Europarecht

Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen bei konkurrierenden Ansprüchen aus UWG und UKlaG

Aktenzeichen  37 O 407/21

Datum:
15.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
MDR – 2021, 1075
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

§ 95 Abs. 1 Nr. 5 GVG, wonach die Kammern für Handelssachen für Ansprüche zuständig sind, die auf Grund des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb geltend gemacht werden, ist weit auszulegen und greift auch dann ein, wenn Ansprüche nach dem Unterlassungsklagengesetz (UKlaG) geltend gemacht werden. (Rn. 5 – 6) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Der Rechtsstreit wird auf Antrag der Beklagten an die Kammer für Handelssachen verwiesen.

Gründe

I.
Die Beklagte mit Sitz in A. ist Online-Händlerin von Produkten für Senioren. Sie bewirbt und vertreibt über die Internetadresse „www.hoerhelfer.de“ Hörgeräte an Endverbraucher. Die Klägerin, ein eingetragener Verein zur Förderung gewerblicher Interessen, insbesondere zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, wendet sich gegen mehrere (Werbe-)Angaben der Beklagten auf der o. g. Webseite. Ferner macht sie geltend, dass die Beklagte beim Inverkehrbringen von Hörgeräten und Hörverstärkern gegen §§ 6, 9 ElektroG bzw. von Batterien gegen § 3 Abs. 4 BattG verstoße.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Beklagte gegen §§ 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 UWG sowie §§ 3 Abs. 1, 3a UWG verstoße, und stützt ihre Unterlassungsansprüche dabei auf §§ 2 Abs. 1 S. 1, 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UKlaG und § 8 Abs. 1 UWG. Die Beklagte hat mit ihrer Klageerwiderung vom 12.05.2021 die funktionelle Zuständigkeit der Kammer gerügt und Verweisung an die Kammer für Handelssachen beantragt (Bl. 47 d. A.). Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 02.06.2021 beantragt, den Verweisungsantrag der Beklagten zurückzuweisen (Bl. 59/61 d. A.).
II.
Der Rechtsstreit ist auf Antrag der Beklagten gemäß §§ 98 Abs. 1 S. 1, 94, 95 Abs. 1 Nr. 5 GVG, § 14 Abs. 1 UWG an die Kammer für Handelssachen zu verweisen.
Die Klägerin stützt sich vorliegend für sämtliche Streitgegenstände auf Ansprüche nach §§ 8 Abs. 1, 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 UWG bzw. §§ 8 Abs. 1, 3 Abs. 1, 3a UWG. Dass sie daneben auch Ansprüche nach §§ 2 Abs. 1 S. 1, 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UKlaG geltend macht, steht einer Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen nach §§ 94, 95 Abs. 1 Nr. 5 GVG nicht entgegen.
Gemäß §§ 94, 95 Abs. 1 Nr. 5 GVG sind die Kammern für Handelssachen für Ansprüche zuständig, die auf Grund des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb geltend gemacht werden. Die Vorschrift ist weit auszulegen, so dass eine Handelssache auch dann vorliegt, wenn ein einheitlicher prozessualer Anspruch sowohl auf wettbewerbsrechtliche als auch andere Anspruchsgrundlagen gestützt wird (Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, § 95 Rn. 21; MüKoZPO/Zimmermann, 5. Aufl. 2017, § 95 GVG Rn. 20; Musielak/Voit/Wittschier, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 95 GVG Rn. 16; BeckOK-GVG/Pernice, 11. Edition, Stand: 15.05.2021, § 95 Rn. 4, 32 m. w . N.; OLG Köln, Beschluss vom 02.01.2012, Az.: 8 AR 64/11 = BeckRS 2012, 7353; OLG Bremen, Urt. v. 31.10.1991, Az.: 12 O 57/1990, 9 U 98/90 = BeckRS 1991, 31137225; a. A. wohl: Zöller/Lückemann, 35. Aufl. 2021, § 96 GVG Rn. 2).
Soweit eine Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen vereinzelt wegen § 6 Abs. 1 S. 1 UKlaG verneint wird, wenn zugleich Ansprüche nach dem UKlaG geltend gemacht werden (MüKo-ZPO/Micklitz/Rott, 5. Aufl. 2017, § 6 UKlaG Rn. 6, MüKo-ZPO/Zimmermann, § 97 GVG Rn. 5; juris-PK-BGB/Baetge, 9. Aufl. 2020, Stand: 01.02.2020, § 6 UKlaG Rn. 20; LG Offenburg, Beschluss vom 13.05.2014, Az.: 5 O 20/14 KfH Rn. 7 – juris; OLG Hamm, Beschluss vom 26.04.2019, Az.: I-32 SA 20/19 Rn. 20 – juris), überzeugt dies nicht. Gemäß § 6 Abs. 1 S. 1 UKlaG ist für Klagen nach dem UKlaG das Landgericht ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk der Beklagte seine gewerbliche Niederlassung oder in Ermangelung einer solchen seinen Wohnsitz hat. Eine Aussage zur funktionellen Zuständigkeit trifft die Regelung ausweislich ihres Wortlauts nicht (BeckOK-GVG/Pernice, 11. Edition, Stand: 15.05.2021, § 95 Rn. 32; a. A.: Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 39. Aufl. 2021, § 6 UKlaG Rn. 1 ohne weitere Begründung). Mangels abweichender Regelung bemisst sich die funktionelle Zuständigkeit daher nach § 95 Abs. 1 Nr. 5 GVG. Auch der pauschale Verweis auf die von § 6 Abs. 1 S. 1 UKlaG bezweckte Konzentration von Rechtsstreitigkeiten nach §§ 1, 2 UKlaG (so juris-PKBGB/Baetge, aaO, § 6 UKlaG Rn. 20; OLG Hamm, Beschluss vom 26.04.2019, Az.: I-32 SA 20/19 Rn. 20 – juris) geht mangels spezieller Regelung der funktionellen Zuständigkeit fehl. Zudem spricht für eine Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen bei gemischter Anspruchskonkurrenz vorliegend auch, dass für die Begründetheit des Unterlassungsanspruchs nach § 2 Abs. 1 S. 1 UKlaG genau wie bei § 8 Abs. 1 UWG die Prüfung eines Verstoßes gegen die Vorschriften des UWG als „Verbraucherschutzgesetze“, vorliegend §§ 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 UWG bzw. §§ 3 Abs. 1, 3a UWG, maßgeblich ist. Der Prüfungsmaßstab beim Anspruch nach § 2 Abs. 1 S. 1 UKlaG stimmt daher vorliegend überwiegend mit § 8 Abs. 1 UWG überein. Eine Abweichung vom Grundsatz der weiten Auslegung des § 95 Abs. 1 Nr. 5 GVG ist daher nicht gerechtfertigt.


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