Europarecht

Unzulässigkeit von auf Google vorbehaltenen Infoboxen des Bundesgesundheitsministeriums

Aktenzeichen  37 O 15720/20

Datum:
10.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
WuW – 2021, 190
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
GWB § 1, § 2, § 33 Abs. 1
AEUV Art. 101 Abs. 1, Abs.3

 

Leitsatz

1. Eine Vereinbarung zwischen dem Bundesgesundheitsminsterium und Google, wonach Infoboxen zu Gesundheitsthemen auf Dauer exklusiv mit Inhalten aus dem Gesundheitsportal des Bundesgesundheitsministeriums und einem Link dorthin gefüllt werden, beschränkt den Wettbewerb gemäß § 1 GWB, Art. 101 Abs. 1 AEUV. (Rn. 62 – 63) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Bundesgesundheitsministerium ist im Zusammenhang mit dem Betrieb eines Gesundheitsportals als Unternehmen einzustufen. (Rn. 71) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Verfügungsbeklagten wird im Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu zweihundertfünfzigtausend Euro oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu vollziehen an einem der Geschäftsführer – Ordnungshaft auch für den Fall, dass das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann – wegen jeder Zuwiderhandlung
untersagt,
die Inhalte des Portals gesund.bund.de in Knowledge Panels mit Gesundheitsinformationen anzuzeigen, wenn dies aufgrund einer vorangegangenen Abstimmung durch eine den Inhalten der Webseite des Bundesministeriums für Gesundheit (https://gesund.bund.de) vorbehaltene Anzeige von Knowledge Panels mit Gesundheitsinformationen und einer Verlinkung erfolgt, wie in nachfolgenden Screenshots vom 24.11.2020 beispielhaft dargestellt:
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Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Verfügungsbeklagte 3/4 und die Verfügungsklägerin 1/4.
3. Das Urteil ist für die Verfügungsbeklagte in Ziffer 2. vorläufig vollstreckbar. Die Verfügungsklägerin kann die Vollstreckung der Verfügungsbeklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Verfügungsbeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Gründe

Die Anträge der Verfügungsklägerin zu Ziff. 1) und Ziff. 3) sind zulässig und begründet. Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund liegen vor. Die Verfügungsklägerin hat daher einen Unterlassungsanspruch im tenorierten Umfang aus § 33 Abs. 1 GWB i.V.m. § 1 GWB, Art. 101 Abs. 1 AE-UV.
Der Antrag zu Ziff. 2) ist unzulässig und war daher zurückzuweisen.
I.
1. Die Anträge der Verfügungsklägerin zu Ziff. 1) und 3) sind zulässig, insbesondere ist der Antrag zu Ziff. 1) in der zuletzt gestellten Form hinreichend bestimmt. Die insoweit aufgeworfenen Bedenken der Verfügungsbeklagten wurden teilweise schon durch die neue Fassung ausgeräumt. Soweit die Verfügungsbeklagte im Übrigen Zweifel geäußert hat, welche Formen des kollusiven Zusammenwirkens unterbunden werden sollen, kann dies dahinstehen, solange, wie im neuen Antrag vorausgesetzt, Gegenstand der Kollusion das Vorbehalten der hervorgehobenen Anzeige in den Infoboxen ist. Da der Antrag zu Ziff. 2) nicht hilfsweise erhoben wurde, ist davon auszugehen, dass die Anträge nebeneinanderstehen.
In der Änderung des Antrags zu Ziff. 1) lag keine Klageänderung, sondern eine Beschränkung des zunächst gestellten Antrags auf die konkrete Verletzungshandlung, § 264 Nr. 2 ZPO, verbunden mit einer zulässigen Teilklagerücknahme im Übrigen, § 269 Abs. 1 ZPO. Die Verfügungsbeklagte hat ihre Einwilligung zur Teilklagerücknahme erteilt, eine Rücknahme wäre aber auch ohnedies zulässig gewesen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.07.1982 – 2 U 54/82 – NJW 1982, 2452).
Der Antrag zu Ziffer 1) war im Lichte der Anspruchsbegründung dahingehend zu konkretisieren, dass es der Verfügungsklägerin um das Verbot einer Verletzungshandlung geht, die auf einer vorangegangenen Abstimmung der Verfügungsbeklagten mit dem BMG gründet. Zwar hat die Verfügungsklägerin diese Bezugnahme in der neuen Antragsfassung gerade weggelassen, was darauf hindeuten könnte, dass sie die Vereinbarung gerade nicht mehr erfasst wissen will. Allerdings stützt sie ihren Antrag zu Ziffer 1) in der Begründung eindeutig und ausschließlich auf Art. 101 AEUV bzw. § 1 GWB und die zwischen der Verfügungsbeklagten und dem BMG getroffene Vereinbarung, nicht auf ein unilaterales Verhalten der Verfügungsbeklagten. Die Verhaltensabstimmung war daher als Kern der Verletzungshandlung auch im Tenor aufzunehmen.
2. Der Antrag zu Ziff. 2) ist unzulässig, da er nicht hinreichend bestimmt ist. Es wird weder deutlich, auf welche Prozesse und Methoden die Verfügungsklägerin Bezug nimmt, noch ob dies auf die Anzeige von Infoboxen beschränkt sein soll oder z.B. auch die allgemeinen Suchergebnisse erfasst. Gegen eine Beschränkung spricht die Verwendung des Wortes „insbesondere“. Ohne eine Beschränkung auf die konkrete Verletzungshandlung sind die Grenzen des so formulierten Antrags aber nicht erkennbar.
II.
Die Verfügungsklägerin hat gegen die Verfügungsbeklagte einen Anspruch auf Unterlassung der Zusammenarbeit mit dem BMG dahingehend, dass die Inhalte des Portals gesund.bund.de in dem BMG vorbehaltenen Infoboxen mit Gesundheitsinformationen angezeigt werden und diese auf das NGP verlinkt werden, § 33 Abs. 1 GWB i.V.m. § 1 GWB, Art. 101 Abs. 1 AEUV. Dieser Unterlassungsanspruch umfasst auch die Beseitigung des durch die vorangegangene Vereinbarung geschaffenen Zustands in Form der angegriffenen Infoboxen.
1. In der Kooperation der Verfügungsbeklagten mit dem BMG liegt eine Vereinbarung zwischen Unternehmen, die eine Einschränkung des Wettbewerbs bewirkt, Art. 101 Abs. 1 AE-UV, § 1 GWB.
a. Die Verfügungsbeklagte hat mit dem BMG eine Vereinbarung geschlossen mit dem Inhalt, dass die von der Verfügungsbeklagten geplanten Infoboxen zu Gesundheitsthemen auf Dauer exklusiv mit Inhalten aus dem Gesundheitsportal des BMG und einem Link auf das Portal gesund.bund.de befüllt werden.
(1) Eine Vereinbarung kommt bereits dann zustande, wenn eine grundsätzliche Willensübereinstimmung zwischen zwei Parteien erreicht ist. Weder eine Regelung sämtlicher Details noch ein Interessengleichlauf der Beteiligten sind erforderlich (Immenga/Mestmäcker/Zimmer, 6. Aufl. 2019, AEUV Art. 101 Abs. 1 Rn. 68).
Das Merkmal der Vereinbarung wird unproblematisch durch zivilrechtliche Verträge erfüllt, d.h. im Falle einer Bindung zweier Parteien durch übereinstimmende Willenserklärungen. Ausreichend ist aber daneben insbesondere nach der Rechtsprechung der europäischen Gerichte auch, dass die Parteien ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck bringen, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten, und zwar auch ohne dass sie sich hierzu rechtlich, tatsächlich oder moralisch verpflichtet fühlen (Immenga/Mestmäcker/Zimmer, 6. Aufl. 2019, AEUV Art. 101 Abs. 1 Rn. 71 m.w.N.).
(2) Getragen von einem derartigen gemeinsamen Willen haben die Verfügungsbeklagte und der Bundesminister für Gesundheit auf der gemeinsamen Pressekonferenz vom 10.11.2020 klar erkennen lassen, künftig bei der Erstellung von Infoboxen zu Gesundheitsthemen auf der Suchergebnisseite der Verfügungsbeklagten exklusiv zusammenarbeiten zu wollen. Der Vertreter der Verfügungsbeklagten und der Bundesminister für Gesundheit haben dabei mehrfach ausdrücklich von ihrer Zusammenarbeit bzw. Kooperation gesprochen. Gegenstand dieser Kooperation sollte es nach der übereinstimmenden Darstellung der beiden sein, dass auf der Suchergebnisseite von Google künftig bei einer Suche nach medizinischen Stichworten Antworten des NGP in einem prominent hervorgehobenen Infokasten präsentiert werden. Der Bundesminister für Gesundheit hat dabei auch wiederholt deutlich seine Dankbarkeit für diese Kooperation und für die künftige prominente Darstellung der Information des NGP und die Verlinkung gegenüber der Verfügungsbeklagten zum Ausdruck gebracht.
Mit diesen Äußerungen ist die Behauptung der Verfügungsbeklagten, es gebe keine Vereinbarung zwischen dem BMG und der Verfügungsbeklagten, die über die Abstimmung technischer Details hinausginge, in keiner Weise in Einklang zu bringen. Selbst wenn man annehmen will, dass die Spitzen von Google und der Verfügungsbeklagten sich hier werbend oder untechnisch ausgedrückt haben, erklärt dies nicht, worauf die medienwirksam verkündete Zusammenarbeit beruhen soll, wenn nicht auf einer Übereinkunft der Beteiligten. Schon der gemeinsame Presseauftritt setzt voraus, dass die Parteien sich darüber ins Benehmen gesetzt haben, dass und was sie gemeinsam verkünden werden. Das Ergebnis war nicht die Verkündung von abgestimmten technischen Details, des Formats der bereitgestellten Texte oder der Besonderheiten der geschaffenen Schnittstelle. Vielmehr wurde die beiderseitige Freude darüber zum Ausdruck gebracht, dass die beiden Beteiligten ganz grundsätzlich zusammen dafür sorgen werden, dass die Inhalte des NGP – und nur diese – in den Infoboxen bereitgestellt werden und diese auf die Webseite gesund.bund.de verlinken.
Auch die Ausschließlichkeit dieser Kooperation kommt in der Pressekonferenz zum Ausdruck: eine vergleichbare Kooperation der Verfügungsbeklagten mit anderen Gesundheitsportalen wird nicht angekündigt. Diese Ausschließlichkeit stellt auch die Verfügungsbeklagte nicht grundsätzlich in Abrede. Vielmehr beruft sie sich – abweichend von den etwa von der Suchmaschine Bing bereitgestellten Infoboxen zu Gesundheitsthemen mit Inhalten aus wechselnden Datenbanken – sogar darauf, dass die Kooperation insoweit grundsätzlich exklusiv sein müsse, als ein Anbieter für die Inhalte im Vorfeld auszuwählen und die Inhalte auf ihre Geeignetheit und Verlässlichkeit zu überprüfen seien.
Die Verfügungsbeklagte bringt allerdings vor, dass es an einer zeitlichen Bindung der Verfügungsbeklagten und des BMG fehle. Vielmehr habe die Verfügungsbeklagte sich überhaupt nicht gebunden, sondern sie könnte jederzeit ein anderes Gesundheitsportal mit der Bereitstellung von Inhalten für die Infoboxen beauftragen. Diese Behauptung steht jedoch in einem diametralen Widerspruch zu der Art der Kooperation, welche auf der Pressekonferenz verkündet wurde. Richtig erscheint zwar, dass keine konkrete Dauer vereinbart wurde. Unzweifelhaft war die Zusammenarbeit aber auf Dauer angelegt.
Der klar artikulierte Sinn und Zweck der Kooperation bestand nach der unwidersprochenen Äußerung des Bundesministers für Gesundheit zumindest für diesen darin, das NGP als maßgebliche Anlaufstelle für Gesundheitsinformationen im Netz zu etablieren. Das BMG geht dabei – auch für seinen Vertragspartner erkennbar – davon aus, dass die Zusammenarbeit dem NGP diese Position verschaffen werde, also zumindest so lange dauern werde, bis das NGP im Wettstreit um die Sichtbarkeit im Netz gegenüber anderen, privaten Anbietern einen maßgeblichen Vorteil erlangt hat. Immerhin versprach sich der Bundesminister für Gesundheit von der Zusammenarbeit: „Wer Gesundheit googelt, soll auf unserem Portal des Bundes landen“ und „Gesundheit.bund.de soll die zentrale Anlaufstelle werden für verlässliche Gesundheitsinformationen im Internet“. Das BMG hat die Kooperation folglich keinesfalls so verstanden – und dies geht auch aus den Äußerungen des Vertreters der Verfügungsbeklagten … nicht hervor -, dass die Zusammenarbeit nur von kurzer Dauer sein soll. Dagegen spricht auch der jedenfalls nicht völlig unbedeutende Aufwand, den das Ministerium mit der Erstellung gesonderter Texte und digitaler Markups betrieben hat, um die Übernahme der Inhalte in den Infoboxen zu ermöglichen. Übereinstimmend teilten zudem auch beide Vertragspartner mit, dass man zunächst mit 160 Krankheitsbegriffen starte und dies weiter auszubauen gedenke. Nichts deutet dabei auf eine nur kurz- oder mittelfristige Kooperation hin.
b. Das BMG ist im Zusammenhang mit dem Betrieb des Portals gesund.bund.de als Unternehmen einzustufen.
(1) Dabei ist von einem funktionalen Unternehmensbegriff auszugehen, dessen Inhalt aus dem Normzusammenhang und den Zwecken der Wettbewerbsvorschriften zu bestimmen ist. Danach gilt jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung als Unternehmen im Sinne des Kartellrechts (EuGH 23.4.1991, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 Rn. 21 „Höfner und Elser“; EuGH 10.9.2009, Rs. C-97/08 P, Slg. 2009, I-8237 Rn. 54 „Akzo Nobel“; Immenga/Mestmäcker/Zimmer, 6. Aufl. 2019, AEUV Art. 101 Abs. 1 Rn. 9).
Ein wirtschaftliches Handeln liegt grundsätzlich in jeder selbständigen Tätigkeit, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen gegen Entgelt auf einem bestimmten Markt anzubieten (vgl. OLG Düsseldorf NZKart 2017, 247, 250 m.w.N.). Entscheidender Gesichtspunkt ist dabei nicht, ob das Unternehmen, dessen Normadressateneigenschaft zu beurteilen ist, ein Entgelt erhebt; entscheidend ist, ob im räumlich und sachlich relevanten Markt, der von einer Wettbewerbsbeschränkung betroffen ist, die in Frage stehende Leistung üblicherweise gegen Entgelt angeboten wird – dann ist auch der Erbringer einer unentgeltlichen Leistung Unternehmen und damit Normadressat des Art. 101 Abs. 1 AEUV (Bechtold/Bosch/Brinker/Bechtold/Bosch/Brinker, 3. Aufl. 2014, AEUV Art. 101 Rn. 14).
Keinen wirtschaftlichen Charakter, der die Anwendung des Kartellrechts rechtfertigen würde, haben dagegen Tätigkeiten, die in Ausübung hoheitlicher Befugnisse erfolgen (vgl. EuGH, Urteile v. 19. Januar 1994 – C-364/92, Slg. 1994, I-43 – SAT-Fluggesellschaft; OLG Düsseldorf NZKart 2017, 247, 250 m.w.N., beck-online). Soweit dagegen eine öffentliche Einheit eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, die von der Ausübung ihrer hoheitlichen Befugnisse losgelöst werden kann, handelt sie in Bezug auf diese Tätigkeit als Unternehmen (vgl. EuGH, Urteile v. 26. März 2009 – C-113/07, Slg. 2009, I-2207, Rzn. 71 ff. – Selex Sistemi Integrati/Kommission; v. 12. Juli 2012 – C-138/11, WuW/E EU-R 2472, Rz. 38 – Compass-Datenbank; OLG Düsseldorf a.a.O.).
(2) Der Betrieb von Gesundheitsportalen ist eine geschäftliche Tätigkeit, die darin besteht, eine Dienstleistung, nämlich die Bereitstellung von Informationen zu Gesundheitsfragen, für Nutzer im Internet anzubieten. Die unstreitig erhebliche Nachfrage nach diesem Angebot wird aktuell und wurde in der Vergangenheit von einer Vielzahl privater Anbieter wie beispielsweise der Verfügungsklägerin durch in der Regel werbefinanzierte Portale bedient. Um ein solches Gesundheitsportal handelt es sich – abgesehen von der in diesem Zusammenhang unerheblichen Art der Finanzierung – auch bei dem Nationalen Gesundheitsportal. Dabei spielt es keine Rolle, dass das NGP sich im Vergleich zu anderen Angeboten im Netz möglicherweise einer einfacheren Sprache und einer besonders übersichtlichen Form bedient. Es mag sich insoweit um eine wettbewerbliche Besonderheit handeln, die das Angebot des BMG von anderen abhebt. Auch sind die Artikel des NGP möglicherweise weniger ausführlich als diejenigen anderer Portale. Ob in der Ausblendung von Kontroversen wie etwa zum Thema Impfen eine größere Neutralität liegt, dürfte bereits fraglich sein. Jedenfalls gehen diese Besonderheiten nicht so weit, dass sie die Ähnlichkeiten zwischen den Portalen überlagern und das NGP zu etwas grundsätzlich anderem machen. Vielmehr überwiegen die Ähnlichkeiten der Portale ganz deutlich: wie andere Gesundheitsportale auch bietet das NGP redaktionell aufbereitete Informationen zu Gesundheitsfragen aller Art, stellt Krankheiten dar und vermittelt Empfehlungen zur gesunden Lebensführung. Trotz der Unterschiede in der Aufmachung und des Umstands, dass auf dem Portal der Verfügungsklägerin Werbung geschaltet ist, ist angesichts der weitgehenden inhaltlichen Gleichartigkeit und der übereinstimmenden erklärten Zielsetzung der Portale daher von einer funktionalen Austauschbarkeit der Portale aus Sicht der Marktgegenseite – Verbraucher auf der Suche nach Gesundheitsinformationen im Internet – auszugehen. Hiervon ging auch das BMG im Rahmen der Auftragsvergabe aus, wenn es ausführte, mit dem NGP „eine signifikante Lücke auf dem bisher vorrangig kommerziell geprägten Markt der digitalen Gesundheitsinformationen im deutschsprachigen Internet schließen“ zu wollen (vgl. Anlage K19, S. 7). Schließlich spricht nicht zuletzt der Umstand, dass beide Portale in der Google-Suche den Nutzern alternativ zur Befriedigung des gleichen Informationsbedürfnisses angeboten werden, für ihre funktionale Austauschbarkeit.
Der Betrieb von Gesundheitsportalen ist in der Vergangenheit nicht ausschließlich durch öffentliche Einrichtungen erfolgt und muss auch nicht generell notwendigerweise durch solche Einrichtungen erfolgen (vgl. EuGH Urteil vom 23.04.1991 – Rs C-41/90 – Rz. 22).
Die Inanspruchnahme von Gesundheitsportalen ist für den Nutzer zwar auch bei privaten, werbefinanzierten Portalen grundsätzlich gebührenfrei. Jedoch ist hier die Hinnahme von Werbung als Entgelt zu begreifen, so dass insoweit eine wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt.
Die Verfügungsbeklagte beruft sich ohne Erfolg darauf, dass das BMG bei dem Betrieb des Gesundheitsportals gesund.bund.de öffentliche Aufgaben wahrnehme, nämlich Gesundheitsaufklärung leiste. Die Teilnahme am allgemeinen Geschäftsverkehr durch einen Träger hoheitlicher Gewalt verliert den Charakter einer geschäftlichen, den Bindungen des Kartellrechts unterliegenden Tätigkeit nicht schon deshalb, weil mit ihr auch öffentliche Aufgaben erfüllt oder öffentlichen Interessen genügt werden soll. Greift ein Hoheitsträger – wie hier – bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu den von der Privatrechtsordnung bereitgestellten Mitteln, unterliegt er den gleichen Beschränkungen wie jeder andere Teilnehmer am privatrechtlich organisierten Markt und hat dabei insbesondere die durch das Wettbewerbsrecht gezogenen Grenzen einer solchen Tätigkeit zu beachten (BGH WuW/E DE-R 289, 293 – Lottospielgemeinschaft).
c. Mit ihrer Kooperation bewirken die Verfügungsbeklagte und das BMG eine Beschränkung des Wettbewerbs auf dem Markt für Anbieter von Gesundheitsinformationen im Internet.
(1) Dabei ist, anders als die Verfügungsklägerin meint, nicht von einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung auszugehen. Der EuGH legt bei der Frage, ob eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung vorliegt, einen objektiven Maßstab an. Danach kommt es nicht auf die Absicht der Vertragspartner an – wenngleich diese als Indiz für die Eignung der Vereinbarung, den Wettbewerb zu beschränken, gewertet werden kann -, sondern auf eine objektive wettbewerbsbeschränkende Tendenz der zu beurteilenden Maßnahme. Damit ein wettbewerbswidriger Zweck festgestellt werden kann, muss die Koordinierung schon ihrer Natur nach schädlich für den Wettbewerb sein. Sie muss dafür in sich selbst eine hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs erkennen lassen, sodass eine Auswirkungsprüfung entbehrlich wird (Immenga/Mestmäcker/Zimmer, 6. Aufl. 2019, AEUV Art. 101 Abs. 1 Rn. 130).
Eine solche objektiv schädliche Tendenz, die etwa bei horizontalen Preisabsprachen, Gebietsaufteilungen oder vertikalen Preisbindungen der zweiten Hand angenommen wurde, ist der Vereinbarung zwischen der Verfügungsbeklagten und dem BMG nicht immanent.
(2) Die Ausschließlichkeitsbindung ist daher anhand ihrer konkreten Auswirkungen zu beurteilen. Aufgrund der von der Verfügungsklägerin vorgetragenen und glaubhaft gemachten potentiellen und tatsächlichen Auswirkungen und der erklärten Zielsetzung der Vertragsparteien ist davon auszugehen, dass die Vereinbarung zwischen der Verfügungsbeklagten und dem BMG den Wettbewerb auf dem relevanten Markt tatsächlich spürbar beeinträchtigt.
(a) Bei der bewirkten Wettbewerbsbeschränkung stehen die tatsächlichen Auswirkungen, d.h. die objektiven Folgen der Vereinbarung auf dem Markt im Mittelpunkt. Wettbewerbsbeschränkende Wirkungen liegen vor, wenn die Vereinbarung zu einer Beschränkung des Wettbewerbs im Sinne einer Einschränkung der Handlungs- und Auswahlmöglichkeiten dritter Marktteilnehmer führt (MüKo WettbR/Säcker/Zorn, 3. Aufl. 2020, Art. 101 AEUV Rn. 274).
Für die Ermittlung der objektiven Folgen ist der Wirkungszusammenhang zwischen der Vereinbarung und der aktuellen Wettbewerbssituation zu untersuchen. Die Vereinbarung muss zumindest hypothetisch kausal für die herrschende Wettbewerbssituation sein. Nach ständiger Rechtsprechung ist eine kontrafaktische Analyse vorzunehmen, d.h. eine Gegenüberstellung der aktuellen Wettbewerbssituation mit der hypothetischen Situation, die herrschen würde, wenn die Vereinbarung nicht durchgeführt worden wäre. Dabei sind nicht nur die tatsächlichen, sondern auch die potentiellen Auswirkungen auf den Wettbewerb zu berücksichtigen, zumindest in Situationen, in denen eine Vereinbarung noch gar nicht praktiziert wurde, und solchen, in denen eine Vereinbarung zwar schon praktiziert wurde, die Wirkungen, deren Eintritt sehr wahrscheinlich ist, aber noch nicht feststellbar sind. Dies trägt dem präventiven Charakter des Verbots Rechnung (MüKo WettbR/Säcker/Zorn, 3. Aufl. 2020, AEUV Art. 101 Rn. 275, 277).
(b) Die Handlungs- und Auswahlmöglichkeiten der Verfügungsklägerin sind durch die Vereinbarung der Verfügungsbeklagten mit dem BMG erheblich eingeschränkt, weil den Inhalten des NGP dauerhaft die bestmögliche Position auf der Ergebnisseite der Google-Suche, nämlich die neu geschaffene, prominent hervorgehobene Postion „0“ in der Infobox, vorbehalten ist, die Wettbewerbern damit von vornherein nicht zur Verfügung steht.
Der relevante Markt ist hier der des Angebots von Gesundheitsportalen im Internet, auf dem die Verfügungsklägerin und das BMG als Anbieter wesentlich gleichartiger Gesundheitsportale (s.o.) tätig sind. Die Verfügungsbeklagte ist mit einem Marktanteil von 90 % marktbeherrschende Anbieterin auf dem vorgelagerten Markt für die Erbringung allgemeiner Suchdienste in Deutschland. Nach dem unwidersprochenen Vortrag der Verfügungsklägerin finden die Nutzer ihren Weg zu den Gesundheitsportalen in den allermeisten Fällen (88-90 %) über eine Google-Suche. Die Betreiber von Gesundheitsportalen sind daher in besonderem Maße davon abhängig, auf der Suchergebnisseite der Verfügungsbeklagten eine gute Sichtbarkeit zu erzielen, um von den Nutzern angesteuert zu werden und so einen Nutzertraffic zu erzeugen, den sie wiederum mit dem Abschluss von Werbeverträgen monetarisieren können. Bisher stand den Portalbetreibern hierzu die Möglichkeit zur Verfügung, mit Wettbewerbsmitteln, nämlich entweder durch die Erstellung besonders relevanter Inhalte und weiterer Optimierungsmaßnahmen in Bezug auf das Ranking in den generischen Suchergebnissen, oder – jedenfalls theoretisch – durch den Kauf von Anzeigenplätzen ganz oben auf der Suchergebnisseite zu landen. Nunmehr existiert an prominenter Stelle neben bzw. vor den generischen Suchergebnissen die allein den Inhalten des NGP vorbehaltene Infobox, zu der die Wettbewerber des BMG auf dem Markt für Gesundheitsportale auf absehbare Zeit keinen Zugang haben.
Dass die Verfügungsklägerin hierdurch erhebliche Wettbewerbsnachteile befürchten muss, liegt auf der Hand. Ein zentrales Marketinginstrument wird dem Wettbewerb entzogen und dem BMG durch eine festgelegte „Poleposition“ ein nicht anderweitig ausgleichbarer Wettbewerbsvorteil gewährt. Denn dass die Nutzer in erster Linie die obersten Ergebnisse auf der Suchergebnisseite zur Kenntnis nehmen, hat die Verfügungsklägerin zum einen durch die Ausführungen mit Bezugnahme auf verhaltensökonomische Erklärungen der Europäischen Kommission im Verfahren „Google Search (Shopping)“ hinreichend glaubhaft gemacht. Zum anderen entspricht es der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Verbraucher eher geneigt sind, die oberen Ergebnisse einer Suchanfrage anzusteuern. Nicht zuletzt ist es das erklärte Ziel der Vertragspartner, die Aufmerksamkeit der Nutzer durch die prominent hervorgehobenen Infoboxen auf die Inhalte des NGP zu ziehen. Auch die Verfügungsbeklagte und das BMG gehen daher ausweislich ihrer Äußerungen auf der Pressekonferenz davon aus, dass diese von den Nutzern eher zur Kenntnis genommen werden als der restliche Inhalt der Suchergebnisseite.
Soweit die Verfügungsbeklagte behauptet, dass die Infoboxen lediglich Basisinformationen bereitstellten, die einen ersten Überblick geben, aber nicht das Informationsangebot der Verfügungsklägerin ersetzen, ist dieses Argument zum einen widersprüchlich. Denn die Verfügungsbeklagte betont selbst an anderer Stelle, dass die Infoboxen unmittelbare Antworten auf Suchanfragen liefern und so die Nachfrage nach Gesundheitsinformationen im Internet zeitsparend und zielgerichtet erfüllen. Zum anderen ist diese Behauptung weder mit dem tatsächlichen Inhalt der Infoboxen, der für manchen Informationssuchenden durchaus ausreichende Antworten liefert, noch mit den tatsächlichen Auswirkungen, wie sie die Verfügungsklägerin glaubhaft gemacht hat, in Einklang zu bringen.
Dabei mag es sein, dass die Nutzer von der Verlinkung auf das NGP wenig Gebrauch machen, wie die Verfügungsbeklagte vorträgt. Die rückläufige Klickrate auf der Seite der Verfügungsklägerin spricht jedoch dafür, dass eine Vielzahl der Nutzer ihre Suche aufgrund der Infoboxen abbricht, weil ihr Informationsbedürfnis bereits hierdurch gestillt wird. Die – unter Hinweis auf auch sonst vorkommende Schwankungen der Zugriffe bestrittene – Kausalität der Infoboxen für den – als solchen unbestrittenen – Rückgang der Klickrate für bestimmte Gesundheitsbegriffe ist hinreichend glaubhaft gemacht. So hat die Verfügungsklägerin Gesundheitsbegriffe ausgewählt, bei denen das Ranking in den allgemeinen Suchergebnissen während des Untersuchungszeitraums gleichbleibend war, so dass ein Rückgang der Klickrate nur auf einen Rückgang der Visibilität zurückzuführen sein kann. Auch zeigt der noch stärker ausgeprägte Rückgang der Klickrate auf mobilen Endgeräten, bei denen es die Anordnung von Anzeigen, Infoboxen und generischen Ergebnissen nötig macht, noch weiter nach unten zu scrollen, um zu den zuletzt genannten Suchergebnissen zu gelangen, dass eine Korrelation zwischen dem Maß des Verlustes an Sichtbarkeit und dem Rückgang der Klickrate besteht.
Eine abweichende Erklärung für die rückläufige Klickrate hat die Verfügungsbeklagte nicht vorgetragen, sondern lediglich immer wieder – auch bei dem zuletzt angestellten Vergleich mit Österreich – darauf verwiesen, dass der nach ihrer Auffassung allein maßgebliche, weil monetarisierbare Gesamttraffic auf der Webseite der Verfügungsklägerin konstant geblieben sei. Es leuchtet jedoch nicht ein, weshalb der nominale Traffic ein besserer Indikator für die wettbewerblichen Auswirkungen der streitgegenständlichen Vereinbarung sein soll als die Klickrate. Die nominale Entwicklung des Traffics sagt nichts darüber aus, wie sich dieser ohne die streitgegenständliche Vereinbarung entwickelt hätte, was für die Beurteilung der wettbewerblichen Auswirkungen aber maßgeblich ist (s.o.). Diesen Bezug stellt die Klickrate aber zumindest annähemd her, indem sie die Entwicklung der Klicks auf eine Webseite bei gleichbleibendem Ranking und gleichbleibender Anzahl an Impressionen misst. Wenn Suchergebnisse der Verfügungsklägerin gleichbleibend oft und auf gleichem Rang gezeigt werden, aber weniger angeklickt werden, und dieser Effekt zeitgleich mit dem Ausspielen der Infoboxen eintritt, ist das ein deutliches Indiz dafür, dass auch ein (gleichbleibend) gut platziertes generisches Suchergebnis aufgrund der Infoboxen an Aufmerksamkeit eingebüßt hat.
Zwar mag es sein, dass die Analysen der Verfügungsklägerin eher exemplarischen Charakter haben und auch, dass keine konkret erlittenen Umsatzeinbußen benannt werden können. Die Verfügungsklägerin kann sich hier jedoch auch maßgeblich auf die oben dargelegten potentiellen Auswirkungen der Vereinbarung berufen, denn angesichts der kurzen Dauer der Schaltung der Infoboxen konnten sich wettbewerbsbeschränkende Effekte aller Wahrscheinlichkeit nach noch nicht vollständig auswirken. Auf die nach dem Vortrag der Verfügungsklägerin obendrein zu befürchtenden sekundären Effekte, welche ein Abrutschen im Ranking aufgrund des durch die Infoboxen verstärkten Ansteuerns der Webseite des NGP und deren Einfluss auf den Algorithmus der Google-Suche möglicherweise befürchten lassen, kommt es vor diesem Hintergrund nicht an.
Die nachteiligen Auswirkungen führen dazu, dass die Verfügungsklägerin ihre Inhalte weniger Nutzern zugänglich machen kann, als dies ohne die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung der Fall wäre. Dabei ist die Schaltung von kostspieligen Anzeigen zur Erhaltung der Sichtbarkeit keine wirtschaftlich gleichwertige Alternative, auf die sich die Verfügungsklägerin verweisen lassen könnte oder müsste. Im Ergebnis kann die Verfügungsklägerin hierdurch weniger Einnahmen durch Werbemaßnahmen generieren und hat so weniger Spielraum für Investitionen in die Verbesserung ihrer Dienstleistung, als es ohne die Schaltung der blickfangartigen Infoboxen möglich wäre.
Soweit die Verfügungsbeklagte die Kausalität gerade der Vereinbarung für die Wettbewerbsbeschränkungen infragestellt, indem sie betont, dass die Einrichtung der Infoboxen auf ihrer einseitig getroffenen Entscheidung beruhe und allenfalls die Umsetzung einer Abstimmung mit dem BMG erfordert habe, unterscheidet sich der hiesige Fall nicht von jedem anderen Fall einer Vertikalvereinbarung. Jedem Geschäft, welches ein Unternehmen tätigt, geht eine unilaterale Entscheidung eines Unternehmensvertreters voraus, ein solches Geschäft abzuschließen. Nicht anders verhält es sich hier. Die Auswirkungen auf den Wettbewerb gehen nicht von der unternehmerischen Grundentscheidung aus, Infoboxen einführen zu wollen, sondern von der Vereinbarung, mit welcher diese in die Tat umgesetzt wird, nämlich der Übereinkunft mit dem BMG, bei der inhaltlichen Befüllung und Verlinkung exklusiv zusammenzuarbeiten, und deren Ausführung.
(3) Eine Freistellung der Vereinbarung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV bzw. § 2 GWB kommt nicht in Betracht. Die Vereinbarung trägt nicht zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts bei.
Freigestellt nach Art. 101 Abs. 3 AEUV sind Vereinbarungen, die Effizienzgewinne erzeugen. Unterschieden wird dabei zwischen quantitativen und qualitativen Effizienzsteigerungen. Dabei müssen durch die Vereinbarung objektive Vorteile entstehen, welche geeignet sind, die mit der Wettbewerbsbeschränkung verbundenen Nachteile auszugleichen. Dies erfordert in ständiger Rechtsprechung des EuGH, dass die durch eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung entstehenden Vorteile zu einer Steigerung der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt führen müssen (Immenga/Mestmäcker/Ellger, 6. Aufl. 2019, AEUV Art. 101 Abs. 3 Rn. 134).
Wann ein objektiver Vorteil vorliegt, ist unter Berücksichtigung des öffentlichen Interesses der Union zu bestimmen. Es reicht nicht, wenn die Parteien durch eine Vereinbarung lediglich ihre eigene Planungssicherheit verbessern und ihre Vertriebsorganisation effizienter gestalten können. Vielmehr muss ein im Unionsinteresse liegender marktwirksamer Effekt nachgewiesen werden (MüKo WettbR/Wolf, 3. Aufl. 2020, AEUV Art. 101 Rn. 1083, 1084).
Die beteiligten Unternehmen müssen hierzu eine nachvollziehbare Einschätzung des Umfangs der zu erwartenden Vorteile vorgetragen, welche den in der Wettbewerbsbeschränkung liegenden Nachteilen gegenübergestellt werden könnten (vgl. Immenga/Mestmäcker/Ellger, 6. Aufl. 2019, AEUV Art. 101 Abs. 3 Rn. 138).
(4) Derartige ausgleichende Effizienzgewinne hat die insoweit darlegungspflichtige Verfügungsbeklagte nicht vorgetragen und glaubhaft gemacht.
Die Verfügungsbeklagte beruft sich auf eine qualitative Verbesserung ihres eigenen Produkts, da den Verbrauchern unmittelbar verlässliche und autoritative Informationen zu bestimmten Krankheiten angezeigt werden. Damit schaffe die Verfügungsbeklagte einen Mehrwert für ihren Suchdienst.
(a) Es erscheint schon fraglich, ob die Einbindung von syndiziertem Content eine Verbesserung einer Suchmaschine darstellt, da es sich letztlich weniger um eine Verbesserung des Suchmaschinendienstes als um eine Verlagerung der Tätigkeit der Verfügungsbeklagten auf einen anderen Markt handelt, nämlich den eines Verlegers oder sonstigen Anbieters von – sei es lexikalischen oder journalistischen, jedenfalls aber schon wegen der bewussten inhaltlichen Reduzierung nicht völlig meinungsfreien – Inhalten. Die Verfügungsbeklagte geht damit über ihre Grundfunktion, als Suchplattform im Internet Nachfrager nach Produkten oder Dienstleistungen (z.B. Informationen) und deren Anbieter zusammenzubringen, aber auch über die unmittelbare Beantwortung sachlicher Suchanfragen (z.B. Wetter, Höhe des Eiffelturms) hinaus. Letztlich verlässt die Verfügungsbeklagte den Markt der reinen Suchmaschine im Sinne eines Vermittlers von Produkten an Nutzer und wird selbst zu einem Anbieter dieses Produkts. Dabei entspricht es zwar dem Leistungsgedanken des Wettbewerbs, Produktveränderungen und Verbesserungen hervorzubringen. Wenn aber die Verfügungsbeklagte dauerhaft eine Infobox mit den Inhalten des NGP vor die generischen Suchergebnisse setzt, bewertet sie zum einen die verschiedenen im Netz zur Beantwortung einer Suchanfrage zur Verfügung stehenden Quellen, indem sie eine davon vorab als maßgebliche Antwort prominent hervorhebt. Damit trifft sie eine inhaltliche Vorauswahl, die losgelöst von dem Google Algorithmus ist. Dies ist für den Nutzer zum einen nicht unbedingt transparent, zum anderen wird hier eine inhaltliche Bewertung getroffen und damit letztlich ein Betrag zur öffentlichen Meinungsbildung geleistet. Ob dies eine Verbesserung einer Suchmaschine ist, erscheint objektiv zumindest zweifelhaft.
(b) Selbst wenn man aber mit der Verfügungsbeklagten davon ausgeht, dass ihr Angebot durch die Einbindung der Infoboxen mit unmittelbar sichtbaren Gesundheitsinformationen attraktiver wird (vgl. LG Hamburg, Beschl. v. 04.04.2013 – 408 HKI 36/13), stellt dies keinen Effizienzgewinn im Sinne der Freistellungsvorschrift des Art. 101 Abs. 3 AEUV dar.
Die Steigerung der Attraktivität des Produkts eines einzelnen Marktteilnehmers stellt weder eine Steigerung der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt dar, noch hat die Verfügungsbeklagte einen im Unionsinteresse liegenden marktwirksamen Effekt glaubhaft gemacht. Ein solcher steht auch nicht zu erwarten. Denn die attraktivere Gestaltung des Produkts eines einzelnen Anbieters für die Verbraucher kann nicht die Nachteile aufwiegen, die hier durch die Wettbewerbsbeschränkung für sämtliche andere Marktteilnehmer entstehen.
Dies gilt vor allem wenn – wie hier – ein marktbeherrschendes Unternehmen als „Gatekeeper“ auf dem vorgelagerten Suchmaschinenmarkt zum Nachteil der von ihm abhängigen privaten Mitbewerber dem steuerfinanzierten Angebot des Staates dauerhaft eine „Poleposition“ im Kampf um die Aufmerksamkeit der Nutzer vermittelt, um die Attraktivität bzw. Visibilität ihrer jeweils eigenen Produkte aufzubessern. Hier greifen zwei Akteure in den relevanten Markt ein, die selbst ein geringes wirtschaftliches Risiko eingehen und erschweren den bereits vorhandenen Marktteilnehmern den Zugang zu ihren Nutzern, was bei dem speziell betroffenen Markt auch noch einen Eingriff in die Medien- und Meinungsvielfalt mit sich bringt.
Wie in einem solchen Fall die zu erwartenden Vorteile die Nachteile aufwiegen sollen, hat die Verfügungsbeklagte weder nachvollziehbar dargelegt noch ist dies ersichtlich.
(c) Soweit die Verfügungsbeklagte implizit die Verbesserung der Gesundheitsaufklärung der Bevölkerung als Wohlfahrtsgewinn anführt, fehlt es auch insoweit an einer nachvollziehbaren Darlegung und Gewichtung dieses Vorteils. Inwiefern die Infoboxen hierzu tatsächlich einen Beitrag leisten, ist nicht dargetan. Jedenfalls erscheint dieser Vorteil in der Abwägung der vorgenannten Gesamtumstände nicht so überragend, dass dies die Gefahr der Verdrängung anderer seriöser Anbieter von Gesundheitsinformationen vom Markt rechtfertigt. Im Gegenteil droht dadurch ein Verlust der bestehenden Vielfalt an qualitativ hochwertigen Gesundheitsportalen und damit auch der Verfügbarkeit von medizinischen „Zweitmeinungen“.
2. Der Erlass bzw. die Vollziehung der einstweiligen Verfügung war nicht gem. §§ 935, 936, 921 S. 2 ZPO von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen, wie die Verfügungsbeklagte hilfsweise beantragt hatte. Die Verfügungsbeklagte hat ihren Antrag insoweit weder begründet, insbesondere mögliche Schäden dargelegt und beziffert, noch ist ein Grund für die Anordnung ersichtlich.
III. Die Verfügungsklägerin hat auch das Bestehen eines Verfügungsgrundes glaubhaft gemacht.
Ein Verfügungsgrund liegt vor, wenn die objektiv begründete Gefahr besteht, dass durch Veränderung des Status quo die Rechtsverwirklichung des Antragstellers mittels des im Hauptsacheprozess erlangten Urteils einschließlich dessen Vollstreckung vereitelt oder erschwert werden könnte. Der Antragsteller muss sich dabei nicht auf einen Entschädigungsanspruch verweisen lassen (MüKoZPO/Drescher, 6. Aufl. 2020, ZPO § 935 Rn. 15).
Die Verfügungsklägerin hat, wie oben ausgeführt, glaubhaft dargelegt, dass ihr aufgrund des durch die Infoboxen bedingten Sichtbarkeitsverlustes in der Google-Suche Traffic verloren zu gehen droht, der sich bereits jetzt in einem Rückgang der Klickraten bei einzelnen Krankheitsbegriffen realisiert hat, und dass der Nutzertraffic für den Abschluss vorteilhafter Verträge mit Werbetreibenden maßgeblich ist. Es ist zu befürchten, dass sich der Rückgang bis zum Abschluss eines Hauptsacheverfahrens in konkreten Einkommensverlusten niederschlägt, zumal die Verfügungsklägerin glaubhaft gemacht hat, dass aufgrund des Keyword-Targeting als ihrem zentralen Marketinginstrument bereits eine Verringerung der Sichtbarkeit auf thematisch eng gefassten Themenfeldern die Monetarisierungsmöglichkeiten stark beeinträchtigt (vgl. Anlage K36, S. 2). Die Verfügungsklägerin muss diese Einkommensverluste weder abwarten, noch muss sie für den Erlass einer einstweiligen Verfügung glaubhaft machen, dass sie in ihrer Existenz gefährdet ist, zumal die Verfügungsklägerin keine Leistungsverfügung beantragt.
Die Verfügungsklägerin hat die sich aus diesen Umständen ergebende Dringlichkeit nicht dadurch widerlegt, dass sie nicht alles in ihrer Macht stehende getan hat, um einen möglichst baldigen Erlass der einstweiligen Verfügung zu erreichen (vgl. OLG Düsseldorf Urt. v. 07.09.2020 – VI-U (Kart) 4/20 – NZKart 2020, 545, 546). So hat sie den Antrag am 27.11.2020, mithin binnen eines Monats nach Beginn der Kooperation zwischen der Verfügungsbeklagten und dem BMG bei Gericht eingereicht.
Dem drohenden Rechtsverlust stehen auch keine vorrangig zu berücksichtigenden Interessen der Verfügungsbeklagten gegenüber. Ein nachhaltiger Reputationsverlust der Verfügungsbeklagten ist durch die Rücknahme eines erst kürzlich eingeführten Angebots ebensowenig zu erwarten wie eine Beeinträchtigung des Allgemeininteresses an der öffentlichen Gesundheit.
IV.
Die Entscheidung über die Kosten ergeht gem. §§ 92 Abs. 1 S. 1, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO. Der abgewiesene Antrag zu Ziffer 2) hat inhaltlich weitgehend dieselbe Zielrichtung wie der Antrag zu Ziffer 1), dem stattgegeben wurde. Soweit der Antrag zu Ziffer 2) ebenso wie der zurückgenommene Teil des Antrags zu Ziffer 1) inhaltlich über die zugesprochene Unterlassung hinausging, fiel dies nicht so sehr ins Gewicht, dass der Verfügungsklägerin insgesamt eine Kostenlast von mehr als einem Viertel aufzuerlegen gewesen wäre.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht hinsichtlich des Kostenerstattungsanspruchs der Verfügungsbeklagten gem. §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO.
Verkündet am 10.02.2021


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