 11).
Die Teilnahme eines ausländischen Fahrzeugs am Straßenverkehr kann dagegen nach § 22 Satz 1 Halbs. 1 FZV i.V.m. § 5 Abs. 1 FZV untersagt werden, wenn es sich als „nicht vorschriftsmäßig“ erweist. Hier sind die Tatbestandsvoraussetzungen für eine solche Betriebsuntersagung erfüllt, weil das Fahrzeug des Klägers entgegen § 20 Abs. 1 Satz 1 FZV keine inländische Zulassung hat und damit nicht vorschriftsmäßig im Sinn der Fahrzeug-Zulassungsverordnung ist. „Nicht vorschriftsmäßig“ in diesem Sinn ist ein Fahrzeug nicht nur bei technischen Mängeln, sondern auch bei nicht ordnungsgemäßer Zulassung (vgl. BayVGH, U.v. 22.12.2015 – 11 B 15.1350 juris Rn. 37).
Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 FZV dürfen in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zugelassene Fahrzeuge vorübergehend am Verkehr im Inland teilnehmen, wenn für sie von einer zuständigen Stelle des anderen Mitgliedstaats eine gültige Zulassungsbescheinigung ausgestellt und im Inland kein regelmäßiger Standort begründet ist. Der Kläger hat für sein Fahrzeug auch dann einen regelmäßigen Standort im Inland begründet, wenn man zu seinen Gunsten davon ausgeht, dass die Angaben, die er im Juni 2021 gegenüber dem Hauptzollamt * zu seinen familiären Verhältnissen und seinem Wohnsitz in Polen gemacht hat, zutreffend sind. Der Standort eines Fahrzeugs wird durch seine tatsächliche Verwendung bestimmt. Es ist der Ort, von dem aus das Fahrzeug unmittelbar zum öffentlichen Straßenverkehr eingesetzt wird und an dem es nach Beendigung des Einsatzes ruht. Regelmäßiger Standort (Heimatort) ist dabei derjenige Ort, der bei bestimmungsgemäßer Verwendung des Fahrzeugs der Einsatzmittelpunkt bzw. der Schwerpunkt der Ruhevorgänge ist, wobei objektive Merkmale maßgeblich sind (BVerwG, U.v. 9.12.1983 – 7 C 70.81 – juris Rn. 19; BayVGH a.a.O. Rn. 14). Da sich der Kläger trotz seiner familiären Bindungen in Polen arbeitsbedingt ganz überwiegend in Deutschland aufhält und dabei sein Fahrzeug mit sich führt, ist der regelmäßige Standort seines Fahrzeugs im Inland begründet. Dies gilt bereits seit dem Erwerb des Fahrzeugs in Deutschland im November 2016, da sich der Kläger schon damals schwerpunktmäßig in Deutschland aufgehalten hat, wie die Meldung mit alleinigem Wohnsitz ab 15. Juni 2015 in * und später seit 13. März 2017 in * zeigt.
Der Umstand, dass der Kläger nach § 3 Nr. 12 KraftStG i.V.m. Art. 7 RL 83/182/EWG wegen seiner persönlichen Bindungen in Polen von der Kraftfahrzeugsteuer befreit ist, wirkt sich im Fahrzeugzulassungsrecht nicht aus. Eine entsprechende Vorschrift fehlt hier. Insbesondere gibt es im Fahrzeugzulassungsrecht keine dem Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 2 der RL 83/182/EWG entsprechende Vorschrift, wonach bei einem Arbeitnehmer der gewöhnliche Wohnsitz dort fingiert wird („gilt“), wo er seine persönlichen Bindungen hat.
Ein Vorstoß der Europäischen Kommission für eine Harmonisierung der Rechtsvorschriften der EU-Mitgliedstaaten hinsichtlich der Zulassung von Kraftfahrzeugen zum Straßenverkehr hatte keinen Erfolg (vgl. BayVGH a.a.O. Rn. 20). Der Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rats zur Vereinfachung der Verbringung von in einem anderen Mitgliedstaat zugelassenen Kraftfahrzeugen innerhalb des Binnenmarkts vom 4. April 2012 – 2012/0082 – wurde offenbar nicht angenommen. Dies verdeutlicht, dass eine entsprechende Anwendung der RL 83/182/EWG im Fahrzeugzulassungsrecht auch aus europarechtlicher Sicht nicht angezeigt ist.
Die Zulassungsbehörde hat jedoch das ihr nach § 5 Abs. 1 FZV eingeräumte (Auswahl-) Ermessen nicht ausgeübt. Erweist sich – wie hier – ein Fahrzeug als nicht vorschriftsmäßig, ist alternativ eine Fristsetzung zur Beseitigung des Mangels oder die Beschränkung oder Untersagung des Betriebs auf öffentlichen Straßen möglich. Die Zulassungsbehörde hat hier kein Entschließungsermessen, sondern muss zur Gefahrenabwehr tätig werden. Dabei kann sie nach pflichtgemäßem Ermessen auswählen, welche der gesetzlich vorgesehenen Maßnahmen sie ergreift (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Auflage 2021, § 5 FZV Rn. 3). Die Begründung des angefochtenen Bescheids lässt jedoch bereits nicht erkennen, dass die Zulassungsbehörde erkannt hat, dass ihr hinsichtlich der Auswahl der Maßnahme ein Ermessen zusteht. Es liegt daher ein sogenannter Ermessensausfall vor, der nachträglich nicht geheilt werden kann (vgl. § 114 Satz 2 VwGO).
2. Dagegen hat die Klage keinen Erfolg, soweit sie sich gegen die in Nr. 2 Satz 1 des angefochtenen Bescheids verfügte Aufforderung zur Beantragung einer inländischen Zulassung wendet.
Zwar ist auch insoweit nicht zu erkennen, dass die Zulassungsbehörde das ihr von § 5 Abs. 1 FZV eingeräumte Auswahlermessen ausgeübt hätte. Dieser (weitere) Ermessensausfall verletzt den Kläger jedoch nicht in seinen Rechten, weil es sich bei der Aufforderung zur Beantragung einer inländischen Zulassung der Sache nach um eine Aufforderung zur Beseitigung des festgestellten Zulassungsmangels im Sinn von § 5 Abs. 1 Alt. 1 FZV handelt. Die angeordnete Beantragung einer inländischen Zulassung ist damit die mildeste in Betracht kommende Maßnahme, um den vorschriftswidrigen Zustand des Fahrzeugs des Klägers zu beenden, sodass eine Rechtsverletzung beim Kläger ausscheidet.
Da die in Nr. 2 Satz 2 des angefochtenen Bescheids getroffene Anordnung zur Vorlage verschiedener Unterlagen lediglich die Aufforderung zur Beantragung einer inländischen Zulassung bzw. zur Mängelbeseitigung konkretisiert, wird sie von § 5 Abs. 1 Alt. 1 FZV grundsätzlich miterfasst. Dies gilt jedoch nicht für die Anordnung der Vorlage einer Einzugsermächtigung und einer Einverständniserklärung für die Kraftfahrzeugsteuer sowie des Nachweises über die Rechtsform der Firma. Die zuletzt genannten Unterlagen sind für den Antrag nicht erforderlich, weil einerseits der Kläger – wie bereits erwähnt – in Deutschland von der Kraftfahrzeugsteuer befreit ist und andererseits es sich bei seinem Pkw nicht um ein Firmenfahrzeug handelt.
3. Die Androhung eines Zwangsgelds in Höhe von 150 EUR für den Fall, dass der Kläger der Verpflichtung zur Beantragung einer inländischen Zulassung nicht nachkommt, ist ebenfalls rechtmäßig und verletzt ihn daher nicht in seinen Rechten (vgl. Art. 30, 31 und 36 VwZVG).
Da die Beteiligten teils obsiegt haben und teils unterlegen sind, sind die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufzuheben (§ 155 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 VwGO).
Die Kostenentscheidung war gemäß § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO für vorläufig vollstreckbar zu erklären.


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