Familienrecht

Einkommen, Genehmigung, Rechtsverfolgung, Betreuer, Ehegatten, Auszahlung, Bestellung, Familie, Schutz, Teilablehnung, Familienrecht, mutwillig, Anwendung, Betreuungsrecht, Aussicht auf Erfolg, beabsichtigte Rechtsverfolgung, hinreichende Aussicht auf Erfolg

Aktenzeichen  13 C 957/20

Datum:
22.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 46152
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Ingolstadt
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Mangels Anwendbarkeit der Einzeltheorie ist im Betreuungsrecht keine betreuungsgerichtliche Genehmigung nach § 1908i I 1 iVm § 1822 Nr. 1 BGB erforderlich, wenn über Gegenstände des Betreuten verfügt werden soll, die nahezu dessen gesamtes Vermögen ausmachen.

Tenor

1. a) Der Klägerin wird für den ersten Rechtszug gegen den Beklagten zu 1) mit Wirkung ab Antragstellung Prozesskostenhilfe bewilligt (§§ 114, 119 Abs. 1 ZPO).
b) Rechtsanwalt M. S. wird insoweit als Prozessbevollmächtigter zu den Bedingungen eines in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassenen Rechtsanwalts beigeordnet (§§ 121 Abs. 2, 121 Abs. 3 ZPO).
c) Die Bewilligung erfolgt ohne Anordnung von Zahlungen.
2. Hinsichtlich der Beklagten zu 2) wird der Antrag auf Prozesskostenhilfe abgelehnt.

Gründe

A.
Die Antragstellerin (nachfolgend: Klägerin) begehrt die Gewährung von Prozesskostenhilfe für Ansprüche gegen ihren früheren Betreuer (Beklagter zu 1) und die Bank (Beklagte zu 2), bei welcher der Beklagte zu 1) angelegte Gelder der Klägerin unberechtigt abgehoben und so zu seinen Gunsten veruntreut haben soll.
B.
Die beantragte Prozesskostenhilfe war in der ausgesprochenen Form, d.h. insbesondere nur in Bezug auf das beabsichtigte gerichtliche Vorgehen gegen den Beklagten zu 1) zu bewilligen; soweit der Antrag die Beklagte zu 2) betrifft, war er dagegen abzulehnen.
I.
Gründe zu wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen Die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin stellen sich wie folgt dar:
Brutto/Nettoeinkommen Monatseinkommen netto Rente (Taschengeld vom Bezirk) 116,64 €
Gesamt 116,64 €
Einkommen: 116,64 €
Hiervon sind abzusetzen:
Freibeträge Antragsteller – 501,00 €
Summe – 501,00 €
Verbleibendes einzusetzendes Einkommen: – 384,36 €
Aus dem verbleibenden einzusetzenden Einkommen sind gemäß § 115 ZPO keine Monatsraten aufzubringen.
Die Klägerin ist nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen.
Raten oder Einmalzahlungen aus dem Vermögen oder Einkommen sind der Klägerin nach den getroffenen Feststellungen nicht möglich.
II.
Allgemeine Gründe
Die beabsichtigte Rechtsverfolgung erscheint – soweit sie den Beklagten zu 1) betrifft – nicht mutwillig und bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg (§§ 114, 119 Abs. 1 ZPO):
Insbesondere hat der Beklagte zu 1) mit Schreiben vom 27.06.2020 ausdrücklich eingeräumt, den streitgegenständlichen Geldbetrag veruntreut zu haben.
III.
Teilablehnung
Hinsichtlich der Beklagten zu 2) war der Antrag dagegen abzulehnen, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung insoweit schon aus Rechtsgründen keine Aussicht auf Erfolg verspricht.
So bedarf der Betreuer grundsätzlich keiner Genehmigung des Betreuungsgerichts für Kontoabhebungen noch für Kontoauflösungen (S. M. Meier in Jurgeleit, Betreuungsrecht, 4. Aufl., § 1857a BGB Rn. 8).
Dagegen hat auch der Betreuter die Pflichten aus § 1822 BGB zu beachten, § 1908i Abs. 1 S. 1 BGB (vgl. S. M. Meier in Jurgeleit, a.a.O., § 1857a BGB Rn. 8). In Betracht kommt hier ein Verstoß gegen § 1822 Nr. 1 Alt. 1 BGB i.V.m. § 1908i Abs. 1 S. 1 BGB – der infolge Auszahlung des Geldes durch die Beklagte zu 2) an den Beklagten zu 1), ohne dass eine betreuungsgerichtliche Genehmigung vorlag bzw. seitens der Beklagten zu 2) verlangt worden wäre, Schadensersatzansprüche der Klägerin gegen die Beklagte zu 2) auslösen könnte. Dies setzt ein Rechtsgeschäft voraus, durch welches der Betreute über sein Vermögen als Ganzes verfügt. Der veruntreute Geldbetrag stellt aber nicht das ganze Vermögen des Betreuten dar, wie die Klägerin selbst einräumt; auch wenn es den überwiegenden Großteil ihres Vermögens ausmacht und abgesehen von dem fraglichen Betrag nur geringes weiteres Vermögen auf einem Taschengeldkonto vorliegt – von Kleidung, Alltagsgegenständen etc. abgesehen, zu denen sich die Klägerin schon gar nicht geäußert hat -, so handelt es sich eben doch nicht um das ganze Vermögen, sondern nur einen (wenn auch wesentlichen) Teil dessen. Eine direkte Anwendung von § 1822 Nr. 1 Alt. 1 BGB scheidet damit aus.
Ob – vergleichbar zur rechtlichen Lage bei § 1365 BGB – § 1822 Nr. 1 BGB analog auch auf den Fall anwendbar ist, dass ein nahezu das gesamte Vermögen ausmachender Gegenstand einer Verpflichtung unterworfen werden soll, wird unterschiedlich beurteilt, ist indes mit der h.M. abzulehnen (so etwa BGH BeckRS 1957, 31205599; Kroll-Ludwigs in MüKo-BGB, 8. Aufl., § 1822 Rn. 4; Bettin in BeckOK-BGB, 54. Ed. 1.5.2020, § 1822 Rn. 3; v. Crailsheim in Jürgens, BetreuungsR, 6. Aufl., § 1822 BGB Rn. 2).
Dem schließt sich das Gericht an: Die Situation des § 1365 BGB (und die dort geltende Einzeltheorie) ist dabei nicht auf § 1822 Nr. 1 Alt. 1 BGB zu übertragen. So ergibt sich schon aus dem abweichenden Wortlaut des § 1822 Nr. 1 BGB, der eine Gleichstellung mit einer Erbschaft (als Ganzes) vornimmt, dass auch nur das Vermögen als Ganzes betroffen sein kann (vgl. Kemper in Schulze, Bürgerliches Gesetzbuch, 10. Aufl., § 1822 Rn. 2); insoweit sprechen bereits der Wortlaut und systematische Gründe gegen eine Auslegung des § 1822 Nr. 1 Alt. 1 BGB i.S.d. Einzeltheorie. Auch schützt § 1365 BGB nicht den über das Vermögen verfügenden Ehegatten selbst, sondern insbesondere den anderen Ehegatten, indem die wirtschaftliche Grundlage der Familie erhalten werden soll. In § 1822 BGB geht es dagegen nicht um einen solchen Schutz anderer Personen, sondern nur den des Betroffenen. §§ 1365, 1822 BGB verfolgen mithin verschiedene Schutzzwecke. Dabei ist zu sehen, dass im Familienrecht grundsätzlich keinerlei Kontrolle der Ehegatten erfolgt, im Betreuungsrecht der Betreute dagegen bereits Schutz durch die Bestellung eines Betreuers erfährt. Es kann grundsätzlich erwartet werden, dass dieser im Interesse des Betreuten handelt – (gerade) auch, wenn große Teile des Vermögens von Rechtsgeschäften des Betreuten betroffen sind.
§ 1822 BGB betrifft nur die Frage, ob darüber hinaus eine noch weitergehende Überwachung des Betreuers durch das Betreuungsgericht zu erfolgen hat. Dies muss auf das Vermögen als Ganzes beschränkt bleiben, ohne dass eine Ausweitung auf einzelne Vermögensgegenstände angezeigt wäre. Zumal wesentliche Vermögensbestandteile, die regelmäßig nahezu den gesamten Wert des Vermögens darstellen können, bereits in § 1821 BGB (i.V.m. § 1908i BGB) einem Genehmigungserfordernis unterstellt werden. Für das Betreuungsrecht besteht damit kein Bedürfnis zu einer Ausweitung, wie sie im Familienrecht für § 1365 BGB vorgenommen wird. Eine dem § 1365 BGB vergleichbare Interessenlage besteht damit aus vorgenannten Gründen nicht.
Schließlich ist zu sehen, dass § 1822 BGB im Interesse der Sicherheit des Rechtsverkehrs so auszulegen ist, dass eine eindeutige Unterscheidung zwischen genehmigungspflichtigen und -freien Geschäften möglich ist (BGH DNotZ 1990, 303, 307; Kroll-Ludwigs in MüKoBGB, a.a.O., § 1821 Rn. 6; Bettin in BeckOK-BGB, a.a.O., § 1821 Rn. 3). Dies ist nur möglich, wenn der Wille der Parteien tatsächlich – erkennbar – auf Übertragung des gesamten Vermögens gerichtet ist; werden dagegen nur einzelne Gegenstände übertragen, kann die erstrebte Rechtssicherheit nicht erreicht werden, da stets unklar bliebe, ob nun dieser Einzelgegenstand das gesamte Vermögen ausmacht oder nicht. Auch insoweit erweist sich die Rechtsansicht der Klägerin als nicht haltbar.
Die Beklagte zu 2) war also unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gehalten, die Berechtigung des Beklagten zu 1) bei der Geldabhebung und Kontoauflösung noch weiter zu kontrollieren, als geschehen, namentlich den Nachweis einer betreuungsgerichtlichen Genehmigung zu verlangen. Da mithin keinerlei Anspruch gegen die Beklagte zu 2) ersichtlich ist, die Rechtsverfolgung insoweit bereits im jetzigen Zeitpunkt keine Aussicht auf Erfolg bietet, war der Antrag insoweit abzulehnen. Die Staatskasse ist vor erkennbar rechtlich-aussichtslosen Klagebestrebungen in Schutz zu nehmen.


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