Europarecht

Verbot von Werbeaussagen für ein Nahrungsergänzungsmittel

Aktenzeichen  17 HK O 15586/18

Datum:
20.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
MD – 2020, 777
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VO (EG) Nr. 1924/2006 Art. 2 Abs. 5, Art. 10 Abs. 1 u. 3, Art. 28 Abs. 5
UWG § 3a

 

Leitsatz

Die Indikationen „Stress, Konzentrationsprobleme, Abgeschlagenheit, nervöse Unruhe“, mit denen für ein Nahrungsergänzungsmittel geworben wird,  werden von den angesprochenen Verkehrskreisen nicht lediglich als eine bloße Lästigkeit oder Unpässlichkeit, die zum Alltag des menschlichen Lebens gehören, aufgefasst sondern als gesundheitsbezogene Angaben. (Rn. 23 – 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I) Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu verhängenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollziehen an den Geschäftsführern der Beklagten, zu unterlassen,
Im geschäftlichen Verkehr für das Nahrungsergänzungsmittel „Ashwagandha“ mit den Angaben zu werben:
1. „Ashwagandha bei Stress“ und/oder „Konzentrationsprobleme“ und/oder „Abgeschlagenheit“ und/oder „Nervöse Unruhe“
sofern dies geschieht, wie in Anlage K 3 wiedergegeben;
2. „Zur Anwendung bei Stress sowie stressbedingten Konzentrationsproblemen, Abgeschlagenheit und/oder nervöser Unruhe“, sofern dies geschieht, wie in Anlage K 4 wiedergegeben;
3. „Dauerstress? Alsiroyal Ashwagandha bei Stress Bei Dauer-Stress fühlt man sich häufig angespannt, überfordert, erschöpft, unkonzentriert, gereizt oder schläft unruhig.
Alsiroyal Ashwagandha bei Stress trägt zu seelischem und körperlichem Wohlbefinden sowie emotionaler Balance bei“, sofern dies geschieht wie in Anlage K 5 wiedergegeben.
II) Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, in Ziffer I) gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 45.000,00 € und in Ziffer II) gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages.

Gründe

A)
Die zulässige Klage ist begründet, dem Kläger stehen die geltend gemachten Unterlassungsansprüche zu nach §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nummer 2; 3; 3a UWG in Verbindung mit Art. 10 der Verordnung (EG) 1924/2006 des europäischen Parlamentes und des Rates vom 20.12.2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel (Lebensmittelgesundheitsangaben Verordnung = Health Claims Verordnung, HCVO).
I) Nach Art. 10 Abs. 1 HCVO sind gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel verboten, sofern sie nicht gemäß Art. 13 HCVO zugelassen und in die Liste der zugelassenen Angaben aufgenommen sind.
Nach Art. 2 Abs. 5 HCVO sind „gesundheitsbezogene Angaben“ alle Angaben, mit denen erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Zusammenhang zwischen einer Lebensmittelkategorie, einem Lebensmittel oder einem seiner Bestandteile einerseits und der Gesundheit andererseits besteht. Aus Gründen des Verbraucherschutzes ist dabei der Begriff der gesundheitsbezogenen Angaben weit zu fassen und umfasst sowohl die vorübergehenden und flüchtigen Auswirkungen, als auch die kumulativen Auswirkungen des wiederholten und längerfristigen Verzehrs eines bestimmten Lebensmittels auf den körperlichen Zustand.
II) Unter Berücksichtigung dieses Grundsatzes handelt es sich bei den von der Beklagten verwendeten und seitens des Klägers angegriffenen Werbeaussagen durchgehend um gesundheitsbezogene Angaben. Zu den von der Werbung angesprochenen Verkehrskreisen gehören Personen, welche unter Stress stehen, Konzentrationsprobleme haben und unter Abgeschlagenheit und nervöser Unruhe leiden. Zu den angesprochenen Verkehrskreisen zählen somit auch die Mitglieder der erkennenden Kammer.
Die angesprochenen Verkehrskreise verstehen die in Rede stehenden Angaben dahingehend, dass man mit der Einnahme des Mittels Stress, Konzentrationsproblemen, Abgeschlagenheit und/oder nervöser Unruhe wirksam begegnen kann. Die Verkehrskreise gehen davon aus, dass Personen, welche sich gestresst fühlen und an Konzentrationsproblemen leiden, sich abgeschlagen fühlen oder von nervöser Unruhe befallen sind, mit der Einnahme des Mittels über einen gewissen Zeitraum hinweg bei gleich bleibenden Stressfaktoren erheblich weniger gestresst oder gänzlich von Stress befreit sind. Die Verkehrskreise gehen davon aus, dass, wenn sie zuvor unter Konzentrationsproblemen gelitten haben, sie sich nach Einnahme des Mittels wieder gut konzentrieren können. Des Weiteren gehen die Verkehrskreise davon aus, dass sie, anstatt abgeschlagen zu sein, nach Einnahme des Mittels wieder munter und voller Tatendrang sind und vorhandene nervöse Unruhe sich entweder deutlich reduziert oder sogar ganz verschwindet.
Die Indikationen „Stress, Konzentrationsprobleme, Abgeschlagenheit, nervöse Unruhe“ für die die Beklagte das Mittel bewirbt, werden im konkreten Fall von den angesprochenen Verkehrskreisen nicht lediglich als eine bloße Lästigkeit oder Unpässlichkeit, die zum Alltag des menschlichen Lebens gehören, aufgefasst. Verbraucher, die sich von der in Rede stehenden Werbung der Beklagten angesprochen fühlen, sind nicht solche Personen, die über ausreichende mentale Ressourcen verfügen, um mit Stress, Abgeschlagenheit und nervöser Unruhe umgehen zu können. Denn wenn diese Ressourcen vorhanden wären, würde bei den betroffenen Personen nicht der Wunsch bestehen, sich durch die Einnahme eines Präparates zusätzlich zu stärken. Die Personen würden dann die anstehenden Aufgaben einfach bewältigen, ohne sich überhaupt Gedanken darüber machen zu müssen und zu machen, ob einem die anstehenden Probleme über den Kopf wachsen. Die angesprochenen Verkehrskreise sind vielmehr solche Personen, bei denen der Stress, die Konzentrationsprobleme, die Abgeschlagenheit und die nervöse Unruhe vermeintlich oder tatsächlich die Ebene einer bloßen Lästigkeit oder Unpässlichkeit verlassen haben. Dafür spricht auch, dass die Beklagte selbst in ihrer Werbung darauf hinweist, dass anhaltender Stress im Privat- oder Berufsleben die Gesundheit und die Lebensqualität beeinträchtigen kann und auf der seelischen Ebene es zu Nervosität und Unruhe kommen kann. Die angesprochenen Verkehrskreise gehen deshalb davon aus, dass bei Einnahme des Produktes der Beklagten die beschriebenen Symptome/Probleme gelindert, gebessert werden oder sogar verschwinden.
Aus Sicht der angesprochenen Verkehrskreise handelt es sich somit um gesundheitsbezogene Angaben, da mit diesen zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Zusammenhang zwischen dem beworbenen Nahrungsergänzungsmittel (oder einem seiner Bestandteile) einerseits und der Gesundheit der angesprochenen Verkehrskreise andererseits ein Zusammenhang besteht.
Damit verstößt die Beklagte durch die in Rede stehenden Werbeaussagen gegen Art. 10 Abs. 1 HCVO.
Die nach Art. 13 HCVO zu verabschieden Liste der zugelassenen gesundheitsbezogenen Angaben ist in der Verordnung (EU) 432 / 2012 vom 16.05.2012 festgelegt.
Die hier in Rede stehenden Angaben bezogen auf das von der Beklagten vertriebene Produkt sind in dieser nicht enthalten.
III) Die Beklagte kann sich im vorliegenden Falle auch nicht darauf berufen, dass für die von ihr beworbene Wirkung des Produktes in diesem enthaltene Pflanzensubstanzen verantwortlich seien, es sich um ein sogenanntes Botanical handle und deshalb die HCVO keine Anwendung finde. Denn mit der Verabschiedung der Teil-Listen entsprechend der VO 432/2012 hat der europäische Gesetzgeber das Verbotsregime der HCVO in Kraft gesetzt. Einen Ausnahmetatbestand in der HCVO dahingehend, dass Art. 10 Abs. 1 HCVO für pflanzliche Zutaten nicht gelten würde, gibt es nicht.
Auf Art. 10 Abs. 3 HCVO kann die Beklagte sich im vorliegenden Falle ebenfalls nicht berufen. Denn die Erwägung, Art. 10 Abs. 3 HCVO sei insoweit nicht zu vollziehen, solange ein Botanical noch nicht beschieden, sondern dessen Prüfung zurückgestellt worden ist, kann jedenfalls auf spezifische gesundheitsbezogene Angaben im Sinne von Art. 10 Abs. 1 HCVO nicht übertragen werden (vergleiche OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 29.05. 2019, Aktenzeichen 6U 38/18). Im vorliegenden Falle handelt es sich allerdings bei den in Rede stehenden Aussagen nicht um Verweise auf allgemeine, nicht spezifische Vorteile des Nährstoffes oder des Lebensmittels für die Gesundheit im allgemeinen, sondern vielmehr um spezifische Gesundheitsangaben, weil, wie oben ausgeführt, die Beklagte mit den angegriffenen Aussagen zum Ausdruck bringt, dass das Mittel gerade bei bestimmten körperlichen und gesundheitlichen Problemen eine Wirkung entfalten werde.
IV) Die Beklagte kann sich auch nicht auf die Übergangsvorschrift des Art. 28 Abs. 5 HCVO berufen. Denn die Beklagte hat nichts dazu vorgetragen, dass und welche der in Rede stehenden Aussagen zur Aufnahme in die Liste nach HCVO angemeldet worden wäre. Ohne Anmeldung kann aber keine der streitgegenständlichen Angaben zurückgestellt worden sein und damit unter die Übergangsvorschrift des Art. 28 Abs. 5 HCVO fallen. Denn wenn noch nicht einmal aufgrund des Standes zur Anmeldung gelangter Claims davon auszugehen ist, dass über gesundheitsbezogene Angaben zu Stoffen, welche in dem Produkt enthalten sind, die Kommission im Rahmen der Bearbeitung der Liste angemeldeter, aber noch nicht verbeschiedener Claims entscheiden werde, kann nicht darauf verwiesen werden, dass bis zur vollständigen Verabschiedung der Liste entsprechende spezifische Angaben, wie auch unspezifische Angaben verwendet werden könnten.
V) Darüber hinaus gilt, dass gesundheitsbezogene Angaben nach Art. 10, 13 HCVO jeweils nur zu dem bestimmten Nährstoff, der Substanz oder dem Lebensmittel gemacht werden dürfen, für die sie nach der Gemeinschaftsliste zugelassen sind und nicht zu dem jeweiligen Lebensmittel, welches diese Elemente enthält, ohne den der zugelassenen Aussage zu Grunde liegenden Zusammenhang mit der Substanz herauszustellen. Auch hiergegen verstößt die Beklagte, weil aus der von der Beklagten verwendeten Werbung nicht klar hervorgeht, ob die vermeintlichen Wirkungen auf der Zutat Ashwagandha oder der ebenfalls enthaltenen Panthothensäure beruhen soll.
Damit liegt im Ergebnis ein Verstoß der Beklagten gegen Art. 10 HCVO vor. Dieser enthält ein Werbeverbot und stellt sich somit als eine Vorschrift dar, welche auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift ist somit unlauter im Sinne von § 3 a UWG und nach § 3 UWG zu unterlassen.
Somit erweisen sich die geltend gemachten Unterlassungsansprüche als begründet und war der Klage daher stattzugeben.
B)
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
C)
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 Satz 1, Satz 2 ZPO.
Verkündet am 20.02.2020


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