Europarecht

VI ZR 804/20

Aktenzeichen  VI ZR 804/20

Datum:
31.5.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2022:310522UVIZR804.20.0
Normen:
§ 253 Abs 2 Nr 2 ZPO
Spruchkörper:
6. Zivilsenat

Leitsatz

1. Die Bestimmung des Streitgegenstands ist Sache des Klägers. Will er einen weiteren Streitgegenstand in den Prozess einführen, muss er zweifelsfrei deutlich machen, dass er einen neuen prozessualen Anspruch verfolgt.
2. Leitet ein Fahrzeugkäufer sein Schadensersatzbegehren in einem sog. Dieselfall zusätzlich aus einer vertraglichen Vereinbarung im Zusammenhang mit dem Aufspielen des Software-Updates ab, handelt es sich gegenüber dem ursprünglichen Fahrzeugerwerb um einen anderen Klagegrund und damit um einen anderen Streitgegenstand.

Verfahrensgang

vorgehend LG Koblenz, 19. Mai 2020, Az: 6 S 44/19vorgehend AG Andernach, 11. Januar 2019, Az: 64 C 30/18

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 19. Mai 2020 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand

1
Der Kläger nimmt den beklagten Fahrzeughersteller wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasrückführung auf Schadensersatz in Anspruch.
2
Der Kläger erwarb am 26. Dezember 2015 privat von einem Dritten einen gebrauchten VW Golf Variant Diesel für 9.600 €. Das von der Beklagten hergestellte Fahrzeug ist mit einem ebenfalls von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet. Dieser Motor verfügte über eine unzulässige Abschalteinrichtung in Gestalt einer Steuerungssoftware, die den Prüfstandsbetrieb bei der Typzulassung erkannte und dann die Grenzwerte der Abgasnorm EU 5 einhielt. Der Kläger ließ später ein Software-Update aufspielen.
3
Der Kläger verlangt die Zahlung eines “Minderungsbetrages”, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 960 €, und die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche Schäden zu ersetzen, die aus dem Einbau der Manipulationssoftware oder der Nachrüstung des Fahrzeuges resultieren, soweit sie den verlangten Betrag überschreiten.
4
Die Klage blieb vor Amts- und Landgericht ohne Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

I.
5
Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht dem Kläger gegen die Beklagte ein Anspruch aus § 826 BGB nicht zu, da es zum Zeitpunkt des Erwerbs des Gebrauchtfahrzeugs an einer sittenwidrigen Veranlassung des Erwerbs durch die Beklagte fehlte. Die Maßnahmen der Beklagten im Zusammenhang mit der Aufdeckung des Abgasskandals ließen in der Gesamtschau eine Wertung des Verhaltens der Beklagten gegenüber dem Kläger als sittenwidrig zum hier maßgeblichen Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses nicht mehr zu. Die Beklagte habe nicht nur bereits am 22. September 2015 im Rahmen einer Ad-hoc-Mitteilung eingeräumt, dass Fahrzeuge des VW-Konzerns mit einem Gesamtvolumen von rund 11 Millionen mit Motoren des Typs EA189 ausgestattet seien, bei denen eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und dem realen Fahrbetrieb festgestellt worden sei. Sie habe auch Anfang Oktober 2015 ihr Händlernetz über dieses Softwareproblem weitgehend informiert und die Händler angewiesen, alle Gebrauchtwagenkäufer über das Vorhandensein einer Umschaltlogik aufzuklären. Sie habe außerdem Anfang Oktober 2015 eine Internetseite eingerichtet, auf der jeder durch die Eingabe der Fahrzeugidentifikationsnummer habe überprüfen können, ob ein Fahrzeug vom Abgasskandal betroffen sei. Auch infolge der diese Maßnahmen begleitenden umfangreichen Pressemitteilungen der Beklagten sei die Dieselthematik im Zeitraum vom 22. September 2015 bis zum 26. Dezember 2015 Gegenstand einer sehr intensiven Berichterstattung in nahezu allen Zeitungen sowie Fernsehsendern und Online-Medien in Deutschland gewesen. Es bestehe auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB, denn auch hier fehle es an der erforderlichen Täuschung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses.
II.
6
Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand. Das Berufungsgericht hat dem Kläger die geltend gemachten Schadensersatzansprüche zu Recht versagt.
7
1. Ohne Erfolg macht die Revision geltend, der mit der Klage verfolgte Anspruch ergebe sich bereits aus einer vertraglichen Vereinbarung zwischen den Parteien.
8
a) Die Revision trägt insoweit vor, die Beklagte habe dem Kläger nach Aufspielen des ihm von ihr angebotenen Software-Updates eine Bescheinigung erteilt, mit der sie ihm bestätigt habe, dass die Rückrufaktion ordnungsgemäß durchgeführt worden sei und dass das Fahrzeug nunmehr vollumfänglich den geltenden gesetzlichen Vorschriften entspreche. Die Beklagte habe ferner zugesichert, dass mit der Umsetzung der Maßnahme keine Verschlechterungen verbunden seien und alle typgenehmigungsrelevanten Fahrzeugwerte unverändert Bestand hätten. Der Klageanspruch bestünde vor diesem Hintergrund auf – zumindest konkludent geltend gemachter – vertraglicher Grundlage, nämlich dem Update-Vertrag, einem Mischvertrag mit Vergleichs- und Werkvertragsanteil, und der genannten Bescheinigung, einer Erklärung der Beklagten, verschuldensunabhängig für die vollständige Mangelbeseitigung einzustehen.
9
b) Dieser Berufung auf vertragliche Ansprüche steht bereits prozessual entgegen, dass es sich insoweit um eine Klageerweiterung handelt, die im Revisionsverfahren grundsätzlich nicht zulässig ist (vgl. dazu und zum Folgenden Senatsurteile vom 22. Februar 2022 – VI ZR 934/20, BB 2022, 722 Rn. 12 und – VI ZR 265/20, juris Rn. 16; BGH, Urteil vom 3. April 2003 – I ZR 1/01, BGHZ 154, 342, 351, juris Rn. 50 mwN).
10
aa) Der Streitgegenstand (der prozessuale Anspruch) wird durch den Klageantrag bestimmt, in dem sich die vom Kläger in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und den Lebenssachverhalt (Klagegrund), aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet. Das Gericht ist zwar verpflichtet, den vorgetragenen Lebenssachverhalt umfassend rechtlich daraufhin zu überprüfen, ob danach der Klageantrag begründet ist. Es muss dabei aber die Grenzen des vom Kläger bestimmten Streitgegenstands beachten (BGH, Urteil vom 29. Juni 2006 – I ZR 235/03, BGHZ 168, 179 Rn. 15 f. mwN). Die Bestimmung des Streitgegenstands ist Sache des Klägers. Will er einen weiteren Streitgegenstand in den Prozess einführen, muss er zweifelsfrei deutlich machen, dass er einen neuen prozessualen Anspruch verfolgt; ein neuer Sachvortrag genügt als solcher nicht. Dies erfordert insbesondere der Schutz des Beklagten, für den erkennbar sein muss, welche prozessualen Ansprüche gegen ihn erhoben werden, um seine Rechtsverteidigung danach ausrichten zu können (BGH, aaO, Rn. 20 mwN).
11
bb) Nach diesen Grundsätzen hätte es dem Kläger oblegen, die mit der Revision vorgenommene Anknüpfung an das Aufspielen des Software-Updates als Verwirklichung eines eigenständigen Haftungsgrundes für den geltend gemachten Anspruch bereits im instanzgerichtlichen Verfahren zweifelsfrei deutlich zu machen. Denn insoweit handelt es sich um die Herleitung der begehrten Rechtsfolge aus einem – gegenüber dem ursprünglichen Fahrzeugerwerb im Dezember 2015 – anderen Klagegrund und damit um einen anderen Streitgegenstand (vgl. Senatsurteil vom 22. Februar 2022 – VI ZR 934/20, juris Rn. 11 f.; vom 6. Juli 2021 – VI ZR 40/20, NJW 2021, 3041 Rn. 35). Anders als die Revision meint, hat der Kläger dies nicht getan und sein Begehren nicht – auch nicht konkludent – bereits im instanzgerichtlichen Verfahren auf eine im Zusammenhang mit dem aufgespielten Update eingegangene vertragliche Beziehung mit der Beklagten gestützt. Auch die von der Revision hierzu angeführten Passagen aus dem Instanzvortrag des Klägers und dem amtsgerichtlichen Urteil geben eine solche Annahme nicht her. Soweit der Kläger überhaupt auf das Update Bezug genommen hat, ging es ihm vielmehr darum, darzutun, dass der durch die ursprüngliche Manipulation entstandene Schaden (Mangel) auch durch das Update nicht beseitigt worden sei, das Fahrzeug vielmehr nun einen erhöhten Verbrauch, einen Leistungsverlust und einen höheren Motorverschleiß verzeichne.
12
cc) Zudem hätte es dem Kläger oblegen, die verschiedenen prozessualen Ansprüche (Streitgegenstände) in ein Eventualverhältnis zu stellen, um dem Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zu genügen. Anderenfalls handelte es sich um eine unzulässige alternative Klagehäufung (vgl. Senatsurteile vom 22. Februar 2022 – VI ZR 934/20, BB 2022, 722 Rn. 13 und – VI ZR 265/20, juris Rn. 17; BGH, Urteil vom 24. März 2011 – I ZR 108/09, BGHZ 189, 56 Rn. 6 ff.; Beschluss vom 27. November 2013 – III ZR 371/12, juris Rn. 2).
13
2. Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 oder aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB, § 31 BGB bestehen nicht (vgl. Senatsurteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 10 ff., 17 ff.; Senatsbeschluss vom 15. Juni 2021 – VI ZR 566/20, juris Rn. 7 f.). Dies macht die Revision auch nicht geltend.
14
3. Die Revision hat auch keinen Erfolg, soweit sie sich gegen die Verneinung eines deliktischen Schadensersatzanspruchs nach § 826 BGB durch das Berufungsgericht wendet.
15
a) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der in einer Gesamtschau durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (st. Rspr., s. nur Senatsurteile vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715 Rn. 29; vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 15). Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (Senatsurteile vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715 Rn. 29; vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 15; vom 28. Juni 2016 – VI ZR 536/15, NJW 2017, 250 Rn. 16 mwN). Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (Senatsurteile vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715 Rn. 29; vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 15; vom 7. Mai 2019 – VI ZR 512/17, NJW 2019, 2164 Rn. 8 mwN; Senatsbeschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, ZIP 2021, 297 Rn. 14). Fallen die erste potentiell schadensursächliche Handlung und der Eintritt des Schadens zeitlich auseinander, ist der Bewertung eines schädigenden Verhaltens als (nicht) sittenwidrig das gesamte Verhalten des Schädigers bis zum Eintritt des Schadens bei dem konkreten Geschädigten zugrunde zu legen. Denn im Falle der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826 BGB wird das gesetzliche Schuldverhältnis erst mit Eintritt des Schadens bei dem konkreten Geschädigten begründet; der haftungsbegründende Tatbestand setzt die Zufügung eines Schadens zwingend voraus. Deshalb kann im Rahmen des § 826 BGB ein Verhalten, das sich gegenüber zunächst betroffenen (anderen) Geschädigten als sittenwidrig darstellte, aufgrund einer Verhaltensänderung des Schädigers vor Eintritt des Schadens bei dem konkreten Geschädigten diesem gegenüber als nicht sittenwidrig zu werten sein (Senatsurteile vom 8. Dezember 2020 – VI ZR 244/20, ZIP 2021, 84 Rn. 12; vom 23. März 2021 – VI ZR 1180/20, VersR 2021, 732 Rn. 10; Senatsbeschluss vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20, VersR 2021, 661, Rn. 13, jeweils mwN). Hiervon ist insbesondere dann auszugehen, wenn wesentliche Elemente, die das bisherige Verhalten des Schädigers gegenüber zunächst betroffenen (anderen) Geschädigten als besonders verwerflich erscheinen ließen, durch die Änderung seines Verhaltens derart relativiert werden, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf sein Gesamtverhalten gegenüber dem später betroffenen Geschädigten und im Hinblick auf den Schaden, der diesem entstanden ist, nicht gerechtfertigt ist (vgl. Senatsurteile vom 8. Dezember 2020 – VI ZR 244/20, ZIP 2021, 84 Rn. 14, 17; vom 23. März 2021 – VI ZR 1180/20, VersR 2021, 732 Rn. 12; Senatsbeschluss vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20, VersR 2021, 661 Rn. 17 f.).
16
b) Zwar hat die Beklagte die von ihr hergestellten Dieselmotoren der Baureihe EA189 mit einer Motorsteuerungssoftware versehen, die so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand eingehalten, im normalen Fahrbetrieb aber überschritten wurden. Zugunsten des Klägers kann unterstellt werden, dass die Beklagte die mit dieser offensichtlich unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeuge sodann unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzten, in den Verkehr gebracht und dabei die damit einhergehende Gefahr, dass bei einer Aufdeckung dieses Sachverhalts eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung hinsichtlich der betroffenen Fahrzeuge erfolgen könnte, in Kauf genommen hatte. Ein solches auf einer grundlegenden strategischen Entscheidung beruhendes Verhalten ist im Verhältnis zu den Personen, die eines der betroffenen Fahrzeuge vor den von der Beklagten im September 2015 ergriffenen (Aufklärungs-)Maßnahmen erwarben und keine Kenntnis von der illegalen Abschalteinrichtung hatten, besonders verwerflich und objektiv sittenwidrig. Es steht wertungsmäßig einer unmittelbaren arglistigen Täuschung dieser Personen gleich (grundlegend Senatsurteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 13 ff.).
17
c) Durch die Verhaltensänderung der Beklagten ab der Ad-hoc-Mitteilung vom 22. September 2015 ist jedoch der Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf ihr Gesamtverhalten gegenüber späteren Käufern – wie dem Kläger – von mit einem Motor der Baureihe EA189 ausgestatteten Fahrzeugen und im Hinblick auf den Schaden, der diesen durch die Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit entstanden sein könnte, nicht gerechtfertigt. Die Beklagte ist an die Öffentlichkeit getreten, hat Unregelmäßigkeiten eingeräumt und Maßnahmen zur Beseitigung des gesetzeswidrigen Zustandes erarbeitet, um die Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung zu bannen. Auf der Grundlage der getroffenen und von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen ist das in der Entwicklung und dem Inverkehrbringen des Motortyps EA189 liegende Verhalten der Beklagten gegenüber dem Kläger bei der gebotenen Gesamtbetrachtung folglich nicht als sittenwidrig zu beurteilen (vgl. Senatsurteile vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 27 ff., vom 8. Dezember 2020 – VI ZR 244/20, ZIP 2021, 84 Rn. 11 ff.; vom 23. März 2021 – VI ZR 1180/20, WM 2021, 986 Rn. 9 ff.; Senatsbeschluss vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 11 ff.). Die Revision stellt dies für sich genommen auch nicht in Abrede.
18
d) Ohne Erfolg macht die Revision im Wege der Verfahrensrüge geltend, das Berufungsgericht habe ihren unter Sachverständigenbeweis gestellten Vortrag übergangen, “das Update sei aufgrund fortgeführter Manipulationen nicht einmal aktuell gesetzeskonform, weshalb unverändert eine Betriebsuntersagung drohe”. Die Bedeutung der oben dargestellten Maßnahmen der Beklagten für das Ergebnis der Sittenwidrigkeitsprüfung wird nicht dadurch relativiert, dass – so die Revision – zugunsten des Klägers zu unterstellen wäre, dass die Beklagte ihre Bemühungen, den gesetzeswidrigen Zustand zu beseitigen, lediglich vorgespiegelt, eine Täuschung durch eine andere ersetzt und damit ihr verwerfliches Verhalten nur in veränderter Weise fortgesetzt hätte.
19
aa) Die Revision zeigt keinen vom Berufungsgericht übergangenen Tatsachenvortrag auf, dem die Behauptung einer Täuschung des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) entnommen werden könnte. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen kann von einer solchen neuerlichen Täuschung des KBA nicht ausgegangen werden. Die Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten setzte sich auch nicht deshalb in lediglich veränderter Form fort, weil die Beklagte nach der Behauptung des Klägers mit dem Software-Update die Manipulationen fortgeführt hat. Allein die Behauptungen, die Beklagte habe die ursprüngliche Manipulation “fortgeführt” und das Update sei nicht gesetzeskonform, genügen nicht zur schlüssigen Darlegung der Voraussetzungen einer sittenwidrigen Schädigung seitens der Beklagten.
20
bb) Eine abweichende Beurteilung ist auch nicht deshalb geboten, weil das von der Beklagten im Anschluss an ihre Ad-hoc-Mitteilung vom 22. September 2015 entwickelte Software-Update nach der mangels abweichender Feststellungen revisionsrechtlich zu unterstellenden Behauptung des Klägers negative Auswirkungen auf den Kraftstoffverbrauch und den Verschleiß der betroffenen Fahrzeuge hat. Dies rechtfertigt den Vorwurf besonderer Verwerflichkeit in der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht. Der Umstand, dass mit dem Update nicht nur die unzulässige Manipulationssoftware entfernt wird, sondern auch eine – unterstellt nachteilige – Veränderung des Kraftstoffverbrauchs oder sonstiger Parameter verbunden ist, reicht nicht aus, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren (vgl. nur Senatsbeschluss vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 23 ff.).
III.
21
Da weitere Feststellungen nicht erforderlich sind, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO).
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