Familienrecht

Jugendhilfe – Betreuungsplatz in Kindertageseinrichtung

Aktenzeichen  M 18 E 20.4847

Datum:
8.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 35801
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VIII § 24 Abs. 2
AGSG Art. 45a
VwGO § 6 Abs. 1,§ 123 Abs. 1 S. 2, § 188 S.2
ZPO § 920 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

I.
Der am … geborene Antragsteller begehrt im Wege einer einstweiligen Anordnung die Verpflichtung des Antragsgegners, ihm einen Betreuungsplatz in einer Kindertageseinrichtung oder in Kindertagespflege nachzuweisen.
Die Eltern des Antragstellers wendeten sich mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 1. Juli 2020, eingegangen am 2. Juli 2020, erstmals an den Antragsgegner und forderten diesen auf, einen zumutbaren Kinderkrippenplatz für ihren Sohn bereitzustellen. Sie führten aus, dass sie ihren Sohn für das Betreuungsjahr 2020/2021 in der städtischen Kinderkrippe in ihrem Wohnort in … angemeldet hätten; ihnen sei jedoch von der Einrichtung mitgeteilt worden, dass derzeit kein Krippenplatz zur Verfügung stehe. Auch in der Nachbargemeinde … sei nach einem Krippenplatz gefragt worden, dort hätten die Eltern jedoch die Information erhalten, dass zwar Plätze frei wären, diese jedoch nicht an Familien aus … vergeben werden würden. Spätestens zu Beginn des Betreuungsjahres 2020/2021 sei zwingend eine Betreuung des Kindes erforderlich, damit keine beruflichen Nachteile für die Eltern entstünden.
Auf Nachfrage des Antragsgegners teilten die Bevollmächtigten des Antragstellers per E-Mail vom 7. Juli 2020 mit, dass Betreuungszeiten von Montag bis Donnerstag, je von 8:30 bis 14:30 Uhr, benötigt werden würden und – auf weitere Nachfrage – dass beide Eltern in … (… und … …) arbeiten würden und „im Rahmen auch mobil“ seien.
Am 17. Juli 2020 erhielt der Antragsgegner die Information, dass in der Katholischen Kindertagesstätte … … in der Gemeinde … noch Plätze verfügbar seien. Diese teilte mit, dass die Eltern umgehend mit der Einrichtungsleitung in Kontakt treten und die Anmeldung vornehmen sollten. Die Einrichtung biete eine Öffnungszeit von 7:00 bis 15:00 Uhr, eine Betreuung ab 8:00 Uhr wäre möglich, 8:30 Uhr sei zu spät.
Von der Stadt … wurde dem Antragsgegner ebenfalls am 17. Juli 2020 zurückgemeldet, dass noch drei Betreuungsplätze frei seien, die jedoch vorrangig an … Kinder vergeben werden würden, falls solche anfragen würden. Ein Platz stünde für den Antragsteller dann in einem solchen Fall im Rahmen einer Überbelegung zur Verfügung.
Per E-Mail teilte der Antragsgegner den Bevollmächtigten sodann am 17. Juli 2020 mit, dass es in … und … keinen freien Krippenplatz geben würde und auch eine passende Tagesmutter nicht zur Verfügung stünde. Jedoch könne der Familie ein Krippenplatz in … und in … vorgeschlagen werden. Seitens des Antragsgegners wurde angeregt, umgehend mit der jeweiligen Einrichtungsleitung in Kontakt zu treten und eine Anmeldung vorzunehmen.
Mit E-Mail vom 20. Juli 2020 teilten die Bevollmächtigten mit, dass sich beide vorgeschlagenen Einrichtungen, auch mit kleinem Umweg, nicht auf dem Weg zwischen Wohnort und Arbeitsstätte der Familie befänden. Vielmehr würden beide Einrichtungen einen Umweg von über 30 km und damit einen erheblichen Zeitaufwand erfordern. Der Vorschlag des Antragsgegners sei daher wenig hilfreich. Die Eltern des Antragstellers hätten auf eigene Initiative versucht, die Suche nach einer Kinderbetreuung in Richtung … auszuweiten, wo sie jedoch auf Grenzen gestoßen sein, da ihr Wohnort in Deutschland liege. Es werde angefragt, ob der Antragsgegner auch „länderübergreifend“ unterstützen könne. Anderenfalls werde der Antragsgegner nochmals aufgefordert, eine angemessene Lösung zu Kinderbetreuung zur Verfügung zu stellen.
Mit E-Mail vom 23. Juli 2020 teilte der Antragsgegner den Bevollmächtigten mit, dass beide vorgeschlagenen Betreuungsmöglichkeiten bezüglich Fahrtstrecke und Fahrzeit als zumutbar erachtet werden würden. Insbesondere die Option in … wurde für die Strecke vom Wohnort zur Arbeitsstätte des Vaters des Antragstellers lediglich einen Umweg von 15 Minuten bedeuten. Eine länderübergreifende Kooperation mit der Stadt … sei aufgrund unterschiedlicher Kita-Finanzierungssysteme in Österreich und Bayern nicht möglich. Ein dortiger Kitaplatz würde die hiesige öffentliche Hand um ein Vielfaches an Mehrkosten belasten. Da lediglich eine Viertelstunde Umweg bezüglich der Option in … entstehen würde und mögliche Betreuungsplätze im Landkreis des Antragsgegners angeboten worden seien, greife hier keine Härtefallregelung.
Mit Schriftsatz vom 2. Oktober 2020, eingegangen bei Gericht per Fax am selben Tag, beantragten die Bevollmächtigten des Antragstellers beim Verwaltungsgericht München:
I.
Dem Antragsgegner wird im Wege einstweiligen Rechtsschutzes aufgegeben, dem Antragsteller einen ortsnahen Krippenplatz zur frühkindlichen Förderung in einer Tageseinrichtung oder in der Kindertagespflege zur Verfügung zu stellen.
II.
Bei Nichterbringung der unter I. beantragten Verpflichtung wird gegen den Antragsgegner ein Zwangsgeld von bis zu 25.000 EUR festgesetzt.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass beide Eltern des Antragstellers vor dessen Geburt in Vollzeit „als Grenzgänger“ im benachbarten … gearbeitet hätten. Nach Ablauf der bei ihren jeweiligen Arbeitgebern in Anspruch genommenen „Karenzzeit“ würde die Mutter des Antragstellers wieder mit 24 Wochenstunden bei ihrem Arbeitgeber tätig werden wollen, der Vater wolle Vollzeit arbeiten. Anfragen bei der städtischen Kinderkrippe am Wohnort … und in der Nachbargemeinde … seien genauso erfolglos geblieben, wie die Suche nach einem Krippenplatz in … In … seien sie auf deutsche Betreuungseinrichtungen verwiesen worden.
Nachdem sich die Eltern des Antragstellers an den Antragsgegner gewendet hätten, seien ihnen von diesem schließlich zwei Krippenplätze in Aussicht gestellt worden, wobei jedoch nicht sicher gewesen sei, dass diese Plätze auch tatsächlich an den Antragsteller vergeben werden könnten.
Die aufgezeigten Betreuungsmöglichkeiten seien jedoch aus verschiedenen Gründen nicht zumutbar gewesen.
Die Kinderkrippe in … liege in entgegengesetzter Richtung der Arbeitsstätte beider Elternteile. Für den Weg vom Wohnort zur Krippe seien jedenfalls 20 Minuten einzuplanen, je nach Verkehrsaufkommen mehr. Für den Weg von der Krippe zum Arbeitsplatz müssten beide Eltern ca. 25 Minuten einplanen, was einen täglichen zusätzlichen Wegeaufwand von 45 Minuten beim Abgeben und 45 Minuten beim Abholen ergebe. Im Gegensatz dazu sei die Kinderkrippe am Wohnort der Familie in … in wenigen Minuten und ohne nennenswerten Umweg erreichbar.
Auch der Weg zur Kinderkrippe in … würde einen erheblichen, unzumutbaren Umweg bedeuten. Der Weg vom Wohnort zur Kinderkrippe bedürfe wegen des hohen morgendlichen Berufsverkehrs jedenfalls 25 Minuten, die Weiterfahrt zur Arbeit ca. 30 Minuten. Damit liege der einfache zusätzliche Zeitaufwand wieder bei ca. 45 Minuten. Sinnvolle Möglichkeiten, die beiden Einrichtungen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen, stünden nicht zur Verfügung.
Die Kinderkrippe in … biete zudem nur eine Mindestbetreuungszeit von wöchentlich 30 Stunden an. Die vom Antragssteller gewünschte Betreuungszeit von 24 Wochenstunden wäre nicht buchbar. Darüber hinaus handele es sich bei der Kinderkrippe in … um eine von der katholischen Kirche getragene Einrichtung. Die Eltern des Antragstellers selbst gehörten keiner Konfession an und stünden der katholischen Kirche kritisch gegenüber. Eine Erziehung des Kindes in Anlehnung an den katholischen Glauben sei von diesen nicht gewünscht.
Die Bevollmächtigten führten des Weiteren aus, dass den Eltern des Antragstellers ohne entsprechende Kinderbetreuung erhebliche berufliche Nachteile bis hin zur Kündigung entstehen würden. Ein Abwarten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache sei daher nicht zumutbar.
Der Antragsschrift beigefügt war eine eidesstattliche Versicherung beider Eltern des Antragstellers. In dieser führen sie aus, dass es ihrer gemeinsamen Lebensplanung entspreche, nach Vollendung des ersten Lebensjahres des Antragstellers wieder berufstätig sein zu wollen. Ohne frühkindliche Betreuung ihres Sohnes sei dies jedoch nicht möglich; eine familiäre Betreuungsmöglichkeit existiere nicht. Die vom Antragsgegner angebotenen Betreuungsmöglichkeiten seien ihnen aufgrund großer Entfernung und schlechter Erreichbarkeit nicht zuzumuten. Zudem handele es sich bei jedenfalls einer der Einrichtungen um eine konfessionelle Einrichtung. Da beide Eltern konfessionslos seien, würden sie eine konfessionelle Erziehung des Antragstellers ablehnen.
Am 5. November 2020 legte der Antragsgegner die Behördenakten vor.
Mit Schriftsatz vom 20. November 2020 nahm der Antragsgegner des Weiteren zum Antrag Stellung. Es wurde ausgeführt, dass innerhalb eines zweiwöchigen Zeitraums ab Bekanntwerden des Rechtsanspruchs des Antragstellers auf einen Betreuungsplatz zwei Vorschläge zu möglichen Krippenplätzen unterbreitet worden seien. Während der Bearbeitung sei mit der Wohnsitzkommune, mit mehreren Nachbarkommunen sowie mit Tagespflegepersonen im Umkreis Kontakt aufgenommen worden. Aufgrund der kurzfristigen Kenntnisnahme Anfang Juli 2020 habe seitens des Antragsgegners kein wohnortnäherer Betreuungsplatz angeboten werden können. Art. 45a AGSG sehe eine Anmeldefrist von drei Monaten vor. Zudem hätten zunächst noch essentielle Angaben zu den Betreuungszeiten sowie zu den elterlichen Arbeitgebern gefehlt. Die Tagespflegeplätze seien ausgeschöpft gewesen. Der Anspruch nach § 24 SGB VIII sei durch den Nachweis von zwei verfügbaren Plätzen erfüllt.
Eine Antragstellung unterblieb.
Per Fax übermittelte der Antragsgegner dem Gericht am 23. November 2020 des Weiteren eine an diesen gerichtete E-Mail der Leiterin der Tageseinrichtung in … vom 18. November 2020. In dieser wurde mitgeteilt, dass Ende August 2020 ein Vorgespräch mit dem Vater des Antragstellers in der Einrichtung stattgefunden habe. Bei der Frage der Buchungsmöglichkeiten sei diesem die Staffelungsmöglichkeiten 4-5, 5-6 und 6-7 Stunden und die jeweils anfallenden Kosten erklärt worden. Es sei der Eindruck entstanden, dass von Seiten der Eltern keine Dringlichkeit für einen Krippenbesuch bestünde. Die Familie sei dann ohne eine Anmeldung auszufüllen mit der Bitte um Bedenkzeit nach Hause gegangen. Seitdem habe die Einrichtung nichts mehr von der Familie gehört.
Mit Schriftsatz vom 30. November 2020, bei Gericht eingegangen am 3. Dezember 2020, nahmen die Bevollmächtigten des Antragstellers ergänzend Stellung. Neben der Wiederholung bereits vorgebrachter Argumente wurde ausgeführt, dass in der Kindertageseinrichtung in … eine Mindestbetreuungszeit von 30 Stunden pro Woche gefordert worden sei. Eine derartig lange Betreuungszeit sei in Anbetracht des Alters des Kindes von den Eltern nicht gewünscht.
Durch Beschluss der Kammer vom 8. Dezember 2020 wurde der Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1 VwGO zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
Einstweilige Anordnungen sind nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete streitige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Grundsätzlich dient die einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Mit der von dem Antragsteller begehrten Entscheidung wird die Hauptsache aber in zeitlicher Hinsicht vorweggenommen. In einem solchen Fall sind an die Prüfung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch qualifizierte Anforderungen zu stellen, d.h. der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache jedenfalls dem Grunde nach spricht und der Antragsteller ohne die einstweilige Anordnung unzumutbaren Nachteilen ausgesetzt wäre (BayVGH, B.v. 18.3.2016 – 12 CE 16.66 – juris Rn. 4).
Der Antragsteller hat obigen Anforderungen entsprechend einen Anspruch auf Nachweis eines bedarfsgerechten Platzes in einer Kindertageseinrichtung oder in Kindertagespflege glaubhaft gemacht. Dieser wurde vom Antragsgegner jedoch zum streitgegenständlichen Zeitpunkt bereits erfüllt.
Gemäß § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII hat ein Kind, welches das erste Lebensjahr vollendet hat, bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege. Voraussetzung der Zuweisung eines Betreuungsplatzes ist gemäß § 24 Abs. 5 SGB VIII i.V.m. Art. 45a AGSG, dass die Erziehungsberechtigten die Gemeinde und bei einer gewünschten Betreuung durch eine Tagespflegeperson den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe mindestens drei Monate vor der geplanten Inanspruchnahme in Kenntnis setzen.
Der am … geborene Antragsteller, der bereits das erste Lebensjahr vollendet hat, zählt damit grundsätzlich zu dem Kreis der Anspruchsberechtigten nach § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII. Dahinstehen kann vorliegend, ob die Eltern des Antragstellers bereits bei der Stadt … den Rechtsanspruch in hinreichender Weise geltend gemacht haben und ob sich der Antragsgegner diese Bedarfsmeldung zurechnen lassen muss (vgl. für die hierfür geltenden Voraussetzungen BayVGH, U. v. 22.7. 2016 – 12 BV 15.719 – juris Rn. 25). Eine Kenntnisnahme des Antragsgegners im Sinne des Art. 45a AGSG erfolgte spätestens durch den bei diesem am 2. Juli 2020 eingegangenen Schriftsatz der Bevollmächtigten vom 1. Juli 2020, womit der Anspruch nach § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII jedenfalls im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung geltend gemacht werden kann.
Der Anspruch nach § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII ist vorliegend jedoch vom Antragsgegner bereits erfüllt worden.
Mit E-Mail vom 17. Juli 2020 teilte der Antragsgegner den Bevollmächtigten des Antragstellers mit, dass zwei freie Betreuungsplätze angeboten werden könnten, der eine in der von der Katholischen Kirche getragenen Kindertagesstätte … … in … und der andere in der städtischen Kindertageseinrichtung „… … …“ in … Entgegen der Ansicht des Antragstellers wurde diesem damit ein bedarfserfüllender Betreuungsplatz nachgewiesen.
Der Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege gemäß § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII ist auf den Nachweis eines bedarfsgerechten Betreuungsplatzes gerichtet (vgl. BVerwG, U.v. 26.10.2017 – 5 C 19.16 – juris Rn. 25 ff. m.w.N.). Dieser ist erfüllt, wenn dem anspruchsberechtigten Kind ein kommunaler oder öffentlich geförderter privater Betreuungsplatz nachgewiesen wird, der dem konkret-individuellen Bedarf des Kindes und seiner Erziehungsberechtigten insbesondere in zeitlicher und räumlicher Hinsicht entspricht (BVerwG, a.a.O., Rn. 34, 41 ff.).
Beide Plätze wurden dem Antragsgegner von der jeweiligen Einrichtung am 17. Juli 2020 als verfügbar gemeldet. Der Einwand der Bevollmächtigten des Antragstellers, dass es nicht sicher gewesen sei, ob die Plätze auch tatsächlich für den Antragsteller zur Verfügung stehen würden, ist demnach nicht nachvollziehbar. Da es sich bei beiden Kindertagesstätten nicht um kommunale Einrichtungen des Antragsgegners handelte, konnte dieser der Familie einen Platz zwar nicht direkt zuweisen. Seiner Verschaffungspflicht hat der Antragsgegner jedoch genügt, indem er den Eltern einen bzw. mehrere konkret freie Plätze „vermittelt“ hat. Es oblag sodann den Eltern, sich mit der jeweiligen Einrichtung in Verbindung zu setzen und weitere Schritte einzuleiten. Anhaltspunkte dafür, dass eine Aufnahme des Antragstellers nicht erfolgt wäre, liegen nicht vor. Im Gegenteil – noch mit E-Mail vom 31. Juli 2020 teilte die Einrichtungsleitung der Kindertagesstätte in … dem Antragsgegner mit, dass der Antragsteller gut in die Krippe passen würde. Auch für die … Tageseinrichtung hatte die Leitung angedeutet, ggf. auch im Wege einer Überbelegung einen Platz für den Antragsteller schaffen zu können.
Ebenso nicht nachzuvollziehen ist der Vortrag der Bevollmächtigten, dass die gewünschte Betreuungszeit von 24 Wochenstunden bei der Einrichtung in … nicht realisierbar gewesen wäre, da diese eine Mindestbetreuungszeit von 30 Stunden verlange. Nach Auskunft der Kindertagesstätte vom 18. November 2020, die der Antragsgegner dem Gericht vorgelegt hat, bestünden hinsichtlich der Betreuungszeiten Staffelungsmöglichkeiten von 4-5, 5-6 und 6-7 Stunden täglich. Informationen darüber, dass mindestens 30 Stunden hätten gebucht werden müssen, liegen dem Gericht hingegen nicht vor.
Was den Umstand anbelangt, dass in der Einrichtung in … die Betreuungszeit nicht erst, wie von den Eltern gewünscht, um 8:30 Uhr, sondern bereits um 8 Uhr beginnen müsste, führt dies noch nicht zu einer Unzumutbarkeit des Platzes. Bei beiden Elternteilen sind vertraglich keine konkreten Arbeitszeiten festgelegt. Es ist daher mangels anderweitiger Anhaltspunkte im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass auch ein um eine halbe Stunde früherer Arbeitsbeginn für denjenigen, der das Kind morgens zur Tageseinrichtung bringt, möglich sein dürfte.
Für beide angebotenen Plätze geht das Gericht zudem von einer der Familie des Antragstellers noch zumutbaren Entfernung aus.
Grundsätzlich gilt, dass der Betreuungsplatz von den Eltern und dem Kind in zumutbarer Weise zu erreichen sein muss, wobei einerseits die Zumutbarkeit für das Kind selbst und andererseits auch der Zeitaufwand für den begleitenden Elternteil zu berücksichtigen sind. Welche Entfernung dabei zwischen Wohnort, Tageseinrichtung und ggf. Arbeitsstätte noch zumutbar ist, lässt sich indes nicht anhand abstrakt-genereller Maßstäbe festlegen, sondern bedarf einer individuellen Betrachtung im Einzelfall (vgl. BVerwG, U.v. 26.10.2017 – 5 C 19/16 – juris Rn. 43; BayVGH, U.v. 22.7.2016 – 12 BV 15.719 – juris Rn. 48). Eine starre zeitliche Zumutbarkeitsgrenze von beispielsweise 30 Minuten je zu bewältigender Entfernung zwischen Wohnort, Ort der Tageseinrichtung und elterlicher Arbeitsstätte gibt es – insbesondere im ländlichen Raum – nicht (vgl. OVG SH, B. v. 4.2.2020 – 3 MB 38/19 – juris).
Vorliegend beträgt die Fahrtstrecke mit dem Pkw vom Wohnort der Familie des Antragstellers zur Kindertagesstätte in … laut dem Routenplaner google maps 15,9 km bei einer Fahrtdauer von 16 Minuten und zur Einrichtung in … 16,5 km bei einer Fahrtdauer von ebenfalls 16 Minuten. Zur Arbeitsstätte der Mutter des Antragstellers wird laut google maps eine weitere Fahrtstrecke von 19,1 km bei 16 Minuten Fahrtdauer (…) bzw. 17,4 km bei 19 Minuten Fahrtdauer (…) benötigt. Zur Arbeitsstätte des Vaters sind es hingegen 15,2 km bei 13 Minuten Fahrtzeit (…) bzw. 21,2 km bei 23 Minuten Fahrtzeit (…). Sollte die Mutter den Antragsteller an einem Arbeitstag abholen oder bringen, würde sich eine einfache Fahrtzeit von insgesamt 32 Minuten (…) bzw. 35 Minuten (…) ergeben. Für den Vater ergäben sich 29 Minuten (…) bzw. 39 Minuten (…). Im Vergleich zur regulären Fahrtzeit der Eltern zur Arbeit ohne Stopp bei einer der beiden Kindertagesstätten bedeutet dies einen Mehraufwand von 19 (…) bzw. 22 Minuten (…) bei der Mutter, 13 bzw. 23 Minuten beim Vater.
Diesen zeitlichen Aufwand erachtet das Gericht, auch unter Berücksichtigung von gelegentlichen Verzögerungen bei ungünstigen Verkehrslagen, als (noch) zumutbar. Als zumutbar befunden wurde in der Rechtsprechung regelmäßig eine Dauer von 30 Minuten für die einfache Wegstrecke von Wohnort zur Tageseinrichtung (VG Köln, Beschluss vom 15. April 2020 – 19 L 215/20 – juris Rn. 19 (Autofahrt); VG Mainz, B. v. 21. Januar 2020 – 1 L 10/20.MZ – juris Rn. 13 (Fußweg)) und sogar ein Zeitaufwand von insgesamt 60 Minuten für die Strecke Wohnort – Tageseinrichtung – Arbeitsstätte im Großraum München, bei der sich die Eltern beim Bringen und Holen jeweils abwechseln konnten (VG München, U.v. 18.09.2013 – M 18 K 13.2256 – juris Rn. 69). Da die Eltern des Antragstellers angeben hatten, weitestgehend mobil zu sein und auch offenbar über zwei Pkw verfügen, mit denen sie zur Arbeit fahren, dürfte ein abwechselndes Abholen und Bringen des Antragstellers vorliegend auch möglich sein. Zu berücksichtigen ist ferner, dass im eher ländlichen Raum, um den es hier geht, andere Maßstäbe anzusetzen sind als in Ballungsgebieten mit naturgemäß höherer Dichte an Betreuungsstellen bzw. -einrichtungen und besser ausgebauter Verkehrsinfrastruktur, so dass sich die Eltern des Antragstellers durchaus auf – relativ betrachtet – längere Wegstrecken und Fahrzeiten einzustellen haben (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 17. 3.2014 – 12 B 70/14 – juris Rn. 20). Geht man vorliegend davon aus, dass sich die Eltern den täglichen Mehraufwand hälftig aufteilen, der Vater den Antragsteller also zB zur Krippe bringt und die Mutter ihn abholt, beträgt der tägliche Zeitaufwand für beide Eltern insgesamt an Fahrtzeit in keinem Fall mehr als je eine Stunde. Eine besondere Härte kann das Gericht darin nicht erkennen, wenngleich der Wunsch der Eltern nach einer wohnortnäheren Lösung verständlich und nachvollziehbar ist.
Des Weiteren ist vorliegend wohl auch nicht von einer Unzumutbarkeit hinsichtlich der von der Katholischen Kirche getragenen Einrichtung in … auszugehen.
Grundsätzlich haben die Leistungsberechtigten nach § 5 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII das Recht, zwischen Betreuungsangeboten in öffentlich-rechtlich betriebenen Tageseinrichtungen und solchen in privatrechtlich organisierten Tageseinrichtungen zu wählen. Dieses Recht besteht nach höchstrichterlicher Rechtsprechung jedoch nur im Rahmen der vorhandenen Kapazitäten. Fehlt es an diesen, so muss sich der Anspruchsberechtigte auch auf die Förderung in jeweils anderer Trägerschaft verweisen lassen (BVerwG, U.v. 26.10.2017 – 5 C 19/16 – juris Rn. 40). Steht demnach lediglich ein freier Betreuungsplatz zur Verfügung, reduziert sich das Wahlrecht regelmäßig auf diesen.
Zwar wird es wohl häufiger vorkommen, dass Erziehungsberechtigte mit der pädagogischen oder weltanschaulichen Ausrichtung der jeweiligen Betreuungseinrichtung nicht oder nur teilweise übereinstimmen. Angesichts der nach wie vor „knappen Ressourcen“ an verfügbaren Betreuungsplätzen dürfte jedoch zumindest erwartet werden, dass in Fällen, in denen der Besuch einer Tageseinrichtung tatsächlich nicht zugemutet werden kann, die jeweiligen Beweggründe nachvollziehbar dargelegt werden. Das Vorbringen der Eltern der Antragsteller, sie seien beide konfessionslos und wünschten daher keine Erziehung ihres Kindes im katholischen Glauben, bleibt vorliegend jedoch pauschal und unsubstantiiert. Angesichts des extrem hohen Anteils kirchlicher Einrichtungen an der Gesamtzahl der Kindertagesstätten in Deutschland dürften viele Eltern, die keiner Konfession angehören, in derselben Situation sein. Dazu kommt, dass die Eltern des Antragstellers diesen Aspekt, würde er tatsächlich ein Ausschlusskriterium für diese darstellen, bereits bei Anmeldung des Rechtsanspruchs beim Antragsgegner oder spätestens bei Ablehnung der angebotenen Plätze hätten kundtun können. Dass dies erst im gerichtlichen Verfahren eingeführt wurde, lässt den Eindruck entstehen, es werde lediglich ein weiteres Argument gesucht, um die Ablehnung der aus Sicht der Eltern zu weit entfernten Krippenplätze zu untermauern.
Letztlich kann die Zumutbarkeit des angebotenen Platzes in der kirchlichen Tageseinrichtung in … jedoch dahingestellt bleiben, da jedenfalls gegen die ebenfalls angebotene Einrichtung in … – neben der Entfernung – keine Bedenken vorgebracht wurden und dem Gericht auch nicht ersichtlich sind.
Nach alledem ist der Anspruch auf den Nachweis eines Betreuungsplatzes bereits durch das Angebot zumindest eines örtlich zumutbaren und zeitlich bedarfsgerechten Platzes erfüllt worden, so dass ein Anordnungsanspruch zum Entscheidungszeitpunkt nicht mehr besteht. Das Vorliegen eines Anordnungsgrundes kann vorliegend daher dahinstehen.
Soweit die Bevollmächtigten des Antragstellers des Weiteren beantragt haben, gegen den Antragsgegner bei Nichtbereitstellung eines entsprechenden Platzes in einer Tageseinrichtung oder Tagespflege ein Zwangsgeld von bis zu 25.000 EUR festzusetzen, ist der Antrag ebenfalls abzulehnen. Sofern sich die Bevollmächtigten – was mangels entsprechendem Vortrag unklar bleibt – dabei auf die Regelung des § 172 VwGO stützen, mangelt es bereits an einem Vollstreckungstitel als allgemeine Vollstreckungsvoraussetzung (vgl. Kraft in Eyermann, 15. Aufl. 2019 Rn. 11, VwGO § 172 Rn. 11). Im Übrigen wurde der Anspruch auf Nachweis eines Betreuungsplatzes nach § 24 Abs. 2 SGB VIII vom Antragsgegner bereits erfüllt, s.o. Der Antrag geht damit ins Leere.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 188 Satz 2 VwGO.


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