Europarecht

Vorzeitige Beendigung einer Auslandsverwendung; Anspruch auf Anhörung der Vertrauensperson; ständige Verwaltungspraxis

Aktenzeichen  1 WB 6/10

Datum:
1.2.2011
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Beschluss
Normen:
§ 23 Abs 1 S 1 SBG
Spruchkörper:
1. Wehrdienstsenat

Leitsatz

1. § 23 Abs. 1 Satz 1 SBG enthält keinen Beteiligungstatbestand für die Anhörung der Vertrauensperson zur vorzeitigen Beendigung einer besonderen Auslandsverwendung (“Repatriierung”).
2. Ein Anspruch auf Anhörung der Vertrauensperson zur vorzeitigen Beendigung einer besonderen Auslandsverwendung kann durch ständige Verwaltungspraxis der zuständigen Dienststelle der Bundeswehr begründet werden.

Tatbestand

Mit der angefochtenen Entscheidung des zuständigen Kommandeurs des Deutschen Einsatzkontingents ISAF wurde die besondere Auslandsverwendung des Antragstellers in Afghanistan mit sofortiger Wirkung beendet; er wurde unverzüglich nach Deutschland zurückgeführt (“repatriiert”). Nach erfolglosem Beschwerdeverfahren beantragte der Antragsteller die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts; er machte unter anderem geltend, die Vertrauensperson sei nicht verfahrensfehlerfrei angehört worden.
Das Bundesverwaltungsgericht hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe


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Zu der vorzeitigen Beendigung der besonderen Auslandsverwendung des Antragstellers ist die zuständige Vertrauensperson – hier die Vertrauensperson der Unteroffiziere des Kommandos A. – in einer Form angehört worden, die Rechte des Antragstellers nicht verletzt hat.
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Die Pflicht zur Anhörung der Vertrauensperson ergab sich hier nicht aus § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SBG. Zwar ist das Soldatenbeteiligungsgesetz nach der Rechtsprechung des Senats im Ausland grundsätzlich anwendbar (Beschluss vom 22. Juli 2009 – BVerwG 1 WB 15.08 – BVerwGE 134, 246 = Buchholz 449.7 § 32 SBG Nr. 1). § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SBG betrifft jedoch nach seinem eindeutigen Wortlaut nur Kommandierungen.
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Die vorzeitige Beendigung einer besonderen Auslandsverwendung stellt keine (Rück-)Kommandierung eines Soldaten dar. Mit einer Kommandierung wird nach der Definition in Nr. 7 Abs. 1 ZDv 14/5 Teil B 171 der Befehl zur vorübergehenden Dienstleistung bei einer anderen Dienststelle oder an einem anderen Dienstort oder bei einer sonstigen (auch nicht deutschen) Stelle gegeben. Das heißt mit anderen Worten, dass die zuständige Stelle mit ihrer Kommandierungsverfügung auch und vor allem die termingenaue Befristung der vorübergehenden Dienstleistung anordnet, so dass es für die Rückkehr des kommandierten Soldaten in seine Einheit keiner erneuten Verwendungs- und Befristungsentscheidung bedarf. Dementsprechend ist der Regelungsgehalt der vorzeitigen Beendigung einer besonderen Auslandsverwendung darauf reduziert, dass der zuständige Kontingentführer lediglich den Zeitpunkt der Rückkehr des Soldaten – abweichend von der ursprünglichen Kommandierungsanordnung – aufgrund einer eigenen Ermessensentscheidung neu festlegen darf. Dieser Gegenstand wird von § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SBG nicht erfasst.
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Entgegen der Auffassung des Antragstellers kommt eine analoge Anwendung des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SBG auf den Fall der vorzeitigen Beendigung einer besonderen Auslandsverwendung nicht in Betracht. Der Gesetzgeber hat in § 23 Abs. 1 Satz 1 SBG eine abschließende Regelung für die antragsabhängig beteiligungsfähigen, in der Regel auch beteiligungspflichtigen Personalmaßnahmen getroffen. Das folgt bereits aus dem Gesetzeswortlaut. Denn in § 23 Abs. 1 Satz 1 SBG fehlt das Wort “insbesondere”, das in der Regel die Möglichkeit der extensiven Auslegung eines Regelungskatalogs indiziert. Dieses Ergebnis wird durch die historische Normauslegung bestätigt. Der Katalog der Beteiligungstatbestände in § 23 Abs. 1 Satz 1 SBG hat nach dem Willen des Gesetzgebers einen “enumerativen” Rechtscharakter und soll nur die dort “bestimmten Personalmaßnahmen” umfassen (Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes über die Beteiligung der Soldaten und der Zivildienstleistenden vom 5. Juni 1990 ; vgl. auch Altvater/Hamer/Kröll/Lemcke/Peiseler, BPersVG, 6. Aufl. 2008, § 23 SBG Rn. 1). Die vorzeitige Beendigung einer besonderen Auslandsverwendung ist in diesem Katalog nicht enthalten. Insoweit bestehen – wie der Bundeswehrdisziplinaranwalt zutreffend betont – keine rechtlich beachtlichen Anhaltspunkte für eine planwidrige Regelungslücke, die durch extensive Gesetzesauslegung ausgefüllt werden müsste. Der Gesetzgeber hat in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 SBG speziell für die dort genannten Genehmigungen auch deren Widerruf einer Beteiligungspflicht unterstellt; damit hat er zum Ausdruck gebracht, dass lediglich in besonderen Einzelfällen auch der actus contrarius oder die vorzeitige Beendigung einer Maßnahme in den Geltungsbereich der Vorschrift einbezogen sein soll.
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Ein aus dem Soldatenbeteiligungsgesetz folgender Anspruch auf Anhörung der Vertrauensperson stand dem Antragsteller danach nicht zu.
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Rechtsgrundlage für die Anhörung der Vertrauensperson war hier aber die vom Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Nr. 806 der Handakte “Personalführung und -bearbeitung für Soldaten und Soldatinnen der Bundeswehr in besonderen Auslandsverwendungen” (EinsFüKdoBw – J 1 – Az.: 16-01-00 vom 4. Januar 2008, für das vorliegende Verfahren maßgeblicher Stand: 29. September 2008) – im Folgenden: Handakte – im Wege der Selbstbindung eingegangene Pflicht zur Beteiligung der zuständigen Vertrauensperson, wenn der betroffene Soldat nach schriftlicher Belehrung einen entsprechenden Antrag gestellt hat. Mit dieser Regelung hat das Einsatzführungskommando eine ständige Verwaltungspraxis festgelegt, die als antragsabhängige Verfahrensgarantie dem Dispositionsrecht des betroffenen Soldaten unterliegt und für ihn eine zusätzlich eingeräumte Schutzbestimmung im Rahmen der Ermessensausübung des Kontingentführers darstellt. Diese ständige Verwaltungspraxis der antragsabhängigen Beteiligung der Vertrauensperson verpflichtet nach Art. 3 Abs. 1 GG zur Gleichbehandlung von Soldaten, deren besondere Auslandsverwendung vorzeitig beendet werden soll. Übt der betroffene Soldat mit dem Antrag auf Anhörung der Vertrauensperson sein Dispositionsrecht aus, kann er nur (und nicht mehr als) eine Behandlung entsprechend der tatsächlich geübten ständigen Verwaltungspraxis verlangen (stRspr zum Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG bei Anwendung von Verwaltungsvorschriften: vgl. z.B. Beschluss vom 15. Dezember 2009 – BVerwG 1 WB 7.09 – Buchholz 11 Art. 3 Abs. 1 GG Nr. 18). Das Beteiligungsverfahren nach Nr. 806 der Handakte ist im Repatriierungsverfahren des Antragstellers fehlerfrei eingehalten worden.
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Der Antragsteller ist am 18. Januar 2009 schriftlich über die Möglichkeit der Beteiligung der Vertrauensperson belehrt worden; er hat einen entsprechenden Antrag bereits am 19. Januar 2009 gestellt. Soweit in der am 22. Januar 2009 vom Antragsteller unterzeichneten Ablaufdokumentation (auf Seite 2 der Endfassung des Repatriierungsvorschlags) sein Wunsch nach Anhörung der Vertrauensperson angekreuzt ist, handelt es sich ersichtlich nur um die Bestätigung des zuvor bereits schriftlich gestellten Antrags auf Beteiligung der Vertrauensperson.
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Entgegen der Auffassung des Antragstellers oblag die Anhörung der Vertrauensperson nicht dem Kontingentführer, der die Repatriierungsentscheidung zu treffen hatte. Das folgt aus Nr. 806 Satz 3 der Handakte, der in einem gegenüber § 20 Satz 1, § 23 Abs. 2 Satz 1 SBG eigenständigen Regelungsmodell die Anhörung nicht von der Initiative des Entscheidungsträgers abhängig macht. Vielmehr ordnet Nr. 806 Satz 3 der Handakte an, die Äußerungen der Vertrauensperson zu der beabsichtigten Personalmaßnahme in die Personalentscheidung in der Gestalt der “Endfassung des Vorschlags” einzubeziehen; sie sind dem Vorschlag auf vorzeitige Beendigung der besonderen Auslandsverwendung beizufügen. Das setzt notwendig voraus, dass die Anhörung der Vertrauensperson schon im Vorschlagsverfahren und zwar in der Regel von dem Verfasser des Vorschlags durchzuführen ist. Die Regelung bezweckt im Hinblick auf die besondere Situation in den Auslandseinsätzen eine Konzentrationswirkung, indem sie darauf abzielt, dem Kontingentführer mit der Endfassung des Repatriierungsvorschlags alle für seine Ermessensentscheidung relevanten Stellungnahmen und Unterlagen gebündelt und zeitnah vorzulegen. Dass die in Nr. 806 Satz 3 der Handakte festgelegte ständige Verwaltungspraxis auch tatsächlich in dieser Form und gleichmäßig angewendet wird, hat der Antragsteller nicht in Frage gestellt. Auf eine hiervon abweichende Form der Anhörung hat der Antragsteller – wie dargelegt – keinen Anspruch.


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